Gute Kommunikation innerhalb einer Mannschaft ist das A und O, um Missverständnisse zu verhindern, Trainingsinhalte und Ideen gut zu vermitteln oder einfach um Zustimmung oder Kritik fair auszutauschen. Aber ganz so einfach ist es nicht immer, besonders im Nachwuchsbereich. Bei meiner Zusammenarbeit im Rahmen eines Praktikums bei der ALBA Berlin Basketball Jugend hatte ich die Möglichkeit, ein Tool auszuprobieren, welches die Kommunikation ankurbeln sollte – die Feedbackbox. Was dabei herausgekommen ist, lest ihr hier!
Zum Thema: Die Idee hinter der Feedbackbox
Junge Sportlerinnen und Sportler wollen in ihrer Sportart erfolgreich sein, an Aufgaben wachsen und sich einbringen. Nicht selten sind sie jedoch zu schüchtern, wissen nicht, wie sie sich ausdrücken sollen, haben Angst vor Konsequenzen oder einfach nicht die Zeit, außerhalb des Trainings noch das ausführliche Gespräch mit dem Trainer zu suchen.
Um den jungen Basketballerinnen der ALBA Jugend die Kommunikation und ihr Mitspracherecht zu erleichtern, habe ich einen einfachen Schuhkarton genommen und einen Schlitz in den Deckel geschnitten, in den sie kleine Zettel stecken können. Mehrmals im Monat haben die Sportlerinnen jetzt die Chance, ihre Gedanken aufzuschreiben und in die Box zu werfen, natürlich ganz anonym.
Solche Gedanken beziehen sich beispielsweise auf Übungen oder Routinen, die sie toll finden und gerne öfter im Training üben würden. Sie sprechen den Umgang und den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft an. Sie beinhalten Ideen zur Trainingsgestaltung oder Änderungsvorschläge. Sie spiegeln aber auch unangenehmere Themen, also Kritik, Ängste oder frustrierende Dinge wieder.
Der Trainer und ich können so nun schnell und gezielt auf kleinere Probleme reagieren und besser die Meinung der Spielerinnen berücksichtigen. Klingt einfach? Ist es auch, aber nur wenn einige wichtige Regeln beachtet werden!
Das Rezept für den erfolgreichen Einsatz der Box
Vor dem ersten „Zetteleinwerfen“ wollten wir sichergehen, dass alle mit den Regeln einverstanden sind. Zum einen haben wir betont, dass niemand persönlich beleidigt, sondern fair behandelt werden sollte. Zum anderen war es wichtig, dass die Basketballerinnen ihre Meinungen auf den Zetteln auch erklären, und sowohl konstruktive Kritik, als auch positive Aspekte des Trainings und der Mannschaft ansprechen durften.
Unsere Voraussetzungen mit dem Umgang mit der Feedbackbox sind außerdem:
keine muss ihren Namen nennen und jede hat die Möglichkeit, ihre Meinung anonym zu äußern
es darf keine Konsequenzen oder Verurteilungen geben, falls die Verfasserin eines Zettels identifiziert werden kann
alle, inklusive des Trainers, müssen bereit sein, sich das Lob und die Kritik zu Herzen zu nehmen und gegebenenfalls etwas zu ändern
jede sollte frei ihre Meinung äußern können, dabei aber fair und verständnisvoll gegenüber den Mitspielern und Betreuern sein
GANZ WICHTIG! Die verbale Kommunikation sollte auf keinen Fall vernachlässigt und die Sportler ermutigt werden, ihre Ideen auch persönlich, in Teambesprechungen oder unter vier Augen, vorzubringen.
Feedbackbox 2.0 – Welche Variationen gibt es noch?
Unsere Box bei der ALBA Jugend stand ursprünglich auf einer Bank in der Sporthalle und die Spielerinnen konnten vor oder nach dem Training die Zettel einwerfen. Da nach einigen Wochen nur wenige die Gelegenheit nutzen, entschied ich mich, die Box mit in die Kabine zu geben, um es weniger „öffentlich“ zu machen. Tatsächlich war die Beteiligung danach viel größer und die Mädchen schienen es gut anzunehmen.
Der Trainer hat nun den Wunsch geäußert, die Auswertung der eingeworfenen Zettel auch mal als Team durchzuführen, um darüber zu diskutieren, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und andere Meinungen zu hören. Durch diese kleine Änderung ist es letztendlich auch möglich, die Feedbackbox zur Förderung der verbalen Kommunikation zu nutzen und für ältere Jugendliche und Erwachsene sehr gut geeignet.
Wer als Trainer ein paar einfache Umgangsformen und Regeln beachtet, hat die Möglichkeit, durch eine Feedbackbox Missverständnisse zu vermeiden, bestimmte Trainingsinhalte zu fördern und die Meinungen und Ideen der Mannschaftsmitglieder besser einzubinden.
Viele Eltern von ambitionierten Nachwuchssportlern kritisieren nicht selten das Klima bei Vereinen oder Verbänden, in denen ihre Kinder für eine spätere sportliche Karriere vorbereitet werden sollen. Allerdings wird der Unmut meiner Erfahrung nach selten offen geäußert. Nicht zuletzt aus Angst, dem eigenen Kind Chancen zu verbauen. Die Folge: Die Kritik ist wenig konstruktiv und in den lernenden Systemen, die allen voran die noch jungen Nachwuchsleistungszentren (NLZ) im Fußball sein sollten, findet wenig strukturelle Entwicklung statt. Dabei sollten sich gerade Führungskräfte stetig hinterfragen und an ihren Skills arbeiten. Die Sportpsychologie kann bei einem solchen Prozess effektiv helfen. Im Text versuche ich, eine kleine Hilfestellung dazu anzubieten.
Zum Thema: Führungskompetenz im Jugendfussball
Der Idealzustand in einem NLZ oder einem Sportinternat außerhalb des Fußballs sieht aus meiner Sicht so aus: Die sportliche Leitung des Nachwuchsleistungszentrums führt dabei ein Team aus engagierten und empathischen Trainern. Diese Gruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass die Persönlichkeiten sich gut ergänzen und ihr kreatives Potenzial zielgerichtet einsetzen können. Die Auffassungen vom Führungsverständnis sind ähnlich und die handelnden Personen dürfen nicht konfliktscheu sein. Ein gutes Leitungsteam hebt sich zudem durch eine hohe fachliche, organisatorische und soziale Kompetenz hervor. Sie sind meistens für die gesamten Bereiche oder Teilbereiche im Verein zuständig. Das heißt allerdings nicht, dass sie alles allein erledigen müssen. Im Gegenteil, sie sollten einige Bereiche delegieren, um sich nicht zu überfordern und um die Effektivität des Vereins nicht zu gefährden. Dafür ist eine gute Teamarbeit unter der Voraussetzung von Kooperation und Vertrauen notwendig. Sie müssen dafür sorgen, dass sich die Trainerkollegen mit ihren unterschiedlichen Kenntnissen und pädagogischen Perspektiven gegenseitig kennenlernen. Sie fördern die Kooperationsbereitschaft ihres Trainerteams, indem sie z.B. Trainergruppen in Kleinteams initiieren. Darüber hinaus sollten sie für klare Kommunikationskanäle (regelmäßige Teambesprechungen und persönliche Gespräche) und die Einhaltung dieser sorgen.
Der Führungsstil sollte dabei zwischen gesunder Autorität und einem ausgeprägten Teamgedanken pendeln. Zu betonen ist dabei jedoch, dass der autoritäre Führungsstil den kleinsten Teil ausmachen sollte und die Teamplayer-Qualitäten vordergründig zur Anwendung kommen sollten. Zur besseren Veranschaulichung stelle ich nun die wichtigsten Führungsstile dar, die nicht nur im Sport allgegenwärtig sind, sondern jeder Berufstätige auch aus dem beruflichen Alltag kennt.
Dieser Führungsstil setzt eine sehr aktive Führungskraft voraus. Sie leitet matriarchalisch und fürsorglich, lässt den Trainerkollegen dabei allerdings wenig eigene Entscheidungsspielräume. Diese verfallen dadurch eher in ein ängstliches Verhalten und sind dementsprechend angepasst. Die Atmosphäre kann z.B. durch Respekt gepaart mit Angst vor Entlassung geprägt sein. Das Team wirkt unselbständig.
2. Der Sorglose
Hier zeigen sich die Leitungskräfte sehr passiv. Sie äußern weder Kritik noch Anerkennung. Es gibt also wenig Rückmeldung. Sie wirken gleichgültig. Es finden kaum Entscheidungsprozesse statt. Im Team kann sich unter einer solchen Führungskraft schnell Lustlosigkeit und Aggression breit machen. Da jeder macht, was er will, kann leicht eine Atmosphäre von Rücksichtslosigkeit entstehen. Die Arbeit hat wenig Kontinuität und wirkt bisweilen strukturlos.
3. Der Führende
Hier finden wir Leitungskräfte vor, die anderen wenig eigenen Entscheidungsspielraum lassen. Es werden Befehle erteilt. Kritik und Anerkennung wird auf der Beziehungsebene kommuniziert. Eine autoritäre Leitung unterbricht oft die Arbeit und lässt wenig Arbeitsfluss zu. Sie „dirigieren“ ihre Teams und es gibt wenige Absprachen. Eine gemeinsame Arbeitsplanung ist schwer durchzusetzen. Für die Trainerkollegen sind Arbeitsaufträge oft nicht nachvollziehbar. Im Team herrscht eine erhöhte Reizbarkeit. Die Trainerkollegen zeigen dabei wenig Eigeninitiative und arbeiten anweisungsorientiert. Das Verhalten spannt sich dabei von übertriebener Unterwürfigkeit bis zur Rebellion.
4. Der Teamplayer
Eine Leitung, die diesen Stil kultiviert, lässt ihren Trainerkollegen viel Spielraum zur Eigeninitiative und fördert somit die Selbstständigkeit des Teams. Bei Entscheidungsprozessen wird das gesamte Team mit einbezogen. Kritik und Anerkennung wird auf der Sachebene ausgesprochen und ein verständnisvoller Umgang mit Gefühlen wird vorgelebt. Die Teammitglieder unterstützen sich gegenseitig, sind freundlich und hilfsbereit. Im Kontakt mit den Führungskräften besteht eine persönliche Ebene. Das Team zeichnet sich durch Konfliktfähigkeit und konstruktive Zusammenarbeit aus.
Persönliche Einordnung?
An dieser Stelle kann jede Führungskraft nun die eigene Ausprägung der genannten Qualitäten einschätzen. Um diesen Prozess zu unterstützen, empfehle ich zusätzlich den folgenden Selbsttest, der bei dem einen oder der anderen vielleicht zu unerwarteten Erkenntnisse führt:
Hier einige Anregungen zum Selbstcheck für Führungskräfte im Jugendfussball:
Handlungsspielraum
Ich übertrage meinen Trainern verantwortungsvolle Aufgaben und versuche ihren Handlungsspielraum zu erweitern
Ich habe nur selten ein ungutes Gefühl, wenn ich eine Aufgabe an jemanden abgegeben habe
Ich beteilige meine Trainer an Entscheidungsprozessen
Wohlbefinden
Ich erkenne immer genau, wenn einer meiner Trainerkollegen überlastet ist (z.B. weiß ich, wer wie auf Stress reagiert)
Ich beobachte meine Trainerkollegen wohlwollend
Ich achte ganz bewusst auf sicherheitsgerechtes Arbeiten meiner Trainer
Ich bemühe mich die Belastung meiner Trainer in einem gesunden Maß zu halten
Nähe – Distanz
Ich bemühe mich, für meine Trainer immer ein offenes Ohr zu haben, z.B. indem ich oft (mind. 1x/Woche) durch die Bereiche und das Nachwuchszentrum gehe
Ich suche häufig (mind. 1x/Monat) das Gespräch mit jedem Trainer – nicht nur in festgesetzten Gesprächen
Informationsfluss
Ich bemühe mich, alle Informationen über den Verein und die verschiedenen Bereiche rasch weiterzugeben und damit „Wissensgefälle“ zu vermeiden
Meine Mitarbeiter wissen genau, „was sie tun“ und wie ich das finde: Ich gebe mindestens einmal im Monat Feedback.
Die Meinung meiner Kollegen ist mir wichtig
Umgang
Ich begrüße meine Trainer morgens freundlich
Ich spreche nicht ironisch oder herablassend mit ihnen
“Bitte” und “Danke” ist bei uns selbstverständlich – Schreien kommt nicht vor.
Wertschätzung
Ich kenne die größte Stärke jedes Trainers (bis max. 30 Trainer).
Ich lobe wesentlich öfter als ich kritisiere
Ich habe keine Lieblinge, die ich bevorzugt behandle
Soziale Unterstützung
Ich bemühe mich, für meine Trainer da zu sein und ihnen den Rücken zu stärken
Sie wissen, dass ich ihnen nicht in den Rücken falle und sie auch bei einer Panne nicht im Regen stehen lasse
Ich bemühe mich, auch für belastete Trainer (sensible oder erkrankte) menschliche- und unternehmensfreundliche Lösungen zu finden
Gesundheit
Ich achte trotz aller Belastungen auf meine Gesundheit und schütze mich vor Überforderung
Ich nehme meine Vorbildfunktion auch in puncto Gesundheit ernst (z.B. durch Sporttreiben, Hobbies zum Abschalten)
Ich gebe nicht mit Überlastungssituationen an
Gesunde Nachwuchskultur
Ich achte darauf, das Vereinsklima positiv mitzugestalten
Ich habe mich in der Vergangenheit wiederholt für mehr Gesundheit im Verein eingesetzt und hierzu konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht
Zusammenfassung
Perfekt ist niemand, aber optimieren können wir uns ein Leben lang. Meine Kollegen (zur Profilseitenübersicht) aus dem Netzwerk Die Sportpsychologen und ich (zur Profilseite von Dr. René Paasch) haben die Erfahrung und die Fachkenntnis, solche individuellen und persönlichen Prozesse zu begleiten. Entsprechend freuen wir uns auf ihre Kontaktaufnahme.
Eine Führungsperson im Nachwuchssport, sei es in einem NLZ oder einer vergleichbaren Institution, bewegt sich in einem lernenden Umfeld. Und die Skills, die am Ende dazu führen, lassen sich auch auf Leitungsebene lernen. Das Lob der Eltern ist den Verantwortlichen dann sicher.
„Insides“ aus der deutschen American Footballszene, Tipps für Fußballer und deren Eltern aus dem Bereich der Nachwuchsleistungszentren (NLZ) und konkrete Hinweise für Mannschafts- und Individualsportler. Auf den ersten Blick sind das die Topthemen, die Leser auf die Plattformen Die Sportpsychologen bringt. Bei der genaueren Analyse wird aber deutlich, wie vielschichtig das Interesse an sportpsychologischen Inhalten geworden ist.
Zum Thema:Was im Netz in Sachen Sportpsychologie funktioniert
Vier Jahre nach Gründung erlebt die Plattform Die Sportpsychologen einen kleinen Hype um die veröffentlichten Blog-Beiträge, Insiderberichte und Leitartikel: Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Reichweite des kostenlosen Online-Angebots, welches Sportler, Trainer, Funktionäre, Unternehmer und Journalisten mit sportpsychologischen Themen konfrontieren soll, im Jahr 2018 mehr als versechsfacht. Über 630.000 Seitenzugriffe zählte die Plattform zwischen Anfang Januar und Ende Dezember 2018, was einen absoluten Rekordwert darstellt. Prof. Dr. Oliver Stoll: „Unsere Seite wird monatlich im Schnitt von fast 17.000 Besuchern frequentiert. Die Tendenz ist dabei stabil auf Wachstumskurs. Ganz ehrlich: Bei solchen Zahlen bin ich platt.“
Offenkundig wächst das Interesse an sportpsychologischen Themen. Hinzu kommt, dass das Angebot eine zusätzliche Nachfrage generiert, da Texte und Beiträge über Social Media-Plattformen in Freundes- und Bekanntenkreisen intensiv geteilt werden. So erreicht Die Sportpsychologen auch diejenigen, die von allein einen Bogen um den Themenbereich gemacht hätten.
Übersicht zu den meistgelesenen Texten bei Die Sportpsychologen im Jahr 2018:
Miriam Kohlhaas: Mentale Vorbereitung auf ein Finale (Link)
Dr. René Paasch: Wenn Nachwuchsfußballer den Traum der Eltern leben (Link)
Ole Fischer: Sinnvolles Bestrafen im Mannschaftssport (Link)
Mila Hanke: Mentaltraining für Mountainbiker – Konzentration & Aufmerksamkeit verbessern (Link)
Miriam Kohlhaas: Wie Ziele dein größter Motivator werden können (Link)
Prof. Dr. Oliver Stoll: Streakrunning ist „Mentales Training“ (Streakrunning-Serie, Teil 1) (Link)
Dr. Hanspeter Gubelmann: Kranker Spitzensport – Wenn Könige zu ängstlichen Mäusen mutieren (Link)
Johanna Constantini: Spieglein, Spieglein an der (Pinn-)wand oder das digitale Lob (Link)
Cristina Baldasarre: Lara Dickenmann – Es würde viel bringen, würden sich einige Fußballer als homosexuell outen (Link)
Mathias Liebing: Hilfe für Sportler mit depressiven Problemen (Link)
Sportinteressierte Leserschaft
„Die Leserschaft eint, dass sie allesamt sehr sportinteressiert sind. Darüber hinaus geht die Schere aber auseinander. Wir erreichen sowohl ganz junge Sportler oder auch deren Eltern, Amateure, ambitionierte Freizeitathleten aber auch Manager, Trainer und Profis“, freut sich Prof. Dr. Stoll über die im zurückliegenden Jahr sich noch einmal verstärkte Entwicklung.
„Ein ganz wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht,“ sagt Dr. Hanspeter Gubelmann, Profilinhaber von Die Sportpsychologen aus der Schweiz, „dass wir einen sehr breit angelegten Themenmix anbieten. Hier findet sich jeder wieder. Und wenn jemand etwas tatsächlich nicht findet oder eine spezielle Frage hat, ist die Kontaktaufnahme nur einen Klick, einen Post oder einen Anruf entfernt.“
Profilinhaber bekommen Aufmerksamkeit
Dr. Gubelmann ist im übrigen inoffizieller „Profilseitenmeister 2018“. Über 6.000 Mal wurde seine persönliche Seite im vergangenen Jahr besucht. Dem Schweizer Sportpsychologen ist der Titel aber fast unangenehm. „Vor allem für Berufseinsteiger und Experten für bestimmte Arbeitsfelder ist der Mechanismus sehr wertvoll, dass Veröffentlichungen bestimmte Reaktionen generieren. Insofern freue ich mich über die Resonanz, bin aber genauso froh, wenn ich sehe, wie viele junge Leute auch auf sich aufmerksam machen können.“ Und tatsächlich: Unter den zehn Profilinhabern, deren Seite die meisten Aufrufe hatte, ist jeder zweite ein sogenannter „Young Professional“.
Wichtig für die Macher von Die Sportpsychologen wird nun im neuen Jahr, dass der Kontakt im Netzwerk weiterhin noch stärker gefördert wird. Zwar finden mehrfach im Jahr Netzwerktreffen oder Events wie „Die rote Couch – Das Sportpsychologie-Barcamp“ statt. Dennoch könnte der Austausch zwischen den Profilinhaber, die mittlerweile aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen, noch intensiviert werden. Prof. Dr. Oliver Stoll: „Das Interesse beginnt bei Workshops geht weiter über Inter- und Supervisionen und endet bei gemeinsamen Projekten. In der Zukunft wird das Ziel werden, dass wir die begonnen Baustellen effektiv ausweiten.“
Gute Aussichten?
Fortgeführt wird zudem die Video-Serie „Die Sportpsychologen treffen…“, die auf Initiative und mit finanzieller Unterstützung von Profilinhaber Jürgen Walter im Sommer 2018 entstanden ist. Denn bei den Gesprächen und Recherchen für die Serie wurde deutlich, wie groß der Wissensdurst und auch die Wissenslücken in Sachen Sportpsychologie im Sport sind.
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Erik Schneider, Disziplintrainer Langlauf bei den deutschen Frauen im Interview
Kritisch und offen diskutiert wird zudem, wie im Netzwerk mit dem wachsenden Interesse von Mentaltrainern umgegangen wird. Prof. Dr. Oliver Stoll: „Wir sehen unsere Plattform, die ja eben von mehr und mehr Personen aus dem Sport besucht wird, in der Lage, dass wir zum einen Aufklärungsarbeit hinsichtlich des Arbeitsspektrums von Sportpsychologen und Mentaltrainern leisten können. Und nicht zuletzt haben wir einen Ort des Austauschs, des Miteinanders und der Zusammenarbeit für all jene geschaffen, die sich einer qualitativen, seriösen und nachhaltigen Arbeit im Bereich der Sportpsychologie und des Mentaltrainings verschrieben haben.“
Du hast Interesse am Netzwerk und willst dich informieren?
Nachdem wir uns bereits dem Vorstand und den Trainern gewidmet hatten, schließt diese Serie ihren Kreis, indem sie nun die Kicker in den Fokus nimmt. Logisch, denn wer sonst steht auch auf dem Platz, mag eine weit verbreitete Einschätzung lauten… In diesem Zusammenhang sei jedoch noch einmal ausdrücklich betont, dass die Verantwortung und/oder die Schuld für eine sportliche Krise oder deren Entstehung nicht ausschließlich die Bürde Einzelner oder des Mannschaftsverbundes ist. Vielmehr sei – und dies so konstruktiv wie nur möglich – noch einmal betont, dass in einem so großen System wie es ein Sportverein nun einmal ist, jeder vom EDV-Bereich bis in den Lizenzbereich seinen Beitrag dazu leisten kann, dass Schiff wieder auf Kurs zu bringen.
Zum Thema: Wie Spieler in sportlichen Krisensituationen handlungsfähig bleiben können
Zunächst einmal sollte sich jeder Spieler selbst kritisch hinterfragen, welchen Anteil er selbst daran haben könnte, weshalb die Mannschaft unter ihren Möglichkeiten spielt? So leicht und vernünftig sich diese Aufforderung der Selbstreflexion anhört, umso schwerer gestaltet sich häufig die individuelle Suche nach Lösungen in der Praxis. Die Gründe hierfür können unterschiedlich sein. Einen möglichen Grund liefert die Wissenschaft. So konnte in Untersuchungen nachgewiesen werden, dass Menschen dazu neigen, Misserfolg eher mit äußeren als mit inneren Ursachen zu erklären (Attribution). Der einzelne Spieler erlebt sich häufig nur als ein Rädchen in dem Getriebe und es erscheint ihm als ungerechtfertigt, die ganze Last auf den eigenen Schultern zu tragen. Aber ist es nicht die Summe aller Einzelteile, die letztendlich den Unterschied ausmacht?
Aus diesem Grund sollte man sich als Spieler vor Augen führen, dass es nicht darum geht, die ganze Last der Verantwortung (was ein erdrückendes Gefühl ist) auf sich zu nehmen. Vielmehr sollte man sich dahingehend hinterfragen, in welchem kleinen Bereich, welchen ich selbst beeinflussen kann, ich mich verbessern kann oder meinen Beitrag zu einer Verbesserung leisten kann. Mit dieser Sichtweise und/oder Einstellung wird jedem die Möglichkeit gegeben zu handeln. Der Stammspieler als auch der Ergänzungsspieler. So könnte sich der aktuelle Reservist die Frage stellen, ob er wirklich im Training alles gibt, damit die Trainingsqualität entsprechend hoch ist? Konsequent umgesetzt, gebe es nur Gewinner: Der Einzelspieler, der sich leistungsfähiger zeigt, und die Mitspieler, die stärker an eigene Leistungsgrenzen gehen müssen. Die Praxis zeigt auch, dass wenn einer beginnt, sich selbstkritisch und gleichzeitig engagiert zu zeigen, kann sich dies sehr positiv auf andere auswirken.
Zielbereich 2: Handlungssicherheit und Optimismus/Aufbruchstimmung
In einer Krisenphase ist es ratsam, wenn die Ansprüche ein wenig herunter geschraubt werden. Es ist von Bedeutung, dass jeder Spieler ein Gespür dafür bekommt, was andere von ihm erwarten. Wichtig ist in dem Zusammenhang auch, dass der Spieler das, was er selbst von sich erwartet, erfüllen kann. Bitte versteht mich nicht falsch. Dies bedeutet nicht, den Ehrgeiz oder Willen zu reduzieren. Vielmehr geht es in diesem Punkt darum, dass man sich möglicherweise für eine gewisse Zeit von einem technisch anspruchsvollen Spiel verabschieden muss und sich stattdessen auf Qualitäten besinnen sollte, die immer funktionieren.
In der Praxis fordere ich Sportler dazu auf, sich zu überlegen, welche Dinge sie immer im Wettkampf geben können. Mit anderen Worten: Was ist die Basis deiner sportlichen Leistungsfähigkeit?
Ausblenden aller ablenkender Informationen + Fokus auf das Wesentliche
Kleines Beispiel (vgl. Eberspächer, 1998) gefällig, wie psychologische Faktoren die Handlungssicherheit beeinträchtigen können? Die Aufgabe ist denkbar einfach. Stellen sie sich auf einen Stuhl und bleiben sie ruhig stehen. Das wird sie sehr wahrscheinlich vor keine größeren Probleme stellen, oder? Eben, es handelt sich um eine ganz einfache Handlung, die sie mit hoher Sicherheit ausführen können. Nun stellen sie sich vor, das dieser Stuhl nicht ein Stuhl ist, so wie sie ihn kennen, sondern ein Sockel in zehn Metern Höhe von dem ein Sturz sicher nicht ganz angenehm sein würde. Auch hier besteht wieder die Aufgabe darin, einfach nur ruhig auf der Sitzfläche stehen zu bleiben – so wie gerade eben – eine ganz einfache Handlung.
Schon in der Vorstellung werden sie merken, dass sie wahrscheinlich ein ziemlich mulmiges Gefühl dabei hätten, in zehn Metern Höhe auf einem Podest zu stehen, dessen Standfläche nicht größer als die des Stuhls ist. Die identische Handlung erscheint als ganz unterschiedlich schwierig – in Abhängigkeit davon, mit welchen Konsequenzen des Misslingens (Sturz) die Handlung verbunden ist.
Die Kraft der Angst vor dem Misslingen
Wenn die Höhe des Sockels also den Grad der Gefährlichkeit der Situation widerspiegelt, so kann man Abstiegsgefahr damit vergleichen, dass der Sockel mit jedem verlorenen Spiel zunehmend in die Höhe wächst. Mit jedem verlorenen Spiel steigen die negativen Konsequenzen einer weiteren Niederlage. Dies bedeutet, dass einfachste Handlungen möglicherweise deshalb nicht mehr sicher ausgeführt werden können, weil man Angst vor den Folgen des Misslingens hat (Konsequenzdenken).
Deshalb ist es ratsam, in Abstiegssituationen oder im Allgemeinen in Drucksituationen, dass man seine Aufmerksamkeit bewusst auf seine Stärken richtet, sprich sich auf handlungsdienliche Dinge konzentriert. Der Kopf beschäftigt sich mit Dingen, die in dieser Situation (Wettkampf) nicht hilfreich sind. Wenn es darauf ankommt, sollte der Kopf die Handlungunterstützen und nicht stören (vgl. Eberspächer, 1998).
Visualisierung des Wettkampfes
Sich den nächsten Wettkampf vor dem inneren Auge wie einen Spielfilm auszumalen und ablaufen zu lassen, hat mehrere positive Konsequenzen:
Jeder Spieler kann sich die Anforderungen des Wettkampfes gut vorstellen und sich somit innerlich besser darauf einstellen.
Es steigert auch die Motivation und die Lust auf den nächsten Wettkampf. Je mehr man sich innerlich mit einem zukünftigen Ereignis beschäftigt, desto stärker ist man gewissermaßen gespannt auf das Ergebnis.
Durch die Visualisierung ist der Spieler genau auf die Situation des Wettkampfes vorbereitet und gegenüber Überraschungen gerüstet. Dies gilt insbesondere dann, wenn man sich ebenfalls ungünstige Situationen vorstellt und entsprechende Handlungsmöglichkeiten ableitet. Für solche Visualisierungen ist es wichtig, sich eine entspannte und ruhige Situation zu schaffen, so dass man die Lust entwickelt, sich auch die Details des Wettkampfes genau vorzustellen. Ein Sportpsychologe kann hierbei behilflich sein.
Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie sich Spieler gegenseitig den Wind aus den Segeln nehmen können. In Ausnahmesituationen kommt es zwangsläufig zu Spannungen innerhalb des Teams. Diese lassen sich jedoch auch im Positiven nutzen. Alle wollen mehr erreichen als das, was bisher erreicht wurde. Allerdings muss man sich vor Augen führen, dass sich zu viel Kritik – offen oder versteckt – negativ auf jeden Einzelnen auswirken kann. Das Selbstvertrauen der meisten Akteure ist in dieser Situation angekratzt, so dass kritische Kommunikation häufig gereizte und aggressive Reaktionen hervorruft. Im Gegensatz dazu bedeutet positive Kommunikation, seine Mitspieler für gelungene Aktionen zu loben, Mitspieler zu ermutigen, wenn ihnen etwas nicht gelungen ist, und immer wieder auf’s Neue den Glauben in die Mannschaft tragen, das man es schaffen kann, wenn alle am gleichen Strang ziehen. In der Regel sind Krisensituationen nur dann aufzulösen, wenn sich innerhalb der Mannschaft so etwas wie Geschlossenheit entwickelt. Das setzt voraus, dass jeder Spieler dazu bereit ist, dem anderen zu helfen und eigene Befindlichkeiten hinten anzustellen. Kennzeichnend für Geschlossenheit wird dadurch deutlich, dass jeder jeden als fehlerhafte (nicht unfehlbare) Person und fehlerhaften (nicht unfehlbaren) Spieler akzeptiert. Jene Akzeptanz geht insbesondere in solchen Zeiten schnell verloren.
Neben der Notwendigkeit einer wertschätzenden und ehrlichen Kommunikation ist es von Bedeutung, die gemachten Fehler innerhalb des Teams zu analysieren. Häufig übernimmt die Fehleranalyse der Trainer, doch gerade in Ausnahmesituationen ist es wünschenswert, wenn auch aus der Mannschaft Impulse kommen. Anregungen aus den eigenen Reihen können den Prozess der Fehleranalyse in erheblichen Maße beeinflussen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass man herauszufinden versucht, was wirklich fehlt und was man wirklich verbessern sollte und nicht versucht, sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen oder anderen den „schwarzen Peter“ zuzuschieben.
Ziel dieser kleinen Reihe sollte es sein, dem Leser eine andere Sicht/Übersicht von der Bewältigung einer Krisensituation innerhalb des Systems Verein zu verschaffen. Andauernde Leistungsdefizite einer Mannschaft werden als Ausdruck eines Teufelskreises von Erfolglosigkeit, Verunsicherung und Fehleranfälligkeit betrachtet.
Aus der zuvor beschriebenen Betrachtungsweise wird für jeden Funktionsträger im Verein deutlich, dass er etwas zur Verbesserung der Situation beitragen kann. Getreu dem Motto: Frag nicht, was der Verein für dich tun kann sondern was du für den Verein tun kannst. Die Kunst bei der Bewältigung einer sportlichen Krise scheint darin zu liegen, die Mentalität des teamorientierten Denkens und Handelns nicht zu erzwingen, sondern in jedem zu erwecken.
Auf die Idee zu diesem Beitrag kam ich nach einem etwas längeren Interview mit der Chef-Herausgeberin der Zeitschrift “Psychologie heute”, die das Thema „Aufgeben“ zum Thema machen wollen. Ihr sei aufgefallen, dass Top-Athleten (zumindest von außen betrachtet) nie aufgeben und immer ihr Bestes geben (müssen) und natürlich die Frage, wie es Ihnen gelingt, ihre Motivation aufrechtzuerhalten, wenn sie nicht gewinnen, bzw. man die Athleten in einem solchen Fall sportpsychologisch betreut? Das Gespräch wurde immer länger und länger und mir wurde zunehmend klar, dass es zunächst einmal Aufklärungsarbeit bedarf, um zu verstehen, was so ein Top-Athlet im Laufe seiner Karriere erlebt. Denn erst dann wird klar, wie so etwas überhaupt funktionieren kann.
Zum Thema: Zielführender Umgang mit Erwartungen und Zielen
Wir haben es ja gerade in den öffentlichen Medien viel mit Wintersport zu tun. Da gibt es jede Menge Ski-Alpin, Tour de Ski, Biathlon und die Vierschanzen-Tournee. Je nachdem, welche Sportart wir da gerade sehen, treten bei diesen Wettkämpfen zwischen 50 und 70 Sportlerinnen und Sportler gegeneinander an. Und die wollen alle gewinnen? Ja, im Prinzip wollen die alle gewinnen! Aber allen ist natürlich klar, dass das nicht möglich ist und darüber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit bei dem einen oder anderen höher oder niedriger, auf dem Treppchen zu landen. Schauen wir uns zum Beispiel die Vierschanzen-Tournee an. Nach drei Springen ist mehr oder weniger klar, wer das Ding gewinnen wird (wenn nicht Ungewöhnliches passiert), nämlich Ryoyu Kobayashi. Spannend wird da nur noch der Kampf um Platz zwei und drei. Schaut man aber mal auf die Liste der 70 Springer, die jedes Mal zur Qualifikation antreten, dann finden wir solch klangvolle Namen wie Noriaki Kasai oder Simon Ammann, also in der Vergangenheit „hoch dekorierte“ und schon sehr erfahrene Athleten. Und die wollen gewinnen?
Ich habe es schon einmal geschrieben: Im Prinzip ja! Aber natürlich wissen die beiden mittlerweile längst, dass das nicht mehr möglich ist (zumindest nicht die Gesamtwertung). Warum nehmen diese beiden wohl weiter an den Wettkämpfen teil und geben nicht auf? Eigentlich wäre es doch viel sinnvoller auszusteigen und „Körner zu sparen“. Selbst ein Severin Freund, der genau zur selben Einsicht gekommen sein muss, spart die Körner nicht und startet in der „2. Liga des Skispringens“ beim Intercontinental-Cup. Man könnte meinen, dies sei „ein Abstieg, eine persönliche Niederlage“. Aber nein – genau das ist es nicht! Das Gegenteil ist der Fall. Es ist ein Zeichen der Stärke, ein Ausdruck besonderer Persönlichkeitseigenschaften sowie spezifischer mentaler Fähigkeiten und nicht der „mentalen Schwäche“.
„Aufgeben“ ist nicht gleich „Aufgeben“! Eine Teilnahme an einem Wettkampf im Top-Bereich erfordert harte Trainingsarbeit im Vorfeld und eine klare, gut überprüfbare und realistische Zielsetzung. Diese Teilnahme ist auch von dem System (Staff) abhängig, welches den Athlet unterstützt. In erster Linie geht es natürlich darum, dass der Athlet, körperlich in einer Topform ist und – aus meiner Sicht – nachgeordnet braucht es dann eben auch bestimmte psychologische Fähigkeiten. Eine der wichtigsten Eigenschaften bei einem Wettkampf der Vierschanzen-Tournee ist es, eine realistische Selbsteinschätzung zu haben. Orientiert an dieser Einschätzung geht es darum, seine Ziele für sich selbst – und natürlich in der Konsequenz die weitere Trainingsarbeit (sofern das bei diesem Event überhaupt noch möglich ist) festzulegen. Für Markus Eisenbichler geht es jetzt nicht mehr um den Sieg. Er wird sicherlich versuchen, den zweiten Platz zu verteidigen. Gibt er deswegen auf? Ich habe solche Forderungen schon gehört! Er möge doch in Bischofshofen mutiger springen und nicht gleich den Gesamtsieg aufgeben.
Wir alle, die wir nicht in den Athleten drin stecken, können ohnehin nicht wirklich realistisch einschätzen, was noch geht und was nicht. Nur der Athlet selbst kann diese Entscheidung treffen, was er nun machen wird. Und sollte er zu dem Ergebnis kommen, den zweiten Platz abzusichern, dann ist genau diese Entscheidung für diesen Athleten richtig. Und was geht wohl in den Köpfen von Simon Ammann und Noriaki Kasai vor, deren Chancen auf den Gesamtsieg sehr, sehr niedrig ausfallen? Beide werden auch in Bischofshofen am Start sein und beide werden versuchen, das Beste, zu was sie gerade in der Lage sind, abzurufen, auch wenn es für sie nicht mehr um den Gesamtsieg gehen wird. Beide werden ihr ursprüngliches Ziel (Gesamtsieg) vermutlich in Richtung eines realistischen Ziels modifiziert haben und ihre Leistung an diesem neu ausgerichteten Ziel bewerten. Alles andere wäre psychologisch betrachtet auch Unsinn, denn wenn diese Athleten an unrealistischen Zielen festhalten werden, würden sie über kurz oder lang ausbrennen, denn sie werden ihre Ziele niemals erreichen.
Die Nähe zwischen Aufgeben und Perfektion
Wettkämpfe sind für Athleten häufig „nur“ Durchgangs-Stationen auf ihrem individuellen Entwicklungsweg. Auch wenn eine Vierschanzen-Tournee für einen Skispringer doch eigentlich der Saisonhöhepunkt sein sollte (und es für viele auch ist), so verändert sich dies in der Wahrnehmung der Athleten über diese vier Wettkämpfe und das ist auch gut so. Top-Athleten sind „Meister im Anpassen ihrer Ziele“. Sie trainieren ja fast jeden Tag. Dafür bekommen sie keine Medaillen jeden Abend. Sie lernen Belohnungen aufzuschieben und die erleben im Training sehr viel häufiger Misserfolge als Erfolge, die aber auch nötig sind, um etwas „zu verändern“. Sie trainieren, um sich weiter zu entwickeln, um dann gegebenenfalls mal diesen einen Tag (oder diese eine Woche) erleben zu dürfen, an dem alles passt, die physische Form, die persönliche Einstellung, die Umstände (also das System) und die äußeren Gegebenheiten. Sie arbeiten genau auf diesen Tag hin. Manche erleben ihn nie. Andere fangen z.B. nach einem Kreuzbandriss wieder ganz von vorn an. Und warum? Weil es das ist, was sie können und was sie wollen. Weil sie es lieben! Es ist ihre ganz große Leidenschaft. Anders könnte das auch gar nicht funktionieren.
Bei der Vierschanzen-Tournee kann man diese Ziele von Tag zu Tag neu anpassen. In einem einzigen Wettkampf wie z.B. bei einem Marathonlauf oder einem Triathlon geht es häufig auch um solche „wegweisenden Entscheidungen“: Greife ich pro-aktiv an oder steige ich aus, um Körner zu sparen? (siehe hierzu Stoll, 1996). Orientiere ich mich am Sieg oder laufe ich mein persönliches Rennen? (siehe hierzu Schlicht und Kollegen, 1990). Selbst ein Aussteigen in einem Marathonlauf muss auf lange Sicht nichts mit „Aufgeben“ zu tun haben, sondern es kann ein Ausdruck von emotionaler Intelligenz sein, wenn man merkt, dass ein Ziel an einem Tag X realistischerweise nicht mehr zu erreichen ist. In der Öffentlichkeit werden die Athleten dann häufig kritisiert – oder zumindest wird dies nicht gerade wertgeschätzt. Aus Sicht eines Athleten hat dies dann aber nichts mit „Aufgeben“ zu tun, sondern ist es dann eben nur eine weitere Erfahrung, ein weiterer Schritt in der Entwicklung zur persönlichen Perfektion.
Quellen:
Schlicht, W., Meyer, N. & Janssen, J.P. (1990a). „Ich will mein Rennen laufen – Bewältigung belastender Ereignisse im Triathlon – Eine Pilotstudie. Sportpsychologie ,4 (2), (Teil 2), S. 5-9.
Stoll, O. (1996). „Beiß Dich fest und kämpfe!“ Selbstmotivation und Durchhalteparolen – immer der beste Weg zur Bewältigung kritischer Situationen im Sport ? Leipziger Sportwissenschaftliche Beiträge, 37 (2), 120-134.
Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag. Immer Training. Samstag, Sonntag Wettkampf. So sieht – mit ein paar Einschränkungen – der Alltag eines Sportlers aus. Denn ein Wintersportler muss saisonbedingt zwischen Oktober bis März liefern. Während bei einem Fußballer über das Jahr hinweg nahezu jedes Wochenende ein Spiel ansteht, in englischen Wochen sogar zwei. Bei Schwimmern geht es mal auf der Lang- (50m) mal auf der Kurzbahn (25m) zur Sache. Gemeinsam haben die Athleten, dass sie immer wieder vom Trainings- in den Wettkampfmodus umschalten. Das hat neben der sport- und trainingswissenschaftlichen Seite nicht zuletzt mit einem Prozess im Kopf zu tun.
Zum Thema: Wie sich Sportler mit kleinen Tricks bestmöglich auf einen Wettkampf vorbereiten können
Sogenannte Vorstartroutinen verbinden Mentales und Körperliches für eine optimale Einstimmung. Vorausgesetzt, dass die Routine-Handlung gut gewählt ist. Denn nicht selten wird in der Praxis vernachlässigt, dass die Ausarbeitung der Routine detailliert und unter Berücksichtigung mehrerer Aspekte ablaufen muss.
Wichtig zu wissen ist zunächst, was der Sportler überhaupt für ein Typ ist:
Ist er/sie jemand, der eher zu starker Aufregung vorm Start neigt und etwas benötigt, um sich zu regulieren?
Oder fehlt ihm/ihr es etwas an positiver Anspannung und es wäre gut, wenn eine Aktivierung vor dem Start dahingehend unterstützend wäre?
Mag er/sie lieber Musik oder ist der Sportler eher ein kreativer Kopf, der mit Bildern und Assoziationen arbeitet?
Ist der Sportler eher introvertiert und lässt das Ritual im Inneren nur ablaufen oder ist er jemand der das auch durch Körpersprache nach außen tragen will?
Wie die Aufzählung schon zeigt, existieren eine Vielzahl an Möglichkeiten und Ansätzen, die in die Vorstartphase inkludiert werden können.
Wenn sich der Ablauf vor dem eigentlichen Wettkampf nicht verändert, bringt das vor allem erst einmal Sicherheit! Dann spielt es auch weniger eine Rolle, was für eine Bedeutung der Wettkampf hat. Da die Abläufe davor identisch sind, kann der Sportler auch mit einer identisch positiven Einstellung starten, auch wenn die Nervosität ob der Wichtigkeit des Wettkampfs deutlich gestiegen ist.
Neben der Sicherheit, bringt ein gutes Ritual auch Selbstvertrauen und Stärke. Durch gezielte Inhalte kann sich der Sportler auch seine Ressourcen und Fähigkeiten besinnen, die bei steigender Anspannung einen guten Ausgleich schaffen können. Der immer gleiche Ablauf hilft dabei, die Konzentration und Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu behalten. Wenn ich mir nicht jedes Mal aufs Neue überlegen muss, was ich nun machen muss und was vielleicht noch sinnvoll wäre, sondern es fast schon automatisiert abläuft, habe ich auch keine Zeit, mir Gedanken zu machen, die mich vom eigentlichen Geschehen ablenken können.
Beispiel Michael Phelps
Die Vorstartroutinen des Schwimmers sind zu seinem Markenzeichen geworden. Bei ihm konnte man beobachten, wie er etwa eine Minute vor dem Start anfing, sich zunächst die Füße zu dehnen und sich dann die Hände über den rauen Startblock zu reiben. Auf den Startblock ist er immer nur von der Seite aufgestiegen und hat darauf stehend immer noch einmal die Arme hinter dem Oberkörper zur Dehnung zusammengenommen, um sie dann explosiv vor und zurück schwingen zu lassen.
Doch solch ein Ritual ist nicht nur etwas für Individualsportler: So zählt beispielsweise die Kreisbildung vieler Fußballmannschaften vor und/oder nach dem Spiel bei vielen Teams zur direkten Vorbereitung. Auch hier können im Kollektiv Abläufe ritualisiert werden. Sicherlich ist dies etwas schwieriger, aufgrund der Menge an Individuen, aber die Ausgangslage birgt das Potential, dass sich die Einzelspieler gegenseitig perfekt ergänzen.
Gefahren von Ritualen
Einen geeigneten Ritualablauf für sich oder das Team zu finden, ist also nicht immer einfach. Er sollte so lange modifiziert werden, bis sich die Beteiligten damit zu 100% wohlfühlen.
Doch Vorsicht! Was, wenn sich das Ritual mit einem Negativerlebnis verbindet? Sollte also ein wichtiges Spiel verloren werden, ist es nicht ratsam, gleich alles über Bord zu werfen. So ist es immer wieder zu beobachten, dass es Mannschaften im Fußball gibt, die nach Siegen eng umschlungen im Kreis stehen, nach Niederlagen aber jeder für sich steht und der Kreis nicht mehr dieses Einheitsbild ausdrückt.
Was Vorstartroutinen können
Die Gründe für sportlichen Erfolg oder Misserfolg sollten nicht im Ritual selbst oder vielleicht in der Pulloverfarbe des Trainers gesucht werden. Es gibt andere Faktoren, die dafür verantwortlich sind, ob etwas wie gewünscht läuft oder eben nicht. Vorstartroutinen wie Rituale können aber sehr wohl dabei unterstützen, in die Bestmögliche mentale Verfassung für den Wettkampf zu kommen, um dann bestenfalls den Weg zu ebnen, die sportliche Herausforderung erfolgreich abzuschließen.
Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, Und leider auch Theologie Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor! Heiße Magister, heiße Doktor gar, Und ziehe schon an die zehen Jahr‘ Herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nase herum – Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Johann Wolfgang von Goethe
Zum Thema: Streakrunning-Serie, Teil 13
Dieser Monolog des Dr. Faust aus Goethes gleichnamigen Dramas kommt mir in den Sinn, wenn ich über das vergangene Jahr nachdenke. Am 31.12.2017 begann ich mit dem Vorsatz, ein Jahr lang, mindestens eine Meile laufen zu wollen. Wir haben, wenn ich diese Zeile schreibe, den 31.12.2018. Ein Jahr ist also vorbei und ich bin tatsächlich jeden Tag gelaufen. Zumeist deutlich mehr als diese eine Meile. In der Tat, die „eine Meile“ musste ich als Minimum niemals ziehen. Die kürzeste Distanz waren drei Kilometer. Die längste 56 Kilometer. Insgesamt waren es 2960 ca. Kilometer.
Ich laufe nun schon seit 1984 – mal mehr, mal weniger, aber an einen Streak hatte ich mich nie herangetraut. Ich habe nun, sportlich betrachtet schon viel erlebt in meinem Leben: das waren sicher so an die 100 Marathonläufe (ich habe irgendwann aufgehört zu zählen), einige Ultras (darunter mein emotionalster mit dem Bieler 100er – Link zu meinem Online-Buch), Etappenläufe über die Alpen, unendlich viele kleine Runden auf einem 24-Stunden Lauf (den ich allerdings nach elf Stunden abbrechen musste), Laufen während unzähligen Triathlon-Wettkämpfen – ich habe es 1988 sogar zum Ironman nach Hawaii geschafft (und gefinished). Aber „Streak-Running“ war nie ein Thema für mich – bis eben zum 31.12.2017. Was hat mich zu diesem Plan inspiriert?
Auf der Suche nach Erkenntnis
Das Streben nach Erkenntnis
Ich bin Wissenschaftler. Ich strebe nach Erkenntnis! Nein, ich habe keine Juristerei, und auch keine Medizin studiert, aber sehr wohl etwas Philosophie, und vor allem eben Sportwissenschaft und Psychologie. Da sollte man meinen, die ich in der Lage sein sollte, Verhalten nicht nur zu beschreiben, sondern auch vorhersagen zu können. Die Frage ist also nun, ob diese akademische Erfahrung ausreicht, um die Frage nach dem „Warum“ zu beantworten? An dieser Stelle gibt es von mir eine klare Ansage: Nein! Auf welche Erfahrungen könnte man noch zurückgreifen? Vielleicht auf die von Menschen, die das Laufen tagtäglich praktizieren? Zum Beispiel die Erfahrungen von Lutz Balschuweit, der zwar in seinem Buch „Lebenslauf – Kein Wettkampf“ nicht unbedingt einen Ratgeber für das Streak-Running verfasst hat, jedoch in vielen kleinen Geschichten einen wertvollen Einblick in sein Streak-Lauf-Erleben gibt. Oder in ein paar persönlichen Kommunikationen mit Silke Stutzke, einer Läuferin, die lange täglich lief – dies aber heute so nicht mehr macht, und die mich an ihren Erfahrungen teilhaben ließ. Im Zentrum stand für mich also die Erwartung von „Erkenntnis“. Und zwar eine weitergehende Erkenntnis darüber, warum Läufer laufen. Ich kenne natürlich die vielen guten und weniger gute Bücher über das Laufen (ich habe ja selbst eins geschrieben und auch dazu geforscht). Und ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte dass ich die gesamte wissenschaftliche Laufliteratur – zumindest in groben Zügen überblicke. Aber all dieses Wissen hat mir die Frage, warum Läufer laufen, nicht beantworten können. Also blieb mir nur dieses Selbst-Experiment übrig. Wie wird es wohl sein, wenn ich jeden Tag laufen gehe, egal wie weit (Minimum eine Meile) und egal bei welchem Wetter, um welche Uhrzeit, zu welchen Umständen (Stress, Urlaub, lange Reisen, Krankheit, Verletzung, etc., etc.)? Gesagt – getan!
Und habe ich nun eine „weitreichende Erkenntnis“ gewonnen? Ich kann diese Frage auch heute nicht vollkommen zufriedenstellend beantworten. Dennoch habe ich viel gelernt. Ich habe wieder einmal viel über mich, aber auch viel über andere Menschen, und auch über Entwicklungen von Körper und Psyche über die Zeit gelernt. Einige Mythen sind „entzaubert“, andere sind hinzugekommen. Wo fange ich also an? Wohl am besten mit einer „Main-Message“, wie man so schön Neu-Deutsch sagt – also einer zentralen Aussage zum Streak-Running.
Die Main-Message
JA – täglich Laufen ist möglich. Und ich bin ja nicht der erste, der das zeigt. Da gibt es andere, die das schon seit 20 Jahren und mehr machen. Der hier schon angesprochene Lutz praktiziert das auch schon seit mehreren Jahren und das in Umfängen, von denen ich hier weit entfernt bin. Ich bin da eher so in dem Bereich seiner Frau Anja, die das auch macht – aber eben mit einem Jahreskilometer-Pensum von ca. 3000 Kilometern. Interessanter ist da die Erkenntnis, ob täglich Laufen möglich ist, und Körper sowie Psyche dabei keinen Schaden nimmt? JA – täglich Laufen ist möglich und Körper sowie Psyche nehmen keinen Schaden dabei! Und jetzt kommen sicher gleich die ganzen Kritiker und Skeptiker, die ich natürlich auch kennengelernt habe, und die das Gegenteil (teilweise auch sehr plausibel argumentierend) postulieren! Ich entzaubere mal einen Mythos: „Du darfst nicht laufen gehen, wenn Du krank oder verletzt bist“! Meine Erfahrung: UNSINN! Ich bin mit einem gerissenen oder zumindest angerissenen Außenband im Sprunggelenk gelaufen – und zwar auf den höchsten Berg Sardiniens und wieder runter. Nein – nicht schnell, sondern langsam – aber gelaufen (nicht gewandert… sondern über weite Strecken gelaufen; manchmal ging es nicht anders und ich musste wandern. Mehr dazu: https://www.die-sportpsychologen.de/2018/07/30/prof-dr-oliver-stoll-das-ende-streakrunning-serie-teil-8/). Das war nicht immer spaßig, aber es ist möglich und machbar. Die Kritiker sagen jetzt sicher: „Nun gut – ist ja etwas Orthopädisches und nicht lebensgefährlich“.
Motto 2018
Liebe Leute, ich bin Ende November und bis weit in den Dezember hinein mit einer hartnäckigen Erkältung gelaufen. „Bist Du wahnsinnig? Herzmuskelentzündung!“ – sagen die Skeptiker. Ich komme jetzt den Kritikern mal ein kleines Stück entgegen – sollte man nicht machen, wenn man nicht lauferfahren ist! Aber das bin ich. Ich habe nach 30-jähriger Lauferfahrung in diesem Jahr meinen Körper noch einmal so viel besser kennen gelernt, als je zuvor. Meine Antennen „nach innen“ waren sehr sensibel. Wenn diese Antennen „Probleme“ registriert haben, dann hat mein Körper, was die Belastungsdosierung anging, sofort reagiert. Das musste ich nicht einmal bewusst regulieren. Ich habe mich da voll und ganz „auf mein Bauchgefühl“ verlassen – und das funktioniert nach jahrelangem Training, schnell, zuverlässig und stabil!
Streak oder Wettkampf?
Ein Mythos kommt jedoch hinzu: Man kann streaken und trotzdem Wettkämpfe laufen und seine Bestzeiten verbessern! Ich sage jetzt mal, dass dieser Mythos „dazu gekommen ist“, obwohl der ja auch schon länger kursiert. Meine Antwort (basierend auf meinen Erfahrungen) darauf ist klar: NEIN – das geht nicht. Bevor mich jetzt die Streaker-Kolleginnen und Kollegen steinigen und mir das Gegenteil aus ihrer Dokumentation dazu zeigen, möchte ich ein paar Fakten klarstellen. Ich bin fast 56 Jahre alt und habe meinen sportlichen Leistungszenit längst überschritten. Ich habe einen mehr als nur Full-Time-Job, was ja bekanntlich auch das „bio-psychosoziale System“ beeinflusst und somit Erholungsprozesse nachhaltig negativ beeinflussen kann und ich habe auch eine Familie, die ich gerne um mich herum habe und die ich dann damit absolut nerven würde, wenn ich nicht nur jeden Tag laufen würde, sondern auch noch eine Leistungssteuerung einbauen würde. Das will ich nicht – ist also kein erstrebenswertes Ziel für mich. Das kann es sein – für andere Menschen, aber nicht für mich! Harte Fakten? 10 Kilometer Bestzeit 2017: 46:15 – selbe Strecke, vergleichbares Wetter 2018: 49:56. Ich bin fast vier Minuten langsamer geworden in diesem einem Jahr. Schlimm? Nein! Ich gebe zu, so was kratzt erst einmal am Ego, aber letzten Endes spielt das keine Rolle! Insofern Lutz, mein Freund: Lebenslauf – kein Wettkampf! Definitiv ja!
Was bleibt ansonsten an „Erkenntnis“? Die Sinne schärfen sich. Das habe ich ja schon angedeutet. Ich bin eigentlich auch schon vorher ein relativ gut strukturierter Mensch gewesen. Ich bin darin noch einmal etwas besser geworden. Gut – das muss jetzt nicht unbedingt erstrebenswert sein, aber es hat sich definitiv auch auf meine berufliche Effektivität positiv ausgewirkt. Ich bin im Job deutlich ausgeglichener geworden, ich verkrafte lange Reisen sehr viel besser, ich gehe früher schlafen, wache früher auf, schlafe insgesamt besser und fühle mich kreativer als vorher. Die täglichen Laufeinheiten helfen mir Projekte anzudenken, weiter zu entwickeln und konkreter werden zu lassen. Streak-Running hat mir geholfen, meine mentalen Werkzeuge zu optimieren. Ich bin besser im „Antizipieren“ von kommenden Herausforderungen geworden und somit auch in der antizipativen Bewältigung dieser Herausforderungen. Ich habe noch einmal dazu gelernt, meine Gedanken zu steuern, Vorhaben in reales Handeln umzusetzen, sich nicht lange mit Herumgrübeln aufzuhalten, sondern einfach zu tun – und das mit einem vorher nie gekannten Selbstbewusstsein.
Private Flanke
Und privat? Wie sieht das dort aus? Bevor ich das weiter ausführe erst einmal einen großen Dank an meine Frau Frauke, die von dieser Idee nicht unbedingt begeistert war, aber mich letztendlich vorbehaltlos unterstützt hat. Ich weiß, Süße, ich habe dich manchmal über die Maßen hinaus damit strapaziert, weil mein Ziel, eben nicht dein Ziel war – deswegen auch hier in der Öffentlichkeit einen großen „Kniefall“. Ich weiß, es fielen Berge von verschwitzter Wäsche an! Mein Flüssigkeitskonsum ist signifikant gestiegen! Ich werde niemals den Sommerabend vergessen, an dem ich erst gegen 21 Uhr nach Hause kam und völlig erschöpft in das Sofa auf dem Balkon gefallen bin und du mich gefragt hast, ob ich denn schon gelaufen sei? Und ich sage: „Nein – und ich glaube heute endet der Streak“. Und du nichts Besseres zu tun hattest, als dir deine Laufklamotten anzuziehen, mich aus dem Sofa gezogen hast und mit dann mir die drei Kilometer gelaufen bist (Mehr dazu in Folge: https://www.die-sportpsychologen.de/2018/07/02/prof-dr-oliver-stoll-krisenmonat-juni-streakrunning-serie-teil-7/). Es gibt einfach keine bessere Methode des „Stress-Pufferns“ als soziale Unterstützung – manchmal ist es eher die emotionale; und manchmal ist es eben mehr die instrumentelle soziale Unterstützung – Hauptsache sie ist da, die soziale Unterstützung, denn ohne die wird es verdammt schwer! Die Läufe zusammen mit Frauke waren selbstverständlich die ganz „besonderen Läufe“, auch wenn die nicht ganz so häufig waren, wie in der Vergangenheit, oder ich leide unter „Wahrnehmungsverzerrung“, weil ich ja nun jeden Tag gelaufen bin, anders als in den Jahren zuvor. So oder so – wenn beim Streak-Running das familiäre Umfeld nicht „mitspielt“, wird es früher oder später zu Problemen kommen. Das war bei uns manchmal, aber nicht oft der Fall und es endete, wenn überhaupt, letztendlich immer sehr konstruktiv.
Ich war natürlich viel öfter alleine unterwegs. Und auch diese Einsamkeit hat eine ganz gewissen Zauber. Unsere Natur ist so wunderschön und hat so wahnsinnig viel zu bieten. Egal, wo auf der Welt, und zu welcher Jahreszeit. Kleinigkeiten drängen in deine Wahrnehmung – der Schnee im Winter, der sich langsam niederlässt und alles leiser werden lässt. Die Frühlingssonne, die morgens um sechs Uhr aufgeht und deren Wucht dir den Atem verschlägt. Der heiße Sommertag, der dich während des Laufens in den See springen lässt und du minutenlang am Ufer liegst und die Kühle der abperlenden Wassertropfen spüren kannst. Die schwebenden Blätter im Herbst, die den Wald in allen Farben glänzen lässt. Jeder Tag da draußen bietet dir eine Neuigkeit! Laufen ist für mich Lebensqualität pur! Ich bin der Natur eindeutig näher gekommen und habe mich zunehmend von unnötiger Technik befreit. Ich bin früher immer mal wieder mit Uhr gelaufen – das mache ich nicht mehr, weil es mich nicht mehr interessiert. Der ganze Technik-Tam-Tam geht mittlerweile völlig an mir vorbei. Frauke und ich sind früher auch viel öfter an Wettkämpfen gestartet. Auch das hat nachgelassen – eigentlich waren wir im Jahr 2018 nur an zwei Wettkämpfen dabei und da spielte auch das Ergebnis eigentlich keine Rolle. Laufen ist Laufen – mit oder ohne Uhr, mit oder ohne High-Tech-Equipment.
Leid der Läufer
„Jetzt stehe ich hier, ich armer Tor……“. Was bleibt nun noch übrig in Sachen „Erkenntnis“? Warum laufen Läufer? Ich nutze jetzt mal den Begriff „Wir“, auch wenn sich diese Erkenntnis lediglich auf meine Erfahrung bezieht. Nein, wir sind nicht süchtig! Wir kompensieren keine Minderwertigkeitskomplexe. Wir kompensieren auch sonst nichts. Wir laufen nicht aus einem unkontrollierbaren Impuls heraus. Nein, wir leiden auch nicht darunter, laufen zu müssen. Wir laufen eben, weil wir es lieben. Wir laufen, weil es unsere ganz große Leidenschaft ist und weil uns das Laufen viel mehr zurück gibt, als wir investieren müssen. Wir sind beim Laufen ganz oft ganz nah bei uns selbst, wir verspüren Lust beim Laufen, wir vergessen Zeit und Raum um uns und genießen den Zustand, der uns dahinfließen lässt – nicht immer, aber doch immer öfter, und wenn das nicht passiert, dann beschäftigen wir uns mit der Welt um uns herum oder denken nach, spielen mit Gedanken und Bildern, hören dem Rhythmus unseres Herzen und unserer Atmung zu oder quatschen miteinander, wenn wir gemeinsam unterwegs sind und teilen unsere gemeinsamen Erlebnisse.
Fehlt mir etwas, wenn ich nicht laufen könnte (Stichwort: Entzugsprobleme)? Definitiv ja! Laufen ist ein integraler Bestandteil meiner Persönlichkeit (vielleicht wirklich erst in diesem Jahr „geworden“). Nennt es meinetwegen Entzugssymptome, aber jeder gut ausgebildete Psychotherapeut weiß, dass es zu einer Suchtdiagnose sehr viel mehr braucht, als lediglich die Erfüllung eines von mindestens fünf weiteren Kriterien. Und die wichtigste davon ist der Leidensdruck. Wir Läufer leiden nicht darunter zu laufen, wir lieben es!
Laufen als Basis der Identität
Ich weiß, was Euch jetzt noch interessiert. Ihr wollt wissen, ob ich weiter mache? Kann ich Euch nicht sagen. Kann sein, aber eben nicht auf Ansage oder auf Zwang! Ich laufe, wenn ich es möchte und wenn mein Bedürfnis danach ist. Und wenn es jeden weiteren Tag nach heute ist, dann ist es so und wenn nicht, dann eben nicht. Ich bin gerade in Tirol in Thiersee und ich habe eine Winterzauber-Welt vor mir. Ich wäre ja bekloppt, wenn ich das nicht ausnutzen würde. Und das Leben eines Bewegungs-Passionisten kann auch aus mehr bestehen, als nur aus Laufen, auch wenn dies für mich die Grundlage, die Basis meiner Identität geworden ist. Aber vielleicht kommt auch mal so ein anstrengender Sommertag mit „erst 21 Uhr nach Hause kommen“ und meine Frauke und ich sitzen auf dem Balkon und wir belassen es einfach dabei – und genießen ein Glas mit kühlem und fruchtigen Weißwein. Und dann… am nächsten Tag, gehen wir laufen.
Ein paar Worte noch ganz zum Schluss. Dieser Blog ist jedoch der Abschluss der Serie, die ich mit Mathias Liebing (Link), dem Journalisten, der unser Netzwerk Die Sportpsychologen betreut, vereinbart habe. Danke Mathias, für deine wertvolle Unterstützung, die mir beim Schreiben und redigieren der Texte sehr geholfen hat! Danke auch an Euch Leserinnen und Leser. Ich habe viele Rückmeldungen, Fragen und Kommentare zu meinen Blogs bekommen, die ich alle sehr ernst genommen habe, unabhängig davon, ob sie mir gefallen haben oder nicht. Es war eben nicht nur läuferisch ein Experiment, sondern auch journalistisch. Ich höre weder auf mit Laufen, noch mit dem Schreiben darüber. Vorläufig aber nicht mehr in diesem Format. Lassen wir uns überraschen!
Robin Köhler hat bei “Die rote Couch – Das Sportpsychologie-Barcamp” im Juni 2018 in Bochum auf sich aufmerksam gemacht. Der Student der Universität Paderborn, der selbst Handball auf Leistungssportniveau gespielt hat, war bei unserem Event trotz seines junges Alters einer der aktivsten Teilnehmer. Entstanden ist damals eine Idee, dass Profilinhaber, Freunde und Gäste des Netzwerks ausgewählte Bücher empfehlen.
Zum Thema: Buchrezensionen von Robin Köhler
Die von mir ausgewählten Bücher verfolgen unterschiedliche Ansätze. Während „Der Pfad des friedvollen Kriegers“ von Dan Millman eine geschichtliche Erzählung ist und den interessierten Leser sicherlich schnell in seinen Bann ziehen wird, kann „The Champions Mind – How Great Athletes Think, Train and Thrive“ von Jim Afremow und „Sportpsychologie im Nachwuchsfußball“ von Jan Mayer und Hans-Dieter Hermann eher fachlich und mit vielen praktischen Beispielen punkten. Dabei strotzt gerade Afremow’s Buch nur so vor Geschichten um beziehungsweise mit Spitzensportlern und seiner sportpsychologischen Arbeit. Wie auch immer – alle Bücher kann ich herzenswarm empfehlen.
Dan Millman:Der Plan des friedvollen Kriegers
Dan Millman’s „Der Pfad des friedvollen Kriegers“ ist ein autobiographisch geschriebenes Buch. Als junger Turner, der an seiner Uni als zukünftige Olympiahoffnung gilt, dreht sich für die Hauptperson alles um Erfolg: Seien es Medaillen, Frauen oder Alkohol. Alles ist ausgerichtet auf Anerkennung. Es ist ein Leben, in dem es an nichts zu fehlen scheint. Eines Nachts macht er die Begegnung mit „Sokrates“. Dieser Mann wird für Millman eine Art Mentor der besonderen Art und er nimmt ihn mit ungewöhnlichen Methoden, die unter anderem an das asiatische Mönchtum erinnern, unter seine Fittiche. Häufig zweifelt Millman an der Wirksamkeit dieser Beziehung, nachdem er sich ausschließlich auf den Sport konzentrieren soll und allen Verlockungen aus dem Weg gehen soll. Seinen Höhepunkt findet die Beziehung beider nach einem tragischen Motorradunfall Millman’s, bei dem er sich schwer verletzt und die Ärzte ihm sagen, dass er nie wieder Gehen – geschweige denn Turnen – können würde.
Dank Sokrates gelingt es Millman, sich zurück zu kämpfen und trotz einiger Widrigkeiten tatsächlich bei Olympia zu starten. Ob Sokrates wirklich existiert oder ob es nur eine Art eigenes mentales Training ist, kann jeder Leser nach der Lektüre des Buches selbst entscheiden. Sicher ist nur, dass Sokrates Weisheiten auch in der modernen Sportpsychologie Anwendung finden können. Sokrates‘ wichtigster Ratschlag „The time is now“ kann dazu verhelfen, sportliche Höchstleistungen auf den Punkt zu bringen und mit den alltäglichen Schwierigkeiten umzugehen. Nichtdestotrotz werden in dieser geschichtlichen Erzählung, die gut zu lesen ist, viele weitere interessante Ansätze zu finden sein, die in der Arbeit gerade mit jungen Sportlern zum Erfolg führen können.
Jim Afremow: The Champions Mind – How Great Athletes Think, Train and Thrive
Das Buch „The Champions Mind – How Great Athletes Think, Train and Thrive“ von Jim Afremow, einem Mentaltrainer und Berater, der eine feste Größe im amerikanischen Profisport ist, handelt darüber, wie Leistungssportler ihr volles Potenzial ausschöpfen können. In seinem Buch werden sehr viele unterschiedliche Themen behandelt, von der Macht der eigenen Gedanken über Ernährung und Regeneration bis zum Schlaf. Das Buch selbst ist bisher nur auf Englisch verfügbar, allerdings ist es gut verständlich geschrieben und immer in kurze Abschnitte mit klaren Überschriften eingeteilt. Diese Abschnitte kombinieren Alfremov’s Überzeugungen und sportpsychologische Techniken, die er selbst mit seinen Klienten angewandt hat. Daher hat dieses Buch auch einen hohen praktischen Stellenwert und die meisten Techniken können vom Lesenden sofort auf eigene Klienten übertragen werden.
Am beeindruckendsten für mich war jedoch das achte Kapitel „Golden Reflections“. In diesem Abschnitt schildern ehemalige Klienten, darunter etliche Goldmedaillengewinner bei Olympia, ihre persönliche Sichtweise auf ihren Erfolg und die Arbeit mit sportpsychologischen Methoden. Gerade angehende, aber mit Sicherheit auch erfahrene Sportpsychologen, können hier aus den sehr praxisnahen Erzählungen einiges für ihre zukünftige Arbeit mit Athleten mitnehmen.
Jan Mayer und Hans-Dieter Hermann:Sportpsychologie im Nachwuchsfußball
Das dritte Buch im Bunde, welches ich zum Beispiels als perfekte Urlaubslektüre empfehlen kann, heißt „Sportpsychologie im Nachwuchsfußball“. Geschrieben wurde es von Jan Mayer und Hans Dieter Hermann. Beide werden den sportpsychologieinteressierten Menschen in Deutschland ein Begriff sein, können sie doch getrost durch ihre Arbeit beim DFB und DOSB als wichtige Wegbereiter der Sportpsychologie in Deutschland bezeichnet werden. Auf knapp 100 Seiten werden die jungen Sportler in den Grundlagen-, Aufbau- und Leistungsbereich unterteilt (von F- bis A-Junioren). Als Einführung jedoch werden Inhalte eines sportpsychologischen Trainings erläutert, um gewisse Grundlagen zu legen. Es werden unter anderem Begriffe wie Kompetenzerwartung sowie Aktivierungs- und Emotionsregulierung erläutert. Im weiteren Aufbau des Buches finden sich jede Menge praktischer Übungen, welche zum Teil auch direkt beim nächsten Training umgesetzt werden können und einen hohen auffordernden Charakter aufweisen. Die Schwierigkeit der Übungen ist an das jeweilige Alter der Fußballer angepasst und wirkt leicht verständlich und gut umsetzbar. Auch ist zu beobachten, dass jeder Bereich andere Kernkompetenzen als Ziel hat. So muss ein Kind, welches gerade mit dem Fußball anfängt, anders an die Sportart herangeführt werden, als ein junger Erwachsener, welcher während der Pubertät in einer Art Selbstfindung steckt und vielen anderen Verlockungen den Rücken zudrehen muss, wenn er das Ziel einer erfolgreichen Fußballkarriere verwirklichen möchte.
Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass das Buch einen guten ersten Überblick über das Trainieren mentaler Fertigkeiten gibt und Trainer als auch Spieler einige Ratschläge aus diesem ziehen können. Auch wenn das Buch vom Deutschen-Fußball-Bund herausgegeben wurde, kann es auch für andere Sportarten reichlich Handlungsempfehlungen bieten.
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Wenn ich meine zahlreichen Interviews mit Medienvertretern in den vergangenen rund 30 Jahren hinsichtlich wiederkehrend nachgefragten Themen durchforste, stehen vor allem zwei Aspekte im Fokus: Was genau macht ein Sportpsychologe und wo findet diese Arbeit im Spitzensport statt? Während die Sportjournalisten nach praxisnahen Fallbeschreibungen mit konkreten und personalisierten Beispielen spechten, muss sich der Sportpsychologe an die berufsethischen Richtlinien halten, die insbesondere seine Schweigepflicht und die Wahrung der Intimsphäre des Athleten tangieren. Welche psychoedukativ-kreativen Möglichkeiten im Umgang mit den Medien vermehrt genutzt werden könnten, beschreibt das folgende Praxisbeispiel.
Zum Thema:Öffentlichkeitsarbeit und Berufsethik
Vertraulichkeit gilt als oberstes Gebot in der Arbeit von Psychologen. Diese impliziert ein hohes Mass an Verschwiegenheit – insbesondere gegenüber einer medialen Öffentlichkeit. Die europäische Vereinigung der Psychologie-Verbände (EFPA) postulieren in ihren Media-Richtlinien (siehe Quellen) einen sorgsamen Umgang mit eigenen Erfahrungen und Fachexpertise in der Öffentlichkeit.
TV, Radio, Internet und Printmedien sind zu wichtigen Quellen von Wissen, Meinungen und Macht geworden. Durch den Einsatz der Medien sollen Psychologen ihr Wissen verbreiten und sich bemühen, zum Wohl der Menschen beizutragen. In den besagten Richtlinien werden u.a. folgende Zielsetzungen eines medialen Auftritts der (Sport-)Psychologie genannt:
Austausch von Informationen über verschiedene Bereiche der Psychologie, Forschung und Dienstleistungen;
Darlegungen zu Inhalten und Zugänglichkeiten psychologische Dienstleistungen;
Verdeutlichung psychologischer Herausforderungen im Umgang mit den Medien;
Psychoedukative Hilfestellung für zukünftige Nutzer fachpsychologischer Dienstleistungen
Unterstützung von Empowerment-Aktivitäten.
Skispringen hautnah erlebt – die StudentInnen erleben erstmals auch den Sound des Skispringens! (Bild: zvg, Philipp Schmidli)
Prolog: Exkursion in die Welt des Spitzensports – Weltcup-Skispringen in Engelberg
Seit 20 Jahren unterrichte ich an der ETH Zürich das Fach „Sportpsychologie“. In diesen Zeitraum fällt auch meine langjährige Tätigkeit als sportpsychologischer Betreuer der Schweizer Skispringer. Die Angwandte Sportpsychologie ist eines der Kernthemen meiner Vorlesung und am Beispiel „Skispringen“ versuche ich den Studierenden Praxis, Inhalte und Vorgehen eines angewandten Sportpsychologen näher zu bringen. Seit jeher bildet die Exkursion zum Weltcup-Skispringen in Engelberg kurz vor Weihnachten Höhepunkt und Abschluss der Veranstaltung. Dieses Jahr kontaktierte mich der Veranstalter mit der Bitte, unseren ETH-Besuch in Engelberg auch medial zu beleuchten. Die Idee: Ein Journalist der Luzerner Zeitung sollte uns auf Schritt und Tritt begleiten und das Thema „Sportpsychologie“ in Wort und Bild der Leserschaft vorstellen. Vorgängig zum Event führte der beauftragte Journalist Martin Uebelhart ein kurzes Text-Interview mit mir, welches als Basisinformation in sein Feature einfliessen sollte. Der Wortlaut dieses Interviews ist untenstehend wiedergegeben – der schliesslich in der Luzerner Zeitung veröffentlichte Beitrag findet sich auch online unter:
Martin Uebelhart (MU) Warum gehen Sie mit Ihren Studierenden ans Skispringen nach Engelberg?
Hanspeter Gubelmann (HG): Es sind Studierende im Fach Sportpsychologie, welches ich an der ETHZ im Herbstsemester unterrichte. Es handelt sich dabei um eine Einführungsveranstaltung, die ausgewählte Themen diese Arbeitsfeldes der Psychologie behandelt. Angewandte Sportpsychologie im Spitzensport ist eines dieser Themen. Die Studierenden sollen im Rahmen dieser Feldexkursion quasi „in vivo“ erleben, was Spitzensportler – „dann wenn’s zählt“ – leisten.
Was schauen Sie sich dabei an?
Es geht vor allem auch um einen Blick „hinter die Kulissen“. Im Rahmen einer geführten Schanzenbegehung bekommen die Studierenden z.B. einen intimen Einblick in die Welt des Skispringens. Nirgends sonst ist dieser hautnahe Kontakt mit der Schanze, den Trainern und Athleten auf diese Art möglich als hier in Engelberg. Der im Theoriesaal dozierte Unterrichtsstoff wird hier quasi lebendig.
Positive Emotionen: die Exkursion nach Engelberg folgt auch erlebnispädagogischen Konzepten. (Bild: zvg, Philipp Schmidli)
Haben Sie auch Kontakt mit den Skispringern?
Ja, das ist auch geplant – aber natürlich nur in Situationen – in welchen die Athleten ansprechbar sind. In den letzten Jahren war es z.B. immer möglich, im Anschluss an die Wettkampf-Pressekonferenz einen der Podestspringer zu interviewen. Zudem wird Andreas Küttel kurz vorbeischauen. Andreas war vor 15 Jahren auch Absolvent des Lehrdiploms Sport an der ETH Zürich und kennt den Inhalt dieser Veranstaltung auch aus Sicht des damaligen Studenten!
Was ist das besondere bei der Sportpsychologie?
Die mentale Stärke ist eine Hauptvoraussetzung, um im Spitzensport im entscheidenden Moment ein Optimum an Leistung zu erzielen. Optimales Training schafft die Grundlage zum Erfolg, inwiefern diese im Wettkampf erfolgreich umgesetzt wird, darüber entscheidet die psychische Verfassung des Athleten. Die angewandte Sportpsychologie kennt Mittel und Wege, wie diese erreicht werden soll. Diese mentale Leistungsoptimierung ist eines von zahlreichen Themen der Sportpsychologie
Können Sie ein paar Beispiele machen?
Ich war 15 Jahre sportpsychologischer Betreuer der Schweizer Skispringer und habe noch heute Kontakt zum Team. Ein grosser Unterschied zwischen Training und Wettkampf liegt unter anderem darin, dass die Aktivierung im Training, z.B. gemessen an der Herzfrequenz, um bis zu 50 Schläge tiefer liegt als im Wettkampf. Diese hohe Aktivierung in Verbindung mit übersteigerter Nervosität kann im Wettkampf zu drastischen Leistungseinbrüchen führen. Der tausendfach geübte Handlungsablauf muss unter dieser hohen mentalen Belastung sprichwörtlich auf den Punkt – beim Absprung – passen.
Ohne gross auf einzelne Skispringer einzugehen, wo oder womit können Sie sie unterstützen?
Jeder Skispringer bringt ein individuelles Set an mentalen Fähigkeiten und Fertigkeiten mit. Visualisieren hilft zum Beispiel sehr gut im Techniktraining. Jeder Springer geht in der Sprungvorbereitung nochmals seine Checkliste mit geschlossenen Augen durch. Vielleicht hat er im Vorfeld lernen müssen, mit negativen Gedanken besser umzugehen oder sich vom Konkurrenten nicht mehr ablenken zu lassen. Hier helfen Trainingsformen der Gedanken- und Aufmerksamkeitsregulation.
Ist Skispringen eine Sportart, in der Sportpsychologie besonders gebraucht wird, oder kommt es auf die Sportart nicht an?
Jede Sportart zeichnet sich durch ein spezifisches psychologisches Anforderungsprofil aus. Was ein Skispringer zur perfekten Ausübung dieser „Sekundensportart“ benötigt, nützt dem Marathonläufer herzlich wenig. In diesem Sinne ist der Gebrauch der Sportpsychologie im Skispringen tatsächlich besonders – nämlich genau diesen Besonderheiten entsprechend. Die Bedeutung lässt sich leicht an den Aussagen der Athleten bemessen, die einen sehr hohen Prozentsatz eines geglückten Sprungs der Psyche zuschreiben!
Der Drittplatzierte im 1. Weltcup-Skispringens Daniel Huber (AUT) stellt sich den Fragen der StudentInnen (Bild: hpg)
Epilog: Take home messages für angewandte SportpsychologInnen:
Mit Blick auf das Thema – Sportpsychologie goes public – und den im Rahmen des dargestellten Engelberg-Beispiels gemachten Erfahrungen möchte ich zusammenfassend folgende Leitideen für unseren Fachbereich postulieren:
Persönliche Ausseinandersetzung mit den geltenden EFPA-Richtlinien – Board of Ethics 2011: Guidelines für psychologists who contribute to the media;
Proaktive Zusammenarbeit mit Medienpartnern und Entwicklung eines Netzwerks mit kompetenten Medienfachleuten;
Notwendigkeit einer (individuellen) Schulung und Vertiefung im Medienbereich für Angewandte SportpsychologInnen;
Entwicklung passender „Praxis-Schaufenster“ (siehe Beispiel) in Verbindung mit langjährigen Projekten/Arbeitsaufträgen.