Ein aktueller WDR Sport Inside Beitrag “Jungprofis in der Bundesliga: Noch früher ins Rampenlicht” sorgt für Aufsehen. Im Film von Matthias Wolf wird die Regeländerung kritisch beleuchtet, nach der in der Fußball-Bundesliga zukünftig ohne jegliche Einschränkung bereits 16-Jährige Kicker zum Einsatz kommen dürfen. Diese Veränderung hat Borussia Dortmund angestossen. Ein Verein, der zunehmend auf junge internationale Talente setzt. Aber zu welchem Preis? Zu dieser Frage wurde unter anderem Dr. René Paasch von Die Sportpsychologen (zum Profil) befragt. Wir empfehlen an dieser Stelle den Beitrag, der unter anderem auf Sportschau.de oder über die Sportschau-App zur Verfügung steht:
Es wird oft angenommen, sagt Chat GPT auf Anfrage, dass Sportpsychologen nur in Krisensituationen oder bei psychischen Problemen wie Angstzuständen oder Depressionen notwendig sind. Echt jetzt? Natürlich nicht! In dieser Folge klären wir erneut auf, dass so manche Geschichten über die Sportpsychologie einfach daneben sind.
Wieder Unsinn. Depressionen werden von Psychologischen Psychotherapeuten oder Psychiatern behandelt. Gleiches gilt für psychopathologische Angststörungen. Ich arbeite ausschließlich in den Bereich Leistungsstabilisierung, Leistungsoptimierung sowie Persönlichkeitsentwicklung. Kann ich eine Psychopathologie erkennen, kommt sofort mein “klinisches Auffangnetz” ins Spiel. Dafür fehlt mir nämlich die therapeutische Ausbildung.
Klaus-Dieter Lübke Naberhaus, Die Sportpsychologen
Ich fange mal hinten an. Angstzustände und Depressionen sind durch die Sportpsychiatrie oder psychologische Psychotherapeuten zu begleiten, wie Oli schon gesagt hat. Da ist die Grenze der Sportpsychologie in der Regel überschritten. Somit ist diese Annahme von Chat GPT schon hiermit entkräftet.
Sportpsychologie beinhaltet vor allem die Entwicklung einer Persönlichkeit, die Herausarbeitung der Motivation und das Arbeiten mit Zielen. Weiterhin: Techniken zur Regulation der Anspannung, der Emotion und das Stressmanagement und durchaus noch das ein oder andere Thema. Somit sollte der Sportpsychologe den Athleten genauso kontinuierlich begleiten wie der Physiotherapeut und Sportmediziner, wie der Athletik- und Techniktrainer. Die Sportpsychologie ist weder Zauberei noch Feuerwehr, sondern auch das Training von mentalen Fertig- und Fähigkeiten.
Neben dem Punkt, dass Sportpsychologen gar nicht auf psychische Probleme wie Angstzustände oder Depressionen spezialisiert sind, kommt noch hinzu, dass sie nicht nur notwendig sind, wenn es bereits kurz vor zwölf ist, also ausschließlich in Krisensituationen. Sportpsychologen arbeiten viel präventiv, sodass es im besten Fall gar nicht erst zu einer Krise kommt. Durch die Erarbeitung verschiedener Strategien kann z.B. Stress- und Konfliktmanagement betrieben werden, wodurch sich die Athleten eine Resilienz aneignen können, um auf potenzielle Herausforderungen oder Krisen gut reagieren zu können. Zu den Inhalten, weshalb ein Sportpsychologe konsultiert wird, lässt sich sagen, dass auch hier “mentale Probleme” sehr überspitzt formuliert sind. Es kann sich um die unterschiedlichsten Themen handeln – sei es Umgang mit Leistungsdruck oder Fehlern, Wettkampfangst, Motivationsverlust oder Aufbau von Selbstvertrauen. Hinzu kommen auch mal private Angelegenheiten wie Schule, Familie oder Partnerschaft. Aber all das sind keinesfalls pathologische Zustände, wie es der Begriff “mentale Probleme” vielleicht vermuten lässt.
Den Profi-Fußball und den gehobenen Amateurfußball trennen zumindest in Bezug auf die Sportpsychologie Welten. Denn während in Bezug auf Technik, Taktik und Physis vieles aus dem professionellen Fußball im Amateursport adaptiert wird, bleibt die Sportpsychologie meist noch außen vor. Eine Ausnahme macht der Verbandsligist SV Linx. Dort arbeitet Anke Precht als Sportpsychologin.
Zum Thema: Unterschiede der sportpsychologischen Arbeit im Profi- und Amateursport
Seit dem Frühjahr 2024 arbeitet Anke Precht für den SV Linx. Gestartet als klassische Feuerwehrintervention im Abstiegskampf ist aus der Zusammenarbeit eine feste Kooperation geworden. Immer wieder ist Anke bei Trainingseinheiten und Spielen vor Ort. Vor allem aber betreut sie die Spieler individuell, die oftmals auch in ihre Praxis in Offenburg kommen. In diesem Beitrag benennt sie vier Unterschiede, die sie in ihrer sportpsychologischen Arbeit im Amateurbereich im Vergleich zum Profi-Sport erlebt.
Gemeinschaftsgeist
Anke Precht: “Ich erlebe bei allen Akteuren des SV Linx den ganz klaren Willen, die Mannschaft gemeinsam voranbringen zu wollen. Diese Atmosphäre macht die Arbeit besonders.” Im Profi-Fußball, so die Sportpsychologin, kollidierten häufig mehrere Interessen. Dies gilt auch für die Sportpsychologie, wo ein festangestellter Experte oftmals zwischen den Stühlen stünde. Konkret: Zwischen den Spielern, die er betreuen soll, zwischen dem Trainerstab, die eigene Themen und Interessen mitbringen, sowie der Chetage. Hinzu kommt, dass viele Spieler mittlerweile mit eigenen Sportpsychologen oder Mentaltrainern arbeiten, was die Situation noch weiter verkompliziert.
Anke Precht, Die Sportpsychologen
Umfassender Ansatz, über den Sport hinaus
Als Sportpsychologin erlebt Anke Precht beim SV Linx eine ganz andere Aufgabenstellung im Vergleich zu ihren bisherigen Tätigkeiten im Profi-Fußball. Viel stärker gehe es darum, allen voran mit den jungen Spielern an deren Spielerpersönlichkeiten zu arbeiten.
Im Profi-Bereich, so die Erfahrung von Anke Precht, stünden viel stärker gezielte Themen auf der Agenda, an den kurzfristig gearbeitet werden soll. Im Amateursport nimmt sie sich die Zeit, längerfristig mit den Spielern zu arbeiten. Auch an Themen, die nur zum Teil den Sport betreffen. Gleichermaßen betont Anke, dass sie natürlich, was den Umfang der Arbeitszeit durch das eingeschränkte Budget einer Verbandsligisten, nur in gewissen Grenzen arbeiten könne.
Anke Precht, Die Sportpsychologen
Offenheit statt Skepsis
Beim SV Linx erlebt Anke Precht zudem eine immense Offenheit bezüglich der Sportpsychologie – getragen vom Cheftrainer Sinan Gülsoy, der das Wissen aus der Sportpsychologie regelrecht aufsaugt und postwendend umsetzt.
Im Profi-Bereich sei diese Offenheit weniger gegeben, vielmehr sei vielerorts eine Barriere spürbar, was den offenen Umgang mit dem Fachwissen aus der Sportpsychologie angeht. Anke Precht macht diese Beobachtung an Sinan Gülsoy anschaulich:
Anke Precht, Die Sportpsychologen
Für Cheftrainer Sinan Gülsoy ist die Zusammenarbeit mit Anke Precht ein großes Extra:
Sinan Gülsoy, SV Linx
Alleinstellungsmerkmal
Auch wenn die Sportpsychologie im Profi-Fußball zwar zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist sie bei weitem noch nicht flächendeckend und tiefgreifend etabliert. Aber die Disziplin ist ein Thema. Im Gegensatz zum Amateurfußball, wo die Akzeptanz immer noch deutlich geringer ausfällt, so dass das Wissen aus der Sportpsychologie zur Geheimwaffe werden kann.
Anke Precht sieht in der Tatsache, dass die Sportpsychologie im Amateursport noch wenig verankert ist, gerade für den SV Linx einen echten Vorteil:
Anke Precht, Die Sportpsychologen
Zusammenarbeit starten
Im Netzwerk Die Sportpsychologen sind circa 50 Sportpsychologen, Sportpsychologinnen und qualifizierte MentaltrainerInnen aktiv. Zur Übersicht. Nehmt einfach gezielt Kontakt auf, wenn ihr möglicherweise in eine Zusammenarbeit starten wollt.
Mythen zur Sportpsychologie gibt es einige. Nicht wenige stehen uns in unserer Arbeit dabei sogar im Weg. Einen solchen hat Alex Zverev neulich bedient – den Link dazu findet ihr unter dem Text. Uns von Die Sportpsychologen hat das Thema nicht losgelassen und wir haben ChatGPT nach weiteren großen Mythen der Sportpsychologie befragt, um diese zu entkräften. Die künstliche Intelligenz ist auf unsere Anfrage hin der Meinung, dass…
“viele Menschen denken, dass Sportpsychologie nur für Profisportler relevant ist.”
Unsinn – ich arbeite schon seit Jahrzehnten auch mit ambitionierten Hobbysportlern, Age-Groupern und natürlich Nachwuchsleistungssportlern – und das durchaus erfolgreich.
Die Intentionen einer sportpsychologischen Zusammenarbeit können höchst vielfältig sein. Fakt ist: Die Sportpsychologie zielt nicht ausschließlich darauf ab, mentale Leistungsfaktoren zu optimieren, sondern vielmehr auch einen Beitrag zur mentalen Gesunderhaltung sowie zur Persönlichkeitsentwicklung des Gegenübers beizutragen. Allein hieraus ergibt sich, dass neben High-Performern auch zahlreiche andere SportlerInnen von einer sportpsychologischen Zusammenarbeit profitieren können. Eine Zusammenarbeit macht immer dann Sinn – und das ist völlig unabhängig vom Leistungsniveau des Sportlers/der Sportlerin zu sehen – wenn ein stimmiges Anliegen gegeben ist und ein Commitment für eine gemeinsame Zusammenarbeit getroffen wird.
Als jemand, der in einem NLZ sportpsychologisch tätig ist und somit vor allem mit Nachwuchssportlern arbeitet, kann ich sagen, wie wichtig gerade auch im Jugendbereich die Sportpsychologie ist. Allein schon deshalb, weil die Jungs als Jugendliche sich in einer ganz besonders sensiblen Lebensphase befinden, die mit zahlreichen komplexen Herausforderungslagen einhergeht. Umso mehr braucht es sportpsychologische Angebote.
Klaus-Dieter Lübke Naberhaus, Die Sportpsychologen
Ja, ähnlich dem Mythos, Coaching ist nur was für Manager und Spitzenbeamte. Sehen wir Coaching, egal auf welcher Ebene, als Arbeit an mir selbst unter Einbeziehung professioneller Hilfe für den zu gehenden Prozess, dann sehen wir doch ganz schnell, dass dies zur Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Menschen hilfreich sein kann.
Das ist einfach Bullshit. Sportpsychologie ist nicht nur für Spitzensportler wichtig, sondern für jeden, der sich körperlich betätigt – vom Amateur bis zum Profi. Es geht nicht nur um Leistungsoptimierung, sondern um einen ganzheitlichen Ansatz, der emotionales und mentales Wachstum fördert. Sportpsychologie sollte als ein Entwicklungsprogramm für mentale Stärke, emotionale Balance und Selbstreflexion verstanden werden. Jeder Sportler, egal auf welchem Niveau, profitiert davon, sich mit seinen Gedanken, Ängsten, Blockaden und Ressourcen auseinanderzusetzen. Wer glaubt, dass Sportpsychologie nur für die Elite gedacht ist, verkennt völlig ihren eigentlichen Wert: Sie ist ein essentielles Werkzeug für persönliche Entwicklung – im Sport und darüber hinaus.
Ich kann mich meinen Kollegen nur anschließen. Egal ob im Nachwuchs- oder Seniorenbereich, ob im Freizeit- oder Hochleistungssport. Unsere Werkzeuge bieten für alle möglichen Ausgangssituationen Lösungswege. Dass die künstliche Intelligenz mit dem zitierten Mythos daneben liegt, zeigt zudem der Gedanke, dass Sportpsychologie auch ganz wunderbar für Eltern funktioniert. Und wieder: Angefangen bei Eltern im Hochleistungssport bis in die Tiefe und Breite des Amateursports.
Die Situation: Eine Leichtathletin hat vergangenes Jahr einen Bänderriss erlitten. Zwei Bänder sowie das Syndesmoseband waren gerissen, dazu wurden weitere Strukturen geschädigt. Die Sportlerin hat sich inzwischen gesundheitlich erholt, aber es ist eine Angst geblieben. In der Rubrik Frage und Antwort hat uns die Leichtathletin gebeten, zu helfen. Ihre konkrete Frage lautet: “Wie schaffe ich es, mental so stark zu sein, dass ich es wieder über die Hürden schaffe, ohne die Angst zu haben, umzuknicken?”
Es ist absolut verständlich, dass eine Verletzung wie dein Bänderriss Ängste hervorrufen kann, besonders wenn es um eine Rückkehr zu einer sportlichen Aktivität wie dem Hürdenlaufen geht. Zuerst ist es wichtig, dass die Angst dein Verbündeter ist. Sie möchte dich davor beschützen, dich nochmals so schwer zu verletzen. Dafür kannst du ihr im Bestenfalls dankbar sein. Als nächstes solltest du dich schrittweise wieder an die Hürden heranwagen. Trainiere ganz pragmatisch an der Stärkung deiner Muskulatur und arbeite an deiner Mobilität. Je besser du körperlich vorbereitet bist, desto sicherer wirst du dich fühlen. Ein Visualisierungstraining kann dir hilfreich sein: Stell dir vor, wie du erfolgreich über die Hürden läufst. Visualisiere den gesamten Ablauf, vom Anlauf bis zur Hürde, den Schritt über die Hürde bis zur Landung. Beginne mit niedrigeren Hürden und steigere dich langsam, um dein Selbstvertrauen schrittweise aufzubauen. Du könntest zum Beispiel zunächst auch an den Hürden vorbeilaufen. Akzeptiere, dass Rückschläge Teil des Prozesses sind und lasse dich davon nicht entmutigen. Auch deine Angst kann immer mal wieder zurückkehren. Akzeptiere, dass sie da ist und entscheide dich dafür, weiterhin Step-by-Step weiter zu trainieren. Mit Geduld wirst du langsam dein Vertrauen im Hürdenlaufen zurückgewinnen. Solltest du langfristig Unterstützung benötigen, wende dich an einen Sportpsychologen, der dich im direkten Austausch unterstützen kann. Im Netzwerk findest du Unterstützung in deiner Nähe (zur Übersicht) oder wende dich auch gern an mich (zum Profil von Yvonne Dathe).
Deine Frage?
Wir von Die Sportpsychologen sind für dich da. Und weil wir wissen, dass manchmal eine kleine Schwelle im Weg steht, Kontakt zu einem “Psychologen”, einer “Psychologin” oder einer/einem “MentaltrainerIn” zu suchen, machen wir einen Schritt auf dich zu. Wenn du also auch eine Frage an uns loswerden möchtest, dann nutz dafür das folgende Formular.
Wichtig zu wissen: Manche Fragen und deren Antworten veröffentlichen wir nicht. Wir treten dann mit den jeweiligen FragestellerInnen persönlich in Kontakt. Dies behalten wir uns für Fälle vor, in denen die Anonymität nicht gewährleistet werden kann oder das angestoßene Thema besser im geschützten Raum besprochen wird. Zudem gilt: Unsere Antworten können nicht mehr als Anstösse liefern. Anstösse, von denen du als Leser oder Leserin ableiten kannst, wie wir von Die Sportpsychologen ticken und was wir so machen.
Der Klassiker: „Ich kann unter Wettkampfbedingungen nicht voll abliefern.“ Tausendmal gehört. Tausendmal daran gearbeitet. Und immer wieder spannend. Denn hier geht es meiner Meinung nach um viel mehr als um Konzentrationsvermögen oder Selbstvertrauen. Die eigentliche Frage ist: Warum gehen wir im Sport die Herausforderungen häufig so furchtbar ernst an, vielleicht sogar zu ernst?
Zum Thema: Spielfreude und Lockerheit in der Potenzialentfaltung
Für viele talentierte und ambitionierte Leistungssportlerinnen und -sportler ist jeder Wettkampf und teilweise auch jedes Training eine sehr ernste Angelegenheit. Das mag erstmal nachvollziehbar und richtig erscheinen. Denn von nichts kommt nichts – heißt: Disziplin, Anstrengung und Einsatz müssen sein. So weit, so gut.
Aber: Ernst ist das Gegenteil von Spaß. Und Ernst ist auch das Gegenteil von Lockerheit. Jedoch sind Spaß und Lockerheit äußerst wichtig, wenn es darum geht, sein Potenzial zu entfalten. Ernst und damit häufig verbunden, Angst und Verkrampfung sind Bremsen, die den Athleten in seiner Leistungsentfaltung blockieren. Freude und Lockerheit dagegen verleihen Flügel. Willst du also zeigen, was du kannst, musst du locker sein und Spaß haben.
Dem Sport den Schrecken nehmen
Wenn es darum geht, sich als Sportler vor einem Wettkampf zu regulieren und den richtigen Erregungsgrad zwischen Anspannung und Entspannung zu finden, bieten sich zunächst diverse Atemtechniken an, die praxiserprobt sind und in den meisten Fällen gut funktionieren. Dazu gibt es viele weitere Techniken, die in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung individuell helfen.
Ich setze in meiner Praxis zusätzlich auch auf Denktechniken. Denn jene unproduktive Ernsthaftigkeit ist oft auf entsprechende Glaubenssätze zurückzuführen. Hier kann es helfen, den Sport wieder richtig einzuordnen. Viele Athleten sind erstmal überrascht und gucken mich ziemlich irritiert an, wenn ich ihnen sage, Eishockey, Fußball oder Tennis ist nicht wichtig.Aber würde man eine Liste von den Dingen erstellen, die im Leben wirklich wichtig sind, würde der Sport ziemlich weit unten stehen. Wenn man das erstmal begriffen hat, verliert der Sport schnell seinen Schrecken. Auch das Reflektieren darüber, wie und wann sich der fiese Ernst ins Vergnügen geschlichen hat, kann der erste Schritt sein, ihn wieder loszuwerden – denn der Eingang ist oft auch der Ausgang.
Fazit
Das soll nicht heißen, dass man den Sport nicht ernst nehmen darf. Keineswegs. Wenn man an die Spitze will, kommt man an Ehrgeiz, Disziplin und harter Arbeit nicht vorbei. Was aber auch immer dabei sein muss: Gute Laune, Leidenschaft!
Was haben Lara Gut-Behrami, Roger Federer, Kobe Bryant, Lindsey Vonn und Serena Williams gemeinsam? Alle Sportler:innen machen vor, dass es sich lohnt, am Selbstvertrauen zu arbeiten. Wie sie das machen und was wir von den Stars lernen können, habe ich zusammen mit Iwo Walter zusammengefasst.
Zum Thema:Der bewusste Aufbau von Selbstvertrauen für Spitzenleistungen
Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen sind zwei Schlüsselfaktoren im Leistungssport. Während Selbstbewusstsein die bewusste Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten beschreibt, geht Selbstvertrauen einen Schritt weiter und bedeutet die tiefe innere Überzeugung, diese Fähigkeiten auch unter Druck erfolgreich abrufen zu können (Vealey, 2001). Ein starkes Selbstvertrauen kann den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen und beeinflusst maßgeblich die mentale Widerstandsfähigkeit (Gould et al., 2002).
Drei praktische Schritte, die dir helfen können, mehr Selbstvertrauen im Sport aufzubauen!
1. Selbsterkenntnis: Wissen, was man kann
Die Grundlage für Selbstvertrauen ist eine realistische Selbsteinschätzung. Athlet:innen sollten sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst sein. Dies bedeutet, sich die eigenen Fähigkeiten klarzumachen und objektiv zu bewerten:
Welche technischen, physischen und mentalen Stärken habe ich?
Wo liegen meine Schwachstellen, und wie kann ich sie verbessern?
Wann habe ich in der Vergangenheit bereits Erfolge erzielt?
Ein Beispiel dafür ist die Schweizer Skirennfahrerin Lara Gut-Behrami. Es konnte häufig beobachtet werden, dass sie nach einem Rennen ihre Leistung reflektiert, ihre Stärken erkannt und diese Erkenntnisse genutzt hat, um sich mental und physisch weiterzuentwickeln. Diese Fähigkeit zur Selbsterkenntnis ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu förderlichen Selbstvertrauen.
2. Selbstvertrauen: Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten
Selbstvertrauen entsteht, wenn aus Selbsterkenntnis eine innere Überzeugung wird. Athlet:innen lernen so, sich auf ihre Fähigkeiten zu verlassen und diese auch unter Druck abrufen zu können. Dazu gehört:
Vertrauen in Training und Vorbereitung: Erfolg basiert auf harter Arbeit. Wer konsequent trainiert, hat mehr Sicherheit in seinen Fähigkeiten.
Mentale Strategien gegen Selbstzweifel: Negative Gedanken können das Selbstvertrauen schwächen. Hier hilft es, diese Gedanken bewusst zu erkennen und zu kontrollieren.
Negative Gedanken treten oft in Stresssituationen auf, insbesondere vor Wettkämpfen. Wichtige Schritte zur Kontrolle dieser Gedanken sind:
Protokoll führen: Schriftlich festhalten, welche negativen Gedanken in bestimmten Situationen auftreten.
Gedanken hinterfragen: Sind diese Ängste realistisch oder übertrieben? Negative Gedanken umformulieren: Bewusst eine positive Perspektive entwickeln.
Beispiel: Negativer Gedanke: “Ich werde Fehler im Wettkampf machen.”
Umformulierung: “Ich vertraue in meine Fähigkeiten, und selbst wenn ich Fehler mache, hält mich das nicht auf!”
Roger Federer sprach bei seiner Rede am Dartmouth College im Jahr 2024 darüber, Fehler sofort abzuhaken und sich auf den nächsten Punkt zu konzentrieren – «It`s only a point.» Dieses Mindset half ihm, auch in Drucksituationen konstant auf dem höchsten Level zu spielen.
3. Praktische Methoden zur Steigerung von Selbstvertrauen
Positive Selbstgespräche: Bewusste Selbstbestätigung hilft, Zweifel zu minimieren und das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu erhöhen (Hardy et al., 2001).
Visualisierungstechniken: Athlet:innen können sich ihre Erfolge detailliert vorstellen, um das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu stärken (Morris et al., 2005). Lindsey Vonn nutzte Visualisierungen, um sich jede Abfahrt vorab perfekt vorzustellen und dadurch Unsicherheiten zu minimieren.
Zielsetzung: Klare und realistische Ziele helfen dabei, das Selbstvertrauen schrittweise aufzubauen. Serena Williams setzte sich vor Turnieren häufig kleine und erreichbare Meilensteine, die ihr helfen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und ihren Fokus zu behalten.
Erfolgsjournale: Das Festhalten von Erfolgen, Fortschritten und positiven Erfahrungen kann helfen, ein stabiles Selbstvertrauen zu etablieren (Pennebaker, 1997). Kobe Bryant war bekannt dafür, nach jedem Spiel seine Leistung zu analysieren und positive Erkenntnisse festzuhalten.
Fazit
Der Weg vom Selbstbewusstsein zum echten Selbstvertrauen erfordert bewusste Reflexion, gezieltes Training und den Umgang mit Erfolg und Misserfolg. Athlet:innen wie Ronaldo, Williams oder Jordan zeigen, dass mentales Training genauso wichtig ist wie die physische Vorbereitung.
Durch Selbsterkenntnis und mentale Techniken wie das bewusste Umformulieren negativer Gedanken können Sportler:innen ihre mentale Stärke gezielt aufbauen. Lara Gut-Behrami ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Selbstvertrauen durch konsequente Analyse und mentale Vorbereitung gestärkt werden kann. Ein starker mentaler Glaube an die eigene Leistungsfähigkeit ermöglicht nicht nur bessere sportliche Ergebnisse, sondern auch langfristige mentale Resilienz. Die bewusste Anwendung sportpsychologischer Methoden hilft Athlet:innen, das eigene Selbstvertrauen zu festigen und so die Performance nachhaltig zu steigern.
Hinweis: Entstanden in Zusammenarbeit mit Iwo Walter.
Gould, D., Dieffenbach, K., & Moffett, A. (2002). Psychological characteristics and their development in Olympic champions. Journal of Applied Sport Psychology, 14(3), 172–204. https://doi.org/10.1080/10413200290103482
Hardy, J., Hall, C. R., & Hardy, L. (2001). A note on athletes’ use of self-talk. Journal of Applied Sport Psychology, 13(2), 206–213. https://doi.org/10.1080/104132001753149865
Morris, T., Spittle, M., & Watt, A. P. (2005). Imagery in sport. Human Kinetics.
Pennebaker, J. W. (1997). Writing about emotional experiences as a therapeutic process. Psychological Science, 8(3), 162–166. https://doi.org/10.1111/j.1467-9280.1997.tb00403.x
Vealey, R. S. (2001). Understanding and enhancing self-confidence in athletes. In R. N. Singer, H. A. Hausenblas, & C. M. Janelle (Eds.), Handbook of sport psychology (2nd ed., pp. 550–565). Wiley.
Die Sportpsychologie erfreut sich zunehmend an Beliebtheit. Im Profi- wie im Leistungs- und auch im Freizeitsport. Die Hemmschwelle, zum Beispiel zu uns (siehe Übersicht) Kontakt aufzunehmen, sinkt zunehmend. Aber es halten sich auch diverse Mythen zur Sportpsychologie.
Eine hat kürzlich Alexander Zverev zum Besten gegeben. Von der FAZ wurde er in Bezug auf seine Zusammenarbeit mit einem Mentaltrainer zitiert, dass diese “mehr Probleme machen, als es wirklich gibt.” Wie lässt sich mit dem Mythos aufräumen?
Prof. Dr. Oliver Stoll, Die Sportpsychologen
Antwort von: Prof. Dr. Oliver Oliver Stoll (zum Profil)
Ja, dieses Statement überrascht mich tatsächlich nicht unbedingt, denn wir Menschen, die in der Sportpsychologie arbeiten, haben zwar kein Qualitätssicherungsproblem mehr. Denn es gibt mittlerweile gute akademische sowie auch praxisorientierte Aus- und Fortbildungen im Bereich der praktischen und Angewandten Sportpsychologie – hier gebührt insbesondere der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie in Deutschland, unserem Berufsverband großen Dank. Aber tatsächlich finden sich da draußen jede Menge “schwarze Schafe”, die sich zwar gut verkaufen können, aber eben nicht die Qualität haben. Möglicherweise ist Herr Zverev genau auf so jemanden “reingefallen” – Was braucht es also nach wie vor: Wissenstransfer, Transparenz, Vernetzung!
Klaus-Dieter Lübke Naberhaus, Die Sportpsychologen
Eine gängige selbstbestätigende Äußerung, um auch in seinem Weltbild und Selbstkonzept zu bleiben, ist die Externalisierung von Problemen. Natürlich kommen in der Arbeit mit sich selbst, und das ist auch die Arbeit mit einem Sportpsychologen, Themen auf, die ich sonst nicht hätte. Dies dann auf den Psychologen zu übertragen, diese Art von Mechanismus hat schon Freud gut beschrieben.
Wir können, wie Oli schon sagte, nur spekulieren, welche Erfahrung Alexander Zverev bisher gemacht hat. Doch eines ist neben aller Seriosität und Wissenschaftlichkeit entscheidend. Die Grundlage jedes erfolgreichen Arbeiten ist das, was wir als Rapport, therapeutische Allianz nennen, oder auch umgangssprachlich ganz einfach, die Chemie zwischen Beiden muss stimmen. Vielleicht liegt auch hier ein Faktor in der bisherigen Erfahrung von Alexander Zverev.
Zudem könnte für diese Aussage auch seine Erziehung eine Rolle spielen, mit der Entstehung von Glaubenssätzen wie z.B. “ein richtiger Mann schafft alles alleine” oder “Sportpsychologen sind etwas für Menschen, die psychische Probleme haben!”
Die Aussage von Alexander Zverev spiegelt ein weit verbreitetes Missverständnis über die Sportpsychologie wider, das tief verwurzelt ist und eine bewusste, tiefgehende Aufklärungsarbeit erfordert. Es reicht nicht aus, nur Mythen zu entlarven – vielmehr muss die Sportpsychologie organisch in die frühesten Entwicklungsphasen von Sportlerinnen und Sportlern integriert werden. Ein langfristiges Ziel sollte sein, eine natürliche Vertrautheit mit psychologischen Prozessen zu schaffen, sodass sie als essenzieller Bestandteil der sportlichen Ausbildung wahrgenommen werden. Dazu gehört auch die solide und differenzierte Ausbildung von Sportpsychologen selbst. Es ist entscheidend, dass sie nicht nur Techniken zur Leistungssteigerung vermitteln, sondern auch tiefere psychodynamische Zusammenhänge erkennen und bearbeiten können. Denn solche Aussagen wie die von Zverev sagen nicht nur etwas über die Sportpsychologie aus, sondern auch über die Persönlichkeitsstruktur desjenigen, der sie trifft. Aus einer psychodynamischen Perspektive kann eine solche Haltung auf Abwehrmechanismen hindeuten – möglicherweise eine Projektion oder eine unbewusste Angst vor der Konfrontation mit innerpsychischen Prozessen.
Daher gilt es, nicht nur auf solche Mythen zu reagieren, sondern den gesamten Diskurs über Sportpsychologie nachhaltig zu verändern: durch frühzeitige Sensibilisierung, durch Entdämonisierung psychologischer Arbeit im Sport und durch eine fundierte, reflektierte Ausbildung der Fachkräfte.
Es ist verständlich, dass Aussagen wie die von Alexander Zverev oft geteilt werden und leider auch immer noch die Diskussionen über die Rolle von Mentaltrainern/ Sportpsychologen negativ befeuern… auch, weil es leider aus meiner Sicht immer noch kein QS-Management hierfür gibt. Mentaltraining kann aber für viele Athleten (unabhängig des Niveaus), eine wertvolle Unterstützung sein, um mit Druck, Stress und den psychologischen Herausforderungen des Wettkampfs umzugehen. Um mit dem Mythos aufzuräumen, dass Mentaltraining mehr Probleme schafft, als es löst, könnte man folgende Punkte anführen:
1. Individuelle Erfahrungen: Jeder Athlet hat unterschiedliche Bedürfnisse und Erfahrungen. Während es für Zverev vielleicht nicht die gewünschte Wirkung hatte, berichten viele andere Sportler von positiven Effekten durch Mentaltraining.
2. Wissenschaftliche Grundlagen: Es gibt zahlreiche Studien, die die Vorteile von mentalem Training belegen, wie z.B. die Verbesserung der Konzentration, der Stressbewältigung und der emotionalen Stabilität, unabhängig der Sportart.
3. Offene Kommunikation: Es ist wichtig, dass Athleten offen über ihre Erfahrungen sprechen, was leider immer noch zu wenig passiert. Wenn Mentaltraining nicht funktioniert, sollte das nicht als allgemeingültige Aussage über dessen Wirksamkeit interpretiert werden.
4. Integration in die Trainingsroutine: Mentaltraining sollte als Teil eines ganzheitlichen Ansatzes betrachtet werden, der auch physische und technische Aspekte des Trainings umfasst.
Letztlich ist es wichtig, die Vielfalt der Ansätze im Sport zu akzeptieren und zu erkennen, dass nicht jeder Weg für jeden Athleten funktioniert. Der Dialog über solche Themen kann helfen, Missverständnisse auszuräumen und die Bedeutung der mentalen Stärke im Sport zu fördern.
Wenn es um Boxen geht, denken viele zunächst an harten Körpereinsatz, schnelle Fäuste und physische Dominanz. Doch wer den Sport selbst ausübt, merkt schnell: Boxen ist weit mehr als ein körperlicher Wettkampf. Es ist eine mentale Herausforderung, die Fokussierung, emotionale Kontrolle und innere Stärke erfordert. Rocky Balboa ist der Inbegriff davon. Wir alle können von ihm sportartübergreifend eine Menge lernen. Denn im Gegensatz zur allgemein verbreiteten Sichtweise ist Boxen absolut kein stumpfer „Hau-Drauf“-Sport, sondern eine sehr kognitive Sportart, die von taktischem Verständnis, Reaktionsschnelligkeit und Entscheidungsfindung geprägt ist.
Zum Thema: Wie der Sport Körper und Geist formt
Boxen bietet eine super Möglichkeit, Emotionen zu regulieren, anstatt sie unkontrolliert zu verstärken. Für viele Sportler ist es ein Weg, mit Stress, Frust oder Unsicherheiten umzugehen. Manche können beim Boxen besonders gut abschalten und empfinden es als Ausgleich zum stressigen Alltag, andere nutzen das Boxen, um sich so richtig auszupowern und negative Emotionen bewusst rauszulassen. So oder so können dadurch ein mentaler Fokus und ein Zustand der Selbstkontrolle erreicht werden.
Der Schlüssel liegt dabei in der Disziplin: Wer effektiv boxen will, kann sich nicht von Emotionen übermannen lassen. Im Gegenteil – emotionale Ausbrüche in diesem Sport führen oft zu Fehlern. Ein Frustschlag ohne Bedacht, eine unüberlegte Reaktion nach einem Gegentreffer – all das kann schnell die eigene Strategie ruinieren. Deshalb lernen Boxer von Beginn an, ihre Emotionen zu erkennen, zu kontrollieren und gezielt für sich zu nutzen.
Die Mechanismen der mentalen Stärke
Boxen fordert nicht nur körperliche Fitness, sondern auch geistige Disziplin. Im Ring ist die richtige Balance zwischen Anspannung und Ruhe entscheidend. Ein erfahrener Boxer weiß, dass Panik oder Frustration dazu führen, unüberlegt zu handeln. Mentale Techniken wie Atemkontrolle, Visualisierung und taktisches Denken sind essentiell, um unter Druck die richtige Entscheidung zu treffen.
Diese Fähigkeiten sind nicht nur für den Sport relevant. Wer sich im Boxen mentale Stärke antrainiert, kann sie auch in den Alltag übertragen – sei es im Beruf, in Stresssituationen oder in zwischenmenschlichen Konflikten.
Gelernt ist gelernt: Mentale Stabilität auch über den Sport hinaus
Vielleicht fragen sich nun einige: Bleibt die mentale Stärke denn auch bestehen, wenn man aufhört zu boxen? Die Antwort ist ja – wenn man sie bewusst weiter nutzt. Das Stichwort ist hier „Resilienz“, d.h. flexibel, stressresistent und anpassungsfähig zu sein. Gemeint ist damit eine psychologische Widerstandsfähigkeit gegenüber äußeren Belastungen beziehungsweise eine psychische Belastbarkeit unter Druck, die im Sport abschwächend auf Wettkampfangst wirken kann. Resiliente Sportler können ihre Leistung unter Druck sogar steigern.
Resilienz oder mentale Stabilität ist nichts, was man von Grund auf zu 100% beherrschen kann, sondern ein Ergebnis kontinuierlicher Arbeit – an sich selbst, an der eigenen Veränderungsbereitschaft, Reflexionsfähigkeit sowie mentaler Haltung. Wer durch das Boxen gelernt hat, fokussiert zu bleiben, sich nicht von Rückschlägen entmutigen zu lassen und unter Druck klar zu denken, kann diese Fähigkeiten in vielen Lebensbereichen einsetzen. Sei es in stressigen Phasen im Beruf, in herausfordernden privaten Situationen oder in anderen Sportarten – mentale Stärke ist eine langfristige Investition.
Fazit
Boxen ist nicht nur eine physische, sondern auch eine psychologische, kognitive sowie emotionale Herausforderung. Der Sport lehrt Disziplin, Kontrolle und Resilienz – Eigenschaften, die über das Training hinaus Bestand haben. Wer Boxen nicht nur als Körpertraining, sondern auch als mentale Schulung begreift, kann davon in vielen Lebensbereichen profitieren und ein klein wenig Rocky in seinen Alltag bringen. Genau das ist es, was den Sport so wertvoll macht.
Bei Die Sportpsychologen hat sich eine Mutter gemeldet, bei der seit einigen Monaten die Sorge um Ihren Sohn wächst. Der 12-Jährige spielt bereits seit acht Jahren Fußball. Zuletzt war er im Nachwuchs eines Bundesliga-Clubs aktiv. Allerdings erlebte der Sohn wiederholt Panikattacken, sowohl im Training als auch bei Spielen. Inzwischen wurde bei dem Kind eine ADHS-Diagnose gestellt. Vor kurzem ist er zurück in den Amateurbereich gewechselt.
Zum Thema: Umgang mit Angst- und Panikattacken im Nachwuchssport
Die Mutter berichtet, dass ihr Sohn einerseits immer wieder mit der Situation hadere. Dass er Angst habe, dass ihn diese Blockaden wieder einholen. Andererseits flüchtet er sehr in die digitale Welt und vermeidet so regelrecht den Fußball. Die folgende Frage stellt er an uns: Wie kann mein Sohn aus der Angstspirale entkommen und wieder zu seiner Leichtigkeit zurückfinden?
Erstmal ist es natürlich wichtig, zu erörtern, was es genau mit diesen „Panikattacken“ auf sich hat: Wann treten sie jeweils auf? Hat er sie auch in anderen Situationen als beim Fußball? Gibt es bestimmte Auslöser? Inwiefern beeinflussen sie sein Fußballspiel? Wenn man einen Grund ausmachen kann, dann fällt es auch leichter zu wissen, wo und mit welchen Strategien man ansetzen kann.
Außerdem könnte man versuchen herauszufinden, was genau es mit der Angst für ihn auf sich hat. Sind es die „Panikattacken“ an sich, die ihm Angst machen oder ist es vielleicht eher die „Angst vor der Angst“? Ratsam könnte an dieser Stelle dann auch eine Psychoedukation über Angst sein, also z.B. was Angst überhaupt ist, wieso sie sogar hilfreich sein kann und dass Angst kein Dauerzustand ist, sondern irgendwann immer von alleine wieder verschwindet.
Eine mögliche Strategie, die er für mehr Leichtigkeit anwenden könnte, wäre eine (angeleitete) Visualisierung, mithilfe der er sich bewusst und sehr detailliert vorstellt, wie er Fußball spielt, ohne eine „Panikattacke“ zu haben. Durch eine regelmäßige Anwendung kann er sich quasi selbst positiv verstärken und Erfolgserlebnisse schaffen. Auch Atemtechniken wären eine Option, die er für sich nutzen kann, regulierend einzugreifen, wenn er merkt, dass sich eine „Panikattacke“ anbahnt.
Hallo Frau Walter (Name von der Redaktion geändert),
gerne antworte ich Ihnen aus drei verschiedenen Perspektiven, da ich alle drei Seiten Ihres Anliegens sehr gut kenne:
Als ehemalige Nachwuchsleistungstrainerin war ich immer bestrebt, einen regelmäßigen, persönlichen und offenen Austausch zum Athleten und den Eltern zu haben. Begründung: Unabhängig vom Sport gibt es noch andere Themen im Leben, die ins Training mitgenommen werden. Eigener Erwartungsdruck, schulischer oder sozialer Stress. Hier pflegte ich eine Kommunikation unter den Fragestellungen: “Was möchtest Du als Athlet?” und “Was für ein Ziel hast Du bzw. möchtest Du erreichen und wie kann ich Dich als Trainerin unterstützen?” Das aktive Einbinden des Athleten ins Training fördert die Beziehungsarbeit und vermindert somit das subjektive Empfinden, den Druck/Stress oder gar Angst im Training.
Frage aber an Sie: Wie sieht die Kommunikation bei Ihnen aus? Sind Ihre Trainern geschult oder informiert bzw. wie gehen diese mit Ihrem Kind und Ihnen ins Gespräch?
Als Mutter einer 10-jährigen Tochter mit ADHS weiß ich, dass es wahrhaftig nicht leicht ist, die Situation täglich zu meistern! Respekt an Sie und Ihre Familie. Als Mutter mache ich mir täglich Gedanken bezüglich der Medikation. Aber nicht nur ich: Nach Gesprächen zwischen unserem Kinderarzt und uns und unserer Tochter hat sie sich für die Medikamente entschieden, da die Vorteile überwiegen. Sie nimmt Tabletten in der Schule, um nicht in “Stress” zu geraten, was ihr hilft, Routinen und Leistungen bei sich selbst anzuerkennen und positiver abzuspeichern. Dasselbe gilt für das Training. Die Routinen im Umgang mit den anderen, das Einordnen von Gefühlen und Reflektieren wird unterstützt durch ein Gespräch mit einer neutralen Person (Verhaltenstherapeutin), um mich als Mutter zu entlasten, die Zeit mit meiner Tochter neu zu gestalten und die Tabletten (irgendwann evtl.) nicht mehr benötigen zu müssen.
Fazit bei uns: Nach einem Jahr, haben wir eine entspanntere Beziehung innerhalb der Familie, unsere Tochter ist glücklicher und hat weniger Stress und Angst im Alltag vor “Fehlern”. Sie genießt die Zeit bei ihrer Verhaltenstherapeutin, um ihre Themen “loszuwerden”, ohne Mama und Papa zu belasten (Thema Selbstständigkeit) 😉
Aus der Perspektive der Sportpsychologie auf das Themenfeld Angst/Panikattacken geblickt, gehe ich mit meiner Kollegin konform. Ich bin mir sicher, dass Sie als System Familie bereits eine Strategie für sich entwickelt haben, wenn eine solche Situation auftreten sollte. Dennoch möchte ich Ihnen auch einige Maßnahmen andeuten, die helfen können, mit Panikattacken umzugehen oder sie zu lindern (was ich auch als Mutter bei meiner Tochter anwende):
Beruhigung der Atmung: Tief durch die Nase einatmen, den Atem für einige Sekunden halten und dann langsam durch den Mund auszuatmen.
Ablenkung: Sich mit etwas zu beschäftigen, das die weiteren Sinne anspricht – zum Beispiel eine beruhigende Musik, Kuscheltier oder gar eine kleine Aufgabe erledigen (z.B. gemeinsam kochen).
Positive Gedanken
Den Körper beruhigen
Regelmäßige Entspannungstechniken
Wenn Panikattacken häufig auftreten oder das tägliche Leben beeinträchtigen, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ihr erster Ansprechpartner sollte dazu ihr Kinderarzt sein. Eine mögliche Intervention kann grundsätzöich sehr unterschiedlich sein, möglich ist unter anderem eine kognitive Verhaltenstherapie, die Festigung von Entspannungstechniken oder die medikamentöse Behandlung.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen Impuls geben und möchte Ihnen nochmals schreiben, dass ich es sehr schätze, was Sie als Mutter und als Familie schon jetzt für ihren Sohn alles leisten. Das ist toll!
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Als sportpsychologischer Coach gehört es auch zu meinen Aufgaben, mit dem Umfeld meiner Sportler zu arbeiten. Die Eltern spielen für viele Nachwuchssportler eine herausragende Rolle, dies gilt auch für die U16-Spieler des Halleschen FC, die ich in dieser Saison sehr umfangreich betreue. Über diese Zusammenarbeit berichte ich in einer Artikelserie, in der ich mich bislang mit der Saisonvorbereitung, der Teamentwicklung und den Coaching-Schwerpunkten Spieler, Trainer und Team beschäftigt habe.
Puzzle-Teil Elterncoaching
Für denjenigen Trainer, der modern und systemisch stimmig führen möchte, gilt es, ein möglichst funktionierendes Unterstützungssystem für jeden einzelnen Spieler mitzuentwickeln. Das System besteht aus dem Spieler selbst, der im Mittelpunkt steht, seinen Trainern, seiner Familie, seinem Freundeskreis und weiteren für ihn relevanten Personen. Doch es braucht Arbeit, damit es sich wirklich zu einem Unterstützungssystem entwickelt. Dies ist dann der Fall, wenn alle Systembeteiligten in einem Boot sitzen, in eine Richtung rudern und der Spieler dabei maßgeblich Selbstverantwortung für seine Weiterentwicklung übernimmt.
Besonders wichtige Helfer für die Spieler sind zweifelsfrei ihre Eltern, denn sie sind es, zu denen die Spieler oftmals die größte emotionale Bindung besitzen und einen enormen Einfluss ausüben. Zugleich sind sie für ein Trainerteam der wichtigste Partner für die ganzheitliche Entwicklung der Spieler. Es ist von zentraler Bedeutung, sie von der eigenen Arbeit zu überzeugen, sie auf dem gemeinsamen Weg mitzunehmen und mit einzubinden, aber auch stimmige Grenzen zu setzen, gemeinsam in Austausch darüber zu treten, welches Elternverhalten für die Entwicklung des jeweiligen Spielers funktional ist und wie die Kooperation zwischen Trainern und Eltern aussehen sollte, um dem Spieler zu dienen. Trainer sollten darauf hinarbeiten, dass sich die Eltern gebraucht und wertgeschätzt sowie als Teil des Ganzen fühlen. Gelingt es einem Trainer, diese Aspekte umzusetzen, so stellt – dann in hohem Maße funktionales – Elternverhalten eine enorme (und noch vielerorts enorm unterschätzte und stiefmütterlich behandelte) Leistungsressource dar, die wir ausschöpfen wollen.
Kommunikation
Als Trainerteam luden wir die Eltern daher zu Saisonbeginn zu einem „Come Together“, das unter dem Motto „Der beste Unterstützer des Spielers sein“ stand, ein. Bevor wir zu dem geselligen Teil, dem Grillen, übergingen, legten wir zunächst die Grundlagen für eine stimmige Zusammenarbeit, indem wir u.a. unser Ausbildungskonzept vorstellten, Verhaltensrichtlinien definierten, die Eltern Wünsche an uns formulieren ließen, spezifische Elternrollen vergaben und damit verbundene Aufgabenstellungen kommunizierten. Im Alltag umfasst Elternabend Folgendes: Mit regelmäßigen Mails halten wir sie auf dem Laufenden, gestalten punktuell Events zusammen, wie einen Bowlingabend, an dem die Eltern die Möglichkeit erhalten, uns als Trainerteam Feedback zu geben. Direkt kommuniziert wird unsererseits mit den Eltern, wenn Verstöße gegen die festgelegten Verhaltensrichtlinien auftreten.
Ein Teil meines Aufgabenprofils besteht auch im Unterstützen der Eltern in ihrer Rolle. Daher lud ich die Eltern zu einem sportpsychologischen Einstiegsworkshop ein. Dabei stellte ich mein sportpsychologisches Wirken vor und schuf Angebote für eine Zusammenarbeit zwischen ihnen und mir. Seitdem melden sich immer wieder Eltern mit spezifischen Fragestellungen. Durch entsprechende Coachings und Beratungen stütze ich gezielt das Unterstützungssystem des Spielers, das wiederum ein unverzichtbares Puzzleteil auf dem persönlichen Weg darstellt.
Puzzleteil für Puzzleteil
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass wir als Trainerteam – auch durch die zielgerichtete Förderung mentaler und sozialer Aspekte, täglich, – Rahmenbedingungen so setzen, dass unsere Spieler durch das Ausschöpfen von Entwicklungspotenzialen ihr persönliches Puzzle Teil für Teil vervollständigen können. Und vielleicht schafft es ja tatsächlich der ein oder andere 2028 im Leuna-Chemie-Stadion auf dem Rasen zu stehen. Ich werde, zusammen mit meinen Trainerteamkollegen auf der Tribüne sitzend, der stolzeste Zuschauer sein. Bis dahin werden wir gemeinsam weiter fleißig puzzeln. Versprochen.
In dieser, hiermit nun abgeschlossenen, Artikelserie wollte ich dir, lieber Leser, Einblicke in unsere Philosophie geben und den Übertrag in die Alltagspraxis darstellen. Alles aus meiner Perspektive, der eines sportpsychologischen Coaches. Dabei ging es mir darum, durch das Aufzeigen meiner Wirkungsbereiche und die Verknüpfung dieser mit unserer Trainingspraxis, die systematische Integration der Sportpsychologie als unverzichtbaren Ausbildungsbestandteil und Leistungsressource hervorzuheben. Alle Teile der Serie gibt es hier, Puzzleteil für Puzzleteil:
Puzzle-Teil Saisonvorbereitung erscheint am: Do., 9. Januar 2025 (Link) Puzzle-Teil Teamentwicklung erscheint am: Do., 23. Januar 2025 (Link) Puzzle-Teil Spielercoaching erscheint am: Do., 6. Februar 2025 (Link) Puzzle-Teil Trainercoaching erscheint am: Do., 20. Februar 2025 (Link) Puzzle-Teil Teamcoaching erscheint am: Do., 6. März 2025 (Link) Puzzle-Teil Elterncoaching erscheint am: Do., 20. März 2025 (Link)