FIFA-Klub-WM: Wie gefährlich sind die Folgen dauernder Höchstleistung?

Wie im Supermarkt: Das Beste ist gerade noch gut genug. So strukturiert sich auch der Profi-Fußball. Gehörte es vor Jahren noch zum Nationalspieler-Alltag, in der WM- oder EM-Qualifikation regelmäßig gegen Fußballzwerge antreten zu dürfen, ist dies mit der Nations League weitgehend vorbei. Hier treffen die Nationalteams fast ausschließlich auf Gegner auf Augenhöhe. Den Zuschauern wird eben gern das Beste geboten. Ein ähnliches Prinzip gilt auch bei der Klub-WM. Dort gehören zwar auch einige Exoten zum Teilnehmerfeld, aber um den Titel spielen wieder die großen Namen. Wie gefährlich ist dieser Trend der dauerhaften Höchstbelastung, wollte Mathias Liebing, Redaktionsleiter von Die Sportpsychologen wissen. 

Zum Thema: Die Gefahr von dauerhafter Hochbelastung    

Frage: Welche Gefahren lauern, wenn über lange Zeiträume immer wieder Höchstleistungen abgeliefert werden müssen, da die Gegner erstklassig sind. Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, um über Monate immer wieder die körperliche und mentale Leistungsgrenze zu erreichen? Wie wichtig sind Spiele gegen objektiv schlechtere Mannschaften im Saisonalltag?  

Norbert Lewinski, Die Sportpsychologen
Norbert Lewinski, Die Sportpsychologen

Norbert Lewinski (zum Profil): 

Wenn über lange Zeiträume konstant Höchstleistungen gefordert werden – wie in der Nations League oder bei einer aufgeblähten Klub-WM – entstehen ernsthafte Risiken auf psychodynamischer, psychophysiologischer und lernpsychologischer Ebene. Psychodynamisch betrachtet führt der ständige Druck, gegen ebenbürtige Gegner zu bestehen, zu einem inneren Spannungsfeld: zwischen dem Bedürfnis nach Kontrolle und dem Risiko des Scheiterns. Ohne „leichtere Spiele“ fehlt die Möglichkeit, Selbstwirksamkeit und Sicherheit aufzubauen – das Ich wird geschwächt, Ängste und Überforderungsgefühle können steigen. Psychophysiologisch führt Dauerbelastung auf Top-Niveau zu chronischem Stress: erhöhter Cortisolspiegel, gestörte Regenerationsprozesse, Schlafprobleme. Ohne gezielte Belastungssteuerung drohen Erschöpfung, Verletzungen und psychische Krisen. 

Auch aus Sicht des lebenslangen Lernens sind „einfachere“ Spiele wichtig: Sie bieten Raum zur Anwendung neuer Techniken, zur Integration taktischer Veränderungen oder zur bewussten Selbstbeobachtung. Lernen gelingt nicht nur unter maximalem Druck, sondern besonders in Phasen relativer Entspannung. Um dauerhaft an der Leistungsgrenze zu agieren, braucht es mehr als nur körperliche Fitness. Entscheidend sind stabile Ich-Strukturen, gute Selbstregulation, aktive Regeneration sowie strategisch eingeplante Entlastung – auch durch Spiele mit niedrigerem Druckniveau. Nur so bleibt Entwicklung, Gesundheit und Motivation auf Dauer möglich.

Anke Precht, Die Sportpsychologen
Anke Precht, Die Sportpsychologen

Anke Precht (zum Profil):

Inzwischen ist es in den meisten internationalen Sportarten so, dass an der Leistungsspitze eine hohe Dichte herrscht. Hängt man leistungstechnisch mal ein Vierteljahr durch, ist man weg. Das gilt nicht nur für den Profi-Fußball. Es ist Teil dessen, womit Profi-Fußballer leben müssen, und es ist das, was sie auch möchten. Die Konkurrenz ist stark, man selbst kann es ebenfalls sein. Natürlich kommt diese mentale Stärke nicht von selbst, das mentale Training und die Sportpsychologie müssen bei diesen hohen Erwartungen ein beständiger Bestandteil des Trainings sein. Dabei geht es nicht nur darum, in Spitzen Druck herauszunehmen oder Blockaden zu lösen, sondern eben neben Strategien für Regeneration in kurzer Zeit auch die Persönlichkeiten der Sportler beständig in Richtung Professionalität zu entwickeln. 

Robin Conen, Die Sportpsychologen
Robin Conen, Die Sportpsychologen

Robin Conen (zum Profil):

In Hochleistungssportarten wie Fußball führen die Anforderungen an Spitzensportler sowohl zu einer konstanten körperlichen als auch mentalen Belastung, was erhebliche Risiken nach sich ziehen kann, wenn diese nicht sorgfältig gesteuert werden. Die Sportpsychologie spielt eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung von Sportlern auf diese Herausforderungen. Denn die Risiken sind enorm. 

Risiken einer anhaltenden Höchstleistung:

(1) Psychische Herausforderungen: Eines der Hauptrisiken einer konstant hohen Leistungsfähigkeit ist die mögliche Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens des Fußballers. Sportler stellen oft den Erfolg in den Vordergrund, manchmal auf Kosten ihres Wohlbefindens, da konstante Höchstleistungen mental sehr anstrengend sein können. Dies kann mit der Zeit zu Burnout, Stress und Leistungsabfall führen. Stressmanagement ist unerlässlich, um mit dem Druck des ständigen Wettbewerbs umzugehen. Kontinuierliche Wettkämpfe auf hohem Niveau können zu psychischen Problemen und Erkrankungen führen. Die Anforderungen und der Stress, die mit dem ständigen Leistungsdruck einhergehen können und bei unzureichenden Bewältigungsstrategien auf Basis des Diathese-Stress-Modells zum Risikofaktor zur Entwicklung psychischen Erkrankungen, wie Angstzuständen, Essstörungen und Depressionen führen kann, die sich wiederum negativ auf die Leistung auswirken können. Die Einbindung von Psychologischen Psychotherapeuten (insbesondere mit sportpsychologischer Zusatzausbildung) sind für die Erhaltung und Verbesserung der psychischen Gesundheit von Sportlern unerlässlich, da diese für eine nachhaltige Leistung von entscheidender Bedeutung ist und sowohl präventiv zum Schutz der Gesundheit eingreifen, aber auch therapeutische Prozesse begleiten können.

(2) Körperliche Ermüdung und Verletzungen: Fußballer sind aufgrund von Übertraining einem Verletzungsrisiko ausgesetzt, das durch unzureichende Erholungsphasen noch verstärkt werden kann. Auch das Verständnis der psychologischen Aspekte von Verletzungen und Schmerzen (wie Rückenschmerzen) sowie der psychosozialen Risikofaktoren (einschließlich erheblicher Stressbelastung und der Tendenz, Schmerzen zu ignorieren, um Leistung zu erbringen) ist im Sportumfeld von entscheidender Bedeutung. Eine richtige Periodisierung des Trainings, die Ruhe- und Erholungsphasen als wesentliche Komponenten berücksichtigt, kann diese Risiken mindern, indem sie die Belastung über eine Saison hinweg ausgleicht.

Voraussetzungen für das Erreichen von Leistungsgrenzen

(1) Strategien für nachhaltige Spitzenleistungen: Um über längere Zeiträume hinweg ein hohes Leistungsniveau aufrechterhalten zu können, sollten bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden. Zu den Strategien gehören ein solides mentales Training, wie Zielsetzung, Visualisierung und Techniken zum Umgang mit Ängsten und zur Steigerung der Motivation. Diese Ansätze helfen Fußballern, konstant ihre Bestleistung zu erbringen, indem sie ihre Konzentration verbessern, ihr Selbstvertrauen aufrechterhalten und Stress effektiv bewältigen. Die mentale Energie von Fußballern spielt eine entscheidende Rolle für die Leistung und das Wohlbefinden und wirkt als Puffer, indem sie die Beziehung zwischen beiden vermittelt. Darüber hinaus variiert die mentale Stärke, die für Höchstleistungen entscheidend ist, zwischen den Fußballern. Diese mentale Stärke kann aber durch spezifisches sportpsychologisches Training entwickelt werden. 

(2) Bedeutung von Spielen gegen schwächere Gegner: Spiele gegen objektiv schwächere Teams spielen in einer Saison eine wichtige Rolle. Sie können psychologische Entlastung bieten und eine Gelegenheit sein, taktische Strategien zu testen, während gleichzeitig der psychologische Druck in Spielen mit hohem Einsatz reduziert wird. In diesen Spielen können die Spieler ihre Fähigkeiten verfeinern und Selbstvertrauen aufbauen, was zur allgemeinen Moral der Mannschaft beiträgt. Darüber hinaus bieten sie Trainern die Möglichkeit, den Kader zu rotieren, um Überlastungsverletzungen zu vermeiden und wichtigen Spielern eine mentale Erholung zu ermöglichen. 

Cristina Baldasarre (zum Profil):

Rein psychologisch gesehen, machen dauernde Höchstleistungsziele überhaupt keinen Sinn. Der Mensch braucht Zyklen von Belastung/Arbeit und Erholung/Freizeit, um im Gleichgewicht zu bleiben – und langfristig konstant hohe Leistung erbringen zu können.
FussballerInnen sind auch nur Menschen, also gilt dieses Prinzip der Homöostase auch für sie. Wer sich das schönreden möchte und komplexe Spielsysteme und Anreize drumrum baut, mag kurzfristig erfolgreich sein. Langfristig aber schadet das zweifelsohne jedem Menschen und ich würde stark davon abraten (Übertraining, Burnout, Depressionen, Ängste aller Art, Selbstzweifel, Süchte und Substanzenmissbrauch sind mögliche Folgen, um nur die gängigen und bekannten zu nennen). Leider sind die finanziellen Anreize so gesetzt, dass viele nicht widerstehen können und die eigenen Grenzen/Bedürfnisse/Befinden nicht kennen oder ihnen zu wenig Beachtung schenken. Grundsätzlich sollte stets (!) die Gesundheit und die Ethik im Sport erste Priorität haben. 

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Titelfoto: AI generiert mit Hilfe von Magic Studio bei Canva

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de