Psychologische Sicherheit ist im Leistungssport keine Nebensache – sie ist eine unsichtbare Ressource, die über den Unterschied zwischen Teamdynamik und Teambruch entscheiden kann. Gerade im Basketball, wo Entscheidungen in Sekundenbruchteilen fallen, ist ein vertrauensvolles Klima oft der entscheidende Unterschied zwischen Mut und Zögern, zwischen Kollektivleistung und Einzelspielerei.
Ein bekanntes Beispiel lieferte die deutsche Basketballnationalmannschaft. Während der WM 2023 kam es zu einem offenen Konflikt zwischen Dennis Schröder und Daniel Theis – ein Streit, der medial Wellen schlug. Doch statt zu eskalieren, wurde die Auseinandersetzung zum Katalysator: Die Mannschaft nutzte die Spannungen, um sich auszurichten, auszusprechen und neu zu justieren. Das Ergebnis? Weltmeister. Solche Prozesse gelingen nur, wenn das Team ein Klima kennt, in dem Kritik nicht bedroht, sondern verbindet – in dem Fehler nicht bestraft, sondern reflektiert werden dürfen.
Zum Thema: Wie lässt sich so ein Klima konkret fördern?
1. Führung als psychologisches Modell: Vertrauen beginnt an der Spitze
Teams spiegeln ihre Führung, auch im Sport. Studien zeigen: Psychologische Sicherheit hängt maßgeblich vom Verhalten der Coaches ab (Fransen et al., 2020). Entscheidend ist dabei nicht nur, was gesagt wird, sondern wie.
Beispiel: Gordon Herbert, ehemaliger Headcoach des deutschen Basketballteams, war in kritischen Spielsituationen mehrfach zu beobachten, wie er Fehler nicht mit Körpersprache sanktionierte, sondern mit ruhiger Ansprache begleitete. Diese Haltung stärkt das Vertrauen der Spieler:innen, auch in Druckmomenten mutige Entscheidungen zu treffen.
Praxisimpulse für Trainer:innen:
- Fehlerfreundlichkeit zeigen: Wenn du selbst einmal in der Taktik daneben gelegen hast, sprich es an. Ein, „Ich hätte früher rotieren lassen müssen“, kann Wunder wirken.
- Aktives Zuhören leben: In der Halbzeit nicht nur reden, sondern auch fragen: „Was seht ihr gerade?“
- Sicherheit durch Präsenz: In hitzigen Phasen mit ruhiger Körpersprache vermitteln: „Ich hab euch – auch jetzt.“
2. Strukturelle Verankerung: Sicherheit braucht Klarheit
Vertrauen ist nicht nur eine Beziehungssache, es ist auch eine Frage der Rahmenbedingungen. Klare Strukturen schaffen Orientierung und damit Sicherheit.
Beispiel: Bei den Golden State Warriors rotieren nicht nur Spielerpositionen, sondern auch bestimmte Verantwortungsträger im Training, sei es bei Warm-up-Leitung, Videoanalyse oder Gruppenfeedback. Diese Rituale stärken nicht nur Selbstwirksamkeit, sondern auch das Gefühl: Ich werde gebraucht.
Praxisimpulse:
- Rollen explizit machen: Wer ist für was zuständig? Wer kommuniziert auf dem Feld, wer in der Kabine?
- Feedbackformate etablieren: z. B. „60 Sekunden Reflexion“ nach jeder Einheit mit Karten oder in Kleingruppen.
- Verantwortung teilen: Heute organisiert der Co-Captain das Abschlussspiel. Morgen jemand aus der zweiten Fünf.
3. Kommunikation kultivieren: Sprache formt das Klima
In einem NBA-Spiel sind in 24 Sekunden unzählige Abstimmungen notwendig. Wer in dieser Zeit Angst hat, einen Fehler „falsch“ zu kommunizieren, schweigt. Und Schweigen erzeugt Unsicherheit.
Beispiel: Chris Paul, langjähriger NBA-Point Guard, ist bekannt für seine Art, auch jüngere oder neue Mitspieler mit wertschätzender Kommunikation zu führen. Er fragt nach, paraphrasiert („You saw the screen coming from left?“), gibt sofort positives Feedback – selbst wenn der Spielzug scheiterte, aber mutig war.
Praxisimpulse:
- Konstruktive Sprache üben: „Danke für deinen Impuls, auch wenn es nicht aufgegangen ist.“
- Perspektiven einholen: „Wie hast du den Switch erlebt?“ – fördert Dialog statt Bewertung.
- Schweiger:innen einbinden: „Was ist dir aufgefallen?“, statt immer nur dieselben Wortführer zu hören.
4. Teamprozesse gestalten: Beziehung als Trainingsinhalt
Ein Basketballteam ist ein soziales Hochleistungsnetzwerk. Psychologische Sicherheit entsteht dort, wo Beziehungen gepflegt werden – nicht nur Spielzüge.
Beispiel: Im Programm „Nationalmannschaft NextGen“ werden Peer-Coachings zwischen jüngeren und erfahreneren Spielern eingesetzt. Ein 19-jähriger diskutiert Videoanalyse mit einem gestandenen Bundesliga-Profi – auf Augenhöhe. Das stärkt Selbstbewusstsein und Dialogfähigkeit beider.
Praxisimpulse:
- Trainingsreflexion im Duo: „Was war dein wichtigster Lerneffekt heute?“
- Zielentwicklung gemeinsam: „Was ist unser Teamziel fürs nächste Spiel – über den Score hinaus?“
- Verantwortung rotieren: Heute spricht ein Spieler den Impuls vor dem Spiel. Morgen übernimmt jemand anders das Warm-up-Ritual.
5. Best Practice: Gelebte Sicherheit als Erfolgsfaktor
Beispiel NBA: Steve Kerr, Coach der Golden State Warriors, sprach in einem Interview offen über seine Fehlerkultur: „Wenn ich falsch gecoacht habe, sag ich es meinem Team, sonst erwarten sie auch nicht, dass sie ehrlich sind.“ Diese Haltung hat eine der erfolgreichsten Teamdynamiken der letzten Dekade mitgeprägt.
Beispiel DBB-Team: Nach dem WM-Titel betonten mehrere Spieler, wie sehr sie sich untereinander auf emotionale Unterstützung verlassen konnten, selbst bei schwächeren Phasen. Johannes Voigtmann sagte: „Wir durften Schwächen zeigen, ohne sie verstecken zu müssen.“ Genau das ist psychologische Sicherheit.
Fazit: Psychologische Sicherheit ist keine nette Idee, sie ist ein Leistungstreiber
Trainer:innen, die konsequent auf Transparenz, Beziehung und Fehlerfreundlichkeit setzen, schaffen mehr als nur ein gutes Klima. Sie ermöglichen mutige Entscheidungen, ehrliches Feedback, echten Teamgeist. Und genau das ist es, was in engen Spielen den Unterschied macht – im Basketball wie im Leben.
Ausblick: Im nächsten Beitrag werfen wir einen Blick auf Barrieren für psychologische Sicherheit im Sport: Leistungsdruck, starre Hierarchien, Angstkultur und wie sie mit sportpsychologischen Strategien gezielt durchbrochen werden können.
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Literaturverzeichnis
- Edmondson, A. C. (2004). Learning from mistakes is easier said than done: Group and organizational influences on the detection and correction of human error. Journal of Applied Behavioral Science, 40(1), 66–90. https://doi.org/10.1177/0021886304263849
Fransen, K., Vanbeselaere, N., De Cuyper, B., Vande Broek, G., & Boen, F. (2020). How leaders shape team effectiveness: The role of empowering team climates. Journal of Sport and Exercise Psychology, 42(3), 144–156.
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