Dr. Julia Boie: Gelassenheit statt Druck im Reitsport

Beneidenswert! Eine Reiterin, die völlig entspannt im Turnier auftritt. Kein Stress ist zu spüren. Sie reitet mit ihrem gelösten Pferd souverän ins Viereck und tut das, was sie täglich im heimischen Stall trainiert. Egal wer zusieht oder ob heute bewertet wird. Die Konzentration ganz auf der Aufgabe. Wie macht sie das?

Zum Thema: Umgang mit Druck, Anspannung und Kritik 

Viele Reitsportler*innen würden sich gern ein Scheibchen abschneiden und ebenso ruhig und gelassen ihr Können demonstrieren. Viel zu oft aber macht Aufregung und Stress uns einen Strich durch die Rechnung. Die Angst vor der Bewertung, vor einem Versagen, davor, sich zu blamieren, lässt uns das Turnier als Bedrohung erscheinen und der Körper reagiert entsprechend. Der Herzschlag und die Atmung beschleunigen sich, die Muskelspannung erhöht sich, der Blutdruck steigt. Der Mund wird trocken, da der Speichelfluss wie auch die Magen- und Darmtätigkeit gehemmt werden. Hände und Füße werden kalt, da die Blutgefäße der Haut verengt werden.

Für eine echte Gefahr, bei der wir kämpfen oder fliehen müssen, ist diese evolutionäre Anpassung des Körpers ideal. Der Körper bereitet sich auf Bewegung bzw. Muskelarbeit vor, dafür wird Energie und Sauerstoff bereitgestellt. Die vermehrte Durchblutung von Herz, Muskeln und Gehirn macht uns leistungsfähiger. Die erhöhte Gerinnungsfähigkeit des Blutes und die Verengung der Blutgefäße der Haut schützen uns bei Verletzungen.

Für unser Ziel, möglichst gut zu reiten, ist diese Alarmreaktion aber nicht förderlich. Wir brauchen Ruhe, Entspannung und Konzentration für uns und unser Pferd. Unsere Körperspannung muss der eines guten Trainings entsprechen, damit die Koordination unserer Bewegungsausführung ideal klappt.

Stress durch Erwartungen und Leistungsdruck

Stress kann durch hohe eigene und/oder fremde Erwartungen und Leistungsdruck entstehen. Die Anspannung und Nervosität führt zu Verkrampfung der Muskeln, was wiederum die Feinkoordination beeinträchtigt, so dass die Bewegung bzw. die Hilfengebung nicht mehr so präzise abgerufen werden kann, wie im entspannten Zustand. Die Besonderheit beim Reiten ist bekannt – unsere Angst (aber auch unser Ärger etc.) wirkt sich auf unser Pferd aus. Das Pferd ist verunsichert, kommt aus dem Tritt und macht Fehler, die sich wiederum auf uns auswirken. Wir beeinflussen uns gegenseitig immer weiter negativ, so dass sich unsere Performance immer weiter verschlechtert. Auch unsere Gedanken haben einen starken Einfluss darauf, dass Stress entsteht und unsere Leistung gemindert wird. Das kann allein dadurch hervorgerufen werden, dass man beim Turnier besonders gut reiten möchte. Dieser Gedanke kann bewirken, dass man beim Reiten über Hilfen und Technik nachdenkt. Die linke Gehirnhälfte, die sehr gut darin ist, zu analysieren, ist damit aktiviert. 

Automatisierte Bewegungen und ein reibungsloser Bewegungsablauf, die wir im Turnier benötigen, sind aber in der rechten Gehirnhälfte abgespeichert und werden durch Gedanken an Einzelheiten bzw. Techniken gestört. Schließlich kann Stress die Konzentration stören und von der Aufgabe ablenken, was sich in negativen bzw. Angstgedanken äußern kann: „Was denken wohl die anderen?“, „Wenn ich hier gut/schlecht abschneide, dann…“, „Im letzten Jahr ist mein Pferd beim Sprung hinter dem Baum dort weggerutscht – hoffentlich passiert das nicht wieder!“

Wenn Sportler*innen nicht gelernt haben, mit Druck und Stress gut umzugehen, können die negativen Gedanken, die erhöhte körperliche Anspannung und die gestörte Konzentration das Reiten stark beeinträchtigen. Die Fehler häufen sich, die Leistung geht zurück. Es resultiert Ärger auf sich und Ärger auf das Pferd. Die Negativspirale ist in Gang gesetzt. Daraus kann langfristig Verunsicherung entstehen. Das Selbstvertrauen und die Selbstwirksamkeit sinken.

Stress durch Kritik

Auch negative Kritik kann das Selbstvertrauen der Sportler*innen untergraben. Rückmeldung und Fehlerkorrektur sind natürlich in jedem Sport für die Weiterentwicklung wichtig. Wird Kritik jedoch, wie so oft, negativ formuliert („Reite nicht wieder so rückwärts vor dem Hindernis!“), verschlechtert sie das Reiten ungewollt oft noch zusätzlich, denn es entsteht ein Bild im Kopf, welches handlungsleitend ist. Hilfreich sind daher eher positive Aussagen, worauf jetzt geachtet werden soll. „Nimm den Schwung aus der Kurve mit!“ oder „Reite voran!“

Stressor kann auch negatives Gerede durch andere Personen sein. Die Reaktion darauf ist nicht bei allen Menschen gleich. Es kommt darauf an, wie die Person generell mit Druck oder Kritik umgeht. Oft genug denkt man auch nur, dass jemand sich negativ über das eigene Reiten äußert. Es muss nicht unbedingt Realität sein. Je unsicherer Sportler*innen sind, desto mehr achten sie darauf, wie andere Personen auf sie reagieren und interpretieren die Körpersprache und das Verhalten anderer. Eine mögliche Reaktion auf Lästereien bzw. vermutete Lästereien ist, sich schlecht zu fühlen, an sich zu zweifeln. Resultat wird wahrscheinlich sein, dass sich das Reiten verschlechtert. Eine andere naheliegende Reaktion ist Ärger. Auch der lenkt aber vom eigenen Tun ab und die Spannung erhöht sich. Das Reiten wird sich wahrscheinlich ebenfalls verschlechtern. Am zielführendsten ist keine Reaktion. Lästern hat nur mit der anderen Person zu tun, nicht mit mir. Konzentration auf mich und mein Pferd und unsere Aufgabe lässt das Leistungslevel gleich hoch bleiben.

Tipps und Tricks

Für Reitsportler*innen ist es elementar, Entspannung willentlich herbeiführen zu können. Dafür ist strukturiertes Training nötig, damit die Entspannung gerade auch in Situationen hervorgerufen werden kann, in denen es darauf ankommt. Um zu verhindern, dass Kritik, schlechte Ritte o.Ä. langfristig verunsichern, sollte das Selbstvertrauen gestärkt werden. Denn Leistungssportler*innen jeder Sportart brauchen große mentale Stärke, um aus Fehlern zu lernen und im Konkurrenzkampf zu bestehen. 

Außerdem benötigen Reitsportler*innen die Fähigkeit, den Fokus zu behalten. Um die Dressuraufgabe oder den Springparcours oder die Voltigier-Choreographie fehlerfrei absolvieren zu können, sollte trainiert werden, sich nicht von äußeren Gegebenheiten oder von eigenen Gedanken ablenken zu lassen, sondern im Hier und Jetzt zu sein und sich auf das eigene Tun zu konzentrieren. Schließlich spielt die Einstellung eine große Rolle: Statt Angst kann die Freude auf eine Herausforderung im Vordergrund stehen. Statt Furcht vor der Bewertung oder den Blicken anderer kann die Dankbarkeit, gesund mit seinem Pferd dem geliebten Sport nachgehen zu können, im Vordergrund stehen.

Hinweis und Feedback

Wie im körperlichen Training, ist auch im mentalen Training das strukturierte Lernen und das ausdauernde Üben unter fachkundiger Anleitung der Weg zum Erfolg. Meine Kollegen von Die Sportpsychologen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Dr. Julia Boie) sind gerne für Sie da, falls Sie Beratung wünschen.

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