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Dr. René Paasch: Freie Bahn nur für mental Starke?

Ein aktueller WDR Sport Inside Beitrag „Jungprofis in der Bundesliga: Noch früher ins Rampenlicht“ sorgt für Aufsehen. Im Film von Matthias Wolf wird die Regeländerung kritisch beleuchtet, nach der in der Fußball-Bundesliga zukünftig ohne jegliche Einschränkung bereits 16-Jährige Kicker zum Einsatz kommen dürfen. Diese Veränderung hat Borussia Dortmund angestossen. Ein Verein, der zunehmend auf junge internationale Talente setzt. Aber zu welchem Preis? Zu dieser Frage wurde unter anderem Dr. René Paasch von Die Sportpsychologen (zum Profil) befragt. Wir empfehlen an dieser Stelle den Beitrag, der unter anderem auf Sportschau.de oder über die Sportschau-App zur Verfügung steht:

Zum TV-Beitrag: https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/sport-inside/video-jungprofis-in-der-bundesliga-noch-frueher-ins-rampenlicht-100.html

Dr. René Paasch im Interview (Screenshot WDR Sport Inside, Verwendung bewilligt via Medikament-TV)

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Bildquelle: Screenshot WDR Sport Inside, Verwendung bewilligt via Medikament-TV

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Björn Korfmacher: Mentale Stärke – alles nur Softskills?

In Deutschland besteht noch immer eine gewisse Skepsis gegenüber der Sportpsychologie. Über die Gründe dafür wird bis heute gerne diskutiert. Da geht es um Trainer, die sich nicht ins Handwerk pfuschen lassen wollen; um Athleten, denen man keine psychischen Probleme unterstellen will; um die Zeit, die zwischen Athletik-, Taktik- und Technikeinheiten für Mentaltraining fehlt; oder um das rote Tuch der geistigen Umerziehung, die hierzulande historisch bedingt einen schweren Stand hat. Ein wichtiger Grund aber wird kaum genannt: Mentale Stärke ist für viele nicht klar definiert – und genauso unklar ist dann auch, was man mit Mentaltraining erreichen kann.   

Zum Thema: Mentale Stärke verstehen und trainieren

Was dabei rumkommt, wenn ein Fußballer an seiner Kondition arbeitet, ist klar: Ein Athlet, der 90 Minuten Vollgas geben kann. Ebenso gut kann man sich die Erfolge vorstellen, wenn ein Boxer an seiner Beweglichkeit arbeitet. Oder andersrum: Man stelle sich vor, ein Eishockey- oder Footballspieler würde kein Krafttraining machen und sich weigern, Muskeln aufzubauen. Den Zusammenhang zwischen Training und sportlichem Erfolg muss man hier nicht erklären. Wenn es aber um Mentaltraining geht, fehlt diese Klarheit oft. 

Tatsächlich fällt es vielen Sportlern schwer, das Spektrum der mentalen Stärke zu benennen und zu begreifen – häufig wird sie auf einen Aspekt reduziert: Kampfgeist. Das mag daran liegen, dass in den Medien die Mentalität fast ausschließlich in diesem Zusammenhang genannt wird. Wenn eine Mannschaft mental stärker war als die andere, dann hatte sie mehr Biss. Wenn ein Tennisspieler mental schwach war, dann heißt das, er hat zu früh aufgegeben. Mentale Stärke ist aber noch viel mehr – zum Beispiel Konzentrationsfähigkeit, Emotionskontrolle, Resilienz, Selbstvertrauen, Disziplin oder Entspannungsfähigkeit. Im Vergleich zu einer starken Rückhand, einem harten Schuss, einem schnellen Antritt oder einer phänomenalen Ballkontrolle sind das zweifellos Softskills. Aber:  Die können hart den Unterschied machen und später unter den ganzen Talenten die Spreu vom Weizen trennen.   

Mentale Stärke ist lernbar

Bei Softskills geht man oft davon aus, dass sie angeboren sind – so etwas eignet man sich nicht an. Man bekommt es in die Wiege gelegt oder auch nicht. Entweder, man ist der Coole oder der Nervöse. Extrovertiert oder schüchtern. Fokussiert oder zerstreut. Dynamisch oder lethargisch. Mutig oder feige. Typ Steh-auf oder Kopf-in-den-Sand. Der eine ist nah am Wasser gebaut, der andere zeigt keine Emotionen. Solche Dinge werden oft als angeborene, unabänderliche Charaktereigenschaften wahrgenommen. Doch Softskills wie die Eigenschaften der mentalen Stärke lassen sich sehr wohl trainieren. 

Mit gezielter Denk- und Bewusstseinsarbeit lassen sich neue neuronale Netzwerke bilden, die dann zu neuem Denken und neuem Verhalten führen. Dem zugrunde liegt die Neuroplastizität – die Formbarkeit des Gehirns. Und nichts anderes steuert unsere Emotionen und unsere Bewegungen als das Gehirn. Und was gilt es, im Wettkampf zu kontrollieren? Emotionen und Bewegungen! 

Fazit:

Mentale Stärke ist kein unsichtbares Beiwerk und auch keine zufällige Charaktergabe, sondern ein Trainingsfeld wie jedes andere. Was im Sport als „Softskill“ abgetan wird, ist in Wahrheit oft der Unterschied zwischen Talent und Erfolg. Mentale Stärke sind trainierbare Schlüsselfaktoren, die Siege ermöglichen, Karrieren verlängern und Persönlichkeiten formen. 

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Nathalie Klingebiel: Kreuzbandriss und Kopfzerbrechen – wie Verletzungen uns auch mental beeinflussen

Verletzungen im Sport gehören dazu und könnten unterschiedlicher nicht ausfallen. Das zeigt auch die aktuelle Verletztenliste in der 1. Bundesliga. Von kleineren Blessuren bis hin zu schwerwiegenden Verletzungen inklusive mehrfachen Operationen ist alles dabei. Alle Betroffenen verbindet der Wunsch, möglichst schnell wieder auf dem Platz zu stehen und ihrer Mannschaft zu helfen. Dass das nicht immer so einfach ist, auch davon können einige Spieler ein Lied singen. Benjamin Henrichs von RB Leipzig beispielsweise laboriert bereits seit elf Monaten an einem Achillessehnenriss. Daniel-Kofi Kyereh vom SC Freiburg fehlt seiner Mannschaft sogar schon seit zwei Jahren und neun Monaten aufgrund eines Kreuzbandrisses. Beide verfolgen einen auf sie individuell zugeschnittenen Reha-Plan und machen dabei auch Fortschritte. Trotzdem wurden sie immer wieder durch zahlreiche Rückschläge zurückgeworfen und mussten sich sogar jeweils einer zweiten Operation unterziehen. Ein Comeback in der Bundesliga? Für Henrichs und Kyereh eine Frage, die sie sich vermutlich tagtäglich stellen. Eine konkrete Antwort gibt es für sie darauf jedoch leider nicht. 

Zum Thema: Umgang mit Verletzungen

Henrichs und Kyereh. Natürlich sind das beides extreme Beispiele. Aber egal, ob man nun mehrere Monate bis Jahre oder „nur“ einige Tage bis Wochen ausfällt – Verletzungen gehen an keinem Sportler spurlos vorbei. 

  • „Was ist, wenn ich länger ausfalle als geplant?“ 
  • „Ich habe Angst, mich erneut zu verletzen“
  • „Was passiert, wenn ich nach der Verletzung nicht mehr so gut performen kann wie davor?“
  • „Ich habe mehr und mehr das Vertrauen in meinen Körper verloren“

All das sind typische Gedanken, die mit einer Verletzung einhergehen (können). Hier ist erst einmal wichtig zu erwähnen, dass das natürlich ganz normal ist. Problematisch wird es, wenn diese Gedanken immer mehr werden und sich zu einer Negativspirale entwickeln. Dann dreht sich das Leben auf einmal nur noch um die Verletzung, sowohl physisch als auch psychisch. Durch die zunehmende Beschäftigung mit der eigenen Situation kann irgendwann sogar der Alltag so stark beeinträchtigt werden, dass Betroffene sich selbst bei gewöhnlichen Tätigkeiten eingeschränkt sehen. Im schlimmsten Fall können Verletzungen sogar in Depressionen und Angststörungen münden. 

Achtsamkeit und Akzeptanz 

Was kann man nun also konkret dagegen tun? Was ist der beste Weg, eine Verletzung nicht zu groß werden zu lassen? Natürlich ist der Umgang mit Verletzungen genauso individuell wie Verletzungen selbst – nichtsdestotrotz gibt es einige Strategien und Ratschläge, die von jedem und jeder angewendet werden können. 

Am wichtigsten ist es, sich während der verletzungsbedingten Ausfallzeit in Achtsamkeit und Akzeptanz zu üben. Genauer gesagt heißt das, die Perspektive einzunehmen „Ich kann zwar nicht mehr ändern, dass ich mich verletzt habe. Ich kann aber beeinflussen, wie ich selbst damit umgehe“. Darüber hinaus können auch Achtsamkeitsübungen wie progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training dabei helfen, den eigenen Körper im Ganzen zu spüren und sich nicht nur auf die Verletzung zu fokussieren bzw. man kann dadurch die verletzte Stelle auch ganz bewusst als Teil des Körpers wahrnehmen und erkennen, dass dieser trotzdem noch wie vorher funktioniert.

Raum für positive Dinge

Wie bereits beschrieben, können Verletzungen alltagsbestimmend sein und somit auch das soziale Umfeld beeinflussen. Freunde und Familie fragen sich dann häufig, was sie tun können, um zu unterstützen. Hier heißt die Devise: Ablenkung! Gemeinsame Unternehmungen, die trotz der Verletzung möglich sind, helfen den Betroffenen auf andere Gedanken zu kommen und mal nicht ausschließlich die Verletzung im Kopf zu haben. Zudem kann es schon Wunder bewirken, einfach ein offenes Ohr zu bieten und die Verletzung ganz bewusst mal nicht zu thematisieren, sondern über ganz belanglose Dinge zu sprechen. So rückt die Verletzung in den Hintergrund und bietet Raum für alltägliche und positive Dinge. Dadurch merken die Betroffenen auch, dass ihre Verletzung nicht den ganzen Tag oder ihr ganzes Leben einnimmt. 

Ganz generell gesprochen können Sportler versuchen, insgesamt mental stabiler zu sein, um mit Rückschlägen (wie z.B. Verletzungen) besser umgehen zu können. In einem Wort zusammengefasst: „Resilienz“ ist das, worauf es ankommt. 

Genau deshalb ist es auch so wichtig, während der Reha nicht nur aus athletischer Sicht an einer Rückkehr zu feilen, sondern auch den mentalen Umgang mit der Verletzung zu begleiten – im besten Fall mit Hilfe sportpsychologischer Unterstützung. Meine KollegInnen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Nathalie Klingebiel) stehen gern parat.

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Christian Bader: Die Verliererkompetenz – Warum Veränderung immer Verlierer produziert

Ich bin für den Schweizer Unihockey Verband als Coach Developer tätig. In dieser Rolle begleite ich Trainerinnen und Trainer auf dem Weg zur Berufstrainerin bzw. zum Berufstrainer Leistungssport. Ein exemplarisches Beispiel, welches ich oft in Gesprächen höre, nachdem das Aufgebot für das Spiel kommuniziert wurde: «Ein Athlet redet nicht mehr mit mir. Dabei habe ich doch alles erklärt, ihn einbezogen, transparent kommuniziert.»

Zum Thema: Wie Trainer und Trainerinnen Entscheidungen besser ausführen können

Als Organisationsentwickler arbeite ich mit kleineren und grösseren Organisationen zusammen, die sich in einer Transformation befinden. Als Brückenbauer schaffe ich Verbindungen zwischen dem, was heute ist, und dem, was morgen sein könnte. Aus Beobachtungen und Gesprächen mit Menschen in Führungsrollen habe ich auch hier ein exemplarisches Beispiel: Kick-off-Meeting einer Reorganisation. Die neue Struktur wird vorgestellt. Alle nicken verstehend. Zwei Monate später läuft das Projekt zäh. Einzelne Führungskräfte sabotieren still. «Aber wir haben doch alle mitgenommen», wundert sich das Management.

Hier der blinde Fleck: Wir glauben, durch Partizipation Verlierer zu verhindern. Dabei produzieren wir nur Verlierer, die ihre Enttäuschung nicht zeigen dürfen.

Die unbequeme Wahrheit über Entscheidungen

Jede Entscheidung teilt:

  • Stammformation vs. Bank
  • Neue Rolle vs. alte Rolle
  • Projekt A bekommt Ressourcen vs. Projekt B nicht

Es gibt jene, die gestalten können und Verantwortung tragen. Und jene, die aushalten müssen und der Entscheidung ausgeliefert sind.

Die gefährliche Illusion: «Wenn ich alle einbeziehe, gibt es keine Verlierer mehr.» Das stimmt nicht. Es verschiebt nur das Problem. Aus «Ich bin gegen die Entscheidung» wird «Ich verstehe die Gründe, aber hadere trotzdem.» Der Schmerz bleibt. Nur darf dieser Schmerz jetzt nicht mehr gezeigt werden.

Was braucht es stattdessen?

Nicht bessere Begründungen. Sondern die Fähigkeit des Einzelnen, kompetent zu verlieren.

Das heisst nicht: Den Mund halten und schlucken. Es bedeutet aus meiner Sicht: Mit einer Entscheidung leben können, die gegen die eigene Überzeugung geht.

«I disagree, but I commit.»

Drei Ansätze für die Praxis

1. Für Trainerinnen und Trainer: Benennt die «Verlierer», bevor sie unsichtbar werden

Statt: «Ich habe mich für diese Aufstellung entschieden, weil…» (und dann 20 Minuten Begründung)

Sondern: «Diese Entscheidung bedeutet: Du, du und du seid heute draussen. Das tut weh. Ich sehe das. Und trotzdem bleibt die Entscheidung.»

Die Frage: Was kannst du trotzdem beitragen? (Nicht: Warum verstehst du nicht?)

2. Für Change Manager: Schafft Räume für den Frust

Statt: «Wir haben die neue Struktur erklärt. Alle haben zugestimmt. Thema erledigt.»

Sondern: «Diese Reorganisation bedeutet: Einige verlieren Einfluss, Sichtbarkeit, gewohnte Abläufe. Das ist Realität. Dadurch entsteht Unsicherheit, Angst und Frustration. Wir schaffen bewusst Raum, wo dieser Frust geäussert werden darf.»

Die Frage: Was brauchst du, um trotzdem weiterzumachen? (Nicht: Warum stellst du dich quer?)

3. Für beide: Trennt Sache und Person

Der Athlet auf der Bank ist nicht weniger wert als jener in der Stammformation.
Die Führungskraft in der neuen, kleineren Rolle ist nicht gescheitert.

Die Entscheidung ist nicht gegen dich. Sie ist für etwas anderes.

Diese Unterscheidung muss immer wieder aktiv gemacht werden. Denn unser Gehirn vermischt das gerne.

Die Paradoxie

Organisationen und Teams, die Verliererkompetenz fördern, haben weniger Widerstand. Warum? Weil sie das Verlierer-Sein nicht tabuisieren, sondern als normalen Bestandteil von Entscheidungsprozessen behandeln.

Nicht das Verlieren ist das Problem. Sondern die Unfähigkeit, damit umzugehen.

Die entscheidende Frage

Nicht: «Wie motiviere ich den enttäuschten Athleten / Mitarbeitenden?»

Sondern: «Wie befähige ich jeden, bewusst zu verlieren – damit das Ganze gewinnen kann?»

Denn am Ende gilt: Wer nicht fallen kann, wird nie fliegen lernen. Und wer nicht verlieren kann, wird nie Teil eines gewinnenden Systems sein.

Wie geht ihr mit den «Verlierern» eurer Entscheidungen um?

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Prof. Dr. René Paasch: Ethikorientierte Führung im Sport – Wie man Exzellenz und Menschlichkeit vereint

Im modernen Sport stehen nicht nur sportliche Höchstleistungen und Siege im Fokus, sondern auch die Art und Weise, wie diese Erfolge erzielt werden. In einer zunehmend von Wettbewerb und Leistungsdruck geprägten Welt ist es von entscheidender Bedeutung, dass Führungspersonen im Sport nicht nur auf die Resultate achten, sondern auch ethische Prinzipien und Menschlichkeit in den Vordergrund stellen. Eine ethikorientierte Führung, die Exzellenz mit Menschlichkeit verbindet, kann nicht nur zu besseren Leistungen, sondern auch zu einer nachhaltigeren und respektvolleren Sportkultur führen. Wie können Trainer*innen, Manager*innen und Sportler*innen diese Werte in ihre tägliche Arbeit integrieren und damit den Sport positiv prägen? Diese Fragen wollen wir im Folgenden erörtern und anhand praktischer Beispiele veranschaulichen.

Zum Thema: Prinzipien, Praxis und Reflexion ethischer Führung im Sport

Um im Sport Exzellenz zu erreichen, ohne dabei die Menschlichkeit aus den Augen zu verlieren, müssen verschiedene Aspekte miteinander in Einklang gebracht werden. Dabei geht es um drei zentrale Säulen: Werte (Philosophie), Innovation und Erfolg (Ökonomie) sowie die Umsetzung dieser Werte (Psychologie). Die Philosophie liefert die ethischen Grundprinzipien, die den Rahmen für jegliches Handeln im Sport setzen. Diese Werte dienen als Kompass für Führungskräfte, Trainer*innen und Athleten*innen, um moralisch vertretbare Entscheidungen zu treffen. Prof. Dr. Dieter Frey betont in seinem Werk zur ethischen Führung, dass ethische Prinzipien nicht nur als theoretische Konzepte verstanden, sondern aktiv in die Praxis integriert werden müssen, um wirksam zu sein (Frey, 2018). Die Ökonomie hingegen stellt sicher, dass die angestrebten Erfolge und Innovationen nicht nur nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll umgesetzt werden. Schließlich verbindet die Psychologie diese beiden Bereiche, indem sie die Umsetzung der Werte in den Alltag ermöglicht und gleichzeitig den Menschen, sei es der Sportler bzw. die Sportlerin oder das Team, ins Zentrum rückt.

Dieses Zusammenspiel von Philosophie, Ökonomie und Psychologie bildet das Fundament für eine ethikorientierte Führung im Sport, die Exzellenz nicht nur in Ergebnissen, sondern auch im Umgang miteinander definiert. Indem diese Elemente harmonisch integriert werden, können Führungskräfte eine Kultur schaffen, die nicht nur Spitzenleistungen fördert, sondern auch das Wohlbefinden und die Entwicklung aller Beteiligten in den Vordergrund stellt.

Die Bedeutung einer ethikorientierten Führung im Sport

Eine ethikorientierte Führung hebt die Bedeutung einer Führungsphilosophie hervor, die Exzellenz mit Menschlichkeit verbindet. Im Zentrum dieser Philosophie steht die Überzeugung, dass sportlicher Erfolg nicht nur durch harte Arbeit und Disziplin erreicht wird, sondern auch durch die Förderung einer Kultur der Wertschätzung, Verantwortung und ethischen Integrität (Frey & Hüffmeier, 2020).

Führungskultur und Verantwortung

Eine zentrale Rolle in der ethikorientierten Führung spielt die „4V“-Strategie: Vorbild, Verantwortung, Verpflichtung und Vertrauen. Führungspersonen im Sport, wie Trainer*innen und Manager*innen, sollten durch ihr Verhalten ein Vorbild für Athleten und das gesamte Team sein. Sie tragen die Verantwortung nicht nur für den sportlichen Erfolg, sondern auch für das Wohlbefinden der Sportler und die Einhaltung ethischer Standards. Hans Jonas’ Konzept der Verantwortung unterstreicht, dass Führungskräfte die langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf alle Beteiligten berücksichtigen müssen (Jonas, 1979). Im Sport heißt das, sowohl den kurzfristigen Erfolg als auch die langfristige Entwicklung von Athleten*innen und Teams in Einklang zu bringen.

Rahmenbedingungen für Exzellenz und Menschenwürde

Exzellenz im Sport kann nur nachhaltig erreicht werden, wenn sie auf einer soliden Basis von Menschenwürde und Wertschätzung aufbaut. Karl Poppers Prinzip des kritischen Rationalismus erinnert uns daran, dass sportlicher Erfolg durch ständige Reflexion und Verbesserung erreicht wird. Dies erfordert ein Umfeld, in dem Fehler als Lernmöglichkeiten gesehen werden und die Kultur von Exzellenz durch konstruktive Kritik und kontinuierliche Verbesserung geprägt ist (Popper, 1973). Gleichzeitig betonen die Rahmenbedingungen für Menschenwürde die Notwendigkeit von Vertrauen, Fairness und Wertschätzung. Diese Elemente sind essentiell, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Sportler*innen sicher und respektiert fühlen, was wiederum ihre Leistungsfähigkeit fördert.

Umsetzung durch Klarheit, Feedback und Bewältigungsstrategien

Die praktische Umsetzung einer ethikorientierten Führung erfordert klare Zielsetzungen und die Unterstützung durch Multiplikatoren, um das gesamte Team auf Erfolgskurs zu bringen. Offene Feedback- und Reflexionskulturen fördern nicht nur den Austausch von Ideen und die Verbesserung der Leistung, sondern stärken auch den Zusammenhalt und das Vertrauen im Team. Eine ethikorientierte Führung erfordert zudem effektive Bewältigungsstrategien im Umgang mit Herausforderungen. Statt sich durch Rückschläge entmutigen zu lassen, sollten Optimismus und Eigeninitiative gefördert werden, um eine Kultur des Wachstums und der Resilienz zu etablieren (Frey, 2018).

Die Rolle der Reflexion in der ethikorientierten Führung

Ein wesentlicher Bestandteil einer ethikorientierten Führung im Sport ist die kontinuierliche Reflexion, die zur Weisheit, Reife und Persönlichkeitsentwicklung der Führungskräfte und Athleten*innen beiträgt. Dabei sollten drei zentrale Ebenen der Reflexion in den Führungsprozessen integriert werden: Selbstreflexion, Teamreflexion und Reflexion durch Externe.

Selbstreflexion

Die Selbstreflexion ist der erste und wichtigste Schritt in diesem Prozess. Führungskräfte und Sportler*innen sollten regelmäßig hinterfragen, ob sie die richtigen Dinge tun und ob sie diese Dinge auf die richtige Weise tun. Die Reflexion über das, was gut lief und was nicht, ermöglicht es, persönliche Stärken und Schwächen zu erkennen und gezielt daran zu arbeiten. Paul Baltes, ein angesehener Psychologe, betont, dass diese Reflexion nicht nur auf die eigenen Erfolge, sondern auch auf die Fehler und Herausforderungen gerichtet sein sollte, um daraus zu lernen und sich kontinuierlich zu verbessern (Baltes, 1997).

Teamreflexion

Die Teamreflexion erweitert den Fokus von der individuellen auf die kollektive Ebene. Hierbei geht es darum, dass das Team gemeinsam analysiert, ob die gesetzten Ziele auf die richtige Weise verfolgt werden. Diese kollektive Reflexion fördert nicht nur den Teamgeist, sondern auch die gemeinsame Verantwortung für den Erfolg und das Wohlbefinden aller Mitglieder*innen. Michael West von der Universität Birmingham betont, wie wichtig es ist, dass Teams gemeinsam reflektieren, um eine Kultur der Offenheit und des Lernens zu schaffen, die für nachhaltigen Erfolg unerlässlich ist (West, 2012).

Reflexion durch Externe

Der dritte Schritt umfasst die Reflexion durch externe Perspektiven. Externe Coaches, Berater*innen oder Mentoren*innen können wertvolle Einsichten und Feedback bieten, die oft über die interne Sichtweise hinausgehen. Diese externe Reflexion ermöglicht es, blinde Flecken zu identifizieren und neue Ansätze zu entwickeln, die möglicherweise nicht in den eigenen Überlegungen berücksichtigt wurden (Frey & Hüffmeier, 2020).

Das Prinzipienmodell der Führung und Motivation

Ein zentraler Aspekt der ethikorientierten Führung im Sport ist das Prinzipienmodell der Führung und Motivation. Dieses Modell zielt darauf ab, mündige und intrinsisch motivierte Mitarbeiter*innen und Athleten*innen zu fördern, indem bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sowohl die persönliche als auch die berufliche Entwicklung unterstützen.

1. Sinn- und Visionsvermittlung: Eine klare und inspirierende Vision vermittelt den Sinn und Zweck der gemeinsamen Anstrengungen.

2. Passung und Eignung: Die Freude und das Interesse an der Aufgabe sowie die Passung innerhalb des Teams sind entscheidend für die Motivation.

3. Transparenz: Transparenz in der Kommunikation und bei der Informationsverteilung stärkt das Vertrauen innerhalb des Teams.

4. Autonomie und Partizipation: Das Prinzip der Autonomie und Partizipation fördert Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein (Frey, 2018).

5. Zielvereinbarung und Klarheit: Klare Ziele und Prioritäten helfen, den Fokus zu behalten und effizient auf den Erfolg hinzuarbeiten.

6. Konstruktives Feedback: Konstruktives Feedback fördert das Wachstum und die Entwicklung.

7. Wertschätzung und Fairness: Wertschätzung und Fairness schaffen ein respektvolles und anerkennendes Umfeld.

8. Soziale Einbindung: Soziale Einbindung stärkt den Zusammenhalt im Team.

9. Sicherheitsvermittlung: Ein Gefühl von Sicherheit ist entscheidend für das volle Potenzial der Athleten und Mitarbeiter.

10. Persönliches Wachstum und Vorbildfunktion: Führungskräfte sollten selbst ein Beispiel für kontinuierliches Lernen und Ethik geben.

Die Rolle der Fairness in der ethikorientierten Führung

Fairness ist ein grundlegendes Prinzip der ethikorientierten Führung im Sport. Sie erhöht die Identifikation und das Vertrauen innerhalb des Teams und fördert die intrinsische Motivation, das Engagement und die Bereitschaft zur Innovation (Frey & Hüffmeier, 2020).

1. Ergebnisfairness: Bezieht sich auf die gerechte Verteilung von Belohnungen, Ressourcen und Anerkennung.

2. Prozedurale Fairness: Bezieht sich auf die transparenten und nachvollziehbaren Entscheidungsprozesse.

3. Informationale Fairness: Bedeutet, dass Informationen rechtzeitig, ehrlich und vollständig weitergegeben werden.

4. Interaktionale Fairness: Bezieht sich auf den respektvollen und wertschätzenden Umgang innerhalb des Teams.

Fazit und Take-Home-Message

Eine ethikorientierte Führung im Sport, die Exzellenz und Menschlichkeit vereint, schafft ein nachhaltiges und respektvolles Umfeld, in dem Athleten bzw. Athletinnen und Teams nicht nur ihre sportlichen Ziele erreichen, sondern auch persönlich wachsen können. Durch die Integration von Philosophie, Ökonomie und Psychologie sowie die Anwendung von Prinzipien wie Fairness, Transparenz und Reflexion können Führungskräfte eine Kultur der Exzellenz und Menschlichkeit fördern, die weit über den sportlichen Erfolg hinausgeht. Die Take-Home-Message lautet daher: Erfolgreiche Führung im Sport bedeutet, Menschlichkeit und Exzellenz miteinander zu verbinden und dabei stets die ethischen Grundwerte im Blick zu behalten.

Journaling-Übung: Reflektieren Sie in Ihrem Sporttagebuch, wie Sie in Ihrer Rolle als Trainer*in, Manager*in oder Sportler*in ethische Prinzipien in Ihrem Alltag umsetzen können. Notieren Sie konkrete Situationen, in denen Sie Exzellenz und Menschlichkeit erfolgreich vereint haben, und überlegen Sie, wie Sie diese Prinzipien in Zukunft noch stärker integrieren können.

Mehr zum Thema:

Literaturverzeichnis

Baltes, P. B. (1997). On the incomplete architecture of human ontogeny: Selection, optimization, and compensation as foundation of developmental theory. American Psychologist, 52 (4), 366-380.

Frey, D. (2018). Ethische Führung: Theorie und Praxis eines integrativen Ansatzes. Springer.

Frey, D., & Hüffmeier, J. (2020). Führung und Verantwortung: Eine psychologische Perspektive. Hogrefe.

Jonas, H. (1979). Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Suhrkamp.

Popper, K. (1973). Objective Knowledge: An Evolutionary Approach. Clarendon Press.

West, M. A. (2012). Effective Teamwork: Practical Lessons from Organizational Research. BPS Blackwell.

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Anke Precht: Karriereende im Leistungssport – Herausforderungen und wie man ihnen begegnet

Leistungssport prägt ein ganzes Leben. Über viele Jahre, in der Regel von der Kindheit über die Jugend bis ins Erwachsenenleben. Das bedeutet, dass der Sport nicht nur eine Tätigkeit ist – das Sportler-Sein wird zum Teil der eigenen Identität. Das ist gut, weil es natürlich ermöglicht, den hohen Anforderungen und den harten Trainingswochen gerecht zu werden. Es kann aber zu Schwierigkeiten führen, wenn die sportliche Karriere zu Ende ist.

Zum Thema: Das Karriereende meistern

Schauen wir uns den Idealfall an: Ein Sportler erreicht in seiner Karriere alles, was er erreichen wollte, kommt in die Zeit, in der er altersbedingt den Zenit erreicht oder überschritten hat und entscheidet sich, seine sportliche Laufbahn zu beenden. So wie es im MTB dieses Jahr Nino Schurter aus der Schweiz gemacht hat, Olympiasieger und 10-facher Weltmeister im XCO.

Schurters vorletztes Rennen war die WM im eigenen Land, das letzte der Weltcup in Lenzerheide. Bei beiden Rennen wurde er gefeiert, es war ein würdiger und gut vorbereiteter Abschluss. Bestimmt hat sich Nino vorab Gedanken darüber gemacht, was er anschließend tun möchte, die ein oder andere Tür schon geöffnet, und der Übergang in das neue Leben geschieht sanft und mit Stolz.

Schwierige Vorzeichen

Andere Sportler müssen ebenfalls aus Altersgründen aufhören, haben ihre hohen Ziele aber nicht erreichen können. Für sie gilt es, nicht nur mit einer Tätigkeit abzuschließen, die sie ihr Leben lang begleitet hat, sondern gleichzeitig die Träume, die sie hatten und die nicht wahr geworden sind, loszulassen. Und es gibt jene Sportler, die sich aufgrund einer Verletzung aus dem Sport verabschieden müssen oder weil sie an einem bestimmten Punkt ihrer Karriere kein Team mehr gefunden haben oder aus finanziellen Gründen nicht die Trainingsleistung bringen konnten, die nötig gewesen wäre, um ganz oben mitzuspielen – und die dann die Entscheidung treffen, den Profibereich zu verlassen, mehr oder weniger freiwillig.

Was bedeutet das für einen Menschen? Und wie kann man mit einer Entscheidung umgehen, die man so nicht treffen wollte, zu einem Zeitpunkt, den man sich nicht ausgesucht hat? Was raten Sportpsychologen?

Tipps aus der Sportpsychologie

Aus meiner Sicht: Schon frühzeitig einen Plan B zu machen, ist nur in Sportarten sinnvoll, bei denen von Anfang an klar ist, dass man von ihnen nicht leben kann. Dann ein Studium zu beginnen oder eine Ausbildung nebenher zu machen, ist wichtig und hilft auch dem Sport, indem zumindest die finanziellen Grundbedürfnisse erfüllt sind. Wer in einer Sportart als Profi unterwegs ist, die ihn ernährt, sollte sich ganz auf Plan A fokussieren, um das kleine Quäntchen Extra-Engagement, Extra-Professionalität oder Extra-Einsatz bringen zu können, das am Ende darüber entscheidet, ob die ganz großen Ziele in Reichweite rücken oder nicht. Erst wenn klar ist: Es geht auf das Karriereende zu, macht es Sinn, darüber nachzudenken, was man anschließend tun möchte – und mit den nächsten Menschen darüber zu sprechen.

Wenn man unfreiwillig aus der Karriere aussteigt oder mit dem Wissen, das Gewünschte nicht erreicht zu haben, braucht es einen anderen Ansatz. Der führt über die Motivatoren, also das, was den Sportler früher angetrieben hat, das, was er am Sport geliebt hat, der Grund, warum er jede Woche, Jahr für Jahr, so hart gearbeitet und trainiert hat. Diese Motivatoren sind sehr unterschiedlich. So erlebe ich zum Beispiel im Fußball Menschen, die das Spiel lieben, den Fußball, und für diese Menschen ist klar: Sie werden auch weiterhin etwas tun, das mit Fußball zu tun hat. Einige haben vielleicht parallel schon Trainerscheine gemacht, möchten Trainer im Profibereich werden oder kümmern sich im Heimverein um die B-Jugend. Andere orientieren sich in Richtung Journalismus, wieder andere arbeiten im Umfeld, managen einen Verein, vertreiben Fußballschuhe oder entwickeln sie sogar.

Gewisse Voraussetzungen

Andere Spieler sind motiviert durch den Lebensstil, die Reisen und auch den Luxus, der mit der Karriere daherkommt. Sie möchten viel verdienen und sich schöne Dinge leisten können. Die brauchen einen anderen Weg nach der Karriere. Wer nicht langfristig von seinem Ersparten oder Angelegten leben kann, braucht einen neuen Job, in dem er ebenfalls viel verdienen kann. Ob das dann eine Führungsposition in einem Unternehmen wird oder ein Job als Anlageberater, ein Leben als Investor – ist erst einmal egal.

Wer den Fußball lieben gelernt hat, weil der Teamgeist in den Mannschaften so besonders war, wird sich genau in diese Richtung weiterentwickeln und nach einem Platz suchen, wo er in einem besonderen Team arbeiten kann, mit Menschen, die bereit sind, füreinander durch dick und dünn zu gehen.

Unterschiedliche Ziele

Wer den Erfolg im Sinne des Erreichens von Zielen liebt, wird in einer anderen Welt glücklich als jemand, der sich gern um andere im Team kümmert. Wer davon getragen wird, herauszuragen aus einem Team und bewundert zu werden, braucht ein neues Spielfeld, auf dem genau das möglich ist.

Geht es also auf das Ende der sportlichen Karriere zu, schauen wir genau: Was sind die Motivatoren und die Kernwerte des Spielers oder Athleten, der sich neu orientiert? Diese Werte und Motivatoren geben dann die Richtung an. Denn sie müssen erfüllt werden, damit das Leben nach der sportlichen Karriere erfüllend bleibt, der Sport eine schöne und wertvolle Erinnerung, aber keine, der man ewig hinterher trauert – einfach, weil es da etwas Neues, Anderes gibt, das genauso viel Freude, Stolz oder Gemeinschaft stiftet wie vorher der Sport.

Unterstützung

Wenn du darüber nachdenkst, deine Karriere zu beenden oder es musst und noch nicht genau weißt, wie und wohin, können Sportpsychologen gut beraten. Nimm gern Kontakt auf  – zu mir (zum Profil von Anke Precht) oder zu einem Kollegen oder einer Kollegin in der deine Nähe (zur Übersicht).

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Wolfgang Seidl: Vom Warten ins Handeln – Wie ein Stürmer durch mentale Arbeit Verantwortung übernahm

Viele Spieler glauben, ihr Einfluss ende dort, wo das System beginnt. Ein Stürmer wartet auf Pässe, der Mittelfeldspieler auf den richtigen Moment, der Verteidiger auf den Fehler des Gegners. Doch was passiert, wenn das Spiel an einem vorbeiläuft und man trotzdem gefordert ist, präsent zu bleiben? In diesem Beitrag zeige ich anhand eines konkreten Beispiels aus dem Fußball, wie ein Stürmer durch mentale Arbeit lernte, vom Reagieren ins Handeln zu kommen. Wie er Verantwortung übernahm, wieder Freude am Spiel fand und am Ende seine Torausbeute steigerte.

Zum Thema: Mentales Training im Fußball

1. Ausgangslage: Wenn der Stürmer wenig Ballkontakte hat

Ein Stürmer kam zu mir, weil er zunehmend unzufrieden mit seiner Rolle im Spiel war. Er beschrieb mir, dass er in seinem Team, bedingt durch das taktische System, nur wenige Bälle bekam und dadurch kaum Aktionen hatte. Das Gefühl, „nicht im Spiel zu sein“, führte zu Frust, innerem Druck und der Überzeugung: „Ich kann ja gar nichts machen, wenn ich den Ball nie bekomme.“

Ein typisches Beispiel für mentale Passivität: Der Spieler sieht sich als Opfer der Umstände – des Systems, der Mitspieler, des Spielgeschehens. Sein Handlungsspielraum scheint eingeschränkt, und die Folge ist oft eine abnehmende Präsenz, sinkendes Selbstvertrauen und wachsende Unzufriedenheit.

2. Vom Reagieren zum Gestalten

In unserer gemeinsamen Arbeit ging es darum, diesen mentalen Teufelskreis zu durchbrechen.
Zuerst haben wir sein Bewusstsein für Kontrollierbares und Unkontrollierbares geschärft. Wir stellten uns Fragen wie:

  • Was kann ich selbst beeinflussen, und was nicht?
  • Welche kleinen, konkreten Entscheidungen liegen in meiner Hand, auch wenn ich den Ball selten bekomme?

Durch diese Reflexion erkannte er, dass er trotz systemischer Einschränkungen aktive Entscheidungen treffen kann, um das Spiel mitzugestalten. Er lernte, Verantwortung zu übernehmen, nicht nur für den Abschluss, sondern für seine gesamte Präsenz auf dem Platz.

In Visualisierungen und mentalen Simulationen übten wir, wie er in entscheidenden Momenten handlungsfähig bleibt. Zum Beispiel: Wenn er den Ball in der gefährlichen Zone erhält, soll er ihn bewusst annehmen, abdecken, sich aufdrehen und selbst den Abschluss suchen, anstatt ihn sofort weiterzuleiten. Diese scheinbar kleine Veränderung hatte große Wirkung. Er ging von einer reaktiven zu einer proaktiven Haltung über, mental wie körperlich.

3. Handlungsfreiheit als mentale Entlastung

Diese neu gewonnene Handlungsfreiheit war für ihn ein Befreiungsschlag. Er fühlte sich wieder beteiligt, spürte Selbstwirksamkeit, ein zentrales Element für Motivation und Freude am Spiel.

Mit zunehmender Eigeninitiative veränderte sich auch seine Körpersprache: mehr Präsenz, mehr Aktivität, mehr Mut. Schon nach einiger Zeit zeigten sich die ersten Resultate. Er kam öfter in Abschlusspositionen, suchte aktiv die Tiefe und übernahm Verantwortung in entscheidenden Situationen. Seine Torausbeute stieg, doch das war nur die sichtbare Seite der Veränderung. Noch wichtiger war der innere Wandel, er spielte wieder mit Freude und Überzeugung.

4. Verantwortung hat viele Gesichter

Ein weiterer zentraler Punkt in unserer Arbeit war das Verständnis seiner Rolle im Team. Wir erarbeiteten gemeinsam, dass seine Aufgabe als Stürmer nicht nur darin besteht, Tore zu schießen oder Assists zu liefern. Ebenso wichtig ist es, Räume zu öffnen, Gegenspieler zu binden und Anspielstationen zu schaffen. Diese „unsichtbare Arbeit“ ist essenziell für das Kollektiv, auch wenn sie in der Statistik nicht erscheint. Als er diesen Gedanken verinnerlichte, wandelte sich seine innere Haltung grundlegend. Er erkannte: „Ich kann meinem Team auf unterschiedliche Weise helfen, und es liegt ganz in meiner Verantwortung.“

Dieses Bewusstsein reduzierte den Erfolgsdruck und förderte seine Zufriedenheit. Er definierte seinen eigenen Erfolg nun breiter, nicht nur über Tore, sondern über sein Wirken und seinen Beitrag zum Team.

Fazit: Mentale Arbeit als Türöffner für Handlungsfähigkeit

Mentales Training bedeutet mehr als Motivation oder Fokussierung. Es geht darum, Spielern zu helfen, ihre eigene Wirksamkeit zu erkennen und zu nutzen. Gerade in Situationen, in denen äußere Faktoren scheinbar limitieren, kann mentale Arbeit den entscheidenden Unterschied machen. 

Der Stürmer aus diesem Beispiel hat gelernt, Verantwortung nicht nur für Ergebnisse, sondern auch für seine Haltung und Entscheidungen zu übernehmen. Er wurde vom passiven Wartenden zum aktiven Gestalter seines Spiels.  Das Resultat: mehr Freude, mehr Einfluss und letztlich auch mehr Erfolg.

Kernbotschaft

Mentale Arbeit schafft Selbstwirksamkeit. Sie hilft Athleten, von der Frage „Warum bekomme ich keine Chancen?“ zu „Wie kann ich selbst Chancen kreieren?“ zu wechseln. Diese Denkweise ist der Schlüssel zu nachhaltiger Entwicklung, im Sport und weit darüber hinaus.

Tipp

Wir von Die Sportpsychologen helfen Dir bei diesem Thema gern. Nimm gern Kontakt zu Wolfgang (zum Profil) oder einem Kollegen oder einer Kollegin von ihm in deiner Nähe auf (zur Übersicht).

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Kathrin Seufert: Nach Verletzungen geht es oft darum, Ängste zu bändigen

Am 21. Februar 2026 verschmelzen in der Pace Köln die Welten des Leistungssports, der Sportmedizin, der Physiotherapie und der Sportpsychologie. Kathrin Seufert von Die Sportpsychologen ist Ideengeberin der Veranstaltung und wird in Köln als Keynote-Speakerin und Workshop-Leiterin zu erleben sein. Wir haben die Ur-Kölnerin gefragt, warum das Muscle & Mind-Event so bedeutsam wird.  

Kathrin, du hattest die Idee zu dem Event. Wie bist du auf den Gedanken gekommen?

Durch meine Nebentätigkeit damals im Studium in der Physiotherapie an der Anmeldung habe ich sehr viel über diesen Berufszweig gelernt und die Geschichten vieler Patienten hautnah miterlebt. So waren mir der Blick auf verletzte Athletinnen und Athleten, wie aber auch der Umgang der Physiotherapeuten und im späteren Verlauf der Behandlung der Sportwissenschaftler extrem präsent. Schon damals hatte ich das Gefühl, ohne das heutige Wissen, dass es für eine gute Heilung nur noch jemandem bedarf, der auch den psychischen Anteil der Verletzung mit betrachtet. Heute, nach dem Studium weiß ich, welch wichtigen Anteil auch unsere Arbeit in diesem Gebilde hat. Das erlebe ich häufig in Coachings mit verletzten Sportlerinnen und Sportlern. Daher war es mir ein Anliegen, dass im Sinne der Sportlerinnen und Sportler wir alle gemeinsam zusammenkommen, die Teil eines Verletzungs- und Genesungsprozesses sind, um voneinander und füreinander zu lernen.

Welche Erfahrungen hast du mit Sportlern und Sportlerinnen gemacht, die in einer Verletzungsphase stecken oder gerade den Weg zurück ins Training und zum Wettkampf finden wollen? Inwiefern konntest du bislang helfen?

Eine Verletzung ist immer ein einschneidendes Erlebnis. Abläufe sind nicht mehr dieselben, Bewegungseinschränkungen müssen in Kauf genommen werden, Ängste und Sorgen sind vorherrschende Gefühle und auch Schmerz und Geduld sind womöglich lange Begleiter. Kurz um, ein Sportlerleben wird mit einer Verletzung auf den Kopf gestellt. Daher schauen wir im sportpsychologischen Coaching, wie eine Struktur geschaffen werden kann, die eine positive Heilung fördert und Stabilität für den Reha-Prozess bietet. Dies ist ultra individuell, was hierbei konkret benötigt wird und hilfreich ist. In der Zusammenarbeit versuchen wir vor allem Ängste zu bändigen, Ziele zu formulieren und neue Abläufe zu etablieren.

Du bist verletzt, warst verletzt oder willst wissen, was dich erwartet? Du betreust als TrainerIn, SportpsychologIn oder PhysiotherapeutIn verletzte SportlerInnen? Oder du bist in der Sportmedizin zu Hause. Dann sollte dieser Termin in deinem Kalender stehen: Samstag, den 21. Februar 2026, Muscle & Mind – Sicher begleitet zum Comeback.

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Was erwartest du von dem Event in Köln und warum würdest du einem Trainer oder Trainerin raten, bei der Muscle & Mind Premiere am 21. Februar 2026 mit dabei zu sein?

Ich glaube dieses Event ist die erstmalige Chance, in Kombination aus Medizin, Sportwissenschaft, Physiotherapie und Sportpsychologie mit erfahrenen Menschen in den Austausch zu kommen und sein Blickfeld für den Umgang mit Verletzungen zu erweitern. Man hat selbst die Möglichkeit seine Interessensbereiche über Workshops zu wählen und kann von Personen aus dem Sport Einblicke erhalten, die auch für den eigenen Arbeitskreis enorm wertvoll sind.

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Stefanie Gramlich: Mit der Wahrheit arbeiten – Was braucht unser Gehirn, um Synergie zu erzeugen?

Wie gut nutzen wir unser Gehirn? Unser Gehirn und das Nervensystem sind ein  faszinierendes und hochkomplexes System, das die Natur uns schenkte, um es optimal  für unser Leben, unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden einzusetzen. Durch die  Neurogenese ist es uns möglich, stets Neues zu lernen, zu wachsen und neue Bahnen  von Verschaltungen der Nervenzellen in unserem Gehirn zu bilden. Alles, was unser Geist zu sich nimmt (mit dem wir unseren Geist füttern), ist nicht nur in unserem Bewusstsein präsent und formt unser Wesen, sondern dringt auch in unser Unterbewusstsein ein.  Zudem beeinflusst und steuert das Bewusstsein den körperlichen Zustand und damit unsere Gesundheit auf allen Ebenen des Seins (mental, physisch, emotional).

Wie oft hinterfragen wir aber unsere Gedanken und Glaubenssätze? Bleibt für dieses Reflektieren im heutigen Alltagsstress überhaupt noch Zeit und nehmen wir uns hierfür wirklich Zeit? Hören wir auf unsere innere Stimme (unser Herz) und folgen unserem Weg, der sich für uns stimmig und richtig anfühlt oder laufen wir nur dem scheinbaren Erfolg in der Außenwelt hinterher? Spürt der Einzelne seinen Körper und sich selbst überhaupt noch oder rennen viele nur noch fremdgesteuert und im reinen Überlebensmodus umher? Was macht das alles mit unserem sensiblen Gehirn und dem Nervensystem? Wie lässt sich Synergie im Gehirn erzeugen? Und warum ist das aus meiner Sicht so wichtig für unser mentales System? 

Zum Thema: Kohärenz 

Kohärenz im Gehirn: Kohärenz stammt ursprünglich aus der Neurophysiologie und beschreibt die Synchronisation neuronaler Aktivität. Es gibt sowohl physiologische Mechanismen (z.B. die Funktionsweise des Gehirns und Nervensystems, Neurotransmission und Emotionsregulation), die als Erklärungsmodelle für die Kohärenz dienen als auch metaphorische Konzepte (wie z.B. das Herz, Energie, Weisheit), die zusätzlich diesen Begriff stärken und auch andere Perspektiven mit in die wissenschaftliche Arbeit integrieren. Die kohärenten Gehirnwellen, die das menschliche  Gehirn auf natürlichem Wege erzeugt, sobald sich ein Mensch im Zustand der Freude, Harmonie und Gelassenheit befindet, können z.B auch durch guten Schlaf, Meditationen oder bewusstes mentales Training erreicht werden. Die konzentrierte Aufmerksamkeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Um semantische Daten in neuronale Verbindungen umzusetzen, bedarf es vor allem der geballten Konzentration. Wenn wir mental und mit unserem Körper völlig präsent im „Hier und Jetzt“ und bei unserem „Lernstoff“ sind, kann das Gehirn diese Informationen optimal verorten und neue neuronale Verschaltungen aufbauen. Die fokussierte Aufmerksamkeit ist essentiell für unser Gehirn, egal ob es sich dabei um sanfte Meditation oder um die intensive Konzentration eines Profisportlers in einer entscheidenden Wettkampfphase handelt. Wird dann zusätzlich eine neue  Lernerfahrung durch positive emotionale Erfahrung als Belohnung verstärkt, konstruiert das Gehirn neue neuronale Bahnen in diesem Erfahrungsbereich und sorgt dafür, dass wir uns bei einem erneuten Versuch in diesem Trainingsbereich das nächste Mal noch mehr trauen auszuprobieren. Wenn Erfahrung mit Aufmerksamkeit verbunden ist, führt sie zu physikalischen Veränderungen in der Struktur und der zukünftigen Funktionsweise des Nervensystems. Daraus ergibt sich: 

Wir bestimmen in jedem Moment, wie unser sich ständig veränderndes Bewusstsein funktioniert. Wir entscheiden uns in einem sehr realen Sinn dafür, wer wir im nächsten Moment sein werden, und diese Entscheidungen hinterlassen in uns einen physischen Abdruck. Da wir vor allem durch diejenigen Gehirnwellen gesteuert werden, die unseren Bewusstseinszustand im gegenwärtigen Moment definieren, prägt dieser „state of mind“ auch unsere emotionale Verfassung. Neuroplastizität ist eine wesentliche Eigenschaft des  menschlichen Gehirns und eine Erfindung der Evolution, die es dem Nervensystem ermöglicht, den Einschränkungen des eigenen Genom zu entkommen und sich an den Druck veränderter Umweltbedingungen, an körperliche Veränderungen und Erfahrungen anzupassen.  

Der metaphorische Aspekt

Das Herz schenkt dem Menschen die Fähigkeit zu lieben und zu fühlen, heißt es umgangssprachlich. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Die Weisheit des Herzens verbindet den Körper und den Geist zu einer Einheit.

Herzkohärenz bezeichnet die physiologische Funktion des Herzens, beständig in einem geordneten Rhythmus zu schlagen. Wenn ein Mensch in seiner Empfindung im Einklang mit seiner emotionalen Verfassung ist und er eine gewisse Leichtigkeit im Herzen fühlt, befindet er sich in einem kohärenten Zustand, der ihn dazu befähigt, auf seine „innere Stimme“ zu hören und dieser Stimme zu folgen. Er agiert in diesem Zustand nicht aus dem reinen logischen Sachverstand heraus, sondern je nach Situation sind beide Komponenten, das Herz und ein klarer Geist, an seiner Entscheidungsfindung und der Handlung des Menschen beteiligt. Denken, Fühlen und Handeln sind aufeinander best möglichst abgestimmt und der Mensch empfindet eine gewisse innerliche Zufriedenheit, Stabilität und Sicherheit. Er ist in sich selbst, bildlich gesprochen, geerdet. Das Bewusstsein des Herzzentrums ist für jeden Menschen spürbar. Dies ist vergleichbar mit einem Gefühl von Dankbarkeit, Freude, Selbstliebe und Ganzheit. Seit jeher diente das Herz als Symbol für Gesundheit, Weisheit, Intuition, innerer Führung und höherer Intelligenz.

Aus meiner Erfahrung: Wenn das Herz in Kohärenz kommt, reagiert das Nervensystem entsprechend und erhöht die Energie im ganzen Körper, was sich praktisch auf alle Organe positiv auswirkt, den Blutdruck senkt, das Hormongleichgewicht verbessert und eine bessere Gehirnfunktion ermöglicht. Durch die bessere Gehirnfunktion kann das Gehirn wiederum kohärente Gehirnwellenmuster produzieren und seine Leistungskapazität steigern. Das Leben, wie es von der Natur vorgesehen ist, ist im Grunde simpel und unser Körper wurde hierfür optimal ausgestattet.  Die Sensibilität unseres Gehirns und des Nervensystems bedarf eines gewissen Schutzes, um unsere Gesundheit zu bewahren und das Wachstum unseres Potential und angeborener Begabungen zu fördern. Es muss uns bewusst sein, dass wir selbst die volle Verantwortung dafür tragen, womit wir uns geistig täglich beschäftigen (wie wir unseren  Geist einsetzen), mit welchen Menschen wir uns intellektuell austauschen und von  welchen Vorbildern (erfahrenen „Weisen“) wir uns in unserem Denken prägen lassen. 

Darüber hinaus sollte uns klar sein, dass unser Gehirn die meiste Energie benötigt und von unserem Körper fordert. Gerade deshalb sollten wir lernen im Einklang mit der Natur unseres Körpers zu leben. Wenn wir ein gutes Selbstverständnis für die Funktionsweise unseres Gehirns und Körpers entwickeln, können wir uns selbst, unsere Reaktionen, unsere Verhaltensweisen und Gewohnheiten besser verstehen und korrigieren. Wir können lernen, durch welche Mechanismen wir gesteuert werden und wie wir diese beeinflussen können, um in unseren Fähigkeiten besser zu werden. Herausragende  Leistungen können dann erzielt werden, wenn wir wissen, wie unser Körper, das Gehirn und das Nervensystem von Natur aus funktionieren und mit der Natur zusammenhängen.  Unsere Umwelt und das Umfeld prägt und formt uns. Es liegt an uns selbst wie wir unser Gehirn nutzen und vor Einflüssen äußerer Stressfaktoren schützen.  

Das Gehirn nutzen

Die meisten Menschen nutzen, so beobachte ich es immer wieder, leider ihr Gehirn in erster Linie dazu, Alltagsprobleme zu wälzen, in ihren alten Programmierungen zu verharren, in endlose  Dauerschleifen von negativ geprägten Gedanken zu verfallen oder sich von Angstmacherei eines falschen Medienkonsums in eine Art Dauerstress treiben zu lassen. So entstehen in ihrem Gehirn neuronale Netze aus alten Programmierungen, die den Menschen einst mit auf den Weg gegeben wurden, um dann letztlich zu geistigen Gewohnheiten ihres eigenen Denkstils zu werden. Eine Verschwendung der Leistungskapazität des Gehirns, die auf Grund einer solchen Lebensweise kaum Kapazitäten für Neuerungen, kreative Problemlösungen und das Trainieren von Klarheit und Stille im Kopf zulässt. Erst wenn der Gedankenstrom aufhört, kann Ruhe und Stille im Geist einkehren. Im Osten sagt man, dass der Weg zur Synergie im Gehirn über Meditation führt (alte Schamanen verwendeten den Begriff der klaren Wahrnehmung). Großzügigkeit und Mitgefühl können nur aufkommen, wenn es dem präfrontalen Kortex gelingt, die älteren Gehirnregionen (die für den Überlebensmechanismus Kampf- und  Fluchtverhalten zuständig sind) zu beruhigen. Er kann allerdings nur dann funktionsfähige Nervenbahnen für Frieden und Freude anlegen, wenn Körper und Gehirn gesund, mit den erforderlichen Nährstoffen versorgt und in innerer Disziplin geschult sind.  

Der präfrontale Kortex muss also gestärkt werden. Denn sobald diese Gehirnregion aktiv ist, wird Synergie im Gehirn möglich. Synergie im Gehirn bedeutet, dass alle Schaltkreise unseres Neurocomputers aktiviert wurden, aufeinander abgestimmt sind und zusammenarbeiten. Jede Gehirnregion erfüllt ihre Aufgabe – so wie das Herz das Blut durch den Körper pumpt, während sich die Lunge um die Atmung kümmert. Das ganze System ist dann mehr als die Summe seiner  Teile. Der präfrontale Kortex an der Stirnseite des Menschen ist von entscheidender Bedeutung. Wenn Synergie in unserem Gehirn herrscht, können wir Intelligenz und Kreativität in ihrer höchsten Form entwickeln. Wir sind zum einen geerdet und zum anderen können wir in der Welt funktionieren. Wir sind zu neuen Gedankengängen fähig und können erkennen, was uns daran hindert, eine höhere Bewusstseinsstufe zu erreichen, und was uns dabei helfen kann. Wir generieren Klarheit und Ordnung in unserem Leben, wissen um unsere Werte und in welche Richtung wir streben.  

Hinweise für den Sport 

Für den einzelnen Sportler kann es wertvoll sein, die eigene Kohärenz zu schulen und sich dieser Prozesse des Gehirns und Nervensystems bewusst zu werden, um die Gesundheit zu stabilisieren und die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern. Dann ist auch Klarheit und Fokus auf den Sport möglich.  

Konkretes Beispiel: Ein erfolgreicher Unternehmer (finanziell komplett frei und gut  aufgestellt), 55 Jahre alt und seit 23 Jahren verheiratet, Leistungssportler. Dieser klagt über zunehmenden Leistungsabfall trotz konsequentem und diszipliniertem Training. 

Körperlich spüre er Schmerzen im Lendenwirbelbereich, manchmal sei ihm etwas übel und er fühle sich antriebslos, was er eigentlich nicht von sich selbst kenne. Manchmal bekomme er schlecht Luft und habe das Gefühl, nicht mehr richtig durchatmen zu können. Depressiver Verstimmtheit trete öfter bei ihm auf, obwohl ihn sein Unternehmen innerlich  erfüllt und er hierin seine Berufung sieht. Jedoch sagt er in seinem Unternehmen oft zu anderen „Ja“, wenn er eigentlich innerlich „Nein“ meint, um als Chef enorm leistungsfähig und zielorientiert zu wirken. Perfektion sei ihm sowohl im Beruf als auch im Privatleben  enorm wichtig. Sein Glaubenssatz: „Ohne Wachstum kein Erfolg, ich muss noch besser und präziser werden“. Unter diesem Glaubenssatz schlummerte im Unterbewusstsein, das kindliche Muster in die Fußstapfen seines Vaters treten zu wollen und endlich von diesem gesehen, gehört und angenommen zu werden. Er erzählte auch, dass ihn  Schlafprobleme quälten, da er in seiner Ehe unglücklich und unerfüllt ist und schon seit einiger Zeit die Entscheidung traf, sich zu trennen. Sorgen dabei bereite ihm, wie das Umfeld und der gemeinsame Freundeskreis mit seiner Frau reagieren wird und welche Herausforderungen sowie Stress hier auf ihn zukommen. Hinzu kommt der enorme Druck, ein klärendes Gespräch mit seinen bereits erwachsenen Töchtern führen zu müssen. Er möchte als gutes Vorbild fungieren und sieht im Scheitern der eigenen Ehe einen Erfolgsverlust, da seine innere Einstellung und Haltung auf Grund seines hohen Leistungsstrebens ist, immer alles komplett unter Kontrolle haben zu müssen und nicht scheitern zu dürfen. Die Versagensangst ausgerechnet in seiner Ehe nicht erfolgreich zu sein (die Ehe nicht aufrechterhalten zu können) blockierte seine mentale Stärke immer mehr. Er leidet mittlerweile unter Schuldvorwürfen sich selbst gegenüber, fühlt sich als  Vater als schlechtes Vorbild, da die ältere Tochter kürzlich geheiratet habe und diese eine überaus glückliche junge Ehe führe. Diese starke emotionale Belastung überträgt sich auf  seine körperliche Gesundheit und Leistungsfähigkeit als Sportler.  

Zudem wird im Gespräch deutlich, dass tiefer Frust bei ihm aufkommt, weil er bisher noch nie mit einem derartigen körperlichen Leistungsabfall (trotz seines täglichen, routinierten und aufeinander abgestimmten Trainings) konfrontiert wurde. Er sei schließlich erfahrener Leistungssportler und kenne seinen Körper gut. Doch je mehr er momentan trainiert, desto stärker zeigt sich in mehreren Bereichen ein sinkendes Leistungsniveau. Auch fühle er sich zu Hause in seinem eigenen Haus nicht mehr wohl, da seine Frau im Privaten zunehmend für Konflikte und starke Auseinandersetzungen sorge. Er fühle keinerlei Respekt, Anerkennung oder Wertschätzung ihrerseits und sehe sich in seiner Männlichkeit zunehmend bedroht. Dies sei eine enorme mentale Belastung und Stresssituation für ihn. Die aufsteigende Wut, die Verteidigungshaltung gegenüber seiner Frau und der innerliche Widerstand schwächen nicht nur sein Immunsystem, sondern beeinträchtigen vor allem sein gesamtes Leistungspotential enorm. Kränkung, Verärgerung, Resignation und das Gefühl von Schuld durchziehen seinen Körper. Mental erschöpft und ausgebrannt beginnt eine Abwärtsspirale, die es zu stoppen gilt. Es ist folglich ein innerlicher Konflikt im Sportler entstanden, der sich sowohl in körperlichen Symptomen äußerte als auch das mentale Immunsystem lahm legte. Zudem wurden seine Vitalität, Lebensfreude und Power blockiert.  

Lösungsansätze 

Coaching für die emotionale Ebene: 

Zum einen wurde in tieferen Gesprächen mit dem Sportpsychologen erarbeitet, welche Gefühle und Empfindungen des Sportlers für den inneren Konflikt sorgten. Danach wurden konkrete Handlungsstrategien an die Hand gegeben und in den Trainingsplan integriert.

– Akzeptanz der eigenen Gefühle und Empfindungen: 

– Annahme der aktuellen Situation  

– Bewusstwerdung, dass die auftretenden Emotionen da sein dürfen und dem Körper helfen, den innerlichen Stress zu regulieren 

– konkrete Strategien zur Emotionsregulation: Prioritätenliste, welche Thematik zuerst bearbeitet wird:  

1) Aufsuchen eines Anwaltes für Scheidungsrecht, um die Trennung in die Wege  zu leiten und finanzielle sowie materielle Angelegenheiten zu klären  2) Einleitung der Trennung und Auszug aus dem gemeinsamen Haus in eine eigene Wohnung, um den mentalen Fokus auf sich selbst legen zu können  3) Liebevolles und klärendes Gespräch mit seinen beiden Töchtern führen, um die innere Angst davor ablegen zu können und den inneren Druck aufzulösen  4) Fokus und Klarheit auf sein Unternehmen lenken und im Unternehmen Änderungen einleiten, um Verantwortung an Führungskräfte der einzelnen Abteilungen abzugeben und Zeit sowie Raum für seinen Sport wiederzugewinnen  5) Aufarbeitung des inneren unterbewussten Konflikts mit seinem Vater nicht  dessen Erwartungen zu erfüllen, um das Gefühl „des nicht gesehen werden’s und angenommen werden’s des Vaters“ aufzulösen; hierbei geht es darum, unbewusste Verhaltensmuster sowie mentale Blockaden gegenüber sich selbst aufzulösen und inneren Frieden zu generieren.  

6) Aufklärung über Zusammenhänge des Gehirns und Nervensystems und wie diese die körperliche Verfassung beeinflussen. Aufklärung darüber wie Emotionen in Wechselwirkung mit den Gedanken stehen und wie gezieltes  mentales Training helfen kann, die eigenen Gedanken und auftretenden Emotionen zu kontrollieren. Zudem wird die Funktionsweise des Gehirns vom  Sportpsychologen erklärt und welche Unterschiede im Denken, Fühlen und Handeln es bei Männern und Frauen gibt. Dies soll dem Sportler helfen, die Kommunikationsebene innerhalb seiner gescheiterten Ehe besser aufarbeiten  und verstehen zu lernen. 

Stärkung der physischen Ebene: 

– Kombination aus Kraft und Ausdauertraining, um die starke Empfindung der Emotionen in sportliche Leistung umzuwandeln, Abwechslung im Training anstatt routinierte Trainingsabläufe 

– Massagen (Thai-Massage), um bis in die tiefen Körperschichten vorzudringen und für Entspannung zu sorgen  

– regelmäßige osteopathische Behandlung, um die einzelnen Körperebenen zu öffnen und das eigene Körperbewusstsein sowie Körpergefühl zu verbessern 

– Physiotherapie und lange Spaziergänge im Wald  

– bewusstere Ernährung, Schlafroutinen und tagsüber eingeplante Power Naps 

– Entspannungstechniken, Meditation 

 Mentale Strategien: 

– konkrete Tools zur Stressregulation in stressbedingten Situationen (z.B.  Gespräche mit der Ehefrau bezüglich der Trennung, Gespräche mit den Töchtern)  

– Konfliktlösung/Kommunikationsstrategien, Training der Körpersprache   

– Bewusstwerdung, wie der eigene Lebensweg nun gestaltet werden möchte und welche neuen Ziele gesetzt werden, Vision, mentale und physische Gesundheit, was ist wirklich wichtig im eigenen Leben, Werteorientierung und Sinnfindung (privat und beruflich) – Fokus und Klarheit auf den Sport mit kleinen Zielen, um die Gesundheit des Körpers vorerst zu stabilisieren und zu festigen  

– Treffen mit Kollegen und Freunden, um sich aus dem männlichen Umfeld Unterstützung zu holen sowie wertvolle und bereichernde Gespräche mit Männern führen zu können 

Fazit

Der Schlüssel zur Entwicklung einer gesunden Kohärenz (sowohl im Gehirn als auch im Körper) und eines aufmerksamen Körperbewusstseins kann durch  sportpsychologisches Coaching trainiert werden und auch auf Alltagssituationen übertragen werden. Die Neurogenese erlaubt es dem Menschen durch Bewusstwerdung Synergie im Gehirn und Nervensystem zu erzeugen, sich von alten, unbewussten Programmierungen des Gehirns zu lösen und neues, positives Erfahrungswissen aufzubauen. Mentale und körperliche Gesundheit werden dann möglich, wenn das Gehirn die nötige Ruhe, Stille und innerliche Präsenz im gegenwärtigen Sein erhält, die  es von Natur aus braucht, um Neurogenese zu ermöglichen. Jeder Mensch ist dazu aufgefordert, die eigene Verantwortung dafür zu übernehmen, sein Gehirn nicht zu überfordern, sich vom Alltagsstress überrennen oder sich mit unnötigem mentalen  Ballast (Medienkonsum, digitale Welt, Smartphone) vom eigentlichen natürlichem Leben ablenken zu lassen. Ausreichender, gesunder Schlaf im natürlichen Zyklus der Jahreszeiten, qualitativ hochwertige Ernährung, Training mit Freude an der Bewegung und soziale Kontakte, die intellektuell Mehrwert in sich tragen, unterstützen das eigene Leistungspotential und sozusagen eine gesunde Gehirnentwicklung. Durch Training können neue mentale Konzepte erlernt und in bestehendes Wissen integriert werden. Auch eine verbesserte Sinneswahrnehmung, Körperwahrnehmung und ein feineres Körpergefühl  sind durch das synergetisches Zusammenwirken einzelner Körperfunktionen möglich. Die Verbindung von körperlicher und geistiger Stärke kann hergestellt werden, wenn emotionale Belastungen bewusst gelöst werden. 

Mehr zum Thema:

Literatur: 

1) Sharon Begley, Neue Gedanken – neues Gehirn: Die Wissenschaft der  Neuroplastizität beweist, wie unser Bewusstsein das Gehirn verändert (München:  Goldmann, 2010), 282 ff. 

2) Prof. Gerald Hüther, Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, 2016.

3) W. Edward Craighead und Charles B. Nemeroff, The Corsini Encyclopedia of Psychology and Behavioral Science, Bd.3 (New York: John Wiley & Sons, 2001), 2012. 

4) R.C. Kessler et al., „Posttraumatic Stress Discorder in the National Comorbidity Study“,  Archives of General Psychiatry 52, Nr.12 (Dezember 1995): 1048-60. 

5) Jeffrey M. Schwartz und Sharon Begley, The Mind and the Brain: Neuroplasticity and  the Power of Mental Force (New York: HarperCollins, 2003), 17-18. 

6) Christopher A. Shaw (Hrsg.), Glutathione in the Nervous System (Boca Raton, Fl: CRC  Press, 1998), 4. 

7) Dr. Michael Nehls, Das Lithium Komplott, 2025.

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Christian Bader: Zeit spielt mit – Mentale Stärke braucht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Stell dir vor, du sitzt mit einer 15-jährigen Nachwuchsspielerin zusammen. Sie erzählt: „Letzte Woche hab ich im Training super gespielt. Im Wettkampf war alles weg.“ Was ist passiert? Die übliche Antwort: „Du warst zu nervös.“ Doch die Wahrheit ist komplexer und viel spannender.

Zum Thema: Zeitliche Dimensionen mentaler Regulation im Leistungssport – Eine integrative Perspektive

Viele Nachwuchszentren arbeiten im mentalen Bereich noch immer nach dem Rezeptbuch-Prinzip: Nervös? Hier, eine Atemübung. Unkonzentriert? Probier’s mit Visualisierung. Problem gelöst? Nicht wirklich.

Denn diese Herangehensweise übersieht etwas Entscheidendes: Mentale Prozesse sind keine Schalter, die man umlegt. Sie sind lebendige Systeme, die sich ständig gegenseitig bedingen. Es geht darum, die aktuelle Situation eines Menschen in einen Kontext zu bringen und auf verschiedenen Ebenen zu beginnen, sportpsychologisch oder als Mentaltrainer zu unterstützen. In einem kürzlich erschienenen Magazin wurde der Zeitaspekt in Bezug auf Changemanagement in Organisationen beleuchtet. Was gestern funktioniert hat, klappt heute vielleicht nicht. Und was morgen wichtig wird, baust du heute auf. Mir fällt auf, dass die Dimension Zeit im Kontext der Sportpsychologie gänzlich fehlt. 

Ich lade Dich ein, mit einem neuen Blick auf ein Thema zu schauen, welches zunächst ziemlich abstrakt und wenig greifbar klingt. Ich versuche es, das Thema in einer stark reduzierten Form darzustellen und eine praktikable Anschlussfähigkeit herzuleiten. 

Die drei Zeiten der Aufmerksamkeit

Vergangenheit: Dein unsichtbares Archiv

Jede Trainingsstunde, jedes Spiel, jeder Moment voller Konzentration speichert sich ab. Nicht als bewusste Erinnerung, sondern als Muster. Diese Muster sind wie gut eingelaufene Schuhe: Sie fühlen sich vertraut an, auch wenn sie nicht immer passen.

Ein Beispiel: Ein junger Torhüter hat früh gelernt, bei hohen Bällen hyperkonzentriert zu sein. Das war damals richtig. Heute, drei Jahre älter und 15 Zentimeter grösser, verkrampft er genau bei diesen Situationen. Sein Aufmerksamkeitsmuster aus der Vergangenheit arbeitet gegen ihn.

Was Trainer tun können:

  • Fragt nicht nur „Was machst du?“, sondern „Wann hast du das zum ersten Mal so gemacht?“
  • Helft junger Athlet*innen zu verstehen: Alte Muster sind nicht schlecht, sie hatten mal einen Sinn und dienten der Lösungen. 
  • Macht vergangene Erfolge sichtbar: „Erinnerst du dich, als du letztes Jahr bei diesem Druck eiskalt geblieben bist? Das steckt noch in dir.“

Gegenwart: Die Kunst des Wechselns

Im Hier und Jetzt geht’s um Flexibilität. Nicht darum, ein „perfektes“ Aufmerksamkeitsmuster zu haben, sondern zwischen verschiedenen Modi wechseln zu können – wie zwischen den Gängen beim Fahrrad.

In einem meiner Texte ging ich auf die Hypervigilanz ein. Dieses überdrehte, alles-gleichzeitig-wahrnehmen ist nicht dein Feind. Ein Formel-1-Fahrer braucht diese Multi-Kanal-Alertness. Würde er sich entspannen, wäre das fatal. 

Die Frage ist nie: „Ist mein Fokus gut oder schlecht?“ Die Frage ist: „Passt er zu dem, was gerade gefordert ist?“

Schlüsselkompetenz für junge Athlet*innen: Entwickelt einen „inneren Beobachter“. Jemanden in euch, der mitbekommt: „Ah, ich bin gerade eng fokussiert. Ist das jetzt hilfreich?“ Diese Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ist Gold wert.

Praktisch im Training:

  • „Aufmerksamkeits-Check-ins“: Pfeife, kurze Pause, Frage: „Wo war dein Fokus gerade?“
  • Trainiert bewusste Aufmerksamkeitswechsel: „Die nächsten drei Pässe: erst breiter Blick übers Feld, dann enger Fokus auf den Ball.“
  • Macht Störungen zum Teil des Trainings, nicht zum Ärgernis: „Heute trainieren wir mit Lärm (offene Fenster, sehr laute Musik, 1 zweites Team, das in der Halle einläuft und laut sein darf). Eure Aufgabe: Merkt, wenn ihr abgelenkt werdet, und findet zurück.“

Zukunft: Der vorausschauende Fokus

Und jetzt wird’s richtig interessant: Du kannst deinen zukünftigen Fokus vorprogrammieren.

Stell dir einen Elfmeterschützen vor. Bevor er anläuft, entscheidet sein Gehirn bereits: „In zwei Sekunden werde ich nur noch den Ball sehen. In vier Sekunden nur noch meine Beinbewegung.“ Diese Vorausplanung schafft eine Brücke zwischen jetzt und gleich.

Für die Praxis:

  • Vor komplexen Übungen: „Was wird dein erster Fokuspunkt sein? Dein zweiter? Dein dritter?“
  • Nach missglückten Versuchen nicht nur fragen „Was ist schiefgelaufen?“, sondern „Wo sollte dein Fokus hin? Wo ist er tatsächlich hingewandert?“
  • Das ist ein wesentliches Element (Intensität). Also das bewusste Wahrnehmen des Jetzt und Hier.

Vergangenheit als persönliche Datenbank

Dein Körper merkt sich alles. Jede Situation, in der du nervös warst und trotzdem abgeliefert hast. Jeden Moment, wo Entspannung zum Fehler führte. Das ist deine biografisch gewachsene „Erfahrungsdatenbank“.

Manche Spieler*innen brauchen Nervosität wie Treibstoff. Andere laufen bei Anspannung gegen eine Wand. Beides ist ok aus meiner Sicht, solange man es weiss.

Wichtig für Trainer: Hört auf, allen das Gleiche zu empfehlen. „Entspann dich“ kann für manche Athlet*innen der schlechteste Rat sein. Helft jedem Einzelnen, sein persönliches Intensitätsprofil zu entdecken. 

Gegenwart: Zwischen den Polen navigieren

Vergiss die Idee von „guter“ und „schlechter“ Nervosität. Die Frage ist: „Ist diese wahrgenommene Intensität in dieser Situation nützlich?“

Ein Weitspringer beim Anlauf? Braucht Power, Anspannung, Explosivität. Derselbe Weitspringer beim Techniktraining am Morgen? Braucht Ruhe, Achtsamkeit, Feinmotorik.

Du kannst nicht nur planen, worauf du achtest, sondern auch, wie intensiv du sein willst. „In fünf Minuten steige ich schrittweise hoch. Beim Aufwärmen 60%, beim ersten Zweikampf 80%, ab Minute 15 volle Pulle.“

Diese Vorausplanung gibt Sicherheit und verhindert, dass du entweder zu früh verbrennst oder zu spät «in Fahrt» kommst. Oder anders ausgedrückt: Du weisst wie eine Spitzenköchin, wann das Essen «à point» ist.

Konsequenzen für die Sportpsychologie

Für die sportpsychologische Theorie und Praxis ergeben sich mehrere Konsequenzen. Erstens erfordert effektive mentale Regulation ein explizites Verständnis von zeitlicher Koordination. Interventionen sollten nicht nur auf Einzelkonstrukte zielen, sondern deren zeitliche Verschränkung adressieren. Zweitens verschiebt sich der Fokus von Elimination unerwünschter Zustände zu deren kontextsensitiver Regulation. Das dichotome Paradigma von richtig und falsch wird durch die Frage nach situativer Funktionalität bzw. Nützlichkeit ersetzt.

Drittens offenbart die zeitliche Perspektive die Notwendigkeit metakognitiver Kompetenzen. Athleten benötigen nicht nur technische Fertigkeiten der Aufmerksamkeits- oder Intensitätssteuerung, sondern die Fähigkeit zur reflexiven Beobachtung eigener mentaler Prozesse in ihrer zeitlichen Dynamik.

Fazit 

Die Integration der Zeit in sportpsychologische Modelle bietet somit einen konzeptuellen Rahmen, der über die Toolbox-Mentalität hinausweist und mentale Regulation als zeitlich koordinierte Systemdynamik versteht. Die zentrale Frage lautet nicht mehr, welche Technik angewendet werden soll, sondern wie die Zeitdimension zwischen vergangenen Mustern, gegenwärtiger Regulation und zukünftiger Intention funktioniert. 

Mehr zum Thema:

Literatur:

Picht, Georg: Auffassung der Zeit, SpringerLink

Esposito, Elena: Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität, Suhrkamp

Eidenschink, Klaus; Merkes Ulrich: Entscheidung ohne Grund, Vandenhoeck + Ruprecht

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Dr. Rita Regös: Boreout im Leistungssport

Zunächst einmal: Was genau ist Boreout? Boreout ist ein Zustand, der auf ständiger Unterforderung im Joballtag zurückzuführen ist und zu ähnlichen psychischen und physischen Symptomen wie Burnout führen kann. Im Sport wird der Zusammenhang von Anforderungen und Fähigkeiten, unter anderem in Verbindung mit Flow, stets diskutiert. Wenn die Anforderungen die Fähigkeiten der Athleten übersteigen, entsteht Überforderung. Sind sie hingegen ausgewogen, kommt es zu Flow, einem Zustand, in dem Sportler in ihren Aufgaben vollkommen versinken oder aufgehen können. Übersteigen die Fähigkeiten die Anforderungen, spricht man über Unterforderung und genau in diesem Bereich kann es zu Boreout kommen. Sowohl Boreout, wie auch sein Pendant Burnout, birgt die Gefahr des Dropouts, also ein frühzeitiges Ausscheiden.

Zum Thema: Unterforderung im Sport

Wenn wir die Gründe für Unterforderung in der Arbeitswelt betrachten, erscheint Boreout auf den ersten Blick für den Sportalltag irrelevant. Höher, schneller, weiter ist stets eine Anforderung, ja sogar Herausforderung – es kann also gar nicht zu Unterforderung kommen. Doch so einfach ist es nicht. Im Leistungssport ist immer besser werden, zwar die Aufgabe schlechthin, doch der Sportalltag kann durchaus unterfordern. Gemäß der AOK können Unterforderung durch zu wenige Aufgaben entstehen oder durch stumpfsinnige, die den Fähigkeiten der Betroffenen nicht entsprechen. Dies kann dazu führen, dass Betroffene sich nicht wertgeschätzt fühlen. 

Die empfundene Unterforderung und der gefühlte Mangel an Anerkennung führen zu Desinteresse und zur stetigen Minderung der Motivation, zur sogenannten inneren Kündigung. Infolge des Desinteresses und geminderter Motivation werden Betroffene bei zukünftigen Aufgaben ignoriert, was ihr Empfinden zusätzlich verstärkt, ihre Unlust sich einzubringen steigt weiter. Diese Negativspirale führt letztlich zu tatsächlicher Kündigung, Entlassung oder Dropout.

Im sportlichen Kontext

Betrachten wir also das Phänomen im sportlichen Setting: Von Sportlern wird erwartet, dass sie in ihren Aufgaben versinken und das tun sie in der Regel jedes Mal wenn es um den Fokus auf die Technik, die Konzentration im Training, und den stetigen Blick auf die eigenen Ziele geht. Betrachtet man diese Aufgaben für sich alleine, erscheint Boreout tatsächlich irrelevant. Aber der sportliche Alltag ist viel mehr als die Trainingsaufgabe, der Wettkampf oder die Zielstellung. Mit Sportlern arbeiten ganze Teams zusammen: An Sportler werden vielschichtige Optimierungspunkte herangetragen, sei es vom Athletiktrainer, Physio, Sportwissenschaftler, Sportpsycho oder Ernährungsberater. Es gibt verschiedene Optimierungsbereiche, die zu bewältigen sind, somit entstehen Aufgaben für den Sportler. Von zu wenig Aufgaben kann also keine Rede sein – aber sehr wohl von stumpfsinnigen.

Stumpfsinnig ist etwas, was keiner Aufmerksamkeit bedarf, lediglich erledigt werden muss. Also die Frage „warum“ ausklammert. Wenn Athleten die Frage „warum“ stets verwehrt bleibt, wird von ihnen erwartet, dass sie die Aufgabe erledigen – stumpfsinnig einfach machen. Genau da kommt Boreout im Sport ins Spiel. Denn lediglich Aufgaben erfüllen ohne ein „Warum“ mag für den Sport ein Zugewinn an reibungslosem Ablauf sein, für den Sportler hingegen eine Aberkennung seiner Fähigkeiten: Erstens das „Warum“ überhaupt zu begreifen, zweitens die Gründe nachvollziehen zu können und drittens sein Engagement daran knüpfen zu können.

Mögliche Folgen 

Die Folge – ähnlich wie in der Arbeitswelt: Sinkende Motivation, wachsende Unzufriedenheit, eventuell offen ausgetragene oder auch innere Konflikte und letztlich Dropout. Wenn zum Beispiel auf die Frage, welche Kriterien für die Teilnahme an dem oder dem Wettkampf zu erfüllen sind, die Antwort: „Jetzt wird erst einmal trainiert“ folgt – klammert das zum Beispiel die Fähigkeit des Athleten aus, sich mit konkreten Zielen auseinanderzusetzen, aber auch sein Commitment, also seine Bereitschaft, sich voll für die Aufgabe zu engagieren und sich anzustrengen, wird ihm aberkannt. Die so signalisierte Unfähigkeit lässt Anerkennung vermissen, dies führt zu Frust und reduziert die Motivation des Sportlers. 

Folgeversuche der Klärung sind aufgrund der verlangten Stumpfsinnigkeit unerwünscht, somit ist der Weg der Kommunikation versperrt. Die Folge ist nicht nur Unzufriedenheit und Vertrauensverlust – Null-Bock auf den Trainer, auf das Trainingslager, auf gemeinsame Unternehmungen usw. – sondern eben auch die Negativspirale, die zu einem Dropout führen kann. Wenn Athleten Fragen verwehrt bleiben, weil zum Beispiel „es immer dieselben sind, die Fragen stellen“, signalisiert man letztlich, dass Fragen unerwünscht sind. Die Fragen nerven sogar oder anders formuliert: Ein stupides Ausführen ist das, was erwünscht ist. Das mag den Trainerjob erleichtern, die erforderliche Wertschätzung für eine produktive Zusammenarbeit lässt es allerdings gänzlich vermissen. Kommt ein autoritärer Touch dazu, also „weil ich der Trainer bin, weil ich es sage, weil wir das so entschieden haben“ usw. ohne weitere Begründung, nähern wir uns dem Bereich psychischer Gewalt oder Machtmissbrauch.

Fazit

Summa summarum: Boreout ist durchaus ein Thema im Sport. Anerkennung und ausbalancierte Anforderungen sind nicht nur für sportliche Leistungen wichtig, sondern im gesamten Umfeld eines jeden Menschen – Sportler, Trainer und Sportalltag inklusive. Sie entscheiden nicht nur oft darüber, ob Athleten frühzeitig aus dem Sport ausscheiden oder nicht. Sie sind auch sehr oft relevant für die berufliche Entscheidung von ehemaligen Sportlern, den Trainerberuf zu wählen oder ihrem ehemaligen Verband und Sport für immer den Rücken zu kehren.

Letztlich ist jede Medaille eine Anerkennung der Leistung. Aber damit es zu einer Medaille kommt, bedarf es der Anerkennung auch abseits des Podiums. Es geht um die Anerkennung vielfältiger Fähigkeiten im gesamten Sportalltag und gleichzeitig um die Vermeidung von Stumpfsinnigkeit.

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