„Ein bisschen verkopft“ und das “Leistungsoptimum nicht erreicht”. Zitate, die von RB Leipzig-Cheftrainer Julian Nagelsmann im Anschluss an das Champions League-Aus gegen den Liverpool FC über seine Mannschaft überliefert sind. Wir können selbstverständlich nicht wissen, aufgrund welcher konkreten Handlungen er diese Aussagen tätigte. Aber wie können uns diesem extrem spannenden Thema zuwenden: Warum sind Emotionen im Spiel so wichtig und was können sie tatsächlich bewirken?
Zum Thema: Emotionen im Fußball
Wie sind Emotionen eigentlich definiert? „Emotionen beschreiben ein komplexes Muster körperlicher und mentaler Veränderungen in Reaktion auf eine auslösende Situation, die als persönlich bedeutsam wahrgenommen wird. Diese Veränderungen beinhalten physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse, Ausdruck und Verhalten,“ erklären Furley und Laborde.
Emotionen lösen also etwas aus. Was genau, schauen wir uns mit Blick auf zentrale Stichwörter an:
Motivation und Aufmerksamkeit
Aufgrund der Tatsache, dass uns Emotionen häufig als Antreiber für unser Handeln dienen, kann man ihnen diesen motivationalen Charakter zuschreiben. Die Vorfreude auf das Pokalfinale kann beispielsweise dazu führen, dass die Motivation eines Einzelnen in der Trainingswoche vor dem Spiel steigt. Beeinflusst vom Wunsch, in der Startelf stehen zu wollen.
Neben diesem motivationalen Effekt helfen uns Emotionen bei der Informationsverarbeitung. Die Filterfunktion zwischen relevanten und irrelevanten Informationen wird von unseren Emotionen unterstützt. Eine Eigenschaft, die beispielsweise im Fußball aufgrund der vielen Eindrücke und sich schnell verändernden Spielsituationen hilfreich sein kann.
Kognition
Neben der Fähigkeit der Aufmerksamkeitssteuerung können auch kognitive Prozesse, wie das Lernen, das Entscheiden, das Urteilen und die kreative Leistung von den eigenen Emotionen beeinflusst werden. Dabei schaffen wir es beispielsweise, uns besser an Situationen zu erinnern, wenn die aktuelle Stimmung mit der emotionalen Lage in der vergangenen Situation übereinstimmt.
Soziale Funktionen
Und natürlich hat unser Interagieren unter anderem auch Einfluss auf unsere Emotionen und wird manchmal sogar davon gelenkt. Das sogenannte EASY-Modell von Kleef (2009) zeigt dies wunderbar auf. EASY-Modell? Die Abkürzung steht für „Emotions As Social Information“. Die Autoren lassen sich auf die Frage nach dem Hintergrund wie folgt zitieren: „Emotion is not just a feeling. Emotion is for influence.“ (van Kleef et al. 2011, S. 154)
Inhaltlich beschreibt das Modell zwei Mechanismen, wie der Einfluss von Emotionen und emotionalen Ausdrücken auf Dritte wirken kann. Zum einen über sogenannte schlussfolgernde Prozesse. Dies bedeutet, dass über die Emotionen, die jemand zeigt, Dritte für sich Informationen ableiten, um die eigene Reaktion anzupassen und eine bessere Situationseinschätzung vorzunehmen. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Ein Spieler kommt zehn Minuten zu spät zu einem vereinbarten Treffpunkt. Vor allem der Kapitän ist darüber sehr verärgert. Da der Spieler dies wahrnimmt, schlussfolgert er daraus, dass eine Entschuldigung für sein Verhalten angebracht ist.
Affektive Prozesse
Zum anderen beinhaltet das EASY-Modell den Mechanismus der sogenannten affektiven Prozesse. Affektiv bedeutet hier, dass die beobachteten Emotionen direkten Einfluss auf meine eigenen nehmen und daraus eine Reaktion resultiert. Diesen Mechanismus machen sich viele Comedysendungen zu Nutzen und spielen die „Lacher“ im Hintergrund schon ein. Man nennt dies auch emotionale Ansteckung.
Die folgende Grafik zeigt dieses Modell noch mal in einem Schaubild. So erkennen die Mitspieler nach einem verwandelten Elfmeter bei dem Schützen Stolz. Diese Beobachtung kann sie positiv beeinflussen. Beim Gegner kann dagegen eine andere Emotion entstehen, die z.B. in Richtung Neid geht und entweder eine „Ich-will-auch-Stolz“-Haltung kreiert oder Frustration hervorruft.
Abbildung aus Furley, P., & Laborde, S. (2020). : Schematische Darstellung des EASY-Modells im Sport.
Zurück in die Praxis
Doch genug mit der Theorie. Wie können wir diese Informationen im Sport nutzen? Wie eingangs schon erwähnt, geht es bei den Emotionen einzelner Athleten um das ganz persönliche Wohlbefinden und die subjektive Wahrnehmung sowie deren Handhabung.
In einigen Artikeln auf unserer Seite haben wir das Modell des IZOF – individual zones of optimal function – erklärt. Hierbei geht es um die Zone eines Athleten, in dem er/sie die beste Leistung abrufen kann. Dies steht im Zusammenhang mit den Emotionen wie beispielsweise dem Erregungs- bzw. Aktivierungsniveau. Zu viel Stress, Nervosität und Angst verhindern ebenso wie zu wenig Anspannung oder eine zu große Lockerheit und Müdigkeit eine gute Leistungserbringung.
Persönliche Einschätzung
Für mich ist es in der Arbeit mit Sportlern extrem wichtig, dass ein Athlet es schafft, seine Emotionen zu benennen. Vielen jungen Sportlern fällt es aber schwer, zu verbalisieren, was gerade in ihnen vorgeht. Helfen können hierbei zum Beispiel Emotionsmonster-Karten. Die Bilder zeigen verschiedene Kreaturen, die gewisse Gesichtsausdrücke zeigen. Sie können dazu beitragen, Emotionen ein Gesicht zu geben und somit Gefühle auszudrücken.
Neben der Benennung steht beim Sporttreiben die Regulation der Emotionen im Fokus. Es geht vor allem darum, sein persönliches Optimum zu erreichen. Hierbei kann es sowohl um Umgang mit Stress und Nervosität gehen, als auch darum, die Freude und den Spaß an der eigenen Sportart wiederzubeleben.
Zurück zum Nagelsmann-Beispiel
Kommen wir auf die Ausgangssituation mit Julian Nagelsmann zurück. Es steht also noch die Frage im Raum, wie jeder einzelne Akteur auf dem Platz seine Emotionen steuern kann? Theoretisch kann dies mehrere Ursachen haben, die sich von Außen nicht seriös einschätzen lassen: Unter Umständen hat die Regulation der Emotionen in Richtung der persönlichen besten Zone nicht funktioniert. Ebenso könnte eine Emotion eines Mitspielers dazu geführt haben, dass affektiv reagiert wurde – etwa in der Form, ebenfalls besorgt zu sein, aufgrund des Spielstandes und dem drohenden Ausscheiden aus der Königsklasse.
Um dies abwenden zu können und sein eigenes Niveau zu halten bzw. zu finden, ist sportpsychologisches Training notwendig. In diesem Training können ganz persönliche Anker oder Verfahren erlernt werden, um in die eigene optimale Zone zu kommen bzw. dort zu bleiben. So könnte beispielsweise bei hoher Anspannung und Nervosität ein Bild erarbeitet werden, welches in der visuellen Vorstellung über den Kontakt mit dem Vereinslogo auf der Brust erzeugt wird und Ruhe suggeriert, die sich positiv auf den Stress auswirkt.
Individueller Zugang
Diese Methoden sind aber eben höchst individuell, müssen im Try-and-error-Prinzip erprobt und dann immer wieder kontrolliert werden, ob Sie noch ihre Funktion haben. Ein Trainingsprozess, wie auch das Schießen vom Elfmeterpunkt.
Eine Arbeit, die sich meiner Meinung nach aber lohnt. Probiert es aus! Bei Fragen oder dem Wunsch, Eure persönliche Emotionszone zu finden und zu regulieren, sprecht meine Kollegen (zur Übersicht) oder mich (zum Profil von Kathrin Seufert) gern an. Wir freuen uns drauf!
Literatur:
Furley, P., & Laborde, S. (2020). Emotionen im Sport. In Sportpsychologie (pp. 235-265). Springer, Berlin, Heidelberg.
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