Sportpsychologie und Fußball: Der gemeine Ex-Profi – der Feind des Sportpsychologen?

Im Netzwerk Die Sportpsychologen haben die Äußerungen von Jens Nowotny für etwas Wirbel gesorgt. Der frühere Nationalspieler und Bundesliga-Kicker hat in einem Interview mit dem Sportradio Deutschland recht deutlich an der Notwendigkeit der sportpsychologischen Betreuung im Nachwuchsfußball gezweifelt. Was er ausgesprochen hat, ist insofern nichts besonderes, da sich die Sportpsychologie im professionellen Fußball immer noch nicht flächendeckend durchgesetzt hat. In den Nachwuchsleistungszentren ist die Implementierung von sportpsychologischen ExpertInnen zwar Pflicht, aber mancherorts nicht mehr als “nettes” Angebot für “Spieler und Spielerinnen mit Problemen”. Im Profi-Bereich ist die fachlich gerechte Sportpsychologie an sehr wenigen Standorten installiert – zunehmend arbeiten Profis auf eigene Rechnung mit SportpsychologInnen (auch aus unserem Netzwerk), MentaltrainerInnen oder leider auch mit ScharlatanInnen. Letzteres weil die Spieler, viele Berater und wichtige Entscheider im System es nicht besser wissen. Nicht zwischen Sportpsychologen, Mentaltrainern, Sportpsychiatern und leider auch zwischen dreisten Blendern mit einfachen Antworten auf schwere Fragen unterscheiden können oder wollen.

Kurzum: Die Sportpsychologie hat sich im Profi-Fußball noch nicht unabdingbar gemacht. Worin liegt das begründet? An Ex-Profis als größte Feinde der Sportpsychologie, an strukturellen Mängeln oder muss die Sportpsychologie viel selbstkritischer mit sich sein? Wir haben im Netzwerk ein Stimmungsbild eingeholt.

Das inspirierende Sportradio Deutschland-Interview mit Jens Nowotny könnt ihr hier nachhören (die kritischen Äußerungen zur Sportpsychologie hört ihr ab Minute 21, Link)     

Was macht die Sportpsychologie falsch bzw. konstruktiver gedacht, was muss die Sportpsychologie besser machen, damit grundlegende Zweifel wie hier von Jens Nowotny geäußert, dauerhaft ausgeräumt werden können?

Dr. Rita Regös

Antwort von: Dr. Rita Regös (Link zum Profil)

Die Sportpsychologie sollte neben der konkreten Zielstellung der Leistungsoptimierung auch die Lösungsorientierung stärker kommunizieren. Wir wollen nicht “psychologisieren”, sondern dem Athleten konkrete Maßnahmen und Lösungsansätze für das Erreichen seiner Ziele liefern.

Björn Korfmacher

Antwort von: Björn Korfmacher (Link zum Profil)

Die Sportpsychologie wird häufig missverstanden und mit Psychotherapie gleichgesetzt. Natürlich geht es in der sportpsychologischen Arbeit auch um die seelische Gesundheit. Aber in erster Linie um mentale Stärke zur Leistungsoptimierung. Hier müsste die Sportpsychologie “sportlicher” auftreten und weniger akademisch. Auch müsste der Nutzen konkreter kommuniziert werden – noch ist die Sportpsychologie für viele eine Glaubensfrage, um nicht zu sagen Hokuspokus.

Jan van der Koelen

Antwort von: Jan van der Koelen (Link zum Profil)

Grundsätzlich habe ich schon den Eindruck, dass sich mehr und mehr (Top-)Athleten, Vereine und Trainer, zuletzt Jürgen Klopp, für die Sportpsychologie aussprechen. Das gilt für den Profibereich, den Amateurbereich und den Kinder- und Jugendbereich.

Die Zusammenarbeit mit dem Sport-Mentaltrainer oder dem Sportpsychologen sollte dasselbe Image haben, wie der Gang zum Physiotherapeuten oder der Weg zum Krafttraining. Ein Extra-Training, welches bereichernd und unterstützend ist. Faktisch existieren viele wissenschaftliche Studien, bspw. von Meijen (2019), die den Kopf als entscheidenden Erfolgsfaktor beschreiben. Unterm Strich wird immer wieder deutlich: „Deine Grenze setzt Dir nicht Dein Körper, sondern Dein Kopf.“.

Es wäre sicherlich hilfreich, wenn die sportpsychologische Betreuung etwas sichtbarer und transparenter werden könnte. Damit diese nicht mehr nebulös bleibt, sondern es für noch skeptische Menschen konkrete Vorstellungen und Demonstrationen davon gibt, wie mit der Vielzahl an hilfreichen Techniken immer wieder neues ausprobiert, gemeinsam reflektiert und sich selbst beobachtet wird. 

Halten wir es mit: Tue Gutes und rede darüber. Es gilt, mit AthletInnen, in Vereinen, mit TrainerInnen und in den Medien noch mehr über die sportpsychologische Betreuung zu sprechen. Proaktiv die Vorteile und den Nutzen darstellen, um eine positive Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Stephan Brauner

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Was könnten wir besser machen? Einerseits: Produktinformation. Wir sollten noch deutlicher machen, was die vielfältigen Möglichkeiten der Sportpsychologie sind. Andererseits gibt es einen Punkt, der noch wichtiger ist als die Kommunikation unserer Dienstleistung. Und das ist erfolgreiche sportpsychologische Arbeit. Spätere Generationen als Jens Nowotny werden fast automatisch Kontakt mit der modernen Sportpsychologie gemacht haben. Wenn wir hier gut arbeiten, dann lösen sich die Zweifel auf.

Dr. Hanspeter Gubelmann

Antwort von: Dr. Hanspeter Gubelmann (Link zum Profil)

Der Sportpsychologie gelingt es offensichtlich nicht, den Trainern und Funktionären die Augen zu öffnen, um aufzuzeigen, was im Nachwuchsspitzensport gerade auch diskutiert wird. In den Medien machen immer wieder Meldungen von physischen und psychischen Übergriffen die Runde, die sportwissenschaftliche Forschung zeigt desaströse Entwicklungen hinsichtlich psychischer Schädigungen junger Menschen in allen Ländern und in sehr vielen Sportarten. Allein deshalb gilt die Devise: Information, Transparenz und Prävention – auch unter Einbezug der Sportpsychologie!

Mal voller Selbstkritik: In den Nachwuchsleistungszentren sind häufig sehr junge Sportpsychologen und Sportpsychologinnen angestellt. Eine grundsätzlich ja tolle Entwicklung. Auch die U-Nationalmannschaften im DFB werden von meist jungen ExpertInnen betreut. Aber fehlt es damit nicht auch an Erfahrung, Lebenserfahrung oder beruflicher Konflikterfahrung, um im System stärker auftreten zu können? Zum Beispiel gegenüber Ex-Profis oder anderen Verantwortungsträgern, die noch kein Vertrauen in die angewandte und fachlich fundierte Sportpsychologie gefasst haben?  

 

Dr. Hanspeter Gubelmann

Antwort von: Dr. Hanspeter Gubelmann (Link zum Profil)

Man kann es auch als Vorteil für junge Sportpsycholog*innen sehen, wenn diese in Kontakt mit den Jugendlichen kommen. Sie sprechen ihre Sprache, sind so auch näher am Ball. Diese jungen Kolleg*innen müssen selbstverständlich sehr hohen Ansprüchen hinsichtlich fachlicher und sozialer Kompetenzen genügen, allein diese reichen aber noch nicht! Sie müssen von den Fachtrainern (Coaches, Assistenztrainer, Physios etc.) aktiv unterstützt und in die tägliche (Trainings-) Arbeit integriert werden. Es braucht demzufolge eine „Lobby“ für die Angewandte Sportpsychologie im Nachwuchs-Fussballsport. Die Aussage von Herrn Nowotny geht mir diesbezüglich zu sehr in eine andere Richtung.

Anke Precht

Antwort von: Anke Precht (Link zum Profil)

Wenn Sportpsychologen zu akademisch auftreten, und schnell mögliche Ursachen hinter Problemen analysieren, machen sie sich zurecht unbeliebt. Ich glaube, dieses Phänomen gibt es immer seltener in der angewandten Sportpsychologie, zum Glück. Entscheidend ist nicht, dass die Sportpsychologen dem Sportler oder dem Staff sagen, warum es ein Problem gibt, sondern dass sie zeigen und klarmachen, dass sie Methoden kennen, die Sportlern dabei helfen, ihre Ziele zu erreichen, und dass sie für das, was im Kopf passiert, die Experten sind. Dass heißt, sie sollten sich auch als junge Sportpsychologen schnell einen großen Werkzeugkoffer zulegen, der dabei hilft, wirksame Unterstützung zu geben, wenn es brennt, und gleichzeitig eine fundierte Basis für den sportlichen Erfolg zu legen. Was im Studium erworben wird, hilft, eine gute Basis zu legen, aber es reicht natürlich nicht für alle Herausforderungen aus. Deshalb sollten Sportpsychologen klar machen, dass sie sich intensiv fortbilden, am besten im In- und Ausland, und sich regelmäßig mit Kollegen austauschen. 

Dr. Rita Regös

Antwort von: Dr. Rita Regös (Link zum Profil)

Die Erfahrung von älteren Sportpsychologen zeigt sich weniger im starken Auftreten, vielmehr in der Summe des praktischen Wissens, was sie in der Interventionsplanung und Lösungsansätze flexibler macht, in der Wahrnehmung und Reaktion auf Situationen präziser und im Umgang mit Verantwortungsträger selbstverständlicher. Dass weniger Jahre im Beruf mit weniger Erfahrung einhergehen ist selbsterklärend aber nicht wertend. Der Sport kann durchaus selbst bestimmen, ob er an Erfahrung interessiert ist oder anderen Aspekten wie zum Beispiel, an Altersnähe zu den Athleten oder sportspezifische Selbsterfahrung des Sportpsychologen. Letztlich geht es nicht darum, ob man als Experte von Beginn an akzeptiert wird, sondern, ob man sich im Verlauf der Zusammenarbeit Akzeptanz erarbeiten kann – das ist durchaus vom Alter zu entkoppeln.

Björn Korfmacher

Antwort von: Björn Korfmacher (Link zum Profil)

Ich glaube, das Alter spielt keine Rolle. Aber meine Beobachtungen zeigen, dass Sportpsychologen oder Sport-Mentaltrainer, die selber nie Leistungssport gemacht und dahingehend nicht viel vorzuweisen haben, von Sportlern und Trainern leider oft nicht ernst genommen werden. Sich rein über die akademische Ausbildung zu profilieren, reicht oft nicht aus. Leider. Denn das Wissen, welches an den Hochschulen und in den entsprechenden Lehrgängen vermittelt wird, ist inzwischen sehr fundiert und praxisnah. 

So wie viele herausragende Trainer, die selber nie über den Amateursport hinausgekommen sind, gibt es sicherlich auch jede Menge erstklassige Sportpsychologen, die keine großartige sportliche Laufbahn hinter sich haben.

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de