Max Eberl verkündet seinen Abschied von Borussia Mönchengladbach. Nicht nur die emotionale Erklärung des erfahrenen und erfolgreichen Sportdirektors sollte uns alle wachrütteln, sondern vor allem, wie es dazu gekommen ist. Solch eine Entscheidung ist vielschichtig und nicht einfach zu klassifizieren. Manchen Betroffenen wird vorgehalten, sie seien zu schwach und schlicht von der heutigen Leistungsbereitschaft im Fußball überfordert. Anderen wird zu großer Arbeitseifer und schlechte Menschenführung nachgesagt. Immer aber wird ein Burn-out auf den Leistungs- und Ergebnisdruck im Fußball geschoben. Die einfache Formel „Zu viel Ergebnisdruck gleich zu viel Stress gleich Burn-out“ reicht jedoch nicht aus, um der Komplexität des Syndroms gerecht zu werden. Denn oftmals hat diese Erkrankung nichts mit dem Profifußball zu tun. Vielmehr liegen die Ursachen in den Beziehungen – in der Beziehung zu sich selbst, zu anderen Kollegen bzw. Kolleginnen und somit in den eigenen und fremden Erwartungen. Hier entstehen verdrängte und ungelöste Konflikte. Und diese machen uns auf Dauer instabil und anfällig für körperliche und kognitive Symptome. Wie so etwas entstehen kann und wie Betroffene damit umgehen können, erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.
Zum Thema: Ein anhaltende Überforderung verstehen und sie überwinden lernen
Hören wir von „ausgebrannt“ sein oder ich kann nicht mehr, sprechen wir sehr oft von Burn-out und verbinden dies mit einem klaren gesellschaftlichen Bild. Der medialen Druck, fehlende Ergebnisse, eine Menge Überstunden und anstrengende „englische Wochen“ – die moderne Fußballwelt verlangt von unseren Leistungserbringern täglich neue Höchstleistungen und lässt ihnen kaum mehr Zeit zum Atmen. Da erscheint es nur logisch, Stress als Ursache zu identifizieren. Doch diese Erklärung greift zu kurz, denn nicht nur der Ergebnisdruck, sondern Konflikte und schlechte Beziehungen innerhalb eines Vereins lassen eine dauerhafte Resignation entstehen.
Sportradio Deutschland-Beitrag von Mathias Liebing zum Thema, mit Prof. Dr. René Paasch:
Lebensbereiche
Die Gesundheit eines Menschen basiert auf sechs verschiedenen Lebensbereichen. Zu diesen zählen der Beruf, die Familie und die Partnerschaft, die sozialen Kontakte sowie Gesundheit, Individualität und Spiritualität. Sind mehrere dieser essenziellen Bereiche von Konflikten geprägt, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Überforderung. Konflikte in den verschiedenen Lebensbereichen entstehen durch eine schlechte Beziehung zu unserer Umwelt oder zu uns selbst. Eine gute Beziehung zu uns selbst ist wichtig, denn nur so können wir die eigenen Bedürfnisse erkennen und ihnen folgen. Eine gute Beziehung zu anderen wiederum ist durch einen offenen, ehrlichen Dialog geprägt, der uns neue Gedanken und Gefühle mitgibt und die Beziehung wachsen lässt. Oft hören wir unseren Mitmenschen gar nicht zu und warten nur darauf, unsere Meinung loszuwerden. Kommt so etwas zum Beispiel im Beruf längerfristig vor, führt dies zu Unzufriedenheit und dem Gefühl, sich nicht wirklich füreinander zu interessieren. Körperliche und mentale Probleme sind dann die Folge von schlechten Beziehungen.
Die Überforderung kündigt sich in vier Konfliktphasen an. Jede betroffene Person erlebt den Verlauf dieser Erkrankung auf unterschiedliche Weise. Die zugrundeliegenden Konflikte einer anhaltenden Überforderung laufen jedoch meist ähnlich ab. Es gibt vier Phasen, wie das folgende Beispiel zeigen soll. Dieses Beispiel habe ich bewusst auf Max Eberl zugespitzt. Nicht um ihn in irgendeiner Weise bloßzustellen oder anzugreifen, sonder ganz im Gegenteil: Wir alle können ihm sehr dankbar für seine Offenheit sein, denn vor dem Hintergrund seiner Person wird der Kontrast des Themas stärker und am Ende für alle besser nachvollziehbar. Betont sei an dieser Stelle, dass ich weder mit Max Eberl oder Personen aus seinem direkten Umfeld in jüngerer Vergangenheit gesprochen habe.
Vier Konfliktphasen
Nehmen wir also mit etwas Kreativität einmal an, der Sportdirektor Max Eberl und die weiteren Mitglieder des Sportvorstandes wollen die Mannschaft mit neuen Spielern bestücken. Herr Eberl hingegen möchte einen Teampsychologen einstellen. Da beide Parteien nicht von ihrem Willen abrücken wollen, entsteht ein festgefahrener Konflikt, in dem sich die Mehrheit des Sportvorstandes durch Ihre Dominanz durchsetzen kann. Dies leitet bei Herrn Eberl die erste Phase einer Überforderung ein, die Alarmphase. Sie löst Gefühle der inneren Unruhe und körperliche Symptome wie vermehrtes Schwitzen aus. Dem Alarm folgt in der zweiten Phase der Widerstand. Setzt sich der Konflikt fort und ist keine Lösung in Sicht, entschließt sich Herr Eberl dagegen vorzugehen. Dabei äußert er nicht mehr seinen Willen, sondern nur noch seinen Unwillen: Er will keine neuen Spielern aufgrund der geschwächten finanziellen Situation des Vereins. Die Überforderung weicht nun dem Ärger und einem Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber den weiteren Mitgliedern.
Wird der Konflikt weiterhin nicht gelöst, setzt bei ihm in der dritten Phase Erschöpfung ein. Der Widerstand ist kräftezehrend und bricht irgendwann. Setzen die Mitglieder des Sportvorstandes nun weiterhin ihren Willen durch, kann Herr Eberl sein „Nein“ immer schwerer verteidigen. Ihn überkommt ein Gefühl der Überforderung, das sich in körperlichen Symptomen wie chronischen Kopfschmerzen äußern kann. Betroffene erkennen leider nur selten die eigentliche Ursache eines solchen Schmerzes. In der vierten und letzten Phase folgt schließlich die Resignation. Hier zieht sich der Sportdirektor vollends zurück, ist chronisch erschöpft und fühlt Aggressionen gegen sich selbst. Betroffene machen sich in dieser Phase oft Vorwürfe, warum sie der Dominanz der anderen Person nichts Wirksameres entgegensetzen konnten. Nicht zu vergessen, der anhaltende Mediendruck und der Unmut der Borussenfans. Ein kleiner Konflikt über die Dispute im Sportvorstand wird natürlich selten zu diesen komplexen Reaktionen führen. Das Muster eines solchen Konflikts lässt sich aber auf andere berufliche und private Beziehungssituationen übertragen.
Fazit
Erleiden Menschen eine anhaltende Überforderung, ist der Weg aus der Krise oft lang und beschwerlich. Wie so oft im Leben gibt es leider kein Allheilmittel oder eine einfache Schritt-für-Schritt-Anleitung, die für alle Erkrankten in gleicher Weise gilt. Es gibt jedoch grundsätzliche Schritte, die den Weg aus der Krise ermöglichen.
Suchen Sie sich eine/n fachkundige/n Kollegen bzw. Kollegin auf. Diese/r hilft Ihnen dabei eine gesunde Beziehung zu sich selbst aufzubauen, denn nur so können sie der Situation wirklich entkommen. Sie müssen innehalten, die eigene Identität ergründen und ihre Bedürfnisse kennenlernen. Dabei hilft es, den Beruf und die damit verbundenen Beziehungen schonungslos zu hinterfragen und herauszufinden, wie authentisch man in diesen Beziehungen ist. So richtet man die Aufmerksamkeit wieder hin zum eigenen Selbst und weg von äußeren Umständen und Maßstäben. Wirklich erholen können sich nur, indem sie sich ihren Konflikten stellen. Erkennen sie, dass sie entgegen ihrer Identität leben, erfordert das Veränderung und mitunter schwierige Entscheidungen. Manchmal ist ein Jobwechsel oder eine Trennung nötig. Langfristig führt dies jedoch zu einer Verbesserung. Die bewusste Konfrontation mit den Konflikten im Leben und das Bewusstwerden der eigenen Identität sind die ersten entscheidenden Schritte in Richtung Besserung.
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