Kathrin Seufert: Fluch und Segen von KO-Spielen

Es war eine aufregende und vorerst letzte Europapokalnacht in Köln Müngersdorf. Das Europa Conference League Spiel des 1. FC Köln gegen OGC Nizza war ein Endspiel. Ein Endspiel in der Gruppenphase, welches über das Weiterkommen in die Haupt- bzw. Zwischenrunde entscheidet. An diesem Spiel will ich die Besonderheiten eines solchen Spieltages erklären und deutlich machen, dass es gar nichts Besonderes sein muss.

Zum Thema: Der Umgang oder besser Zugang zu besonders wichtigen Spielen

„Die Ausgangslage“: Aufgrund des Abschneidens an den fünf vorherigen Spieltagen war eins schon vor Anpfiff klar. Der 1.FC Köln MUSS gewinnen, um im Wettbewerb überwintern zu dürfen. Je nach Konstellation konnte der „Effzeh“ als Gruppenerster direkt ins Achtelfinale einziehen oder als Gruppenzweiter in die Zwischenrunde gelangen, wo es gegen einen Absteiger aus der Europa League dann um einen der begehrten Plätze für das Achtelfinale gegangen wäre. Ein Unentschieden oder eine Niederlage hätte das Aus für den Fußballclub aus Köln bedeutet.

Dementsprechend könnte man meinen, dass die Anspannung bei allen Beteiligten sehr groß war. Es ging einfach um viel. Um die Möglichkeit, sich weiter auf europäischer Bühne zu präsentieren, weitere Gelder zu erhalten und eben auch persönliche und mannschaftliche Ziele zu erreichen. 

Unsere Individualität

Was eine solche Konstellation mit einem machen kann, haben wir alle in irgendeiner Form schon erlebt… Natürlich wissen wir nicht, wie die Spieler von Trainer Steffen Baumgart und der Trainer persönlich sich vor diesem Spiel gefühlt haben oder wie ihre Gedanken waren. Zumal jeder Mensch mit einer solchen Ausgangslage anders umgeht. Schauen wir doch mal, was mögliche Herangehensweisen sein könnten, wenn wir die Ausgangslage etwas kategorisieren.

Der Neue: Im Team des 1.FC Köln herrschen aktuell einige Verletzungssorgen. Dies bedeutete aber auch, dass viele junge Spieler des Vereins bei dem Spiel gegen Nizza Berücksichtigung gefunden haben. Auf der Bank saß unter anderem Rijad Smajic. Der 18-jährige Verteidiger gehört eigentlich zur 2. Mannschaft der Kölner. Regionalliga oder Europa Conference League, Franz-Krämer-Stadion mit 1000 oder Rheinenergiestadion mit knapp 50.000 Menschen. Dazu die Frage, ob Einsatzminuten oder Bank? Mögliche Szenarien, die einem durch den Kopf gehen können, wenn man bei dieser Atmosphäre in ein Stadion kommt. Die möglichen Gegenspieler des Abends waren schließlich ja auch keine Unbekannten…Mit Dante ein 39-jähriger, der in der Bundesliga sich schon verdient gemacht hatte, der Waliser Aaron Ramsey oder auch Torwart Kasper Schmeichel, der mit Leicester City schon die Premier League gewonnen hatte. Was macht das mit einem so jungen Spieler, der Dante vielleicht noch als kleiner Junge am Fernseher verfolgt hat als dieser für Borussia Mönchengladbach oder die Bayern aufgelaufen ist? Gedanken über Gedanken, die nachvollziehbar in dem Kopf des jungen FC Profis hätten ablaufen können.

Routinier und Comebacker

Der Routinier: Natürlich gibt es auch diejenigen, die sich einfach darauf freuen, sich gegen andere internationale Teams zu messen. Mit Vorfreude darauf, es denen zu zeigen, die bekannten Namen mal zu ärgern oder als Spieler des frechen Domstadtclubs, den Gegnern gehörig auf die Nerven zu gehen und sie zu Fehlern zu zwingen. Immer im Wissen um die eigene Stärke.

Der Comebacker: Und dann so ein wichtiges Spiel. Die Verletzung ist gerade noch soweit abgeklungen, dass man es in den Kader geschafft hat und auf Einsatzminuten hofft. Gegebenenfalls waren das Gedanken des Jan Thielmanns. Kölns U21-Nationalspieler hatte die letzten acht Spiele verpasst und stand nun wieder im Kader der Rot-Weißen. Vier Wochen kein Pflichtspiel. „Komm ich wieder rein?“ „Traue ich mir schon wieder alles zu?“ „Ist das Ballgefühl das selbe wie vorher?“ „Kann ich mich dem Spielverlauf anpassen, wenn ich von der Bank komme?“ Auch das sind Gedanken, die Spieler schon mal hatten, die man kennt, die einen umtreiben können, wenn man in solchen oder ähnlichen Situationen steckt. 

Der Spieler und der besondere Glanz

Spiele auf internationalem Niveau. Nicht vielen Kickern ist es vorbehalten, dort sein Können zeigen zu dürfen. Und genau der Fakt, dass es nicht viele Menschen sind, denen so etwas vergönnt ist und zudem der limitierende Faktor, dass das Abenteuer nach sechs Vorrundenspielen auch schon vorüber sein kann, geben Anlass zur Sichtweise, dass es etwas ganz Besonderes ist. Statt mit dem Bus nach Bochum, Bremen, Frankfurt und Co., geht es nun mit dem Flieger schon am Vortag nach Nizza, in die Slowakei oder nach Belgrad. Auch die Umstellung der Spielzeiten, der Spiele unter der Woche zwischen den wichtigen Bundesligapartien, das Flutlicht – all das verleiht diesen besonderen Charme. 

Spürbar ist das Neue und das Besondere für alle. Allein die Umstellungen des gewohnten Ablaufes unter der Woche drücken dem Ganzen einen besonderen Stempel auf. Es ist eben noch nichts Routiniertes, Alltägliches und Bekanntes. Es ist neu, aufregend und spannend. Dies verdeutlicht noch einmal, wie unterschiedlich Ausgangslagen und Herangehensweisen an besondere Situationen und Spiele sein können. 

Was ist also entscheidend?

Entscheidend ist, die Individualität genauso zu berücksichtigen und vor allem sich seiner eigenen Individualität bewusst zu sein. Wie geht es mir mit der Situation? Was sind eigentlich meine Sichtweisen und Gedanken? Gehe ich anders in ein solches Spiel als in ein Testspiel oder ein Bundesligaspiel? Was genau verändert sich denn für mich? Sind es die Zuschauer, ist es das unbekannte Stadion, das fremde Land und das Hotelbett, sind es die Gedanken, wer zusätzlich zum nationalen Spieltag meine Leistung sieht und über mich demnach urteilt? Viele Gedanken, die auf der Suche nach einer Bearbeitung wichtig sind. Denn nur wenn der Kern gefunden wird, kann dem etwas entgegengesetzt werden.

Ein Beispiel dazu…Ich persönlich glaube, wenn ich Spieler wäre, würde ich mir eine Menge Gedanken hinsichtlich der Zuschauer und der weltweiten TV-Ausstrahlung dieser internationalen Spiele machen. Ich würde vielleicht sogar besorgt sein, dass Fehler durch alle sozialen Netzwerke rasen und ich mich damit konfrontiert sehe. Mögliche Konsequenzen könnten sein, dass ich mich viel zu sehr auf das Außen und die Rahmenbedingungen konzentriere und damit Anteile meiner Aufmerksamkeit für meine Arbeit auf dem Platz verlieren. Lässt sich das Grafisch darstellen? Versuchen wir es im nächsten Schritt mit Hilfe von Bildern.

Die Aufmerkamkeit

Vergleichen wir nur einmal, was es optisch ausmacht, wie ein leeres und wie dann ein volles Stadion wirkt, ganz abgesehen von der akustischen Untermalung, für die die Zuschauer sorgen…

Leeres Stadion…
alle Blicke auf mich?

Bestenfalls schaffe ich es in dieser besonderen Atmosphäre, all meine Aufmerksamkeit bei mir und meiner Aufgabe zu behalten. Den Pass sauber annehmen, verarbeiten, weiterleiten. Volle Konzentration auf jede Handlung, mit Hinzunahme der Spielfeldübersicht, des Erkennens von Laufwegen meiner Mitspieler und Antizipationen, die mein Handeln dann entscheiden und ich zur Umsetzung komme. So weit so gut. Doch wann schaffen wir es wirklich, die volle Aufmerksamkeit bei uns zu behalten?

Störfaktoren

Mögliche Störfaktoren, die deiner Aufmerksamkeit Anteile rauben können:

  • Zuschauer
  • Medien
  • Umfeld
  • Konsequenzen

Und dies bringt uns dazu, dass wir nicht unsere volle Leistungsfähigkeit abrufen können. Gedankliche Sprünge in die Vergangenheit, („ah beim letzten Mal gegen Belgrad lief es auch schon nicht gut“) wie auch Sprünge in die Zukunft („Wenn ich den Ball jetzt nicht endlich im Tor unterbringe, dann wechselt mich der Trainer bestimmt aus“), nehmen uns zusätzlich Kapazität für das Zeigen unseres gesamten Potentials. 

Fokus auf die Aufgabe

Es gibt einige sportpsychologische Trainings, die es ermöglichen, sich gedanklich mehr auf sich und die Aufgabe zu fokussieren. Wie das Wort schon sagt, bedarf es dort wirklich Trainings, die Aufgaben beinhalten, leichtere und schwere. Auch für Spieler, wie Jan Thielmann, die aus einer Unterbrechung zurückkommen, ist die eigene Betrachtung der Situation wichtig. Sein Selbstbewusstsein ist möglicherweise im Vergleich zum U21-Europameistertitel auf Grund der Pause nicht mehr so hoch ausgeprägt, weil die aktuellen Erinnerungen an die eigenen Fähigkeiten verblasst sind. Auch hierbei kann sportpsychologisches Training helfen, neben der körperlichen Reha auch mental sich vollends zu erholen und auch im Kopf wieder 100% fit zu sein. Die persönliche Passung und ständige Selbstreflektion sind dabei elementar. 

Wichtig: Das gemeinsame Erarbeiten von seinem individuellen Vorgehen kann einen großen Teil dazu beitragen, sein volles Potential in Spiel- und Wettkampfsituationen abzurufen, wenn es darauf ankommt. Wer will schon mit weniger PS unterwegs sein, als einem eigentlich zur Verfügung stehen?! 

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Kathrin Seufert
Kathrin Seufert

Sportarten: Fußball, Schwimmen, Reiten, Leichtathletik, E-Sport, Eishockey, uvm.

Bremen, Deutschland

+49 (0)152 09260288

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