Teamgeist – Entweder da oder eben nicht?

Im EM-Podcast “Zeigler und Köster” gab Werder Bremen-Stadionsprecher und ARD-Journalist Arnd Zeigler zum Besten, dass es nicht möglich sei, Teamgeist und Zusammenhalt zu erzwingen. So etwas wie Teamgeist ließe sich nicht verordnen. “Er ist da oder eben nicht.” (Folge vom 21. Juni, bei 7:45 Minuten, Link zur Podcast-Seite)

Zum Thema: Teamgeist entwickeln

Im Netzwerk Die Sportpsychologen hat diese Äußerung für Aufsehen gesorgt. Zeigt es doch einmal mehr, wie wenig Wissen zu sportpsychologischen Themen im Profi-Fußball vorhanden ist. Klar, Zeigler und Köster sind keine Trainer oder Sportdirektoren. Aber zumindest sind sie lang gediente und erfahrene Journalisten vom Fach. Arnd Zeigler ist als Stadionsprecher und großer Werder Bremen-Fan zudem hautnah dran am Alltag des Bundesliga-Teams. Also wäre es falsch und zu einfach, ihnen nur Unkenntnis vorzuwerfen. Wir nehmen ihre Podcast-Aussage als Notruf in der Paw Patrol Zentrale wahr und strömen aus. In den Rollen von Rubble, Sky, Rocky, Zuma und Marshall: Prof. Dr. Oliver Stoll (zur Profilseite), Yvonne Dathe (zur Profilseite), Anke Precht (zur Profilseite), Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zur Profilseite), Dr. Jan Rauch (zur Profilseite) und Dunja Lang (zur Profilseite).

Prof. Dr. Oliver Stoll, Die Sportpsychologen

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Als Erster reagierte Prof. Dr. Oliver Stoll auf den inhaltlichen Notruf. Er fasst sein Statement in einem Audio-File zusammen. Hörbar erzürnt über das, was Arnd Zeigler ins Podcast-Mikrofon sprach:

Yvonne Dathe, Die Sportpsychologen
Yvonne Dathe, Die Sportpsychologen

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“Verordnet” werden kann ein Teamgeist natürlich nicht, doch es gibt einige Punkte, die förderlich für den Teamgeist sind. Hier einige Anregungen, die in Nationalteams genauso angewandt werden können wie in Club-Mannschaften und Sportredaktionen:

Gemeinsame Ziele setzen: Ein gemeinsam erarbeitetes Ziel, welches motivierend ist und hinter dem das ganze Team steht, gibt Orientierung und schweißt zusammen.

Offene Kommunikation: Eine offene und transparente Kommunikation fördert das Vertrauen innerhalb des Teams. Regelmäßige Meetings und Feedback-Runden sind hierbei hilfreich.

Anerkennung und Wertschätzung: Anerkennung für gute Leistungen und das Ausdrücken von Wertschätzung motivieren die Teammitglieder und zeigen ihnen, dass ihre Leistung geschätzt wird.

Verantwortung teilen: Indem Aufgaben und Verantwortung fair verteilt werden, fühlen sich alle Mitglieder gleichwertig und wichtig.

Unterstützung und Hilfestellung: Ein unterstützendes Umfeld, in dem Teammitglieder sich gegenseitig helfen und unterstützen, schafft Vertrauen und stärkt den Zusammenhalt.

Positives Miteinander: Ein positiver Austausch unter den Mitgliedern trägt wesentlich zum Wohlbefinden der Teammitglieder bei und fördert die Zusammenarbeit.

Auch, wenn der Teamgeist nicht “verordnet” werden kann, können Ziele, eine offene Kommunikation, Anerkennung, Wertschätzung, Unterstützung und vor allem ein positives Miteinander dazu beitragen, den Teamgeist zu fördern.

Anke Precht, Die Sportpsychologen
Anke Precht, Die Sportpsychologen

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Es gibt Teams, die schaffen es, gemeinsam scheinbar Unmögliches zu schaffen und viel mehr zu leisten, als andere Teams mit vergleichbar starken SpielerInnen. Nennen wir es die Macht der Magie.

Die Basics, die Yvonne beschreibt, müssen definitiv gegeben sein – sonst performt ein Team sogar ausgesprochen schlecht, und man reibt sich erstaunt die Augen darüber, dass begnadete Spieler einen Fehlpass nach dem anderen produzieren oder den Ball einfach nicht nach vorn kriegen.

Kommunikation, Transparenz, geteilte Verantwortung, Ehrlichkeit und gegenseitige Unterstützung schaffen persönliche Sicherheit. Anders gesagt: Alle im Team wissen, dass man fair mit ihnen umgeht, dass sie gehört werden, dass sie, platt gesagt, nicht verarscht werden.

Diese Sicherheit ist der erste von drei Faktoren, die Hochleistungsteams ausmachen, die scheinbar organisch gemeinsam funktionieren, ohne Absprachen. Wir erleben das im Sport, in der Musik, auch in Unternehmen oder bei der Bundeswehr. Jeder weiß, dass er sich auf den anderen wirklich verlassen kann, fachlich, aber vor allem auch persönlich. Das zu schaffen, ist Arbeit, es braucht Zeit und Prozesse.

Der zweite Faktor heißt Verletzlichkeit. Das Zeigen der eigenen Grenzen, das Benennen von Zweifeln oder Sorgen. Damit ist kein Gejammer gemeint. Aber eine Ehrlichkeit, in der sich keiner verstellen und so tun muss, als sei er immer stark und zuversichtlich und gut drauf, sondern authentisch und präsent. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass jedes Teammitglied um Hilfe bittet. Sei es, um ein paar Socken ausgeliehen zu bekommen. Oder wenn jemand einfach mal noch eine halbe Stunde mit dem Teamkameraden quatschen möchte, weil es zuhause gerade nicht gut läuft. Das ist nicht immer leicht, weil wir ja häufig gerade im Hochleistungsbereich gesagt bekommen, dass alle immer stark sein müssen. Aber genau das verstärkt die Bindung zwischen den Teammitgliedern. Zum Team gehören natürlich dabei nicht nur die Spieler, sondern das gesamte Staff und im Idealfall auch die Funktionäre drumherum.

Drittens braucht das Team eine gemeinsame Mission, für die es brennt. Ein Ziel reicht nicht – es muss emotional angereichert sein, es muss einen Zweck erfüllen, es muss Werte spiegeln, die alle teilen können. Diese Mission muss aus dem Team kommen, sie muss gemeinsam entwickelt werden.

Alle anderen Ziele oder gar Missionen (zum Beispiel solche, die aus dem Verband kommen oder aus der PR-Abteilung), sind dabei eher kontraproduktiv. Zusammengefasst sind es also drei große Faktoren:

  • Menschliche Sicherheit
  • Verletzlichkeit
  • Eine Mission

Gelingt das, ist der Teamgeist da. Ganz automatisch. Und das kann man “machen” – indem man sich um Maßnahmen kümmert, die genau dazu führen. Wenn jemand den Blick darauf hat, sich intensiv um das Team und jeden einzelnen Spieler zu kümmern. Klar – das macht Arbeit. Aber wenn es um Welt- oder in unseren Fall die Europaspitze geht, finde ich jeden Aufwand angemessen.

Klaus-Dieter Lübke Naberhaus, Die Sportpsychologen
Klaus-Dieter Lübke Naberhaus, Die Sportpsychologen

Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zur Profilseite)

Zuerst kann ich nur unterstützen, was meine wertgeschätzten KollegInnen hierzu geschrieben und gesagt haben. Als ich Arnd Zeigler reden hörte, dachte ich jedoch zuerst an den “heiligen Geist”, der entweder über ein Team kommt oder nicht. Dies hat etwas Spirituelles. Aber warum auch nicht: Anke spricht zurecht von etwas Magischem.

Und obwohl alle diese eher kognitiven Punkte relevant sind, die Yvonne und Anke angesprochen haben, scheint es da noch etwas anderes zu geben. Was könnte das sein?

Vielleicht kommt dem am nächsten, wenn Csikszentmihalyi vom Flow spricht, ein Flow, der ein ganzes Team ergreift, wenn ein Team sich in einen Rausch spielt.

Und hier sind es nicht mehr unbedingt die kognitiven Fähigkeiten, die vorrangig eine Rolle spielen, die jedoch die Grundlage für diesen besonderen “Teamgeist”, diesen gemeinsamen Flow und Rauschzustand ermöglichen.

Es wird aus dem Bauch heraus gespielt, alle Abläufe, die hunderte Male einstudiert wurden, funktionieren wie von magischer Hand gelenkt.

Im anderen Zusammenhang sprechen wir von Intuition, die es vielleicht auch kollektiv gibt, oder auch vom Wissen des Unterbewussten.

Und vielleicht lassen wir das Ganze auch dort, im Bereich des “Magischen”, vielleicht macht es auch gerade den Reiz aus, dass wir manche Dinge nicht bis in das Detail hinein erklären können, jedoch wissen, was eher förderlich und eher hinderlich zur Erzeugung des “Teamgeistes” sein kann. Vielleicht ist jedoch die letzte Zutat ein Geheimnis eines jeden Teams, so wie die Zutaten des Zaubertrank von Miraculix ebenfalls erst in ihrer besonderen Kombination ihre Wirkung entfalten und die letzte Zutat das Geheimnis des Zauberers ist.

Jedoch möchte ich zwei aus meiner Sicht sehr förderliche Elemente herausstellen.

  1. mutige Übernahme der Verantwortung durch jeden einzelnen Spieler im Rahmen einer selbstorganisierenden Teambildung einhergehend mit einer
  1. klaren Rollenzuordnung, die sich jedoch dynamisch angepasst an die (Spiel-)Situationen entwickelt.
Dr. Jan Rauch, Die Sportpsychologen

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Grundsätzlich kann Teamgeist über zwei Ansätze erreicht werden: durch die Arbeit mit dem Team selbst und durch die Arbeit mit den einzelnen Teammitgliedern.

Arbeit mit dem Team selbst:

  • Gemeinsame Ziele setzen: Klare und gemeinsame Ziele schaffen eine Richtung und Motivation für das gesamte Team. Diese Ziele sollten sich im Optimalfall in individuellen Zielen der Teammitglieder widerspiegeln bzw. diese inkludieren.
  • Konfliktmanagement und Kommunikation fördern: Ein proaktiver Umgang mit Konflikten sorgt dafür, dass diese schnell gelöst werden oder nicht aufkommen. Offene und ehrliche Kommunikation hilft dabei, Missverständnisse zu vermeiden und das Vertrauen zu stärken. Dies wirkt sich i.d.R. sehr positiv auf Teamgeist aus, da in der emotionalen Auseinandersetzung mit anderen oft feine Nuancen in Verhalten und Persönlichkeit gezeigt werden, die den anderen nicht bekannt waren. Diese “neuen” Informationen über Teammitglieder können für den Teamerfolg entscheidend sein, sofern sie klug gesteuert und genutzt werden (z.B. durch Trainer:innen).
  • Rollen und Verantwortlichkeiten klären: Jeder im Team sollte seine Rolle und Verantwortlichkeiten kennen, um effektiv zusammenarbeiten zu können.
  • Teambuildingmassnahmen können sehr effektiv sein, sofern einige Regeln befolgt werden (siehe weiter unten).

Arbeit mit den einzelnen Teammitgliedern:

Massnahmen zur individuellen Arbeit mit und an einzelnen Teammitgliedern bedingen sich teilweise gegenseitig bzw. machen vor allem dann Sinn, wenn sie kombiniert genutzt werden.

  • Individuelle Stärken fördern: Jedes Teammitglied hat spezifische Stärken, die erkannt und gefördert werden sollten. Diese Stärken müssen den anderen Teammitgliedern bekannt sein, damit sie bespielt werden können. Das ist auch der Grund, weshalb Teambuildingmassnahmen (siehe oben) tatsächlich effektiv sein können: Sie helfen, die Teammitglieder in Feinheiten besser kennenzulernen, die in anderen Kontexten nicht auftreten. Werden diese Informationen gebündelt und bewusst in die Zusammenarbeit eingebunden, trägt dies wiederum dazu bei, dass individuelle Stärken gefördert und genutzt werden können.
  • Feedback und Anerkennung: Regelmässiges Feedback und Anerkennung für die Leistungen motiviert die Einzelnen und trägt zum Gesamterfolg bei.
  • Entwicklungsmöglichkeiten bieten: Den einzelnen Teammitgliedern müssen Entwicklungsmöglichkeiten klar sein bzw. aufgezeigt werden können – im Optimalfall sind Teammassnahmen so ausgelegt, dass sie Entwicklungsziele der einzelnen Teammitglieder unterstützen.
Dunja Lang, Die Sportpsychologen

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Teamgeist im Fußball: Maßnahmen und Methoden für kurzfristigen und langfristigen Erfolg am Beispiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft

Der Teamgeist im Fußball ist entscheidend für den Erfolg einer Mannschaft. Das Modell der Salutogenese von Aaron Antonovsky bietet dabei ergänzend zu den Beiträgen der KollegInnen einen wertvollen Rahmen mit den drei Komponenten: Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit.

**Verstehbarkeit:** Julian Nagelsmann zeigt durch klare Kommunikation, wer in der Startelf steht und wer Einwechselspieler ist. Vor dem Spiel Deutschland gegen die Schweiz am 23.6.2024 erklärte er offen seine Entscheidungen. Diese Transparenz stärkt das Vertrauen der Spieler und fördert ein klares Verständnis ihrer Rollen im Team.

**Bewältigbarkeit:** Klare Strukturen und Anpassungsfähigkeit sind entscheidend. Nagelsmann passte während des Spiels gegen die Schweiz die Taktik an, ohne die Rollen der Spieler zu verwirren. Trotz der taktischen Änderungen wusste jeder Spieler genau, was von ihm erwartet wurde. Diese Klarheit half den Spielern, ihre Aufgaben effektiv zu bewältigen.

**Sinnhaftigkeit:** Gemeinsame Ziele und Motivation fördern den Teamgeist. Nagelsmann betonte vor dem Spiel gegen die Schweiz die Wichtigkeit des Sieges und die Rolle jedes Einzelnen. Diese Betonung schuf ein starkes Wir-Gefühl und motivierte die Spieler, sich gegenseitig zu unterstützen und für das gemeinsame Ziel zu kämpfen.

**Selbstkritik und Reflexion:** Nach dem Spiel zeigten sich Nagelsmann und seine Spieler selbstkritisch. Sie erkannten an, dass nicht alles perfekt lief und es Verbesserungspotenzial gibt. Diese Fähigkeit zur Selbstreflexion hilft, die Stärken und Schwächen des Teams zu erkennen und gezielt daran zu arbeiten. Diese Offenheit fördert ein Klima des kontinuierlichen Lernens und Wachstums.

Julian Nagelsmanns Verhalten bei der EM veranschaulicht, wie das Modell der Salutogenese zur Stärkung des Teamgeists angewendet werden kann. Durch klare Kommunikation, flexible Taktiken und die Betonung gemeinsamer Ziele schafft er ein Umfeld, in dem jeder Spieler seine Rolle versteht und motiviert ist, sein Bestes zu geben. Ein starker Teamgeist ist der Schlüssel zu kurzfristigem und langfristigem Erfolg im Fußball. Die Fähigkeit zur Selbstkritik und Reflexion, wie sie Nagelsmann und seine Spieler nach dem Vorrundenspiel Deutschland gegen die Schweiz bei der EM 2024 demonstrierten, ist dabei ein entscheidender Faktor für kontinuierliches Wachstum und Verbesserung.

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de