Lange lange ist es her, dass ich für diese Reihe #warumfragenwirnichteinfachdiebesten ein Interview geführt habe. Mein letzter Artikel mit dir, JoJo (Link), und hat mich so tief berührt, dass ich sogar überlegt habe, keinen Weiteren mehr zu schreiben.
Als ich aber vor einem Jahr im TV bei der Live-Übertragung dich, Nikolas, quer über das ganze Feld laufen sah, all deine Tränen der Freude, da wusste ich, dass ich darüber schreiben wollte. Dieser Moment, in dem alles Sinn macht. Jedes noch so harte Training, der Schweiß, die Arbeit, der Schmerz. In dem sich alles plötzlich gelohnt hat – all die Jahre des Wartens – auf diesen einen Moment, der nur für diesen einen Menschen bestimmt ist!
Genauso ging es dir! Du wurdest „Man of the Match“ des German Bowls 2018 in dieser einen Sportart, die du so sehr liebst.
Und so gerne wollte ich wissen, ob dir vielleicht vorher schon klar war, dass dies dein Tag wird oder ob es sogar so war, dass du einen schlechten Tag hattest, an dem einfach alles schief ging. Aber lassen wir dich doch einfach selbst erzählen: Es ist der Abend des 12. Oktobers 2018. In 24 Stunden steht der Kick off im Finale der German Football League an…
“Der letzten 24 Stunden vor dem Germanbowl 2018 waren ähnlich wie die letzten 24 Stunden vor den Finals 2016 und 2017. Auch wenn jedes Finale auf seine Art und Weise besonders ist, wusste ich dieses Mal bereits, was mich in Berlin erwarten würde. Außerdem hatte ich am eigenen Leib bereits erfahren dürfen, wie es sich anfühlt, das Finale als Gewinner oder Verlierer zu verlassen.
Wir trainieren am Donnerstagabend noch in Schwäbisch Hall fahren dann Freitagmorgen mit dem Teambus in Richtung Berlin. Die Stimmung auf der Fahrt ist gut. Jeder versucht, eine gesunde Balance zu finden. Niemand möchte so früh vor dem Spiel bereits zu sehr gehyped sein. Aber niemand möchte auch zu relaxed wirken. Ich sitze im Bus und schaue während der Busfahrt nochmal das Tape von unserem kommenden Gegner an. Ich entdecke nichts, was ich nicht bereits wusste, fühle mich aber mit jedem Mal ein Stück sicherer.
Unser Germanbowl Gegner heißt Frankfurt Universe. Im Gegensatz zu den Finalspielen gegen die NYL in den Jahren 2016 und 2017, kenne ich die Frankfurter bereits von zwei Aufeinandertreffen im Süden. Wir haben beide Spiele gewonnen, wie auch im Vorjahr. Das gibt mir ein gutes Gefühl, auch wenn ich wusste, dass das Finale ein Kampf bis zur letzten Sekunde geben würde.
Die Jahre zuvor spielte ich OLB für die Schwäbisch Hall Unicorns. Dieses Jahr trainierte ich im Vorfeld schon mehrere Wochen auf Mike, weil unser Importspieler Nick Alfieri verletzungsbedingt den letzten Part der Season verpasst hatte. Ob er im Finale würde spielen können, war bis zum letzten Tag unklar. Am Tag des Finales kommt vom Teamarzt dann das „ok“ für Nick. Wie lange er jedoch durchhalten können wird, bleibt unklar. Ich bin jedenfalls ready und bestens vorbereitet. Ich freue mich für Nick und das Team, auch wenn ich natürlich selbst nichts lieber tun würde, als von Anfang an auf das Feld zu laufen.
Nick und ich spielen schon seit 2016 miteinander. Wir unterstützten uns in den Wochen vor dem Finale gegenseitig so gut wir können. Wir wissen, egal wer letztendlich spielen wird, muss abliefern.
Der Finaltag ist durchgetaktet. Frühstück – Meeting – Walktrough – Meeting – Mittagessen – Stadion – Umziehen – Meeting – WarmUp – Einlaufen – Nationalhymne – Kickoff. Das Spiel beginnt und wird der erwartet harte Kampf. Nach einem Scramble des Frankfurter QB’s kommt mein Coach zu mir und sagte, dass ich auf Sam reingehen soll. Eine Position, auf der ich seit mehreren Monaten nicht mehr trainiert hatte. Ich bin excited aufs Feld steppen zu können. Die Position ist mir egal. Ich werde überwiegend als Edge Rusher eingesetzt und kann beim ersten Play direkt pressure auf den QB erzeugen. Ich habe ein gutes Gefühl und weiß, dass wir das Momentum erzeugen können.
Mit 13:7 für Frankfurt geht es in die Halbzeit. Jeder von uns glaubt dennoch, vom tiefsten Inneren an den Sieg. Das dritte Quarter verläuft punktlos. Keiner der Teams will dem Gegner etwas abgeben. Man fightet um jeden Zentimeter. Im 4. Quarter ist es dann endlich soweit. TD Unicorns. 14 zu 13. Die erste Führung und noch acht Minuten zu spielen. Zwei Minuten später ist es dann soweit. Frankfurt hat den Ball in der Mitte des Feldes. Wir rushen beide OLB, Thomas Frach sacked den QB, ich sehe den Ball auf den Boden, greife nach ihm und renne so schnell ich kann. Aus dem Augenwinkel sehe ich Devin Benton noch einen abräumen. Ich traue mich nicht, nach hinten zu schauen. Ich halte den Ball so fest ich kann und renne bis der Ref den TD signalisiert und das Stadium jubelt.
Dutzende Teamkollegen stürmen auf mich zu und rasten aus. Ich kann den Moment unmittelbar danach gar nicht richtig verarbeiten. Ich habe eine Gänsehaut und bekomme kein Wort heraus. Das Stadium bebt. Es steht nun 21:13 und es sind noch gute fünf Minuten zu spielen. Es ist klar, dass dieses Spiel noch nicht gelaufen ist und wir mit der Defense noch mindestens einmal aufs Feld müssen. Frankfurt kann noch einmal scoren, sie haben einen erfolgreichen Onesidekick und bei auslaufender Uhr noch die Chance, das Spiel mit einem FG zu gewinnen. Ich knie am Seitenrand und bete, dass wir den Kick blocken. Wenige Sekunden später ist es so weit. Der Schiedsrichter gibt den Ball frei, der Frankfurter Kicker nimmt Anlauf und kickt. Der Ball fliegt. Jedem pumpt das Herz. Die Refs zeigen es an. Kick nicht gut. Unsere Seitenlinie rastet komplett aus. Jeder lässt nun seinen Emotionen freien Lauf. Jetzt ist es klar, we did it again! Die Schwäbisch Hall Unicorns sind Deutscher Meister 2018!
Wenn ich mich an den Abend zurück erinnere, habe ich immer noch Gänsehaut. Die vielen Emotionen und Eindrücke geben einem kein Zeitgefühl mehr. Ich werde zum Germanbowl MVP ernannt. Wir bekommen den großen Pokal, reißen ihn in die Höhe und jubeln. Es kommt einem so vor, als wäre man in einem Traum. So überwältigend, dass es fast schon surreal wirkt. Bis heute.”
Interview
Nikolas, wie bist du zum Football gekommen?
Bereits als kleines Kind war ich bei den Footballspielen meines Vaters immer mit dabei. Ich fand den Sport zwar schon immer cool, habe aber wie die meisten Kinder erst mal im Dorfverein mit Fußball begonnen. Fußball war während meiner Kindheit und Jugend der Mittelpunkt meines Lebens. Wie viele andere Kids wollte ich natürlich Fußballprofi werden und spielte auch einige Jahre für den 1. FC Heidenheim und den VfR Aalen. Irgendwann musste ich jedoch erkennen, dass das mit einer Körpergröße von 1,78 Meter für einen Torwart nicht funktionieren sollte. Ich war bereit für eine neue Herausforderung. Ich war schon früh in der Pubertät mehrmals wöchentlich im Fitnessstudio. Jedoch konnte ich mir nicht vorstellen, nur Gewichte zu heben. Teamsport war mir schon immer wichtig. Ich habe dann mit 17 selbst die Initiative ergriffen und bei dem alten Team meines Vaters, den Kuchen Mammuts, mal vorbeigeschaut. Es gab damals noch keine Jugendabteilung, weshalb ich bereits im ersten Training direkt bei den Herren mit Vollkontakt einsteigen durfte. Nach dem ersten richtigen Hit erkannte ich meine Liebe zu diesem Sport.
Was hat dich gehalten bei dieser Sportart?
Die physische Komponente des Spiels hat mich fasziniert. Auch wenn beim Football das Team als kollektiv funktionieren muss, gibt es ständig für jeden ein 1 gegen 1, in welchem man sich mit seinem Gegenüber misst. Ob Jagen, Erlegen oder Beschützen. Beim Football trifft Vorbereitung, taktisches Verständnis und grobe Gewalt aufeinander.
Was macht die spezielle Mentalität eines Spielers deiner Position aus?
Die Linebacker sind das Bindeglied zwischen den großen Jungs in der Line und der Secondary. Man muss zu jeder Zeit des Spiels wissen, was um einen herum passiert, schnell eine Entscheidung treffen und kommunizieren. Man muss eine gewisse Ruhe und Sicherheit ausstrahlen, aber auch in der Lage sein, den Schalter vom einen auf den anderen Moment umzulegen. How aggressive can you be without losing your discipline?
Was muss ein Spieler deiner Position charakterlich mitbringen?
Selbstbewusstsein, Dominanz, Disziplin, Ehrgeiz, Teamgeist.
Gab es in deiner Karriere Momente, in denen du dir sportpsychologische Hilfe gewünscht hättest?
Zur Mentalität gehört sicherlich auch, dass man jederzeit souverän auftritt und dies mit seiner Körpersprache zum Ausdruck bringt. Auch wenn es mal nicht so läuft oder es etwas gibt, was einen sehr beschäftigt. Wie in allen Bereichen des Lebens, kommt es auch in diesem Sport bei mir und anderen zu Differenzen und Rückschlägen, welche demotivierend wirken und zu Frust und Aggressionen führen können. Einen Fachmann für sportpsychologische Hilfe gibt es hierfür im deutschen Football in den meisten Fällen leider noch nicht. Football ist für mich und für viele andere schon lange mehr als ein zeitintensives Hobby. Wenn der Sport zum Mittelpunkt des Lebens rückt, man nachts mit den Gedanken beim Sport einschläft und morgens wieder aufwacht, besteht durchaus die Gefahr, dass sich die psychologische Verfassung auch auf andere Lebensbereiche auswirkt.
Was hast du selbst getan, um nicht nur deinen Körper sondern auch deinen Kopf immer wieder weiter zu trainieren?
Ich schaue, dass ich bestmöglich vorbereitet ins Training komme. Dabei studiere ich die neuen Spielzüge, analysiere den kommenden Gegner und schaue mir das Tape vom letzten Training an. Wenn mir etwas unklar ist oder mich etwas interessiert, scheue ich mich nicht, Dinge anzusprechen oder zu hinterfragen. Auch privat dreht sich vieles um Football, ob beim Coachen, Football schauen oder bei einem Schwätzchen unter Freunden. Außerhalb vom Sport trainiere ich meinen Kopf mehrmals die Woche an der Universität bei meinem Lehramtsstudium in Italienisch, Sport und Englisch.
Welches ist dein Glaubenssatz?
I BELIEVE if you keep your FAITH, you keep your TRUST, you keep the right ATTITUDE, if you are GRATEFUL, you’ll see God open up doors.
Wie motivierst du dich am besten? Und arbeitest du hier mit Videos oder Bildern?
Ich habe selten Probleme, mich zu motivieren. Ich freue mich oft schon montags auf das Spiel am Samstag. Musik, Videos und die Vorstellung abzuliefern und zu gewinnen, geben mir die restliche Motivation.
Was würdest du jungen Spielern raten?
Wechsel so früh wie dir möglich zu einem gut gecoachten Team. Sei dankbar, wissbegierig, pünktlich, vorbereitet und ehrgeizig. „Be humble but let them know.“
Nikolas Knoblauch
- 17.08.1995
- 1,78 m / 94 kg
- Wohnort: Stuttgart
- Vereine: Kuchen Mammuts, Holzgerlingen Twister, Schwäbisch Hall Unicorns
- Italienische Nationalmannschaft seit 2016
- Beruf: Lehramt Sport, Italienisch, Englisch
Gibt es etwas, was du anders machen würdest, wenn du an einen bestimmten Moment deiner Karriere denkst?
Ich bin dankbar wie es zu allem gekommen ist, schätze die gemachten Erfahrungen und bereue keine meiner Entscheidungen. Rückblickend hätte ich gern viel früher mit Football angefangen und auch bei den Juniors gespielt, anstatt gleich bei den Herren anzufangen.
Was ist, deiner Meinung nach, der wichtigste Punkt, an dem die Sportpsychologie und Spieler deiner Position zusammenkommen? Woran könnte man zusammen arbeiten?
Das ist schwer zu sagen. Die Einsatzmöglichkeiten von Sportpsychologen sind durchaus vielseitig. Explizit denke ich, dass gerade bei schwerwiegenderen Verletzungen, eine psychologische Betreuung hilfreich sein kann. Frust, der sich in eventuell Depressionen umwandelt, könnte man dementsprechend vorbeugen. Ein weiteres Einsatzfeld könnte darin liegen, den Spielern und Coaches Selbstkontroll-Strategien an die Hand zu geben, welche einem helfen, kritische Warnsignale zu erkennen und zu deuten.
Was glaubst du, was dein Geheimnis ist, um so lange so erfolgreich zu spielen?
Consistency. Täglich etwas dafür tun, um körperlich und mental fit zu bleiben.
Muss ein Spieler deiner Position furchtlos sein?
Ja, unbedingt! Ich denke, wenn man sich fürchtet, hat man bereits im Vorfeld verloren.
Ist es deiner Meinung nach Wünschenswert, dass sich die Sportpsychologie im deutschen Football fest etabliert?
Ja. Sollte sich die GFL weiterhin zu einer immer mehr professionellen Liga entwickeln, dann ist dieser Schritt wie bei anderen Sportarten unausweichlich.
Mit welcher anderen Position bist du am meisten verbunden?
Ich spiele wirklich gerne mehrere Positionen, aber am liebsten LB oder RB.
Ist deine mentale Vorbereitung bei einem schwachen Gegner dieselbe, wie bei einem wirklich großen Spiel?
Ja, da mache ich keine Unterschiede.
Hattest du schon einmal Angst vor einem Spiel? Wenn ja, wie konntest du diese überwinden?
Angst? Nein. Eher Aufregung. Das Beste was man tun kann, um dies zu überwinden, ist bestmöglichst vorbereitet zu sein. Dazu fällt mir ein passendes Zitat ein von Peyton Manning ein: „Pressure is something you feel when you don’t know what the hell you’re doing.”
All ihr fantastischen Finalisten, seid ihr bereit für den einen Moment, der nur für euch bestimmt ist?
Lieber Niko,
du hast mir schon so oft gesagt, wie sehr du meine Arbeit schätzt, dabei warst es du, der mich in diesem so besonderen Moment 2018 inspiriert hat. Du bist der Grund, warum ich überhaupt diese Reihe fortführe – weil du es einfach verdient hast, dass wir diesen tollen Moment für immer festhalten.
Was mich am meisten beeindruckt hat, war, dass ganz egal wie hart das Training auch sein mag, auf wieviel Freizeit auch immer du verzichten musst, wie viel Schmerz auch immer du aushalten musst, du bist immer dankbar, dass du diesen Sport ausüben kannst. Deine innere Euphorie besiegt jeden herausfordernden Moment.
Wie kann ein Mensch nur so motiviert sein? Damit hast du es nicht nur geschafft, mich persönlich zu beeindrucken, nein, ich versuche auch weiterhin mit dir herauszufinden, wie es möglich ist, sich dies über Jahre autodidaktisch anzueignen. Dahinter steckt eine so spannende Frage für die Sportpsychologie. Die Antwort für dich ist aber leicht.
Du hast die Zeit nicht vergessen, in der alles begann. Weg vom Traum eines Tages, ein Fußballprofi zu sein und hin zu einem neuen Traum. Diese Zeit nicht vergessen, in dem alle Vereine dir eine Absage erteilt haben und es nur einen Verein gab, der an dich geglaubt hat. Und seit jenem Tag ist es dein größter Antrieb, all diese anderen Vereine Lügen zu strafen und diesem einen so besonderen Verein immer und immer wieder zu beweisen, dass ihre Entscheidung für dich richtig war!
Und ich wünsche dir auch dieses Jahr im German Bowl Finale wieder diesen einen Moment – Ich werde voller Ehrfurcht und Stolz an deiner Seite im Stadion stehen und mit dir mitfiebern!
Deine Miriam
Miriam Kohlhaas
Zur Profilseite: https://www.die-sportpsychologen.de/miriam-kohlhaas/
Alle Teile der Serie “warum fragen wir nicht einfach die besten”:
Jojo Joyner – Mein Warum (#warum fragen wir nicht einfach die besten – Episode 9)
Christian Bollmann – Der Unvergleichbare (#warum fragen wir nicht einfach die Besten – Episode 8)
Simon Gavanda: Dr. Gavanda und Mr. Hyde! (#Warum fragen wir nicht einfach die Besten? Episode 7)
Yannick Baumgärtner – The Leader (#Warum fragen wir nicht einfach die Besten? – Episode 6)
Julian Völker: Work hard – dream big (#Warum fragen wir nicht einfach die Besten? – Episode 5)
Sonny Weishaupt: Gott schenke mir Geduld … und zwar sofort! (#Warum fragen wir nicht einfach die Besten? Episode 4)
Patrick Finke: Sportpsychologie? Damit habe ich noch nie gearbeitet! (#Warum fragen wir nicht einfach die Besten? Episode 3)
Dennis Zimmermann: NO REGRETS! (#Warum fragen wir nicht einfach die Besten? Episode 2)
Niklas Römer: Look good – feel good – play good (#Warum fragen wir nicht einfach die Besten? Episode 1)
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