Das Karriereende kann in schwere Depressionen führen

Richtig Schluss machen muss gelernt sein. Zumal sich ein Karriereende schwer durch Wiederholungen wie im Techniktraining üben lässt. Umso wichtiger ist, über die passenden Methoden, Tipps und Hinweise Bescheid zu wissen. Und dies gilt sowohl für Profis als auch für Amateursportler und -sportlerinnen. Zumal der Wechsel in die Phase nach dem Sport auch von mentalen Problemen begleitet sein kann. Auch von schweren. 

Gerade im Amateursport dient der Sommer dazu, Bilanz zu ziehen. Nicht selten bei älteren Sportlern und Sportlerinnen – verbunden mit der Frage, ob sie noch ein Jahr dranhängen wollen. Welche Techniken und Methoden empfiehlt ihr, um Bilanz zu ziehen? Welche Tipps habt ihr?

Antwort von: Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil)

Bilanz ziehen ist ein sehr rationales Wort. Natürlich kann ich eine Plus- und Minus-Liste des dafür oder dagegen aufstellen. Doch es ist schwierig, wenn ich mir dann erst Gedanken darüber mache, wenn ich spüre, dass es körperlich, seelisch und geistig nun so gar nicht mehr geht.

Ich halte es für sinnvoll, sich früh mit diesem Thema zu beschäftigen, denn wenn Menschen sich vorrangig über Ihre “Sportlerpersönlichkeit” definieren, dann kann dies zu einem Identitätsverlust führen, der sie in eine Krise stürzt und sie ihre Identität verlieren läßt. Also besteht die Frage, wer ich außerhalb des Sports bin, was sind meine Interessen außerhalb des Sports? Wie sieht es mit meiner privaten Situation aus, was sind meine sozialen Kontakte oder beziehen sich diese nur auf den Sport? Habe ich bisher einen Teil meines Einkommens aus dem Sport bezogen oder vielleicht sogar meinen Lebensunterhalt bestritten, wie sieht es nach dem Karriereende mit der beruflichen Situation aus? Wie ist mein Plan mit dem Sport, soll er noch Bestandteil sein, zum Beispiel in Form einer Trainerkarriere? Oder ist der Plan, sogar weiterhin meinen Lebensunterhalt damit zu verdienen?

Und vor allem, was sagt mir mein Körper, meine Seele? Bin ich noch bereit, dies alles auf mich zu nehmen, habe ich noch Spaß daran und was brauche ich, um noch Leistung bringen zu können?

Diese Themen zu reflektieren, mit sich selbst oder in Begleitung, sollte ein kontinuierlicher Prozess sein und nicht erst kurz vor dem Toresschluss beginnen.

Welche Gefahren lauern, wenn die Entscheidung zum Karriereende zu überstürzt gefällt wird? Und wie lange vorher sollte der Rückzug im Idealfall geplant sein?

Antwort von: Janosch Daul (zum Profil)

Es gibt keine Faustformel, wie lange ein Karriereende geplant werden muss. Wichtig ist allerdings, dass die Entscheidung gründlich durchdacht wurde und sie sich vor allem stimmig anfühlt. Also dass neben dem Verstand auch allen relevanten Gefühlen, die sich im Entscheidungsprozess bemerkbar gemacht haben, Beachtung geschenkt wurde und diese wirklich “durchgefühlt” wurden. Auch die so bekannte Intuition, unser Bauchgefühl, sollte auf Grundlage unseres Erfahrungswissens ein gewisses Mitspracherecht haben. Gespräche mit geschätzten Ansprechpartnern können zusätzlich die eigenen Gedanken um weitere Perspektiven ergänzen und somit den Entscheidungsprozess um weitere relevante Facetten ergänzen. Wird eine Entscheidung zum Karriereende überstürzt gefällt, so ist die Gefahr groß, dass eine Unzufriedenheit entsteht und das Gefühlsleben prägt.

Antwort von: Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil)

Anknüpfend an meine Ausführungen zur ersten Frage sehe ich die Gefahren deutlich größer als Janosch sie schon angedeutet hat. Je nach Resilienz des Sportlers sind temporäre Unzufriedenheit bis hin zu ausgeprägten Störungsbildern möglich. Der Verlust von Identität und Sinn kann in schweren Depressionen münden. Existentielle Ängste sind möglich und lassen alle Formen von Angststörungen denkbar werden.

Alleine aus präventiven Gründen ist eine frühzeitige Beschäftigung mit dem Szenario notwendig, denn das Karriereende kann ungeplant schon in frühen Zeiten kommen.  

Deshalb ist neben der “Sportlerpersönlichkeit oder Wettkampfpersönlichkeit” auch die Gesamtpersönlichkeit in ihrer Entwicklung zu begleiten. Denn für die meisten endet der Traum einer Profikarriere schon in einem recht frühen Stadium.

Wie sollte das Karriereende kommuniziert werden? Sowohl in der Familie als auch im Job und im Verein? Tut es ein Post in der WhatsApp-Gruppe oder ist das sogar gefährlich, da die Betroffenen daraufhin gern mit emotionalen Statements der MitspielerInnen konfrontiert werden? Und macht es Sinn, sich in der Kommunikation die Tür zu einem Comeback offen zu lassen? 

Antwort von: Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil)

Dies ist eine hochgradig individuelle Entscheidung. Es ist sicherlich eine gute Idee, diese Kommunikation mit den nahe stehenden Menschen schon im Findungsprozess aufzunehmen und intensiv zu führen. Ansonsten bin ich ein sehr analoger Mensch, der viel von einer direkten und persönlichen Kommunikation hält. Was spricht dagegen, meine Entscheidung dem Verein gegenüber persönlich zu erklären und auch auf Nachfragen zu reagieren und wohlmeinende Umstimmungsversuche entgegen zu nehmen und sich für diese Wertschätzung zu bedanken? Leider verpassen wir häufig den Punkt, wenn es am schönsten ist, doch unser Bauchgefühl zeigt uns häufig den richtigen Weg.

Und die Tür für ein Comeback steht ja meistens offen, wenn sich Bedingungen, Meinungen, Haltungen und Motivationen ändern. Warum damit zum Zeitpunkt eines beschlossenen Karriereendes kokettieren? Das macht mich eher unglaubwürdig und provoziert Nachfragen und Spekulationen.

Ihr wollt euch intensiver mit dem Thema Karriereende beschäftigen? Dann nehmt gern Kontakt zu Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil) oder Janosch Daul (zum Profil) auf. Oder zu unseren anderen Experten und Expertinnen (zur Übersicht), die ihr auch nahe eurer Haustür findet. 

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de