Mila Hanke: Umgang mit Angst beim Mountainbiken – „Die Angst ist nicht dein Feind. Sie hat immer eine Botschaft.“

Rutschige Steilhänge, ausgesetzte Kehren, verblockte Geröllpassagen, hohe Stufen und Drops. Egal ob anspruchsvoller Freizeit-Trail, technische Marathonstrecken oder Sprünge im Bike-Park: Mountainbiken ist ein Risikosport und eine wiederkehrende Konfrontation mit Ängsten aller Art. Mit Mentaltraining können Biker lernen, die Gefühle und Gedanken zu kontrollieren, damit sie in Kopf und Körper keine Blockaden auslösen. Aber auch: im richtigen Moment auf die Angst zu hören.

Die Journalistin und Sportpsychologin Mila Hanke hat dem Mountainbike-Magazin „Freeride“ (www.freeride-magazine.com) ein spannendes Interview gegeben, das wir hier veröffentlichen dürfen. Ihre Tipps können Hobbysportlern ebenso helfen wie Profis. 

 

Foto von Daniel Frank auf Pexels

Freeride: Ich will einen Drop wagen, habe aber Angst davor. Ein zermürbender Konflikt – warum tue ich mir das an?

Hanke: Weil das Gefühl, Kontrolle über eine riskante Situation zu gewinnen, sehr erfüllend ist. Außerdem bist du wahrscheinlich ein Sensation-Seeker: Das sind Menschen, die sich in einem hohen Erregungszustand wohl fühlen. Den erzeugen sie z.B. durch Situationen mit einer ordentlichen Portion Nervenkitzel. Sensation Seeking ist ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal und unter Risikosportlern sehr verbreitet. Für den Großteil der Bevölkerung ist hingegen schon ein Tatort-Abend aufregend genug.

Was ist Angst eigentlich genau?

Das Gefühl von Kontrollverlust und Überforderung. Das heißt: Du hast Angst bei Drops und Sprüngen, wenn du dir deiner Fähigkeiten und deiner Kontrolle über die Situation nicht sicher bist.  

Auch Angst vor den Konsequenzen?

Die Gedanken an die Konsequenzen sind der eigentliche Auslöser für den sich hochschaukelnden Angstkreislauf: Was, wenn ich stürze und mich verletze? Was, wenn mich die anderen für einen Loser halten – oder ich mich selbst? Solche Gedanken setzten Stresshormone frei und steigern die Blockaden im Kopf und im Körper. Deshalb setzt mentales Training zur Angstbewältigung genau bei diesen negativen Selbstgesprächen an. 

Muss ich die Angst ernst nehmen?

Definitiv. Angst ist ein überlebenswichtiges Urgefühl. Wer komplett angstlos ist, hat eine neurologische Störung und vermutlich ein kurzes Leben. Das Ziel von Mentaltraining ist nie, Angst ganz auszuschalten. Denn Angst schützt dich vor Gefahren. Deshalb spürst du auch körperlichen Reaktionen, die sogenannte somatische Angst: z.B. Herzklopfen, schnelles Atmen und angespannte Muskeln. 

Haben diese Reaktionen einen evolutionsbiologischen Sinn?

Ja. Der Körper schüttet Adrenalin und das Stresshormon Cortisol aus und aktiviert so Energiereserven im Gehirn und in den Muskeln. Das ist die Vorbereitung auf entweder Kampf oder Flucht. Dabei steigt auch der Puls, um mehr Sauerstoff durch den Körper zu pumpen, geweitete Pupillen schärfen den Sehsinn und man schwitzt, damit der Körper nicht überhitzt. 

Extrem-Sportler sprechen selten von Angst, eher von Konzentration.

Weil Konzentration ihr Weg ist, die Angst in Schach zu halten. Viele Menschen halten Extrem-Sportler für angstlos – aber das ist Quatsch. Egal ob Basejumper, Free Solo-Kletterer oder Rampage-Athleten (Anm. d. Red.: Die Red Bull Rampage ist ein extrem waghalsiger Downhill-Wettbewerb in der Wüste Utahs, USA): Sie haben die riskanten Situationen erstens extrem oft trainiert und sehr gute körperliche und fahrtechnische Fähigkeiten. Und zweitens haben sie gelernt, Angstgedanken und körperliche Reaktionen optimal zu kontrollieren. 

Was heißt das genau?

Die meisten Sportler bringen ihre besten Leistungen, wenn Körper und Kopf etwa mittelstark aktiviert sind. Das belegen sportwissenschaftliche Studien. Man kann sich die Aktivierung durch Aufregung und Angst vorstellen wie eine Flamme: Ist sie zu groß, entsteht Panik und man ist wie gelähmt. Auf kleiner „Sparflamme“ wiederum ist man nicht genug bei der Sache. Ideal ist ein Mittelmaß an Aktivierung. 

Mila Hanke

Mila Hanke

Dipl. Psychologin, Sportpsychologin (asp), (Wissenschafts-)Journalistin

Sportarten: Derzeit vor allem Mountainbiken (von Marathon bis Downhill) und Klettern/Bouldern, aber auch Trailrunning/Berglauf, (Free-)Ski/Snowboard, Leichtathletik, (Wind-)Surfen … und jegliche andere Einzel- oder Mannschaftssportarten.

+49 (0)176 63162448

m.hanke@die-sportpsychologen.de

Zur Profilseite: https://www.die-sportpsychologen.de/milahanke/

Eine Art positive Vorstufe zur Angst?

Genau. Wenn du bei einem hohen Drop zu entspannt bist, dann fehlen dir die nötige Konzentration und Körperspannung und du wirst wahrscheinlich stürzen. Bist du zu angespannt, hast also Angst, bist du im Kopf und im Körper blockiert, wirst also wahrscheinlich gar nicht springen – oder eine reflexartige Schreckreaktion mitten im Bewegungsablauf bringt dich zu Fall und du verletzt dich. Mit Mentaltraining kann man lernen, die Aktivierung im Kopf ebenso wie im Körper auf das ideale mittlere Level zu bringen – also nach oben oder nach unten zu regeln. Aber: Immer vorausgesetzt, du bist dir der Fahrtechnik für die betreffende Situation grundsätzlich sicher! Du wirst keinen 5-Meter-Drop landen, nur weil du deine Angst runter regelst und einfach springst! 

Ich fühle mich bei einem 3-Meter-Drop wohl, doch der 5-Meter-Drop macht mir dennoch Angst. Warum

Angst ist nie unbegründet. In diesem Fall weißt du noch nicht, ob deine Fähigkeiten für die 5 Meter ausreichen. Du hast noch keine positiven Lernerfahrungen mit dieser Höhe gesammelt. Also musst du dich erstmal herantasten: Deine Fahrtechnik am 3-Meter-Drop so oft optimieren und wiederholen bis du sie quasi im Schlaf abrufen kannst. Am besten mit unterschiedlichen Bedingungen bei Absprung und Landung (z.B. sehr trocken, feucht, steil o.ä.). Wage dich dann erstmal an einen 3,5- oder 4-Meter Drop und übe diesen genauso intensiv, um denselben Automatisierungsprozess zu durchlaufen. Du kannst den optimalen Bewegungsablauf auch zu Hause oder vor Ort visualisieren. Das heißt: Jeden Tag fünf bis zehn Minuten immer wieder und wieder mit geschlossenen Augen im Kopf durchgehen. Wenn du dann wieder vor dem 5-Meter-Drop stehst, hast du das fahrtechnische Selbstbewusstsein und damit ein Kontrollgefühl, auch wenn du die Höhe noch nicht kennst. 

Angenommen ich habe die Technik ausgiebig antrainiert. Das ungute Gefühl vor dem Drop bleibt aber. Wie komme jetzt in den idealen Aktivierungszustand?  

Als Erstes musst du deine körperlichen Reaktionen in den Griff bekommen. Vor allem: tief und ruhig atmen. So versorgst du Gehirn und Muskeln mit Sauerstoff und bringst den Puls runter. Folge: Du denkst klarer und verkrampfte Muskeln lösen sich. Dann helfen mentale Tricks: Wie beschrieben befeuern vor allem deine inneren Selbstgespräche die Angst.  


Bild von David Mark auf Pixabay

Als Erstes musst du deine körperlichen Reaktionen in den Griff bekommen. Vor allem: tief und ruhig atmen. So versorgst du Gehirn und Muskeln mit Sauerstoff und bringst den Puls runter. Folge: Du denkst klarer und verkrampfte Muskeln lösen sich. Dann helfen mentale Tricks: Wie beschrieben befeuern vor allem deine inneren Selbstgespräche die Angst.  

Schreibe dir in einer Bikepause mal genau auf, was du in der betreffenden Situation eigentlich denkst. Beispielhaft: „Scheiße, wenn ich jetzt stürze und mir das Schlüsselbein breche…“ Und überlege dir im Vorfeld ein ganz persönliches Code-Wort, das diese Gedanken stoppt und für dich persönlich ausdrückt, was du in diesem Moment brauchst: z.B.  „Fokus“, „Mut“ oder „Go“. Dieses Codewort kannst du dir dann innerlich in Endlosschleife vorsagen, wenn du auf den Drop zufährst. So kannst du dabei gar nicht denken: „Shit, ich verbocke sicher die Landung…“ Dafür ist kognitiv keine Zeit und kein Platz.

Was kann ich sonst noch tun? 

Zusätzlich kannst du dir schon vor dem Anfahren den optimalen Bewegungsablauf von deinen vielen gemeisterten kleineren Drops vorstellen. Also im Kopf schon mehrmals springen. So kannst du dich bewusst in das selbstbewusste Gefühl mit Situationskontrolle hineinversetzen und gelernte Bewegungsmuster noch besser abrufen. 

Und was möchten Sie mir noch mit auf den Biker-Weg geben? 

Mit schrittweisem Training – fahrtechnisch und mental – bist du für den 5-Meter-Drop bestens gewappnet. Aber: Wenn sich die Angst trotzdem laut meldet, hör drauf! Denn manchmal passt einfach die Tagesform nicht, du hast schlecht geschlafen, die Bodenbedingungen sind anders als sonst (zu nass oder zu trocken) oder du hast Arbeits- oder Beziehungsstress im Kopf. Dann ist es ziemlich mutig und schlau, es heute einfach mal sein zu lassen! Auch das ist ein cooler Umgang mit Angst. 

Zur Freeride-Homepage: https://www.freeride-magazine.com

Mila Hanke (Diplom-Psychologin und Sportpsychologin (asp) ist selbst begeisterte (und Verletzungsangst-erfahrene) Mountainbikerin. Sie begleitet u.a. Bikerinnen und Biker verschiedenster Könnerstufen mit Mentaltraining und Coaching, um Leistung und Spaß zu optimieren, Ängste zu überwinden oder verletzungsbedingte Auszeiten und den Wiedereinstieg zu meistern. 

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