“Wir sind nicht da, um etwas besser zu wissen” – Sportpsychologie in Nachwuchsleistungszentren

Die Fußball-Nachwuchsleistungszentren stehen auf dem Prüfstand. Es wird hinterfragt, wie die Talentschmieden in Zukunft inhaltlich ausgebaut werden sollen, nachdem festgestellt wurde, dass das System Schwächen hat. Für die Sportpsychologie eine schwierige Gemengelage, denn schließlich gelten SportpsychologInnen als fester Bestandteil der NLZ`s. Sind also Teil des Systems. Für uns Anlass genug zu fragen, was wir besser machen können. 

Zum Thema: Sportpsychologie in Nachwuchsleistungszentren 

Im Fußball wird viel von Veränderung gesprochen. Wie hat sich aus eurer Erfahrung das Interesse an der Sportpsychologie von Seiten der Nachwuchsspieler und -spielerinnen, TrainerInnnen und Eltern in den vergangenen Jahren verändert?

Antwort von: Kathrin Seufert (zum Profil

Wenn man eine Veränderung bewirken möchte, dann ist es unsere Aufgabe herauszufinden, was die Sportpsychologie noch immer im Hintergrund stehen lässt. Eine große Unwissenheit, die in den Reihen der Verantwortlichen vielerorts immer noch zu finden ist, trägt nicht dazu bei, dass mehr Stellen geschaffen werden und SportpsychogenInnen ihren Platz in den Leistungszentren finden. Der Konflikt zwischen Transparenz und Offenheit sowie der Schweigepflicht lässt diese Unsicherheit aber nun einmal nicht weniger werden. Daher ist es meiner Meinung nach unsere Aufgabe, zu erläutern was Sportpsychologie ist, wie sie unterstützen kann und was unsere Rahmen sind. Das wird von vielen meiner KollegenInnen schon tagtäglich hervorragend gemacht, nur erreicht es noch immer nicht alle Stellen und das muss eruiert werden, was da noch fehlt.

Desweiteren sehe ich es als meine Aufgabe, das Interesse an der Zusammenarbeit zu wecken. Ich bin die Expertin, die mit einer Idee, einem Feedback oder einem Beispiel die Möglichkeiten darlegen kann und dann dem Sportler/der Sportlerin den Raum gebe, für sich zu entscheiden, ob das gewünscht ist oder nicht. Dabei ist es elementar, dies so individuell wie möglich zu gestalten, um die SportlerInnen in der Entscheidung und der Reflexion mit der Veränderungsmotivation zu erreichen.

Aus eurer Erfahrung: Welchen Stellenwert hat oder hatte eure Arbeit im Fußball, speziell an Nachwuchsleistungszentren? 

Antwort von: Janosch Daul (zum Profil):

Dies ist eine Frage, die jede Kollegin und Kollege selbstverständlich nur für sich selbst beantworten kann. Für mich sprechend kann ich sagen, dass meiner Wahrnehmung nach der Stellenwert meiner Arbeit schrittweise steigt. Dies mache ich zum einen daran fest, dass immer mehr Trainer und Spieler eigeninitiativ mit einem zumeist sehr konkreten Anliegen auf mich zukommen, woraus ich interpretiere, dass der Mehrwert in einer Zusammenarbeit immer mehr erkannt wird. Zum anderen mache ich immer mehr die Erfahrung, dass viele Trainer zum einen proaktiv und sehr regelmäßig das Gespräch mit mir suchen und zum anderen auch bereit sind, mir Sportpsychologen zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen regelmäßig Trainingszeit zur Verfügung zu stellen.

Außerdem definiere ich mit meinem Vorgesetzten zu Saisonbeginn zwar stets konkrete schwerpunktmäßige Aufgabenbereiche, bin in der inhaltlichen und methodischen Ausgestaltung einzelner sportpsychologischer Dienstleistungen allerdings völlig frei. Dennoch braucht es meiner Meinung nach eine noch größere Eingebundenheit ins große Ganze und vor allem noch mehr Kolleginnen und Kollegen, die mich im Verein dabei unterstützen, den Stellenwert der Sportpsychologie weiter auszubauen. Die Anstellung weiterer Kolleginnen und Kollegen wäre für mich zudem der beste Beweis, dass der Stellenwert der Sportpsychologie tatsächlich bereits gestiegen ist.

Welche Fehler machen wir als SportpsychologInnen im System? 

Antwort von: Anke Precht (zum Profil): 

Wir sollten klarer sagen, was wir alles können. Denn das, was erwartet wird, sowohl von den Vereinen und Verbänden, ist nur ein Teilbereich dessen, was wir anzubieten in der Lage sind: Unterstützung beim Teambuilding und in der Kommunikation im Verein, Unterstützung der SpielerInnen beim Erlernen von Möglichkeiten zur Regeneration, Stressregulation und zum Abrufen von Hochleistungszuständen. Lösen von Blockaden im Kopf und das Verändern von blockierenden Emotionen sowie von mentalen Trainingshemmnissen – darüber hinaus das Verarbeiten von belastenden Erfahrungen (derer gibt es viele im Sport und in den Vereinen, manchmal auch in den Vorgängervereinen), teilweise das Verarbeiten von Traumata, zum Beispiel nach schweren Verletzungen und medizinischen Eingriffen, das Fördern von Motivation und Zielfokussierung, und nicht zuletzt der Blick auf die psychische Gesundheit. Das ist eine Menge, und ich denke, wir müssen noch viel Aufklärungsarbeit machen. 

Zweitens müssen wir uns damit zurückhalten, als Besserwissen in den Verein zu kommen. Wenn wir die “Erklärpsychologen” sind, die allen sagen, warum dieses und jenes nicht klappt oder eben doch und wer was wie machen soll, bekommen wir kein Vertrauen. Wir sind nicht da, um etwas besser zu wissen – sondern, um etwas zu machen, das allen zugute kommt. Gerade wir Sportpsychologen brauchen in den Vereinen also ein hervorragendes Fingerspitzengefühl für das Zwischenmenschliche und müssen dafür sorgen, dass auch unsere Beziehungen zu den anderen Akteuren von Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung und Stärkung geprägt sind. 

Genügt die Ausbildung, wie ihr sie erlebt habt oder von Kollegen und Kolleginnen kennt, aus, um eure Aufgaben im Nachwuchs-Profi-Fußball mit einem hohen Qualitäts- und Ethikanspruch zu erfüllen?

Antwort von: Janosch Daul (zum Profil):

Wie zahlreiche meiner geschätzten sportpsychologischen Kolleginnen und Kollegen habe ich den Masterstudiengang Angewandte Sportpsychologie in Halle absolviert. Meiner Meinung nach stellt dieser, wie mit Sicherheit auch das asp-Curriculum, eine sehr gute Grundlage dar, um qualitativ hochwertig im Nachwuchsfußball arbeiten zu können. Eine Grundlage, auf der aber mehrdimensional unbedingt aufgebaut werden muss. 

Inter- und Supervisionen mit geschätzten Kolleginnen und Kollegen unterstützen u.a. dabei, den Horizont zu erweitern und neue, ungewohnte Perspektiven einzunehmen. Fort- und Weiterbildungen sowie ein systematisches Literaturstudium ermöglichen u.a. einen Zugewinn an Methoden und Techniken, die in der Beratungspraxis angewandt werden können und somit das eigene Handlungsrepertoire erweitern. Schlichtweg unentbehrlich sind meiner Meinung nach möglichst zahlreiche und vielfältige – positive wie negative – Erfahrungen in der (Fußball-)Praxis inklusive eines sorgfältigen Reflektierens der eigenen Beratungspraxis. Insbesondere als positiv wahrgenommen Erfahrungen lassen die auch für den Sportpsychologen so wichtige Selbstwirksamkeit steigen, geben Sicherheit und führen zu einer gewissen Gelassenheit.

Inwiefern man einem gewissen ethischen Anspruch, den man meiner Erfahrung nach im System NLZ vor allem an sich selbst stellt und nicht durch System-Interne aufdiktiert bekommt, erfüllt, ist aus meiner Sicht eher eine Frage der eigenen Grundhaltung, des Menschenbilds und tatsächlich gelebter Werte als Sportpsychologe als eine Frage der Ausbildung.

Wenn ihr träumen dürftet, wie würdet ihr das System Nachwuchsfußball verändern, um den Menschen im System, als Spieler- und SpielerInnen, TrainerInnen aber auch den Leuten im Staff besser gerecht zu werden?

Antwort von: Prof. Dr. Oliver Stoll (zum Profil):

Um es ganz kurz zu machen: Eine Zusammenarbeit aller Beteiligten im Staff auf Augenhöhe mit (regelmäßigen) wertschätzenden Diskussionen zu den anstehenden Aufgaben, die über einen ehrlichen Austausch zum Konsens führen. 

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de