Trainer können ein Lied davon singen: Coach, Pädagoge, Psychologe, Freund, Mitspieler, Mediator, Fahrer, Trauerbegleiter… Situations- und personenabhängig nehmen Trainer in der Führung eines Spielers und Teams – mal bewusst, mal unbewusst – ganz spezifische Rollen ein. Als Sportpsychologischer Coach geht es mir da nicht viel anders: Um Spieler wirkungsvoll zu unterstützen, muss auch ich die Klaviatur verschiedenster Rollen bedienen wie beherrschen. Dieser Artikel zeigt auf, wie ich unsere NLZ-Spieler im Leistungsbereich individuell und bedürfnisorientiert unterstütze – auf Grundlage einer professionellen Auftragsklärung.
Zum Thema: Der Sportpsychologische Coach als „Rollenspieler“
Eine gute Zusammenarbeit mit Trainern und Spielern bedarf einer zwischenmenschlichen wie inhaltlichen Grundlage, es braucht einen Nährboden, aus dem Großes erwachsen kann. Aus diesem Grund investiere ich in jeder Saisonvorbereitung bewusst sehr viel Zeit in individuelle Gespräche, um Beziehungen zu den Trainern und Spielern aufzubauen, zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Daher biete ich den Spielern unserer Teams im Leistungsbereich (U16, U17, U19) ein zweiteiliges Gespräch an: Zunächst ein Kennenlerngespräch, bei Neuzugängen und mir noch unbekannten Spielern, sowie ein Austauschgespräch im Falle von Spielern, die ich schon mindestens eine halbe Saison lang begleitet habe. Dieses aktive Ausdrücken von Interesse durch das Stellen offener und nicht-wertender Fragen öffnet bei fast allen Spielern anschließend einen Raum, innerhalb dessen die Spieler mit mir inhaltlich zusammenarbeiten wollen. Aber wie soll diese Zusammenarbeit konkret mit Leben gefüllt werden? Antworten darauf ergeben sich im anschließenden Auftragsklärungsgespräch.
Auftragsklärung als Grundlage für eine stimmige Zusammenarbeit
In diesem Gespräch erarbeite ich gemeinsam mit dem Spieler einen Rahmen für eine stimmige Zusammenarbeit. Es geht darum, zu klären, was der Spieler von mir braucht, um am Saisonende sagen zu können: „Janosch hat für mich als Mensch einen Unterschied gemacht und mich inhaltlich-mental in meiner Weiterentwicklung vorangebracht.“ Die entscheidenden Fragen dabei lauten: Was ist dem Spieler wichtig? Wie will er Zusammenarbeit gestalten? Dabei gibt es kein Richtig oder Falsch, Gut oder Schlecht. Sondern der Spieler äußert das, was für ihn in der Zusammenarbeit eine Bedeutung hat. Diese Vorgehensweise passt hervorragend zu meiner systemischen Grundhaltung: Der Spieler – für mich in allererster Linie ein Mensch – ist der Experte für sich selbst und weiß selbst am besten, was er braucht. Ich als Sportpsychologischer Coach möchte auf seinem Weg ein anregender Impulsgeber sein. Wichtig bei der Auftragsklärung ist: Der definierte Rahmen stellt nicht etwa ein starres Gebilde dar, sondern ermöglicht einen flexiblen Handlungsspielraum und kann jederzeit im Saisonverlauf – an sich zum Beispiel verändernde Spielerbedürfnisse – angepasst werden. Mir persönlich gibt der Rahmen eine Orientierung, meinem Handeln sowie meiner Zusammenarbeit mit dem Spieler Sinnhaftigkeit und Struktur. Es entsteht eine stabile Grundlage, auf der sich Zusammenarbeit stimmig gestalten und diese auch immer wieder – gemeinsam mit dem Spieler – bewusst reflektieren lässt.
In unseren Auftragsklärungsgesprächen stelle ich den Spielern folgende Rollen vor, die ich für sie einnehmen kann:
Spiegel
Als Sportpsychologischer Coach bin ich regelmäßig bei den Trainingseinheiten und Spielen unserer Teams im Leistungsbereich dabei, aber auch bei sonstigen Maßnahmen wie z.B. Mittagessen und Teambesprechungen. In der Rolle des Spiegels bekommen die Spieler von mir, z.B. nach dem Training, ein Feedback per WhatsApp-Sprachnachricht unter mentalen und sozialen Gesichtspunkten: Wie habe ich den jeweiligen Spieler (im Teamkontext) wahrgenommen? Was ist aufgefallen? Durch dieses ehrliche Teilen meiner Wahrnehmungen bringe ich den Spieler in Kontakt mit seinem Verhalten und biete ihm eine Außenperspektive, die er wiederum für seine Reflexion nutzen kann. In einem lösungsorientierten Rückfeedback an mich innerhalb der 48 Stunden nach Erhalt der Sprachnachricht kommuniziert der Spieler, was er aus der Sprachnachricht für sich mitgenommen hat und was er sich konkret vornimmt, um mental weiter zu wachsen.
Coach
Der Spiegel lässt sich kombinieren mit dem Coach. Sofern ein Spieler mich in der Rolle des Coaches sieht, kombiniere ich meine Sprachnachrichten mit anregenden Reflexionsfragen, die ihn noch zielgerichteter in eine bewusste Auseinandersetzung mit dem auf Feld Erlebten führen sollen. Diese Fragen helfen dem Spieler dabei, sich noch besser kennen und verstehen zu lernen, neue Sichtweisen zu entwickeln und selbst Lösungsimpulse in Bezug auf mentale und soziale Themen zu entwickeln. Als Coach stehe ich dem Spieler zudem in Coachingprozessen zur Verfügung – wenn er also im Einzelsetting gezielter an mentalen Themen arbeiten will. Coach kann sich aber auch auf die Teilnahme an einem Life Kinetik-Kleingruppentraining beziehen, in dem wir einmal wöchentlich vor dem Mannschaftstraining zielgerichtet die kognitiven Fähigkeiten der Spieler trainieren.
Berater
Der Spiegel lässt sich zudem mit der Rolle des Beraters kombinieren. Sofern ein Spieler mich in dieser sieht, kombiniere ich meine Sprachnachrichten mit Tipps und Impulsen, bezogen auf mentale und soziale Auffälligkeiten. Diese Ratschläge helfen dem Spieler, mental noch stärker zu werden – eine fleißige Umsetzung und, falls nötig, eine entsprechende Anpassung der ausgesprochenen Tipps vorausgesetzt.
Pädagoge
Als Pädagoge spiegele ich den Jungs ehrlich, direkt, aber respektvoll, wenn ich mit einem gezeigten Verhalten nicht einverstanden bin. Als Mensch mit mehr Lebenserfahrung möchte ich unseren Spielern ein Wegweiser, ein Anker, ein Orientierungspunkt sein und sie mit meinem individuellen Werteverständnis in Kontakt bringen – ohne ihnen dabei eine Wertvorstellung aufzuzwängen.
Mediator
Als Mediator stehe ich den Jungs zur Verfügung, um in sich zuspitzenden Konfliktsituation durch Moderation zur Auflösung dieser beizutragen – oder durch das Geben von Hilfestellungen den Spieler zu befähigen, den Konflikt eigenverantwortlich anzugehen.
Mentaler Mülleimer
Der Fußball hat für unsere Spieler eine emotionale Bedeutsamkeit. Für viele von ihnen ist er nichts anderes als die größte Leidenschaft und die wichtigste Sache in ihrer (Lebens-)Welt. Eine umso größere Emotionalität kann dann entstehen, wenn Bedürfnisse nicht erfüllt werden und die Spieler ihre individuelle Zielerreichung in Gefahr wähnen. Und an genau dieser Stelle möchte ich ansetzen, indem ich den Jungs einen Raum biete, indem sie sich einfach mal „auskotzen“ können. Schließlich will die Emotion gefühlt und gesehen werden, um wieder in einen lösungsorientierteren Modus schalten zu können. Sofern mich der Spieler in dieser Rolle sieht, definieren wir, welche Situationen eintreten müssten, die ein bewusstes Zugehen auf mich zur Folge haben sollen.
Trauerbegleiter
Auch jugendliche Fußballspieler sind vor individuell herausfordernden Situationen nicht gefeit, ganz egal, ob im Privatleben oder im Fußballkontext. Sofern mich der Spieler in der Rolle des Trauerbegleiters sieht, definieren wir auch hier, welche Situationen eintreten müssten, die ein bewusstes Zugehen auf mich zur Konsequenz haben sollten. Als Trauerbegleiter schaffe ich meinem Gegenüber einen Raum, die Emotion auszudrücken. Gemeinsam entwickeln wir anschließend – falls erwünscht – Wege, wie der Spieler mit der Emotion stimmig umgehen und Schritt für Schritt wieder in die Zukunft schreiten kann.
Karriereberater
In dieser Rolle möchte ich keinesfalls den klassischen „Spielerberater“ ersetzen. Vielmehr biete ich unseren Jungs an, sie, primär durch das Stellen von Fragen, im Falle einer zu fällenden Zukunftsentscheidung zu unterstützen, eine für sich möglichst stimmige Entscheidung zu treffen – ohne dabei in irgendeiner Form Stellung zu beziehen oder eine Meinung abzugeben. Das machen meiner Wahrnehmung nach ohnehin schon ausreichend Personen im direkten Umfeld des Spielers.
Großer Bruder
Mit einem großen Bruder assoziiere ich jemanden, der für einen Mitmenschen vor allem dann da ist, wenn er gebraucht wird. Sofern mich ein Spieler in dieser Rolle sieht (genauso wie in der Rolle des Freundes, s. unten), frage ich immer nach: „Was wünschst du dir von mir in dieser Rolle in welcher Situation ganz genau?“ Und schon stellen wir auf der Handlungsebene Klarheit her. Manche Wünsche, falls ich sie als inkompatibel mit meiner übergeordneten Rolle als Sportpsychologischer Coach ansehe, weise ich allerdings auch ab oder wir passen den Wunsch gemeinsam an.
Freund
Als Freund sehe ich mich in der Rolle desjenigen, der mit dem Spieler in passenden Momenten zwischenmenschlich locker interagiert und der einen Raum schafft, innerhalb dessen der Spieler auch mal kindlich-jugendlich drauf sein kann. Auch hier konkretisiere ich mit dem Spieler, was er sich von mir in dieser Rolle wünscht.
Nachdem ich dem Spieler diese Rollen vorgestellt habe, bekommt er von mir Zeit, um für sich zu prüfen, in welchen Rollen er mich sieht und in welchen eher weniger. Anschließend kommen wir ins Gespräch und erfassen die genauen Spielerbedürfnisse, die mit der Einnahme einer bestimmten Rolle verbunden sind – so, dass ich eine konkrete Vorstellung davon erhalte, wie ich dem jeweiligen Spieler im Alltag auf der Handlungsebene der bestmögliche Unterstützer sein kann.
Wettkampfbegleitung
Anschließend schauen wir noch genauer auf das Thema Wettkampfbegleitung. Ich stelle dem Spieler einige Möglichkeiten vor, wie ich ihm auch am Spieltag selbst ein Unterstützer sein kann. Beispielhaft sei hier genannt: Das Erarbeiten von individuellen (mentalen) Zielstellungen für das Spiel, das Durchführen psychologischer Techniken oder ein persönliches Feedbackgespräch nach dem Spiel. Auch hier wählt dann der Spieler das für ihn Passende aus und kann zudem eigene Vorschläge einbringen. Schließlich brechen wir die entsprechenden Wünsche des Spielers auf die Handlungsebene herunter, so dass ich genau weiß, wie und wann ich am Spieltag für den jeweiligen Spieler wirksam werden kann.
Ebenso Teil des Auftragsklärungsgespräches ist ein bewusster Blick auf die mentalen und sozialen Wachstumspotenziale des Spielers: Woran gilt es in der Wahrnehmung des Spielers (noch) zu arbeiten? Und was würden ihm wohl seine Trainer raten? Zudem spiegele ich dem Spieler, wenn ich ihn schon in der vorherigen Saison begleitet habe und somit einschätzen kann, meine Wahrnehmungen. Nicht selten öffnet dieser Austausch ein Feld für individuelle Coachingprozesse, in denen wir dann an dem jeweiligen Thema zielgerichtet arbeiten. Abschließend äußere ich, was ich vom Spieler für eine gelingende Zusammenarbeit brauche und gebe ihm Raum zu äußern, was ihm in dieser besonders wichtig ist.
Herausforderungen in der Umsetzung dieser sehr bedürfnisorientierten Vorgehensweise
Diese Vorgehensweise über eine Saison hinweg konsequent mit Leben zu füllen, ist herausfordernd – allein, wenn bedacht wird, dass sich immerhin 60 der knapp über 70 Spieler im Leistungsbereich durch eine entsprechende Zusammenarbeit unterstützen lassen wollen. Entsprechend meiner Erfahrungen sind die folgenden Herausforderungen die größten:
- Nicht umsetzbare Spielerwünsche
- Manche Spielerwünsche sind entweder zeitlich nicht umsetzbar oder mit meiner übergeordneten Rolle als Sportpsychologischer Coach inkompatibel. Hier gilt es, realistische Erwartungshaltungen zu erzeugen bzw. den Wunsch des Spielers so zu verhandeln, dass dieser schließlich für beide Seiten passend umgesetzt werden kann.
- Kompetenzanforderungen
- Wie brachte es einst schon Norbert Elgert so schön auf den Punkt: „Wasser predigen und Schnaps trinken funktioniert nicht.“ Dies bedeutet für meine Arbeit: Wenn dem Spieler eine bedürfnisorientierte Vorgehensweise angeboten und besprochen wird, muss ich dem mit meiner Arbeit auch Tag für Tag Rechnung tragen. Das erfordert ein Höchstmaß an Selbststruktur, Übersicht, Willen und Disziplin.
Fazit
Für meine Arbeit als Sportpsychologischer Coach hat sich diese Vorgehensweise im Laufe der vergangenen Saison als die stimmigste erwiesen – denn sie setzt direkt an der Lebenswelt des Spielers und seinen Bedürfnissen an. Sie passt zu meiner systemischen Grundhaltung, die besagt, dass der Spieler der Experte für sich selbst ist und lässt ihm somit Autonomie und Gestaltungsfreiheit in unserer Zusammenarbeit. Diese Herangehensweise entspricht zudem meiner demütigen Grundhaltung als Mensch, sich nicht zu wichtig zu nehmen – und aus dieser Grundhaltung heraus dennoch Aktivität, Offenheit und Unterstützergeist auszustrahlen.
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