Nichts zu verlieren? Wie bereite ich ein Finale vor?

Im EM-Finale 2024 treffen Spanien und England aufeinander. Spanien hat das Turnier bislang sportlich dominiert, England hat durch brutale Effizienz geglänzt. Beide Teams gehen sehr selbstbewusst und vielleicht siegesgewiss ins Endspiel. Aber wie gelingt es eigentlich, ein Team und einzelne Spieler absolut positiv vorzubereiten? Die Lust auf den Erfolg heraus zu kitzeln, aber eben nicht die Angst aufkommen zu lassen, etwas zu verlieren zu haben?

Zum Thema: Vorbereitung auf ein Finale

Janosch Daul, Die Sportpsychologen
Janosch Daul, Die Sportpsychologen

Janosch Daul (zum Profil

Das Ziel des jeweiligen Trainerteams muss darin bestehen, die Spieler individuell und das Team als Kollektiv zu unterstützen, in einen Zustand zu kommen, der es den Protagonisten ermöglicht, abzuliefern, wenn´s drauf ankommt – im großen Finale.

Obwohl die Rahmenbedingungen wie z.B. die Platzgröße den üblichen Bedingungen entsprechen, wird sich die Anforderungssituation EM-Finale für die meisten Spieler vermutlich anders anfühlen als ein gewöhnliches Spiel. Ein Grund hierfür kann in einer veränderten Aufmerksamkeitslenkung liegen. Indem zum Beispiel ein “Scheitern” oder Triumphieren gedanklich vorweggenommen wird, geht damit ein Verlust des Handlungsfokus einher. Das EM-Finale, das die allerwenigsten Spieler bereits erlebt haben, wird sich für die meisten Spieler anders anfühlen. 

Diesem veränderten Erleben sollten die Trainerteams Rechnung tragen, indem sie die Spieler und das Team gezielt in ihrer mentalen Vorbereitung unterstützen. Und doch steht jeder Spieler zunächst selbst in der Verantwortung, sich auf das EM-Finale vorzubereiten. 

Ein Schlüssel, um performen zu können, besteht in einer ausgeprägten Selbstwirksamkeitserwartung. Die Spieler müssen das Gefühl haben, der Anforderungssituation Finale mit ihren Qualitäten gewachsen zu sein. Sie müssen sich also ihrer Fähigkeiten bewusst und davon überzeugt sein, diese auch im Finale gewinnbringend auf das Feld bringen zu können. Hilfreich hierfür können Einzelgespräche sein, in denen das Trainerteam seine Spieler gezielt stärkt. Darüber hinaus können die Spieler die eigene Performance in Form von mentalem Training gedanklich vorwegnehmen. Gerade am Ende eines langen Turniers inklusive Verlängerungen ist es von fundamentaler Bedeutung, dass die Energie-Akkus der Spieler auf körperlicher und mentaler Ebene aufgeladen sind. Das Trainerteam steht also in den Tagen vor dem Finale in besonderer Verantwortung, die Belastung stimmig zu steuern. Wenn die Spieler das Gefühl haben, frisch und energievoll ins Finale starten zu können, zahlt dies gleichzeitig auf ihre Selbstwirksamkeitserwartung ein. Ebenso von zentraler Bedeutung ist die Art, mit sich selbst zu kommunizieren. Die Spieler sollten reaktive Selbstgespräche in petto haben, die sie einsetzen können, wenn Gedanken auftreten, die Unsicherheit und Selbstzweifel auslösen. 

Zudem ist es sinnvoll, Selbstgespräche zu entwickeln, die die Spieler proaktiv einsetzen, um sich bewusst zu stärken. Diese Selbstgespräche können auch an einen konkreten Zeitpunkt gekoppelt werden, z.B. an das Betreten des Spielfeldes. Des Weiteren müssen die Spieler in der Lage sein, einen adäquaten Anspannungszustand vor dem Spiel zu entwickeln. Das Trainerteam kann die Spieler dabei durch eine passende Erwärmungsgestaltung und durch die Art und Weise, wie die Spieltagsansprachen gestaltet werden, unterstützen. 

Wenn die Spieler abliefern wollen, müssen sie darüber hinaus eine Klarheit haben, was sie auf dem Feld zu tun haben – unter Berücksichtigung des Matchplans, wiederum der gegebenen Rahmenbedingungen (z.B. Platzgröße, Wetter) und des Gegners. Es ist die Aufgabe des Trainerteams, den Spielern diese Klarheit in Ansprachen und Einzelgesprächen zu vermitteln. Diese Form von Handlungssicherheit wird die Spieler wiederum dabei unterstützen, die so wichtige Überzeugung aufzubauen, der Anforderungssituation gewachsen zu sein. 

Arthur Wachter, Die Sportpsychologen

Arthur Wachter (zum Profil)

Die Vorbereitung auf ein Finale, insbesondere auf ein Ereignis wie ein EM-Finale, erfordert eine sorgfältige Balance aus mentaler Stärke, positiver Einstellung und sportpsychologischen Techniken. Hier sind 10 Strategien und Ansätze, die aus sportmental- und sportpsychologischer Sicht hilfreich sein können:

1. Positive Zielsetzung

Es ist wichtig, klare und positive Ziele zu setzen. Anstatt sich auf das Vermeiden von Fehlern zu konzentrieren, sollte der Fokus darauf liegen, was das Team erreichen will.  

2. Visualisierung

Spieler sollten ermutigt werden, positive Szenarien durchzugehen. Dies bedeutet, sich vorzustellen, wie sie erfolgreich spielen, Tore schießen, gute Pässe machen und starke Verteidigungsaktionen durchführen. Dies kann helfen, Vertrauen zu stärken und Angst zu reduzieren.

3. Fokus auf Stärken

Es ist entscheidend, die Stärken jedes einzelnen Spielers und des Teams als Ganzes zu betonen. Dies schafft ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten.

4. Umgang mit Druck

Durch Training unter simuliertem Druck können Spieler lernen, wie sie unter Stress ruhig und konzentriert bleiben. Szenarien wie Elfmeterschießen oder Rückstände können im Training nachgestellt werden.

 5. Entspannungstechniken

Atemtechniken und progressive Muskelentspannung können helfen, Nervosität und Angst zu reduzieren. Spieler sollten in der Lage sein, sich zu entspannen und ihren Fokus zurückzugewinnen.

 6. Teamdynamik

Ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit kann das Vertrauen und die Moral des Teams stärken. Über einen längeren Zeitraum entwickelte Team-Building-Aktivitäten und eine etablierte offene Kommunikation sind entscheidend.

 7. Positive Selbstgespräche

Spieler sollten ermutigt werden, positive und motivierende Selbstgespräche zu führen. Dies hilft, negative Gedankenmuster zu durchbrechen und eine positive Einstellung zu bewahren.

 8. Realistische Erwartungen

Es ist wichtig, dass Spieler und Trainer realistische Erwartungen haben. Sie sollten wissen, dass sie ihr Bestes geben, aber auch, dass das Ergebnis nicht immer vollständig in ihrer Kontrolle liegt.

 9. Unterstützungssystem

Der Zugang zu einem Sportpsychologen oder Mentaltrainer kann besonders in der Vorbereitungsphase nützlich sein. Dieser kann individuelle Strategien entwickeln und Unterstützung bieten.

10. Freude und Leidenschaft

Der Spaß und die Freude am Spiel sollten im Vordergrund stehen. Spieler sollten sich daran erinnern, warum sie den Sport lieben und welche positiven Emotionen sie damit verbinden.

Mehr zum Thema:

Views: 149

Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de