Corona-Krise: Welche mentalen Techniken für Sportler besonders jetzt hilfreich sein können

Trainingsausfälle, Wettkampfabsagen oder -verschiebungen. Dazu eine große Unsicherheit, wann und wie es weitergeht. Insbesondere Leistungssportler leiden stark unter der aktuellen Sondersituationen. Allerdings verfügen viele Athleten aktuell über mehr Zeit in ihrem Alltag. Insofern haben wir bei unseren Experten von “Die Sportpsychologen” gefragt, welche mentalen Techniken jetzt weiterhelfen können. 

Zum Thema: Mentale Techniken im Sport

Wann lohnt es sich für Sportler, aktiv mit Zielen zu arbeiten? “Immer”, lautet die klare Antwort von Lisa König (zum Profil) aus Halle/Saale. Gerade auch in der aktuellen Sondersituation, in der wir alle stecken, lohnt es sich, wenn Sportler im Rahmen eines sportpsychologischen Zielsetzungstrainings ihren Ist-Zustand bezüglich individueller Faktoren wie Motive, Athletik, Gesundheit, Kraftwerte, etc. einordnen und ihre gesteckten Ziele auf Basis der Ergebnisse neu bewerten und angleichen. Eine Anpassung ist immer jeweils nach oben oder unten möglich.

Der Effekt: Wer sich während der Saison oder einer solchen Unterbrechung seine persönlichen Ziele und die der Mannschaft vor Augen führt, kann neue Trainingsmotivation aufbauen. Und dies ist in diesen Tagen wichtiger denn je. Auch tägliche Ziele können in einer solch schwierigen Zeit eine fördernde Maßnahme sein, um täglichen Antrieb zu geben. Man kann seine Ziele aufschreiben und in seine Wohnung hängen, um die Motivation stets vor Augen zu haben. Übrigens: Dieses aktive Zielsetzungstraining ist nicht nur etwas für Corona-Wochen, sondern lohnt sich auch in Verletzungsphasen, bei Vereinswechseln, nach sportlichen Rückschlägen oder bei Höhenflügen.

zum Profil von Lisa König

Mit Resilienz die Lage meistern  

Für Dr. René Paasch (zum Profil) aus Essen ist es während der Corona-Krise wichtig, dass Sportler die Ruhe und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten behalten. Kein einfaches Unterfangen! Denn der Umgang mit aufeinanderfolgenden Negativerlebnissen (kein gewohntes Training und Wettkämpfe, fehlende soziale Kontakte, fehlende Einnahmen, ausfallende Sponsorengelder, Kurzarbeit etc.), miesen Wasserstandsmeldungen aus den Medien oder im familiären Kontext, ist oft ein sehr persönlicher. Zudem ist unsere Wahrnehmung vom persönlichen Umfeld sowie von parallel laufenden Prozessen beeinflusst. Resilienz-Training stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und verleiht Flügel, ähh Ruhe…, somit ist Resilienz die Fähigkeit auch bei widrigen Umständen sich gut zu entwickeln, zu gedeihen, gute Lösungen zu finden.

Wer dazu mehr wissen möchte und auch einen Test durchführen will, sollte hier genauer reinschauen: Link: Dr. René Paasch: Resilienz im Fußball Dies gilt übrigens nicht nur für Fußballer.

Die Kraft der Visualisierung

Die frühere Handball-Nationaltorhüterin in unserem Netzwerk, Katja Kramarczyk (zum Profil) aus Leipzig, sieht aktuell die große Chance für Sportler über Visualisierungen an eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten zu arbeiten. Holt die Arena also auf eure Couch und in euren Kopf und versetzt euch in krasse Wettkampfsituationen! Wenn ihr das richtig anstellt, ist die Kraft, die die Simulation entfaltet, stärker als durch körperliches Training. Konkret: Stellt euch taktische Maßnahmen vor (z.B. Freistoßvarianten oder Überzahlspiel) oder übt  sportartspezifische Bewegungen. Wenn ihr wissen wollt, wie das genau geht oder ihr bei ersten Versuchen nicht richtig klarkommt, fragt Katja und die anderen (zur Übersicht) von Die Sportpsychologen.

Ilias Moschos (zum Profil) aus Krefeld, der unter anderem mit Fußballtorhütern arbeitet, liefert noch einen ergänzenden Tipp zur Anwendungen von Visualisierungen: Denn häufig beziehen Anwender lediglich die positiven Aspekte in diese Technik ein und übersehen Schwierigkeiten und Hindernisse. Aber genau darin liegt eine Menge Potential. Denn kaum ein Wettkampf verläuft ohne Einfluss des Gegners, Schiedsrichters, Publikums, etc. Hier ist es unabdingbar, sogenannte wenn-dann-Pläne mit einzubeziehen und adäquate Lösungsstrategien auszuarbeiten. Fragt euch also: Welche Schwierigkeiten können eintreten und welche Reaktion zeige ich als Sportler, um daraus resultierend eine Aktion zu gestalten? Auch hier gilt, je realitätsnäher, desto wirkungsvoller. Trainiert die „Unvorhersehbarkeit”, um im Wettkampf bestens präpariert zu sein! Solche Tipps bekommt ihr im Detail von unseren Experten aus dem Netzwerk (zur Übersicht) – sprecht sie einfach an! 

Selbstreflexion – Zurückblicken, um besser nach vorn zu schauen

Für Dr. Fabio Richlan (zum Profil) aus Österreich ist das erzwungene Wettkampf Time-Out sehr gut dazu geeignet, in Richtung Selbstreflexion zu arbeiten. Was könnt ihr euch darunter vorstellen? Es geht darum, vergangene Wettkämpfe zu analysieren, die eigene Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung zu reflektieren, eine ehrliche Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen vorzunehmen und Lern- und Entwicklungsfelder für die Zukunft zu definieren. Wer darauf Lust hat, kann im ersten Schritt mit den folgenden Leitfragen arbeiten:

  • Verstehst du deine aktuellen psychologischen Vorgänge und bist du dir dessen bewusst, was du wahrnimmst, was du denkst, was du fühlst und wie du in Drucksituationen handelst oder reagierst?
  • Weißt du, in welchem psychologischen Zustand du in kritischen Momenten deiner Leistung sein möchtest und verstehst du die Auslöser, die diesen Zustand stören können?      
  • Kannst du deine Gedanken und Gefühle in Drucksituationen effektiv regulieren und weißt du, wie du in einen automatischen Zustand kommen (und darin bleiben) kannst?    

Nehmt euch die Zeit, euch genau mit solchen Fragen jetzt auseinanderzusetzen. Dr. Fabio Richlan, der zum Thema mit dem Fokus auf den Radsport auch bereits einen Blog formuliert hat (Link: Dr. Fabio Richlan: Sportpsychologie im Radsport) und seine Kollegen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland (zur Übersicht) helfen euch dabei sehr gern.

    
Selbstregulierung für gestresste Sportler

Wettkampf-Absage, Beendigung der Meisterschaft und die Unsicherheit hinsichtlich Olympia. Es ist für Klaus-Dieter Lübke Naberhaus (zum Profil) aus Leipzig vollends nachzuvollziehen, dass Sportler mit Gefühlen und Zuständen wie Angst, Unsicherheit, Wut und Aggression reagieren. Nicht wenige plagen sich auch mit dem Zustand herum, dass sie ohne Wettkämpfe schlicht nicht abliefern oder auch einmal Dampf ablassen können. Das berührt sogar ihre Identität, ihr Selbstverständnis.

Sein Rezept: Emotionsregulation z.B. über Atemtechniken analog zur atemzentrierten Meditationen sowie sogenannte Pendelübungen, pendeln zwischen den Emotionen und rationalen Sachbeschreibungen, in diesem Falle mal: “Raus aus der Emotion hinein in die Wahrnehmung und den Kopf”. Hierbei geht es um die gezielte Steuerungen des Erregungsniveaus, was nachhaltig die Wahrnehmung beeinflusst. Mit seinem Wissen, welches er unter anderem beim Damen-Handballverein HC Leipzig einsetzt, ist daraufhin der Weg zu klassischen Entspannungstechniken wie autogenes Training, progressive Muskelrelaxation bis hin zur Selbsthypnose nicht mehr weit. Dies hat zwar sicher jeder Sportler schon einmal gehört, aber wer hat es schon angewendet? Wann, wenn nicht jetzt…

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de

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