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Kommentar von Dr. René Paasch: Kroos Initialzündung

Was für Emotionen auf und neben dem Platz nach dem Siegtor für Deutschland! Es waren Szenen, die der Zuschauer von der DFB-Elf nicht kannte. Unmittelbar nach Abpfiff des emotionalen 2:1-Sieges von Deutschland gegen Schweden am Samstagabend provozierten DFB-Betreuer die Trainer und Spieler auf der schwedischen Bank. Es kam zu einem Handgemenge neben dem Platz. Aber auch beim Public Viewing sahen wir große Emotionen. Ein spannendes Spiel mit einer Wahnsinns-Einschaltquote: 27,48 Mio. Fußball-Fans sahen am Samstagabend die Partie zwischen Deutschland und Schweden und feierten ausgelassen, unabhängig von der Nationalität, auf den deutschen Straßen. Für mich das klare Zeichen: #Zsmmn – Zusammenhalt.

Zum Thema: Was sollte das DFB-Team jetzt berücksichtigen, um sportliche Ziele Ihrer Spieler und Mannschaft zu erreichen?

Wichtig ist aus meiner Sicht, dass nun das Mannschaftsziel im Vordergrund steht. Dass heißt auch: Die individuellen Ziele der Teammitglieder müssten im Einzelfall dahingehend angepasst werden.

Selbstkonkordanz – Im Zusammenspiel von äußeren und inneren Einflüssen

Die Mannschaft und jeder Einzelne Spieler versucht jetzt bessere Leistungen oder Ziele im Training und Wettkampf zu erreichen (Einstellung, Wille, Motivation u.v.m.). Hierfür können zwei unterschiedliche Anlässe verantwortlich sein. Äußere und innere Einflüsse. Das Zusammenspiel zwischen inneren und äußeren Einflüssen drückt sich in der Selbstkonkordanz (Sheldon und Elliot, 1999) aus. Mit diesem Fachbegriff sind die Merkmale gemeint, die sich mit der formulierten Absicht verbinden. So lassen sich also Absichten hinsichtlich ihrer Selbstkonkordanz unterscheiden und die Höhe gibt Auskunft darüber, wie sehr eine gefasste Absicht den eigenen Interessen und Wertvorstellungen eines Spielers bzw. Mannschaft entspricht. Diese Fragestellung ist für unsere deutsche Nationalmannschaft zum jetzigen Zeitpunkt sehr wichtig. Näheres dazu: http://www.die-sportpsychologen.de/2017/03/20/dr-rene-paasch-ziele-und-motivation/.

„Rosenthal-Effekt/Pygmalion-Effekt, 1963“ – Sportliche Konkurrenz als Leistungsmotor

Aber auch der gesunde Konkurrenzkampf und das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit sind sehr wichtig. Gerade jetzt ist die gemeinsame Freude über einen Erfolg und die Entwicklung von Mannschaftskollegen sehr wichtig „Rosenthal-Effekt/Pygmalion-Effekt, 1963“. Solange alle Spieler die Konkurrenzsituation sportlich nehmen und sich an Fair-Play-Regeln halten, kann ein Konkurrenzkampf beflügeln und Wachstum hervorbringen. Näheres dazu: http://www.die-sportpsychologen.de/2017/09/19/dr-rene-paasch-richtiger-konkurrenzkampf/

„Führung und Teamentwicklung“ – Verlässlichkeit, Respekt, Vertrauen

Trotz allem sollten wir das Große und Ganze nicht aus den Augen verlieren. Aus meiner Sicht ist die für mich der Aufgabenschwerpunkt „Führung und Teamentwicklung“. Diesbezüglich sprach sich Joachim Löw, Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft in einem Interview wie folgt aus: “Ein respektvolles, vertrauensvolles Miteinander in unserem Team ist mir sehr wichtig, Verlässlichkeit und Vertrauen sind in diesem Zusammenhang wesentliche Faktoren. Offene Kommunikation auf Augenhöhe, Kritikfähigkeit, Transparenz und Toleranz, das haben wir vorgelebt, aber es dauert eine Weile, bis so etwas von allen, den Spielern und auch den Betreuern, verinnerlicht wird. Bis alle einander vertrauen“ (vgl. Zeit vom 31.05.2012). Genau in dieser Kernaussage von Joachim Löw liegen die notwendigen Prozesse der kontinuierlichen Teamentwicklung und Führung. Näheres dazu: http://www.die-sportpsychologen.de/2015/06/19/dr-rene-paasch-fuehrung-und-teamentwicklung-im-fussball/

Kurzum: Die deutsche Mannschaft hat gegen Schweden mit Einsatz, Können und (in Person von Toni Kroos) Mut einen sehr wichtigen Sieg gefeiert. Der Erfolg könnte die Weichenstellung für einen sehr guten Turnierverlauf darstellen, wenn alle Beteiligten weiterhin dem Hashtag #Zsmmn ein Gesicht geben.

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Kommentar von Markus Gretz: Kein Platz für Politik im Stadion?

Durch mein Auslandsschuljahr im Jahr 2005 in Kroatien konnte ich den leider immer noch schwelenden Konflikt im ehemaligen Jugoslawien hautnah miterleben. Der Bürgerkrieg zwischen den Volksgruppen in der Balkan-Region spaltete nicht nur ein Land, sondern brachte auch große emotionale Konflikte und Vorurteile hervor. Als am Freitagabend Serbien gegen die Schweiz spielte, war einer dieser Konflikte im Stadion deutlich zu spüren. Da bei der Schweiz, unter anderem mit Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri, Spieler mit kosovarischen Wurzeln spielen, hatten die serbischen Fans schnell diese zentralen Akteure als Feindbilder ausgemacht. Bei jedem Ballbesitz wurden die beiden Spieler, deren Familien während des Bürgerkriegs in die Schweiz geflüchtet waren, von den serbischen Fans ausgepfiffen.

Zum Profil von Markus Gretz: http://www.die-sportpsychologen.de/markus-gretz/

Für die Spieler ist so eine Situation eine große Herausforderung. Die Pfiffe und Beschimpfungen von den Rängen können die Aufmerksamkeit des Sportlers einnehmen und ihn so sehr beschäftigen, dass er seine Leistung auf dem Feld nicht mehr abrufen kann. Dabei spielen Emotionen eine große Rolle. Negative Emotionen wie Ärger, Wut und Trauer sind oft mit Gedankenkreisen verbunden. Dabei werden Bilder und Geschichten ins Bewusstsein getragen, die mit diesen Emotionen verknüpft sind. Die Aufmerksamkeit wird also weg vom Spiel auf eine emotionale und politische Ebene getragen und der Spieler kann Schwierigkeiten bekommen seine Aufgabe auf dem Feld zu erfüllen.

Mit Emotionen zur Höchstleistung

Als gut vorbereiteter Spieler kann man so eine emotionale Stimmung aber auch für sich nutzen. Wie ich vor kurzem im Blog #mitleibundseele (Link zum Text) geschrieben habe, können Emotionen auch Antrieb für Höchstleistungen sein. Die beiden Spieler Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri scheinen dies hervorragend genutzt zu haben. Beide Spieler konnten im Spiel gegen Serbien ein Tor erzielen und sicherten somit den 2:1 Comeback-Sieg für die Schweiz. Für die Spieler war es aber vermutlich eher ein Sieg gegen Serbien und vielleicht sogar für ihre zweite Heimat, den Kosovo. Sie feierten die Tore mit der Geste des albanischen doppelköpfigen Adlers vor den serbischen Fans und Granit Xhaka postete im Anschluss auf Instagram sinngemäß, dass er das Tor als Kosovar geschossen hat. Die beiden Spieler scheinen die negativen Emotionen als Motivation genutzt zu haben und haben so zusätzlichen Antrieb gewonnen.

Die politische Geste der Spieler sowie die Pfiffe der Fans sind allerdings meiner Meinung nach absolut unangemessen und haben im Sport nichts zu suchen, wie auch die Pfiffe der deutschen Fans gegen Mesut Özil und Ilkay Gündogan nicht ins Stadion gehören. Eine sportliche Begegnung sollte meiner Meinung nach frei von politischen Konflikten und ein Beispiel für fairen und respektvollen Umgang untereinander sein.

 

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Feature: Nur nicht die Kontrolle verlieren

Wenn Deutschland bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland das zweite Gruppenspiel gegen Schweden verliert, würde das Team von Joachim Löw Geschichte schreiben: Noch nie ist eine deutsche Mannschaft in der Vorrunde ausgeschieden. Vor dieser Drohkulisse könnten manch andere Themen in den Hintergrund geraten – aber nicht mit uns! Wir haben den drohenden Kontrollverlust auf die Agenda geschrieben. Denn der droht nicht Mesut Özil, Ilkay Gündogan, sondern auch vielen Abwehrspielern und allen Akteuren, die in Wolgograd auflaufen. Aber der Reihe nach.

Worst-Case-Szenario – Wenn Zehntausende Özil und Gündogan auspfeifen

Wollen wir mal ein bisschen Schwarzmalen? Dann halten die über die politische Binnenlage in Deutschland ordentlich informierten schwedischen Fans zum zweiten WM-Gruppenspiel kräftig den Finger in die Wunde. Bei jedem Ballkontakt von Mesut Özil und/oder Ilkay Gündogan – es gebe reichlich sportliche Gründe, beide zu bringen – schallen gellende Pfiffe durch das Olympiastadion von Sotschi. So laut, dass Mesut Özil sie selbst dann noch hören könnte, würde er seine Kopfhörer tragen.

Aber wir von Die Sportpsychologen kommen ja lieber von der konstruktiven Flanke und gehen davon aus, dass beide Nationalspieler gut auf alles Erdenkliche vorbereitet sind beziehungsweise sich haben vorbereitet lassen. Denn es gibt Strategien, die auch in Extremsituationen greifen. Extremsituationen wie sie nicht nur Özil, Gündogan, sondern auch Timo Werner (#Schwalbe) kennengelernt haben, und die auch Spielern von Babelsberg 03 beim Auswärtsauftritt in Cottbus oder den Kickern zweier rivalisierender Nachbardorfvereine nicht fremd sind. Dr. René Paasch (zum Profil), unser Mann für allgemeine Extreme, erklärt:

“Gut anwendbar ist die kognitive Umstrukturierung. Sie zielt darauf ab, belastende Denkmuster aufzudecken, umzustrukturieren und problembezogene Lösungsansätze anzuschließen. Ellis hat dazu die Rational-Emotive Therapie entwickelt:

A (Activating event/experiences) – auslösendes Ereignis, das ein äußeres Ereignis sein kann, wie die öffentlichen Beleidigungen gegenüber Özil und Gündogan

B (Beliefs) – Bewertung in Form eines irrationalen Denkmusters, „Meine Herkunft und politische Ausrichtung führt zu dauerhaften Pfiffen in den Stadien und mindert die Leistungsfähigkeit unserer Mannschaft.“

C (Consequences) – Konsequenz in Form negativer Gefühle, wie fehlende Körpersprache, Einsatzwille,  Niedergeschlagenheit, Wut und schlechte Leistungen.”

Richtig effektiv und praxisrelevant wird die Anwendung durch eine Erweiterung, weiß Paasch. Unser Profilinhaber aus Essen hofft in diesem Zusammenhang, dass die Betroffenen hinter den Kulissen ausreichend offen sind und sich die verfügbare Hilfe, die der DFB mit dem Teampsychologen Dr. Hans-Dieter Hermann bietet, organisiert haben:

“Ellis hat seinem Modell die Interventionspunkte D (Dispute) und E (Effect) hinzugefügt. D steht für das Hinterfragen der Bewertung und E für das Erleben neuer positiver Erfahrungen. Wenn sich Özil und Gündogan ihrer ungünstigen Bewertung (B) bewusst werden, können sie diese hinterfragen (D) und neue Erfahrungen (E) machen. In einem offenen Gespräch mit den beiden Sportlern, werden die Annahmen auf ihre Logik und ihren Realitätsbezug hinterfragt – mit dem Ziel, einen Perspektivwechsel und die Selbsterkenntnis zu fördern.”

Mit einem Aufmerksamkeitsplan gegen Hass und Idiotie

Richtig froh sind wir von Die Sportpsychologen, dass sich so manches Worst-Case-Szenario bei der Fußball-WM bislang noch nicht eingestellt hat. Vor dem WM waren allen voran bei den Länderspielen der Russen immer wieder Affenlaute gegen gegnerische Spieler mit dunkler Hautfarbe zu vernehmen. Während der WM-Endrunde sind uns solche verbalen Gewaltattacken noch nicht zu Ohren gekommen.

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Für alle diejenigen Sportler, die eine solche Extremsituation irgendwo auf der Welt erfahren und die Kontrolle behalten wollen, gibt es ebenfalls Abhilfe. Markus Gretz berichtet davon, dass betroffene Sportler in solchen Situationen starke negative Emotionen wie Wut, Trauer und sogar Aggressionen spüren. Diese können die Aufmerksamkeit weg vom Spiel lenken und somit auch die sportliche Leistung beeinträchtigen. Markus Gretz (zum Profil):

“Spieler sollten sich auf solche Situationen vorbereiten und einen Aufmerksamkeitsplan erarbeiten. Dabei überlegt sich ein Spieler genau, was seine Aufgaben auf dem Spielfeld sind und worauf er seine Aufmerksamkeit richten sollte. Der richtige Fokus kann durch eingeübte Rituale oft noch leichter wiedergefunden werden. Es kann außerdem versucht werden, die Energie der negativen Emotionen für sich zu nutzen, indem der Spieler mit einer jetzt-erst-recht-Einstellung weiterspielt. Diese Techniken sind natürlich besonders wirksam, wenn sie vorher schon mehrfach geübt oder zumindest mental trainiert wurden.”

Wie Coolness den Kontrollverlust und sogar Eigentore verhindern kann

Die WM ist bislang auch ein Turnier der Eigentore. Am härtestes traf es vielleicht Aziz Bouhaddouz aus Marokko. Im Auftaktmatch gegen den Iran sorgte er für den 1:0-Siegtreffer. Aber eben auf der falschen Seite… Das Entsetzen war dem Spieler des Zweitligisten FC St. Pauli anzusehen und Johanna Constantini hat mitgelitten. Aber sie weiß auch um viele Strategien, wie Defensivspieler sich optimal auf den Ernstfall vorbereiten können. Einfacher Tipp: Wirklich cool bleiben. Trotz aller Aufregung gehe es darum, dass sich die Spieler auf ihre eigenen Stärken besinnen, um so das Beste aus dem produzierten Adrenalin herausholen zu können. Johanna Constantini (zum Profil):

Johanna Constantini, die-sportpsychologen.at

Meine Kollegen an ich arbeiten stetig an den Ressourcen der AthletInnen. „Mein Stärkekoffer“ oder „Die Ressourcenschale“ sind nur zwei von vielen Übungen in diesem Bereich, die wirklich gut anwendbar sind, wenn die Sportler sich darauf einlassen.”

Hart, härter, Mücken

Aber selbst die Mentalisten unter den Fußball-Profis stehen bei der WM in Russland von einer Mammutaufgabe. Zumindest diejenigen, die in Wolgograd antreten müssen. Rund um den namensgebenden Fluss der WM-Stadt hat sich nämlich eine Mückenplage ausgebreitet, unter der die Spieler offensichtlich leiden. Wir haben mit Jürgen Walter (zum Profil) einen unserer erfahrensten Experten um einen Lösungsvorschlag gebeten:

“Love it, change it or leave it! Die Bedingungen sind für alle Spieler gleich. Vermutlich ist der Torhüter noch am meisten betroffen, denn wenn ein Spieler in Bewegung ist, wird er die Mücken nicht spüren. Ein – auch mental – austrainierter Fußballprofi sollte daher in der Lage sein, alle störenden Außenreize, die nicht direkt seine körperliche Leistungsfähigkeit wie z.B. Temperatur oder Luftfeuchtigkeit beeinflussen, auszublenden und sich dadurch nicht in seiner Leistung beeinflussen lassen. Dazu gehören eben auch Mücken.”

Auch Humor könnte dem Einzelnen ein wenig helfen: „Die mögen mich! Ich bin ein Guter!“ Oder für Cristiano Ronaldo: “Ich bin der Beste. Was wollt ihr bei den anderen?”

Wie Özil und Gündogan selbstständig die Symptome lindern und die Kontrolle zurückerlangen können

Bei all der guten Laune, die Jürgen Walter verbreitet, wollen wir uns zum Schluss aber noch einmal um die deutschen Sorgenkinder Özil und Gündogan kümmern. Ober besser gesagt: Dr. René Paasch wünscht sich, dass unsere Kicker, die sich mit dem unfreiwilligen Fototermin mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in die Nesseln gesetzt haben, vom Trainerstab und den Mitspielern aufgefangen worden sind. Denn positive Bestärkungen und Hilfen können intern effektiv im Sinne des Copings wirken. Dr. René Paasch (zum Profil):

“Bei problemorientiertem Coping zielt das Verhalten auf die Lösung des Problems, bei emotionsorientiertem Coping (Schwarzer, 1993) zielt das Verhalten auf die Linderung der Symptome. Die wichtigsten Hilfsmittel sind die positive Bekräftigung, Hilfestellung, Vereinfachung und eine angstfreie und klare Kommunikation (Bandura, 2006; Baumann, 2015; Boisen, 1975) sowie naive Bewältigungsstrategien, die  den Stress mindern können (Alfermann & Stoll, 2007).“

Näheres dazu: http://www.die-sportpsychologen.de/2017/05/04/dr-rene-paasch-unter-stress-leistung-bringen/.  Ein weiterer wichtiger Punkt, um mit schwierigen Momenten umzugehen, ist die Fürsorge und Empathie des Trainers. Diesbezüglich: http://www.die-sportpsychologen.de/2016/10/12/dr-rene-paasch-empathiefaehigkeit-fuer-trainer/

 

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Feature: Dank der WM zum besseren Kicker werden

Die Fußball-Weltmeisterschaft und ihre umfassende mediale Präsenz kann für ambitionierte Nachwuchsspieler oder Freizeitkicker extrem lehrreich sein. Die Rede ist nicht von den neuesten Trends in Sachen Schuhfarbe oder dem bewussten Treten auf die Füße des Gegners, sondern es geht um die Beobachtung psychologischer Vorgänge auf dem Platz. Hier bietet jedes einzelne WM-Spiel viele Ansätze. Nehmt euch also alle Zeit der Welt…

Zum Thema: Fremdbeobachtung als Schlüssel für psychologische Vorgänge

Viele psychologische Vorgänge laufen unbewusst ab. Die Bewusstmachung dieser Vorgänge ist der erste Schritt, darauf Einfluss zu nehmen. Ein wichtiger Ansatz des sportpsychologischen Trainings ist es, über Selbstbeobachtung zu Selbststeuerung zu kommen.

Ein Beispiel: Durch Beobachtung und Reflexion deines Erlebens und Verhaltens vor und während deiner vergangenen Spiele bekommst du eine Idee davon, wie du drauf sein musst, um deine optimale Leistung abzurufen. Beim nächsten Match versuchst du, die relevanten Bereiche durchzuchecken, um dein aktuelles Aktivierungsniveau zu erkennen: Gedanken – Gefühle – Körper – Verhalten. Bist du im Moment zu relaxt, zu angespannt oder genau richtig aktiviert? Jetzt setzt du Mentaltechniken ein, um dich in den optimalen Zustand zu bringen. Du kannst ein positives Selbstgespräch führen, einen vergangenen Erfolg visualisieren, deine Atmung kontrollieren, dich aufrecht hinstellen, usw.

Fremdbeobachtung mit gezielten Fragestellungen

Das Schwierige dabei: die SELBSTbeobachtung! Wesentlich leichter fällt da schon die FREMDbeobachtung, also das Erleben und Verhalten an anderen Personen zu beobachten. Hier bietet die WM eine super Gelegenheit, psychologische Vorgänge bei Spielern und Trainern aus verschiedenen Ländern, mit unterschiedlichen Teamkulturen, auf höchstem Niveau und unter Druckbedingungen zu beobachten und zu reflektieren. Durch diese Fremdbeobachtung lernst du auch etwas über dich selbst und verstehst dadurch eigene psychologische Vorgänge besser.

Achte beim WM Gucken mal bewusst auf folgende Aspekte und versuche dann, deine Erkenntnisse auf dein eigenes Spiel zu übertragen:

Führung: Wer übernimmt wann Führung? Woran erkennst du das? Was können Mitspieler und Gegner an der Körpersprache ablesen? Wie wird kommuniziert? Woran erkennst du ein gutes Team? Wie zeigt sich “Selbstbewusstsein”? Wie zeigt sich “Präsenz”? Wie zeigt sich “Mentalität”?

Emotionen: Wie werden Emotionen sichtbar? Wann haben Spieler/Trainer ihre Emotionen im Griff und wann nicht? Wann ist es besser keine Emotionen zu zeigen und wann sich von Emotionen leiten zu lassen? Welche Strategien zum Umgang mit Emotionen kannst du beobachten?

Konzentration: Warum sind manche Spieler im Kopf den entscheidenden Tick schneller? Was machen Spieler, um sich nach Fehlern wieder neu zu fokussieren? Welche Rituale und Routinen kannst du vor, während und nach dem Spiel beobachten? Wie helfen sie dabei, eine stabile Leistung abzurufen?

Motivation: Herrscht in einem Team oder einem Spieler die Hoffnung auf Erfolg oder die Furcht vor Misserfolg vor? Woran kannst du das erkennen? Welche Ereignisse während des Spiels beeinflussen die Ausrichtung der Motivation? Wie beeinflusst die Ausrichtung der Motivation ihrerseits wiederum das Verhalten und die Leistung?

Ursachenzuschreibung: Wie gehen Spieler/Trainer mit Siegen/Niederlagen um? Welche Gründe geben sie an? Wer übernimmt Verantwortung und welche Vor- bzw. Nachteile hat es, Verantwortung zu übernehmen? Geben unterschiedliche Spieler innerhalb einer Mannschaft bzw. Spieler und Trainer unterschiedliche Gründe für Erfolg/Misserfolg an? Welche Rolle spielt das für das nächste Match?

Die Beobachtung und Reflexion psychologischer Vorgänge macht dich stärker! Viel Spaß beim bewussten WM Gucken!

Wenn ihr Fragen habt, meine Kollegen (Profilinhaber nach Sportarten) und ich (zum Profil von Dr. Fabio Richlan) stehen gern bereit.

Dr. Fabio Richlan

 

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Dr. Hanspeter Gubelmann: Extremsport und Blaulichteinsätze

In Tagen wie diesen – wenn König Fussball regiert – dringen spannende Hintergrundinformationen zu medial weniger wirksamen Sportarten kaum mehr ans Tageslicht. Da mutet eine Rückblende auf die Patrouille des Glacier (PdG), dem härtesten Tourenskiwettkampf der Welt, geradezu als „Schnee von gestern“ an. Trotzdem, mich schockiert die darin veröffentlichte Kritik eines Experten, der ein dramatisches Sinken des technischen Niveaus der Athleten bemängelt. Heute könne sich an der PdG ein Drittel der Teilnehmer nicht mehr selbständig anseilen. Auch die Unfallstatistik der diesjährigen Austragung spricht Bände: Insgesamt mussten 23 Notfallflüge, fünf Rettungseinsätze mit Ambulanzen und über 300 medizinische Beurteilungen durchgeführt werden.

Zum Thema: Die Sportpsychologie und aussersportliche Arbeitsfelder

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Unsere Expertise, auch in aussersportlichen Handlungsfeldern, wird heute immer häufiger nachgefragt. In einem kürzlich auch online erschienen Interview durfte ich zum Thema „Extremsport“ und zu Zusammenhängen zwischen Extremsport und Blaulichteinsätzen Auskunft geben.

Im Interview wurde ich zur Psyche von Extremsportlern befragt, zu sportlichen, moralischen und ethischen Grenzen und inwiefern sich Sportler durch Sportpsychologen beeinflussen lassen? Thema war auch mein Text “Höher, schneller, tot” (Link zum Beitrag), für den ich viel Kritik einsteckte. Und nicht zuletzt ging es in einem intensiven Gespräch um die sportpsychologische Aspekte bei Blaulichteinsätzen.

Zum kompletten Interview: https://www.blaulicht-iv.ch/magazin/fachartikel/34-blaulicht-ausgabe-3-6-2018/101-patrouille-des-glaciers

Unsere Tätigkeit wird bunter

Mein persönliches Fazit: Fussball wird auch in Zukunft die Agenda der Sportpsychologie prägen, die vielen kleinen Sportarten in Verbindung mit aussersportlichen Tätigkeitsfeldern werden aber unsere Tätigkeit wesentlich bunter gestalten!

Quellen:

https://www.blaulicht-iv.ch/magazin/fachartikel/34-blaulicht-ausgabe-3-6-2018/101-patrouille-des-glaciers

 

Mehr zum Thema:

Dr. Hanspeter Gubelmann: Höher, schneller, tot

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Thorsten Loch: Sportpsychologe, der Multi-Leistungssportler

Kürzlich fand unser zweites Barcamp „Die rote Couch“ im Bochumer Ruhrstadion statt. Thematik? Natürlich des Deutschen liebstes Hobby: Fussball. Mit von der Partie waren eine Menge von sehr interessanter und engagierter Menschen. Sportpsychologen, Mentaltrainer, Trainer oder Berater. Ob Student oder Professor, die Bandbreite war beträchtlich und es fehlte nie an spannendem Gesprächsstoff. Am frühen Sonntagnachmittag endete die Veranstaltung und den vielen Gesichtern war abzulesen, dass die Köpfe voll mit neuen Gedanken und/oder Anregungen war, die erst einmal verdaut werden mussten. Meiner selbstverständlich mit inbegriffen.  

Zum Thema: Muss einer in der Praxis tätige Sportpsychologe zwangsläufig Profisportler gewesen sein, um gute Arbeit zu leisten?

Auf der Heimfahrt hatte ich – u.a. Dank eines Staus – die Möglichkeit, meine Gedanken zu sortieren und die vergangenen zwei Tage in aller Ruhe Revue passieren zu lassen. Aufgrund des Austausches und der Offenheit von Peter Hyballa, konkretisierte sich die Fragestellung in mir, welche mich schon einen längeren Zeitraum beschäftigte. Was benötigt ein in der Praxis tätiger Sportpsychologe, neben der fachlichen Kompetenz zwingenderweise, um den Sportlern/Trainern behilflich zu sein? Muss ein Sportpsychologe, der für einen Fussballclub arbeitet auch zwangsläufig Fussballprofi gewesen sein? Ist dies überhaupt ein Vorteil oder gar ein Nachteil? Für Martin Meichelbeck, ehemaliger Bundesligaprofi und heutiger Sportpsychologe für Greuther Fürth, steht fest: Ich sehe es in meiner Arbeit als Vorteil an, selbst Profi gewesen zu sein, weil es mir den Zugang zu den Spielern erleichtert. Sie wissen, dass ich alles, was sie erleben, auch irgendwie durchgemacht habe“.  (https://www.aerztezeitung.de/panorama/article/820149/fuerths-sportpsychologe-meichelbeck-darum-steht-sportpsychologie-abseits.html)

Bedeutet dies, dass jeder Sportpsychologe am besten jede von ihm betreute Sportart selbst ausgeführt hat? Sozusagen der Sportpsychologe als „Multi-Leistungssportler“?

Der Sportpsychologe als „Multi-Leistungssportler“?

Das einzige, was jetzt klar ist, ist, daß es draußen dunkel ist. (Winfried Schäfer)

Wir sehen, dass diese Frage nicht leicht zu beantworten sein wird und ein Goldstandard wird es dafür wohl auch nicht geben. Fakt ist jedoch, dass der Sportpsychologe dazu im Stande sein muss, verständlich und in aller Kürze Lösungsmöglichkeiten anbieten können. Dazu sagt Peter Hyballa:

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Hieraus ergibt sich die Frage, was sind somit die aufdrängenden Fähigkeiten? Ein Schlüsselpunkt wird sicherlich die Kommunikation sein. Der Sportpsychologe muss die Sprache der Sportler sprechen können. Sich sprachlich flexibel auf den jeweiligen Gesprächspartner einstellen zu können, scheint ein Vorteil zu sein. Darüber hinaus wäre es sicherlich von Nutzen die formellen und informellen Normen der Sportart zu kennen.

Fazit

Die eingangs gestellte Frage anschaulich zu beantworten, gleicht dem Versuch die berühmte Stecknadel im Heuhaufen zu finden. Zum einen scheint es durchaus ein Vorteil zu sein, sich in der jeweiligen Sportart bestens auszukennen, damit die zu betreuenden Sportler und Trainer leichter den Eindruck gewinnen können, man weiß wovon man spricht. Auf der anderen Seite kann es aber auch durchaus erfrischend sein, einen Vergleich zu anderen Dingen zu ziehen, um die zu betreuenden Personen einen Spiegel vors Gesicht zu halten.

Wie wir sehen gibt es noch viele weitere Argumente für die eine oder anderen Seite. Mich persönlich würde es interessieren wie Ihr dazu steht? Welche Erfahrungen habt Ihr selbst als Sportpsychologe oder Sportler/Trainer gemacht? Über eine Nachricht würde ich mich sehr freuen. Einen kleinen Tipp habe ich dennoch. Seid authentisch in Eurem Tun und vermeidet den Sitzplatz neben den Torhütern und ihren Taschen. Oder besser, macht die Erfahrung und berichtet mir

Kontakt zu Thorsten Loch aufnehmen? Hier entlang: 

Thorsten Loch

Mehr zum Barcamp:

“Die rote Couch” hinterlässt Spuren – Nächste Auflagen in Innsbruck, Gera und Halle

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Feature: Nur als Turniermannschaft zum Titel?

Bislang ist es noch nicht die WM der Favoriten. Nahezu jeder vermeintliche Titelkandidat tat sich bislang sehr schwer mit seiner Rolle und dem ersten Auftritt auf russischem Boden. Denken wir nur an das 0:1 des Weltmeisters aus Deutschland gegen Mexiko, das 1:1 der Argentinier gegen Island oder auch das in den Details beeindruckende Remis der Schweiz gegen Brasilien. Worin liegen die Gründe, dass die WM bislang ein Turnier der Überraschungen ist? Was hat es eigentlich mit dem Mythos Turniermannschaft auf sich? Oder wird es vielleicht sogar die WM, bei der die Mentalität die Individualität schlägt?

Zum Thema: Geheimnisse des Erfolges bei einer Fußball-Weltmeisterschaft

Cristina Baldasarre (zum Profil)

Vollkommen überraschend kommt der gute Auftritt der Schweizer Nati natürlich nicht. Schließlich hat das Team von Trainer Vladimir Pektovic in der WM-Qualifikation nur ein einziges Spiel gegen Portugal verloren. Die Eidgenossen machen aber bislang vor, was Selbstbewusstsein – wie es beispielsweise der deutsche Kapitän Manuel Neuer nach der Partie gegen Mexiko bei seiner Mannschaft vermisst hat – hervorrufen kann.

“Das 1:1-Unentschieden gegen Brasilien geht nicht auf Zufall oder glückliche Umstände zurück. Meiner Meinung nach war dieser Auftakterfolg die Ernte einer gut gelungenen Planung und dem Aufbau des Teams in allen Facetten. Eine besondere Rolle spielt für mich die Selbstwirksamkeit. Sprich: Das Wissen um die eigenen Fähigkeiten. Dies ist ein zentraler Pfeiler für das Selbstvertrauen, welches sich aus mehreren Quellen nährt:

– Die individuelle Arbeit an erlebten, persönlichen Erfolgen: Persönliche Stärken kennen und immer wieder abrufen können. Damit sind aus sportpsychologischer Sicht nicht die Anzahl gewonnener Spiele gemeint, sondern vielmehr die persönlich gesteckten Ziele, vor allem in den Trainings. Solche persönlichen Erfolge und Erfahrungen konnten die Schweizer Spieler in den letzten zwei Jahren viele sammeln. Die Startelf vom Sonntag verdient sich ihre Sporen überall dort ab, wo die Konkurrenz herausfordernd ist … drei Akteure spielen in der Bundesliga, drei in der Premier League, drei in der Serie A, einer ist in Portugal und einer in der türkischen Liga anzutreffen.

– Als Team steht die Mannschaft schon seit längerem zusammen, was man zuletzt deutlich in den der WM vorangegangenen Freundschaftsspielen sehen konnte. Der Trainer Vladimir Petkovic hat mit seiner fordernden und gleichzeitig fairen Art die Mannschaft deutlich geprägt und ihr auch hinsichtlich Taktik und Strategie neue Impulse gegeben. Er lebt seine Idee von Fussball vor, mit viel Ruhe und psychologischem Geschick, ohne Schnick-Schnack. Er ist den Spielern wohlgesonnen und weiß um die individuellen Stärken – was einer Vertrauensspritze gleichkommt. Das ist der Nährboden für grosse Leistungen, wie wir es am Sonntag beispielsweise von Valon Behrami gegen Neymar sehen konnten. Petkovic weiss auch um die grosse Kraft des eingeschworenen und konstanten Teams, welches gewohnt ist zusammen zu spielen und einander vertraut.”

Thorsten Loch (zum Profil)

Beeindruckt haben Thorsten Loch allein schon die Minuten vor dem Anpfiff des Spiels Panama gegen Belgien. Mit voller Inbrunst und Überzeugung schrien die Spieler des WM-Debütanten kurz vor Anpfiff ihre Hymne in den Himmel von Sotschi. Einige hatten dabei sogar Tränen in den Augen. Ist diese Hingabe möglicherweise dafür ausschlaggebend, dass die vermeintlichen Außenseiter als Team die Stars um Messi und Co. bis dato vor enorme Schwierigkeiten stellen? Ist dies eine Hingabe, die Turnierfavoriten nur schwerlich entwickeln können?

“In der Wissenschaft ist bekannt, dass eine emotionale Kraftquelle existiert, die der Einzelne aus der Mannschaft beziehen kann. In diesem Zusammenhang wird die Kraftquelle als Synergie bezeichnet. Darunter ist die vollkommene Zugehörigkeit zu einer Mannschaft zu verstehen, ohne dabei seine Individualität aufzugeben (vgl. Baumann, 2001). Das Erleben der harmonischen Zusammenarbeit und die Begeisterung für die gemeinsame Aufgabe stellt eine Quelle für jeden Einzelnen dar. Die schöpferische Kraft, die Energie und die Stärke jedes Einzelnen vereinen sich in der Summe als gemeinsame Mannschaftsleistung. Synergie entsteht durch die Lust und Freude, Mitglied einer Mannschaft (Stolz) zu sein, durch das gemeinsame Erlebnis des Miteinanders und der gemeinsamen Aufgabe als Herausforderung.

Wichtig: Damit Synergieeffekte eintreten, bedarf es Zeit. Unsicherheit, Misstrauen oder gar Feindseligkeit/Neid verhindern die Entstehung. Mannschaften sollten aus diesem Grund möglichst einen längere Zeit zusammenbleiben, damit das nötige Vertrauen und Verstehen zwischen den Spielern aufgebaut werden kann. Auch hier bietet das Feld der Sportpsychologie den Trainern und Mannschaften Methoden, wie sie diese Grundbausteine aufbauen können. Die WM-Debütanten Island (1:1 gegen Argentinien) oder auch Panama, trotz der am Ende deutlichen 0:3-Niederlage gegen Belgien, haben Synergieeffekte spürbar werden lassen: Die Mannschaftsleistung war größer als die Summe der Einzelleistungen.”

Dr. Hanspeter Gubelmann (zum Profil)

Mythos Turniermannschaften. Die Sportwissenschaft scheint zumindest wenig Gefallen daran zu finden. Die Recherche zu validen Studien fällt bescheiden aus, was auch der schwierigen Fassbarkeit des Begriffs „Turniermannschaft“ geschuldet ist. Eine 2010 an der Uni Duisburg Essen durchgeführte Untersuchung zeigte, dass bei den letzten neun Fußballwelt- und -europameisterschaften die DFB-Elf gerade einmal in 25 Prozent der Wettkämpfe ihre Leistungen der Vorjahre toppen konnte. Die Autoren folgerten daraus, dass sich Deutschland – im Gegensatz etwa zu England (das sich um 67% steigerte!) – gemessen am Merkmal der „Leistungssteigerung“ nicht als Turniermannschaft bezeichnen kann! Anmerkung: Die Studie stammt aus dem Jahr 2010, insofern ist der Gewinn des Weltmeistertitels nicht in die Betrachtung eingeflossen. Ein mögliches Ausscheiden Deutschlands in der Vorrunde bei der WM 2018 würde die Untersuchung aber schon wieder stützen. Zahlenspielerei…

Wird für der Bezeichnung „Turniermannschaft“ aber ein anderes Merkmal zugeschrieben, nämlich die tatsächlich an Weltmeisterschaften erzielten Erfolge (z.B.  Finalteilnahmen, Titel), gebührt der Titel „Turniermannschaft“ insbesondere drei Teams: Brasilien (5 Titel), Deutschland und Italien (je 4 Titel). Nachfolgend soll der Versuch unternommen werden, dieser Fassung von „Turniermannschaft“ vier plausible sportpsychologische Erklärungsansätze zuzuordnen.

Selbstverständnis, Status und eigener Anspruch

In Brasilien, Deutschland und Italien ist Fussball DIE Nationalsportart Nr. 1. Die Verankerung des Fussballsports in der Gesellschaft, das gewaltige öffentliche Interesse in Verbindung mit der breiten Unterstützung und Förderung der Sportart selbst, befeuert das Selbstverständnis hinsichtlich Erfolgsaussicht und Erfolgserwartung. Dieses Selbstbewusstsein verbunden mit dem Vertrauen in das eigene Leistungsvermögen verkörpern die Weltklassespieler dieser Länder schliesslich auch auf dem Fussballfeld!

Ein gut vorbereiteter Favorit kommt durch!

Um es mit Sepp Herbergers Ansatz zu verdeutlichen, der seine Turniermannschaft jeweils topfit, hochmotiviert, kraftvoll und taktisch brillant an die Endrunde zu führen wusste: an Weltmeisterschaften setzt sich die optimale Kombination von spielerischem Potential und zielgerichteter Vorbereitung durch! Interessant dabei ist die Feststellung, dass an den Weltmeisterschaften 2002 (Brasilien), 2010 (Spanien) und 2014 (Deutschland) die jeweils auf Rang 2 des FIFA-Rankings geführte Nationalmannschaft den Titel gewann. Einzig 2006 setzte sich mit Italien eine andere „Turniermannschaft“ durch, die in der Vorbereitungszeit nicht in den Top-3 des Rankings vertreten war.

Das Team als Star – auch nach einer Niederlage!

Berti Vogts prägte in seiner Zeit als Nationaltrainer das Bonmot: „Die Mannschaft ist der Star“. Damit meinte Vogts insbesondere jene Solidarität und Aufopferungsbereitschaft, die das Team auf und auch neben dem Spielfeld während einem vierwöchigen Turnier zum Erfolg führt.

Eine positive Teamdynamik ist insbesondere nach sportlichen Niederlagen und in der Verarbeitung medialer Kritik gefragt. Jogi Löw steht vor der Herausforderung, mit seinen Interventionen das Vertrauen in das Kollektiv und die eigenen Fähigkeiten zu stärken, um aus einer Gruppe verunsicherter Einzelspieler wieder eine Erfolgsgemeinschaft zu formen. Eine durchaus neue, ungewohnte Situation, wie er in seiner ersten Analyse nach dem verlorenen Spiel gegen Mexiko eingestand.

Mentale Stärke in spielentscheidenden Situationen notwendig!

Echte Turniermannschaften sind stark vom Elfmeterpunkt. Zahlreiche WM-Partien in der K.O.-Phase müssen durch das Penaltieschiessen entschieden werden. Auch hier gibt die Statistik eine klare Antwort auf die Frage, wer sich in dieser Disziplin potentieller Turniermannschaften besonders hervortut. Deutschland steht in dieser Rangliste mit 4:0 Erfolgen an erster Stelle, gefolgt von Argentinien (4:1) und Brasilien (3:1). Einsam an letzter, 26. Stelle dieses Rankings: England (0:3) Anders als die Deutschen scheinen die Briten die Gelassenheit am Punkt zu verlieren, dem so genannten „choking under pressure“ zu erliegen (vgl. Beilock & Carr, 2001).

Unter sehr hohem psychischen Druck führen störende Gedanken zu einer Verunsicherung, die sich negativ auf die Präzision einer ansonsten automatisierten Bewegungshandlung auswirkt. Aus sportpsychologischer Sicht bemerkenswert: Standards wie Freistösse oder Penalties lassen sich sehr effizient auch mental trainieren, was aber vor dieser WM auch die englischen Spieler von Trainer Gareth Southgate (wer Zeit hat, bitte mal Elfmeterschiessen und Southgate googeln) versucht haben sollen!

Und am Ende gewinnt Deutschland!

Die Ausgangslage nach Abschluss der ersten Runde in der Gruppenspielphase präsentiert sich auch aus sportpsychologischer Sicht sehr interessant. Von den drei designierten Turniermannschaften Deutschland, Brasilien und Argentinien hat keine wirklich überzeugen können. Dagegen hat sich Belgien, Nr. 3 des aktuellen FIFA-Rankings, mit einer soliden Teamleistung gegen Panama durchgesetzt und positioniert sich nach 20 Spielen ungeschlagen als valabler Meisterschaftskandidat!

Vor einer besonderen und ungewohnten Bewährungsprobe steht das deutsche Team. Vielleicht sollten sich Jogis Jungs ein Stück Zuversicht auch aus Gary Linekers humorvollen Zitat abschneiden. “Football is a simple game; 22 men chase a ball for 90 minutes and at the end, the Germans always win.”

 

Quellen:

Beilock, S.L. & Carr, T.H. (2001). On the fragility of skilled performance: What governs choking under pressure? Journal of Experimental Psychology: General, 130, 701- 725.

https://de.fifa.com/fifa-world-ranking/ranking-table/men/index.html

http://www.bisp.de/SharedDocs/Downloads/Publikationen/Jahrbuch/Jb_2004_Artikel/Maurer_Munzert.pdf?__blob=publicationFile

http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball-em/fussball-em-2016-mythen-wissen-ueber-elfmeterschiessen-14298205.html

https://rp-online.de/sport/fussball/wm/dfb/markenzeichen-turniermannschaft_aid-12753797

 

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Feature: Was bei der deutschen Auftaktniederlage aus sportpsychologischer Sicht gefehlt hat

Deutschland verliert bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland das Auftaktmatch gegen Mexiko mit 0:1. Die Niederlage deutete sich schon in der ersten Hälfte an, in der der Herausforderer aus Mittelamerika zu zahlreichen Chancen kam und absolut verdient den Führungstreffer erzielte. ZDF-Taktikexperte Holger Stanislawski meinte in der Halbzeitpause, dass für das deutsche Team in der Pause drei Dinge wichtig würden: Herunterfahren, Kopf frei kriegen, auf die Stärken besinnen. Unter dem Blickwinkel des früheren Bundesliga-Trainers haben sich unsere Experten die Partie angeschaut – das Ziel war, in Erfahrung zu bringen, was hinter der Phrase „Kopf frei kriegen“ steckt:

Rita Regös von die-sportpsychologen.atRita Regös

Gewundert hat Rita Regös (zum Profil) schon allein die Kürze der Aufzählung von Holger Stanislawski. In Sportarten wie Bogenschießen, Kanu oder Sportschießen packt sie mindestens noch einen Gedankenstrich oben drauf:

1. Entspannung (= runterfahren)
2. Ablenkung (= Kopf frei kriegen und etwas gänzlich anderes tun bzw. denken)
3. Aktivierung ( = hochfahren physiologisch und mental)
4. Konzentration ( = aktive Lenkung der Aufmerksamkeit auf bevorstehendes Spiel, Aufgabe und Ziele)

(5. Los, Anpfiff, Start, Peeep und Peng)

Prof. Dr. Oliver Stoll

Als Schwarzmaler ist Prof. Dr. Oliver Stoll (zum Profil) nicht bekannt. Aber er erkannte bezüglich der Grundhaltung fundamentale Schwächen und stellt voran: „Wenn die Spieler dies nicht ändern, fahren sie in zwei Wochen nach Hause.“

„Eines vornweg: Volition im Sinne einer Persönlichkeitseigenschaft lässt sich nicht kurzfristig ändern. Eine situative Grundhaltung aber eben schon. Und dazu gehört eine schonungslose Aufklärung der Schwachen. Ein Aufzeigen der positiven Ansätze. Und dann eben eine positive emotionale Einstellung auf die bevorstehende Aufgabe.

Besorgniserregend finde ich, dass ich auch in der zweiten Hälfte kein Wille, und zwar in letzter Konsequenz, zu sehen war. Das Problem: Wille kann man nicht in einer Woche entwickeln. Die Mexikaner haben genau das gezeigt, was Deutschland nicht auf den Platz gebracht hat. Mexiko hat das einfach besser gemacht – in der 1. und auch in der 2. Halbzeit. Da war eine Idee da (1. Halbzeit) und auch eine in der 2. Halbzeit (wir verteidigen das mit dem Messer zwischen den Zähnen). Man könnte ja meinen, die Deutschen wären in Schönheit gestorben… sind sie aber nicht. Hier hat der letztendliche Wille gefehlt. jetzt bin ich mal gespannt, wie es nun weitergeht :-).“

Mario Schuster

Auch in Österreich wurde der deutsche Auftakt ins Turnier verfolgt. Und Mario Schuster (zum Profil) unterstreicht, dass ein freier Kopf für eine mental starke Leistung eine wesentliche Voraussetzung ist:

„Wieso der freie Kopf so wichtig ist? Ganz einfach, denn die Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses sind begrenzt. Nur ein freier Kopf lässt das Arbeitsgedächtnis des Fußballspielers gut arbeiten. Das ist besonders wichtig, um Spielsituationen blitzschnell einschätzen zu können, um in Sekundenbruchteilen optimale taktische Entscheidungen treffen zu können. Vor allem bei herausfordernden Großereignissen wie einer WM kann dies zwischen Sieg und Niederlage entscheiden. Klar gibt es auch mentale Techniken, um sich in der Halbzeitpause selbst zu regulieren. Doch noch wichtiger ist es, diese Techniken zur mentalen und emotionalen Selbstregulation bereits Monate vor der WM zu trainieren und nicht erst in entscheidenden Spielen zu erproben. Nach dem Runterfahren ist es zudem auch ganz wichtig, wieder ‚ready‘ zu sein, wenn das Spiel wieder losgeht um den Start nicht zu verschlafen.“

Dr. Fabio Richlan die-sportpsychologen.atDr. Fabio Richlan

Wenn wir über den Kopf sprechen, müssen wir auch über Selbstgespräche reden, sagt Dr. Fabio Richlan (zum Profil), übrigens noch einer unserer österreichischen Experten im Netzwerk:

„Von grundlegender Bedeutung ist, ein positives Selbstgespräch zu führen, bei dem die Situation nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung interpretiert wird. Wichtig dabei ist, dass die Konzentration auf die gegenwärtige Aufgabe (Hier und Jetzt) bzw. auf das eigene Verhalten fokussiert wird (etwas das zu 100% unter eigener Kontrolle ist). Das Selbstgespräch oder die Selbstinstruktion kann eine motivationale (“Bleib ruhig”, “Gib alles”) und eine technisch-taktische (“Achte auf die Bewegung des Gegners”, “Setze den Körper ein”) Komponente enthalten. Im Idealfall ist das Selbstgespräch schon im Training und unter Druckbedingungen erprobt und benötigt keine zusätzlichen mentalen Ressourcen, sondern läuft vielmehr automatisch ab!“

Thorsten Loch

Was für ein Geschenk. Unser Profilinhaber aus Hennef (zum Profil von Thorsten Loch) feiert pünktlich zum ersten Gruppenspiel der deutschen Mannschaft seinen Ehrentag und dann solch ein Geschenk. Die Hoffnung hat er noch nicht verloren, aber mit den Lebensjahren kommt ja auch mehr und mehr Weisheit hinzu:

„Nach wiederholten Fehlern im Wettkampf kann das Selbtvertrauen einen Knacks bekommen. Der innere Dialog kippt und der Sportler bleibt beim Misserfolg hängen, kann sich ihn nicht erklären und findet keine Lösung. Die Folgen konnte der aufmerksame Zuschauer beobachten. Selbst die einfachsten Dinge schienen ein großes Problem zu sein. Die mögliche Ursache ist die Fokussierung auf den Misserfolg und der negative Affekt, welchen den Zugang zu den eigenen Stärken blockiert. Lösungorientiertes, passischeres und schnelles Spiel waren Mangelware in der Begegnung. Hier ist Jogi Löw gefragt. Hilfreich ist das Abrufen einer erfolgreichen Situtionen (Imagination). Zudem kann Löw die Spieler bei der Ehre packen und gezielte Rückmeldung auf eine positive Körpersprache (Embodiment) nehmen. Was macht uns aus und wie viel haben wir dafür gegeben – ggf. kann er Bezug auch auf Situationen aus dem Trainingslager nehmen. Hier scheint der Solgan „Best NeVer rest“ ideal zu sein. Sicher wurde dieser Spruch mit Inhalten aus der Manschaft gefüllt, welche es zu mobilisieren gilt.“

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Miriam Kohlhaas: Eurobowlfinale 2018 – Wie ein Unwetter Braunschweig und Frankfurt an menschliche Grenzen bringt

Kürzlich war ich zu Gast bei einem wirklich historischen Endspiel, dem Eurobowlfinale 2018 in Frankfurt. Die Partie zwischen den Samsung Frankfurt Universe und New Yorker Lions Braunschweig wurde das längste Eurobowlmatch der Geschichte. Wegen eines Unwetters wurde die Partie im ersten Viertel für ca. 100 Minuten unterbrochen. In den Katakomben der Frankfurter PSD-Bank Arena erlebte ich die wirklich schwierige Situation mit. Aus sportpsychologischer Perspektive war das mega-spannend.

Zum Thema: Theorie und Praxis der Sportpsychologie im American Football

Miriam Kohlhaas

Ich habe lang überlegt, wie ich euch diese Geschichte erzähle? Und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich diese absolute Ausnahmesituationen dazu nutze, um Theorie und Praxis der Sportpsychologie im American Football nebeneinander zu stellen. Auf der einen Seite berichte ich euch also, was ich erlebt habe – ich betreue ja als sportpsychologische Expertin einige deutsche Football-Spieler und war daher als Besucherin im Stadion. Auf der anderen Seite will ich mal aufzeigen, was die Sportpsychologie auf inhaltlicher Seite zu bieten hat. Denn das ist, ihr ahnt es, einiges!

Ein normaler Start in den Tag

Es ist Samstag, der 09. Juni 2018, 10 Uhr im Mannschaftshotel der New Yorker Lions. Alle sind gemeinsam am Frühstücken. Um 12 Uhr steht dann ein gemeinsames Meeting und die Einstimmung auf die Partie am Abend an.

Um 14 Uhr essen alle zusammen Mittag, bevor es dann im Mannschaftsbus um 16 Uhr ins Stadion in Frankfurt geht. Dort läuft alles ab wie immer. Jeder geht seiner individuellen Vorbereitung nach. Einige Spieler sitzen auf der Tribüne, hören Musik, quatschen miteinander. Einige Spieler rollen sich ab, dehnen sich, machen Lauf- oder Fang- Übungen. Es wird sich umgezogen, getaped, und mental auf dieses Finale eingestimmt. Dann macht sich die Mannschaft gemeinsam auf dem Platz warm. Erst alle zusammen, dann in den einzelnen Positionsgruppen. Alles voll normal, bis hierhin.

Wichtig: Der Aktivierungsbereich ist von Athlet zu Athlet unterschiedlich

Die unmittelbare Spielvorbereitung ist von sportpsychologischer Seite Brot- und Buttergeschäft, also tauchen wir ein:

Die sportliche Leistung wird von vielen psychischen Faktoren beeinflusst. Ein entscheidender Aspekt für die optimale Leistungserbringung stellt dabei die Regulation des Aktivierungsniveaus dar. In diesem Zusammenhang findet die von Yerkes und Dodson postulierte umgekehrte u-förmige Beziehung zwischen Aktivierung und Leistung Beachtung in der Sportpsychologie. Die Hypothese besagt, dass die Erhöhung des Aktivierungsniveaus bis zu einem bestimmten Grad die Leistung verbessert, eine zu hohe Aktivierung jedoch zu Leistungseinbußen führt. Dieser Aktivierungsbereich, der zu einer optimalen Performance führt, scheint bei jeder Person individuell zu sein (Seiler, 2006). Das Ziel eines Leistungssportlers muss es folglich sein, sich vor dem Wettkampf in einen entsprechenden Aktivierungszustand zu bringen.

Nur 15 Minuten Pause…  

20 Uhr Kick off des Finales. Aber dann zieht sich der Himmel über Frankfurt zusammen und ein starkes Gewitter mit Blitz und Donner direkt über uns beginnt seinen Lauf. Das Spiel wird für 15 Minuten unterbrochen. Beide Mannschaften gehen in ihre Kabinen.

Ich habe mich ab diesem Moment vor der Frankfurter Kabine aufgehalten. Mich dort mit Fotografen, Freunden oder Trainern ausgetauscht. Die Spieler waren hoch konzentriert und bereit, direkt wieder auf den Platz zu kommen. Aber es sollte anders kommen… Immer und immer wieder wurde die Spielunterbrechung um weitere 15 Minuten verlängert und jedes Mal wurde es angespannter im Kabinentrakt, immer schwieriger für die Jungs, ihre Konzentration zu halten. Also, „On fire“ zu bleiben.

Immer schön positiv bleiben

Die Anspannung steigt unter den Spielern. Was weiß die Sportpsychologe dazu?

Aus der Angstforschung ist bekannt, dass eine kognitive von einer somatischen Komponente zu unterscheiden ist. Während sich die erste Komponente auf die gedankliche Verarbeitung einer Situation bezieht, meint die somatische Komponente die Wahrnehmung körperlich spürbarer Anzeichen der Angst (Liebert & Morris, 1967). Entscheidend für die American Footballer erscheint vor dem Hintergrund der 100-minütigen Pause und der ständigen Unsicherheit bezüglich des Wiederbeginns eine positive, herausfordernde Bewertung der Situation. So ist es den Sportlern möglich, ihr Selbstvertrauen zu erhalten, handlungs- und leistungsfähig zu bleiben und angemessen aktiviert zu sein.

Krasse Belastung für die Spieler

Meine Sicht in Frankfurt: Wäre es so gewesen, dass von Anfang an gesagt worden wäre, dass es nun eine Unterbrechung von 1,5 Stunden gibt, hätte man sich sicher anderes auf diese Pause einlassen können. Aber so war es Wahnsinn, was hier den Spielern aus sportpsychologischer Sicht abverlangt wurde.

Zunehmend merkte man, dass die Spieler unkonzentrierter wurden. Eigentlich hätten sie ihre Spannung ja halten müssen, um ein paar Minuten später wieder komplett im Spiel sein zu können aber immer wieder wurde kurzfristig die Pause verlängert. Die Spieler der Frankfurter blieben nicht mehr zusammen in der Kabine. Alle verteilten sich, schrieben an ihren Handys, hörten Musik, unterhielten sich mit den Fotografen und Cheerleadern.

Viele Spieler waren in der Situation überfordert

Ich merkte, wie viele, viele Spieler vollkommen unvorbereitet in diese Situation hinein schlitterten und wirklich einfache Fehler machten. Aber welche konkreten Hilfen bietet die Sportpsychologie in einer solchen Lage?

Doch welche konkreten Möglichkeiten haben die Spieler im Vorfeld einer Wettkampfsituation oder in Wettkampfpausen, einen optimalen Aktivierungszustand zu erreichen? Erlebt sich der Sportler selbst als überaktiviert, kann er diesen Zustand durch den Einsatz von Entspannungsverfahren, wie zum Beispiel die Atementspannung, gezielt beeinflussen. Das Beherrschen solcher Techniken setzt aber einige Übungszeit voraus. Eine weitere Möglichkeit stellt das Visualisieren von angenehmen Entspannungsbildern, z.B. von Landschaften, in Kombination mit Entspannungstechniken dar (Engbert, 2016). Auch der Einsatz beruhigender Selbstanweisungen kann von den Spielern insbesondere insofern genutzt werden, als die (unvorhergesehene) Situation dadurch als weniger bedrohlich wahrgenommen wird.

Totaler Spannungsabfall

Es war, als könnte man die abfallende Spannung förmlich greifen… Als Beobachterin, die aber keinen konkreten Auftrag hatte, weshalb ich natürlich auch nicht reagieren konnte, habe ich mich gefragt, ob neben den Spielern andere Personen aus dem Umfeld in solchen Situationen hätten reagieren können. Janosch Daul dazu:

Auch der Trainer kann gezielt Einfluss auf das Aktivierungsniveau seiner Spieler nehmen. Kennt er seine Jungs und deren Wahrnehmungen in bzw. vor Wettkampfsituationen, kann er diese durch die Wahl eines angemessenen Kommunikationsstils idealerweise so erreichen, dass sie ins optimale Aktivierungsfenster kommen. Somit kann er auch auf dieser Ebene die optimale Leistungserbringung seiner Spieler unterstützen.

Ein neues Spiel beginnt…

Irgendwann um ca. 22 Uhr begaben sich beide Mannschaften wieder auf Feld. Nachdem sie sich erneut aufgewärmt hatten, wurde das Spiel fortgesetzt. Also kommen wir wieder zur Aktivierungsfrage vom Anfang zurück – aber eine optimale Vorbereitung wappnet eben auch für Extremsituationen:

Doch wie bereits angeklungen, darf das Aktivierungsniveau des American Footballers, insbesondere kurz vor dem Beginn bzw. Wiederbeginn, auch nicht zu niedrig sein. Um dies zu verhindern, bieten sich neben motivierenden Kraftbildern (z.B. von sportlichen Vorbildern) und Selbstinstruktionen auch die Aktivierung mittels Musikhören an. Auch körperliche Aktivierungsübungen wie beispielsweise schnelle Sprünge können an dieser Stelle hilfreich sein (Engbert, 2016).

Die Wahl des passenden Aktivierungs,- bzw. Entspannungsmittels ist jedoch höchst individuell. Jeder Sportler sollte entsprechende Verfahren ausprobieren und wahrnehmen lernen, was in einer solchen Situation guttut. Gelingt dies, ist der Spieler selbst für unvorhergesehene Situationen bestens gewappnet.

Was für ein Finale

Und alle, die dieses Spiel live am TV verfolgt haben, wissen, dass sich diese so lange Pause bei beiden Mannschaften sichtbar machte. Es gab viele Fehler aus Unkonzentriertheit. Persönliche Strafen, Auswechselfehler, falsche Absprachen auf beiden Seiten. Nach einer Führung der Frankfurt Universe verschenkten sie diese mit vielen Fehlern und die New Yorker Lions gewannen das Finale mit 20:19 Punkten. Letztendlich endete das Spiel um 0:30 Uhr…

Der Spieltag für die Jungs hat mit dem offiziellen gemeinsamen Frühstück um 10 Uhr im Mannschaftshotel begonnen – 14,5 Stunden später, war dieser dann zu Ende!!! Genauso fühlte sich dann auch der Sieg des Eurobowls für die Lions an. Nach der Verleihung der Medaillen, den Fotos, den Videos, den Interviews, dem Duschen und dem Umziehen gab es auf dem Weg einen kurzen Halt mit dem Mannschaftsbus an einer Tankstelle (gegessen, hatten die Jungs zuletzt zum Mittag und so spät hatte leider auch alles im Hotel geschlossen). Um ca. 2:00 Uhr morgens kam die Mannschaft endlich im Hotel an. Die eigentlich geplante Feier in Frankfurt wurde dann aus Kraft- und Vernunftsgründen gestrichen und so saßen die Spieler einfach bei sämtlichen Snacks, die eine Tankstelle zu bieten hat, zusammen in der Lobby des Hotels. Was für eine außergewöhnliche Finalfeier!!!

Ihr fantastischen Spieler und Coaches, ihr solltet euren mentalen Bedarf für solche unvorhergesehenen Momente also zumindest gut kennen, um diesen aktiv gesteuert zu befriedigen.

Auf dieser Reise, verschiedenste Techniken auszuprobieren, um für euch persönlich das Beste zu finden, stehen euch wundervolle Sportpsychologen zur Seite.

Fangt also an zu arbeiten, bevor das nächste Gewitter über euch aufzieht!

 

Janosch Daul

An dieser Stelle möchte ich euch einen besonderen Menschen vorstellen: Janosch Daul. Er ist ein junger Kollege aus unserem Netzwerk Die Sportpsychologen, der in wenigen Tagen auch ein Profil auf der Seite haben wird (zum Profil von Janosch Daul) und von dem ihr vielleicht schon bald tolle Texte lesen könnt. Janosch ist ein Student des Masterstudienganges “Angewandte Sportpsychologie” an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ihn habe ich kennengelernt, weil ich kürzlich an seiner Uni bei Prof. Dr. Oliver Stoll hospitierte. Zudem war einer der vielen Gäste bei unserer Veranstaltung „Die rote Couch – Das Sportpsychologie-Barcamp“ am 2. und 3. Juni in Bochum. Und bei Die Sportpsychologen ist es uns eine Herzenssache, dass wir uns alle um den sportpsychologischen Nachwuchs engagieren. Da sich Janosch für meine Arbeit und für American Football interessierte kamen wir ins Gespräch. Wir unterhielten uns auch über des Eurobowl-Finale und ich schilderte ihm alle Eindrücke. Entstanden ist eine tolle Diskussion über Theorie und Praxis, deren Kernaussagen ich im Text verwendet habe. Danke, lieber Janosch, für den Austausch! Und bleib am Ball, der Sport freut sich auf Sportpsychologen wie dich!

 

 

Alle Texte von Miriam Kohlhaas:

http://www.die-sportpsychologen.de/author/miriam-kohlhaas/

 

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Feature: Aus dem brasilianischen Paradies in die russische Sportschule

Vor und nach den sportlichen Höchstleistungen im Triumphjahr 2014 konnte sich das DFB-Team im „Campo Bahia“, dem WM-Quartier an der Ostküste Brasiliens, erholen und vor allem regenerieren. Deswegen wurde der Rückzugsort der deutschen Nationalmannschaft nicht von wenigen Sportpsychologen/innen und DFB-Angehörigen als ein Schlüssel auf dem Weg zum WM-Titel gesehen. Die Auswahl eines geeigneten Quartiers bei der WM 2018 in Russland fiel dem DFB nun alles andere als leicht. Zu groß waren die Entfernungen zwischen den einzelnen Spielorten. Der DFB brauchte also ein WM-Quartier, von welchem sich alle Spielorte möglichst schnell erreichen lassen. Die Entscheidung fiel funktional aus. Das DFB-Team bezieht während dem Turnier ihr WM-Quartier vor den Toren Moskaus. Auf das „Campo Bahia“ folgt also der Watutinki Hotel Spa Complex.

Zum Thema: Ist der Rückzugsort während einer WM wichtig, oder ist es das nicht?

https://www.ardmediathek.de/tv/Sportschau/Watutinki-das-WM-Quartier-von-Deutschl/Das-Erste/Video?bcastId=53524&documentId=53033042

Das WM-Quartier der DFB-Elf in Moskau kann aus meiner Sicht viele Vorteile haben, denen ich mich nähern möchte. Ganz allgemein betrachtet, kann unsere Mannschaft bei optimalen Trainingsbedingungen konzentriert arbeiten und findet in der Wellnessoase  gute Möglichkeiten zur Regeneration. Unter anderem gehört ein ansehnliches Schwimmbad zur „Sportschule“, wie das Hotel unter der Woche schon einmal genannt wurde. Hinzukommt, dass die Spieler so wenig Aufmerksamkeit wie möglich bekommen und sich somit stärker mit dem Team und mit dem Einzelnen beschäftigen können. Des Weiteren ist die Identitätsannäherung des Gastgeberlands ein weiterer Vorteil für die Unterkunft der DFB-Elf. Dies möchte ich auch begründen:

Dazu ein passendes Beispiel. Die Lebensbedingungen im Russland haben viele Seiten. Auf der einen Seite viel Prunk und Glimmer und auf der anderen ärmliche Dörfer. Dort zu leben, ist ziemlich schwer, da sehr viele Aufgaben auf einen Dorfbewohner zukommen. Sie müssen das Vieh weiden, die Technik reparieren, Wasser- und Stromprobleme lösen und sich um das Essen kümmern. Fast alle Einwohner betreiben Landwirtschaft, darunter Ackerbau sowie Viehzucht. Trotzdem wollen viele Einwohner das Dorf nicht verlassen. Das Leben in einer Gemeinschaft ist für die meisten das wichtigste Kriterium, um dort zu bleiben. Sie schätzen es sehr, dass sich alle gegenseitig unterstützen und gute Beziehungen zueinander pflegen. Ähnliches oder im weitesten Sinne, kann ich mir für unser DFB-Team vorstellen. Gelebtes Russland mit allen Höhen und Tiefen, die Geschlossenheit, Respekt und Werte aufzeigen, trotz einiger Schwierigkeiten, wie mediale Auftritte und Nominierungen. Als das muss als Team verarbeitet werden. Diese Geschichte der Dorfbewohner würde als Träger für Identität sehr gut passen. Aus ihr sprechen dann Selbstbewusstsein, Stolz, Teamgeist, gute Beziehungen, Zugehörigkeitsgefühl – alles Werte, die die deutsche Fußballnationalmannschaft verkörpert. Unter diesen Trägern sind viele Spieler bereit, außergewöhnliches zu leisten. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, das gelebte Wir-Gefühl und dann spielt es auch keine Rolle, wo sie zusammen sind. Teamidentifizierung und gute Beziehungen lassen großes entstehen. Und wenn positive Stimmungen vorhanden sind, sind die Voraussetzungen für Leistungssteigerung und Erfolg gegeben. Näheres zum Thema Identität findet Ihr hier: http://www.die-sportpsychologen.de/2017/11/01/dr-rene-paasch-mia-san-mia-oder-wie-eine-gemeinsame-identitaet-im-fussball-funktioniert/

Fazit:

Die gemeinsame und gelebte Identität ist schon lange Standard vieler Mannschaften. Es beschreibt, wer man ist und/oder sein möchte, welche Werte man vertritt und wo man die eigenen Aufgaben und die eigenen Stärken sieht. Ein solches Leitbild ist auch bei der WM hilfreich, denn es erleichtert die Identifizierung des Einzelnen mit dem Gesamten.

Ich glaube also, dass die Wahl der Unterkunft auch eine tiefere Ebene hat. Und ich hoffe, dass der funktionale Charme von Watutinki dem Geist vom Campo Bahia, was die sportlichen Ergebnisse angeht, an Magie in nichts nachsteht.

Mehr von Dr. René Paasch:

http://www.die-sportpsychologen.de/author/rene-paasch/

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