Die Fälle der Turnerin Kim Bui, die an einer Essstörung litt, des Bremen-Spielers Niklas Schmidt und des Bayern-Spielers Benjamin Pavard, die mit einer Depression zu kämpfen hatten, oder auch der Fall Jadon Sancho, der mentale Probleme offenbarte, zeigen auf: Psychische Erkrankungen können jeden treffen – auch Spitzensportler. Von der Dunkelziffer mal ganz zu schweigen. In diesem Artikel möchte ich den Zusammenhang zwischen der mentalen Gesundheit und der Leistungsfähigkeit aufzeigen. Und darstellen, welchen Beitrag Trainer durch ein wertschätzendes Führungsverhalten zur mentalen Gesunderhaltung ihrer Sportler leisten können. Denn in unserem Umgang miteinander liegt ein wichtiger Schlüssel, um rundum gesund zu sein und sportliche Leistung abrufen zu können. Trainern kommt hierbei eine wichtige Rolle zu.
Zum Thema: Mentale Gesundheit als Basis für maximale Leistungsfähigkeit
Keine Frage, nicht nur in körperlicher, sondern auch in mentaler Hinsicht gesund zu sein, ist ein wahrer Schatz – gerade auch für Leistungssportler. Schließlich ist es die mentale Gesundheit, welche die Grundlage für die eigene maximale Potenzialentfaltung liefert. Trotz des greifbaren Zusammenhangs zwischen mentaler Gesundheit und Leistungsfähigkeit lässt sich in der Sportpraxis wiederkehrend ein hierzu widersprüchliches Führungsverhalten von Trainern wahrnehmen – ein Verhalten, das auf Bestrafungen, Tadel und Beschimpfungen basiert. Worin können Ursachen in einem solchen Verhalten begründet sein?
Oft sind Trainer über diesen Zusammenhang nicht informiert, es fehlt schlichtweg an Wissen. Teilweise wird dasselbe Verhalten eingesetzt, das man als jugendlicher Sportler selbst erlebt und somit erlernt hat. So wird z.B. ein autoritäres Trainerverhalten adaptiert und eine Kultur fortgesetzt. An der ein oder anderen Stelle fehlt es auch an grundlegenden sozialen Kompetenzen inklusive eines Bewusstseins dafür, was die eigenen Worte oder Handlungen beim Gegenüber auslösen. Angesichts der Wichtigkeit der mentalen Gesunderhaltung gilt es, sich als Trainer die Fragen zu stellen: Was braucht ein Sportler, um psychisch gesund zu bleiben? Und wie kann ich durch mein Wirken einen entscheidenden Beitrag dazu liefern? Auf die zweite Frage möchte ich mich genauer fokussieren, indem ich mich mit den zentralen Grundpfeilern wertschätzender Führung im Sport auseinandersetze.
Grundpfeiler wertschätzender Führung im Sport
- Respekt
Der Begriff Respekt stammt ursprünglich vom lateinischen Verb respicere ab und bedeutet so viel wie zurückschauen, umschauen, sich nach anderen umschauen. Ein Bewusstsein über diese Ursprungsbedeutung hilft zu verstehen, inwiefern Respekt in Bezug auf wertschätzende Kommunikation und gelingendes Führungsverhalten von Bedeutung ist. Es geht darum, sich auf seinen Sportler einzulassen und sich ihm zuzuwenden. Respicere hat aber auch eine andere Bedeutung, nämlich sich selbst zu beachten und zu überdenken. An dieser Stelle – ganz im Sinne der Bedeutung sich selbst zu beachten – möchte ich euch zu einem kleinen Experiment einladen – nämlich, den folgenden Satz aufmerksam zu lesen, ihn auf euch wirken zu lassen und zu beobachten, was er in euch auslöst, inklusive einer Beobachtung, welche Gedanken und Gefühlen aufploppen:
“Warum wir in den Trainerforbildungen das Modhul wertschetzende Führung bräuchten…”
Was hat dieser Satz mit euch gemacht? Was habt ihr gedacht und gefühlt, als ihr die Rechtschreibfehler wahrgenommen habt? Habt ihr Mitgefühl gehabt? Wart ihr wütend wegen eines vermeintlich schlecht vorbereiteten Sportpsychologen, der euch etwas über Respekt erzählen will? Als Menschen neigen wir zu fixen Interpretationen, dazu, voreilige Schlüsse zu ziehen und Menschen in Schubladen zu stecken, auf Grundlage eigener Urteile. Wie gehen wir z.B. im Schulkontext mit Fehlern und Schwächen um? In der Schule werden besonders Defizite explizit hervorgehoben, z.B. im Diktat falsch geschriebene Worte mit der Signalfarbe Rot fett markiert. Welchen Unterschied würde es machen, wenn wir den Spieß umdrehen und all jene Worte hervorheben würden, die richtig geschrieben wurden? Bei aller Kritik am Niveau deutscher Schüler hätten wir dann eine ganz gute Quote, oder? Ich wünsche mir, gerade auch für den Sportkontext, einen bewussten Perspektivwechsel: Dass wir als Führungskräfte nicht so schnell werten, sondern unseren Gegenüber, unseren Sportler erstmal so akzeptieren und annehmen, wie er als Mensch eben ist und uns dabei immer dessen bewusst sind, dass wir selbst auch alles andere als fehlerfrei sind. Ich wünsche mir einen vorurteilsfreien Blick auf den Menschen hinter dem Sportler und eine bewusste Fokusausrichtung auf all die Stärken, Fähigkeiten und positiven Eigenschaften unseres Gegenübers. Es ist diese Haltung, die dann zu einer Verhaltensänderung führen kann, die wiederum dem Wohlbefinden des Sportlers dient.
- Selbstverantwortliche Entscheider statt zappelnde Marionetten
Wer kennt sie nicht, die Marionettenstrategie? Oftmals wird diese von Trainern angewendet, die ihre Sportler als „Schachfiguren“ und „Dienstleister“ ansehen und diese loben bzw. tadeln in Abhängigkeit davon, ob das umgesetzt wurde, was sie als Trainer von ihnen verlangt haben. Doch hier braucht es im Sinne einer wertschätzenden Führung Veränderung. Die „Dienstleister“ sollten nicht mehr Dienst nach Vorschrift machen, sondern einen eigenverantwortlichen Dienst an ihrer Leistung und Entwicklung erbringen. Es gilt, die Zöpfe abzuschneiden, die Marionettenverbindung zu kappen – mit dem Ziel, die Sportler mehr in den Mittelpunkt zu stellen, sodass sie keine Erfüllungsgehilfen der Trainervorgaben sind, sondern eigenständige Entscheidungsträger.
Um es mit einer anderen Metapher auszudrücken: Im Prinzip geht es um die Frage, in welchem Film befindet sich die Führungsperson? Letztlich sollte es immer um den Sportler gehen, denn dieser ist es, der die sportliche Leistung zu erbringen hat. Deshalb ist es notwendig, sich in den Film des Sportlers zu begeben, um als Trainer wirksam zu sein. Oder aber einen gemeinsamen Film zu entwickeln, in dem sich Sportler und Trainer gemeinsam befinden. Es sollte bei meinem Führungsverhalten immer um die Fragen gehen: Wem dient es? Dient es mir? Oder dient es dem Sportler? Und wie muss Führung aussehen, damit sie dem Sportler dient? Anhand des Beispiels Druck lässt sich dies verdeutlichen. Nur selten ist Druck etwas, was Sportler zu besseren Leistungen befähigt – langfristig erst recht nicht. In der Praxis jedoch lässt sich oftmals beobachten, dass Trainer dazu neigen, Druck auf den Sportler auszuüben. Da liegt die Vermutung nahe, dass es in solchen Fällen eher darum geht, den eigenen Druck weiterzugeben. Also dient es mir selbst und nicht dem Gegenüber! Eine Voraussetzung, um die Marionettenstrategie abzulegen und einen gemeinsamen Film zu entwickeln: Loszulassen und Vertrauen zu entwickeln, in die einst so zuverlässigen Dienstleister.
- Vertrauen
Trainer fordern oft, Vertrauen zu erhalten – von ihrem Arbeitgeber und ihren Sportlern. Doch wie entsteht Vertrauen und wie lässt sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Sportler und Trainer aufbauen? Im Rahmen einer Weiterbildung habe ich folgende Formel aufgeschnappt, die eine sinnvolle Orientierungshilfe für die Praxis darstellen kann: Demnach ist Vertrauen das Resultat von
Nähe + Zutrauen + Zuverlässigkeit
_____________________________________
Ego
Es geht also für den Trainer darum, eine gewisse Nähe aufzubauen, ein Zutrauen zueinander zu entwickeln und Zuverlässigkeit an den Tag zu legen. Wenn die durch den Trainer geschaffene Nähe, das Zutrauen und die Zuverlässigkeit des Trainers in Summe in der Wahrnehmung des Sportlers größer sind als das vom Sportler wahrgenommene Trainer-Ego, so ist Chance groß, dass sich ein gewisses Vertrauensverhältnis entwickelt. Alle Trainer hingegen, die sich selbst sehr wichtig nehmen, brauchen über dem Bruchstrich relativ viel, um Vertrauen aufzubauen. Dieser Prozess des Vertrauensaufbaus kann als relativ anstrengend und mühsam empfunden werden, braucht Zeit und kann durch Störungen auf der Beziehungsebene rasch wieder eine unliebsame Wendung nehmen. Doch es lohnt sich für den Trainer, der wertschätzend führen möchte, dranzubleiben und Hartnäckigkeit zu beweisen. Denn ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis schafft belastbare Beziehungen, hilft dem Sportler, sich zu öffnen und stellt eine Basis für eine gelingende Zusammenarbeit dar. Vertrauen hilft zudem dabei, Rückschläge und schwierige Situationen gemeinsam zu meistern – gerade auch solche, die das persönliche Wohlbefinden des Sportlers betreffen.
- Empathie
Im Sport wird oft von Sinnlosigkeiten gesprochen, z.B.: „Was für ein sinnloser Pass!“ Aber auch der vermeintliche Unsinn enthält einen – im ersten Moment vielleicht noch nicht greifbaren – Sinn. Aktiv zu versuchen, diesen Sinn verstehen zu wollen, hilft, sich auf den Gegenüber einzulassen und sich mit ihm zu verbinden – statt ihn wertend in eine Schublade zu packen. Empathie bedeutet in diesem Zusammenhang also, den Gegenüber und dessen Verhalten bewusst verstehen zu wollen – basierend auf der inneren Grundhaltung, dass sich hinter jedem Verhalten ein wertzuschätzendes Motiv und eine positive Absicht steckt. Empathie bedeutet auch, mit seinem Sportler mitzufühlen, ihn unterstützen zu wollen, gerade in für diesen schwierigen Situationen und somit bewusst Anteil an seiner inneren Erlebenswelt zu nehmen. Entscheidend ist als Grundlage für eine wertschätzende Kommunikation auch, sich immer wieder bewusst “leer zu machen”. Gerade als Trainer gilt es, ein Gespräch mit seinem Schützling leer zu beginnen, anstatt innerlich geradezu auf das eine Reizwort zu warten, das einen auf 180 bringt und an die Decke springen lässt. Sich leer zu machen geht zudem damit einher, möglichst vorurteilsfrei in jegliche Interaktion mit dem Sportler zu gehen und sich dessen bewusst zu sein, dass genau diese Interaktion einzigartig ist und so nie wieder auftreten wird. Empathie lässt sich auch ausdrücken, indem der Coach vor allem mit Fragen arbeitet, dem Sportler Raum gibt, sich zu öffnen und sich mitzuteilen. So lässt sich wiederum ein Gespür für die Bedürfnisse und Wünsche des Sportlers entwickeln, die der Coach in seinem Führungsverhalten anschließend berücksichtigen kann. Die Fähigkeit, Fragen zu stellen geht eng mit einer gewissen Kommunikationsfähigkeit einher, eine der wichtigsten Führungskompetenzen schlechthin. Gut zu kommunizieren bedeutet im Sportkontext nicht nur, klare Ansagen zu tätigen, sondern vor allem, sich zurückzunehmen, wirklich aufmerksam zuzuhören – aus einem wahren Interesse am Menschen und dessen Weiterentwicklung heraus.
- Kultur
Ein weiterer Schatz besteht in der Entwicklung einer Fehler- und Feedbackkultur. Sportler sollten bewusst ermutigt werden, mutig zu sein, sich auszuprobieren und infolgedessen auch Fehler machen zu dürfen. Dies gilt es als Trainer durch ein entsprechendes Feedbackverhalten in auftretenden Fehlersituationen zu untermauern. Fehler sollten als Wachstums- und Lernchance begriffen und dem Sportler das Gefühl gegeben werden, hinter ihm zu stehen – ganz besonders infolge eines Fehlers oder einer schlechten Trainings- oder Wettkampfleistung. Die Entwicklung einer Feedbackkultur öffnet den Raum für einen intensiven Austausch, in dem sich explizit der Sportler mitteilen und Verbesserungsvorschläge an seinen Coach kommunizieren darf. Durch die anschließende ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Feedback und der – sofern für zielführend erachtet – Umsetzung dessen in der Praxis spürt der Sportler, dass er und seine Weiterentwicklung es ist, die im Mittelpunkt des Trainerdenkens stehen.
- Bedürfnisbefriedigung
Wichtig im Sinne des Wohlbefindens und auch der intrinsischen Motivation des Sportlers ist die Befriedigung seiner psychischen Grundbedürfnisse. Eine hierfür passende Orientierung liefert das AKZ-Modell, das für die Begriffe Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit steht.
Von Bedeutung ist es als Trainer, seinem Sportler Autonomie zu ermöglichen, sprich:
- Selbstbestimmung und Mitspracherecht einzuräumen,
- Freiraum zu gewähren,
- (mit)entscheiden zu lassen (diesen beispielsweise im Training auch mal eine Übung (mit)gestalten zu lassen),
- Ziele gemeinsam zu definieren und gemeinsam Regeln zu erarbeiten, statt diese „von oben“ vorzugeben.
Zudem muss sich ein Sportler in seinem Tun als kompetent erleben, also das Gefühl haben, über zahlreiche Fähigkeiten und Ressourcen zur Bewältigung einer gestellten Anforderung zu verfügen. Ein Trainer kann das Kompetenzerleben seines Sportlers im Sinne eines wertschätzenden Führungsverhaltens fördern, indem er:
- mit diesem realistische Zielsetzungen erarbeitet,
- durch eine Trainingsgestaltung, die dem individuellen Können angepasst ist, Erfolgserlebnisse ermöglicht,
- überwiegend positive, handlungsorientierte sowie möglichst konkrete Rückmeldungen gibt.
Insbesondere im Mannschaftssportkontext sollte sich ein Sportler seinem Team zugehörig fühlen. Auch hier kann der Trainer ansetzen, indem er eine gemeinsame, verbindende Identität entwickelt und Erlebnisse in der Gruppe fördert. Eine wertschätzende Führung ermöglicht dem Sportler nun die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse. Dabei sollte sich der Coach dessen bewusst sein, dass sich seine Schützlinge hinsichtlich der Ausprägung ihrer Bedürfnisse unterscheiden können: Während Sportler X insbesondere nach Autonomie strebt, muss sich Sportler Y möglicherweise als besonders kompetent wahrnehmen. Um wirksam und gleichzeitig wertschätzend führen zu können, sollte der Trainer diese Bedürfnisse seiner Sportler kennen und diese im Trainings- und Wettkampfbetrieb berücksichtigen.
Fazit
Wem es als Trainer nun gelingt, diese sechs vorgestellten Eckpfeiler ins eigene Verhaltensrepertoire zu integrieren und im Führungsverhalten systematisch umzusetzen, der wird maßgeblich dazu beitragen, dass sich der geführte Sportler wohlfühlt und intrinsisch motiviert ist. Der Coach schafft zugleich eine stabile Grundlage für die Erbringung von Leistung und erhöht die Wahrscheinlichkeit auf eine mentale Gesunderhaltung des Sportlers.
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