Philippe Müller: Die Eigenverantwortung als Faktor einer erfolgreichen Rehabilitation nach Verletzung

Schmerzen, Fortschritte, Rückschritte, Ratlosigkeit, Zuversicht! Der Rehabilitationsprozess ist geprägt von Hochs und Tiefs. Der Weg zurück ist oft steinig und schwer. Während dem gesamten Prozess, welcher je nach Verletzung relativ lange andauern kann, den Fokus zu halten und mit der nötigen Eigenverantwortung zu handeln, ist nicht einfach. Dies bekommen Sportphysiotherapeutinnen und -therapeuten oft zu spüren. 

Zum Thema: Wie bringe ich meine Patientinnen und Patienten dazu, ihre Übungen zu Hause zu machen?  

Kürzlich dozierte ich an der ZHAW im Masterstudiengang Physiotherapie Sport. Nebst der Vermittlung von Grundlagen war genügend Raum, um Fallbeispiele zu diskutieren. Ein Beispiel, welches jede praktizierende Sportphysiotherapeutin und jeder Sportphysiotherapeut kennt, wurde mehrmals ins Feld geführt: Wie bringe ich meine Patienten dazu, dass sie ihre Übungen zu Hause machen? 

Wenn man die Vielseitigkeit und die Individualität dieses Problems sieht, wird schnell klar, dass es keine allgemeine Lösung gibt. Auch wir haben in unserer Diskussion kein Allheilmittel finden, jedoch praktikable Lösungsversuche erarbeiten können. Ein Punkt erscheint mir dabei sehr wichtig, den ich hier nochmals aufgreifen möchte.

Philippe Müller

Sportarten: Mountainbike, Fussball, Ski Alpin, Leichtathletik, Triathlon, Springreiten, Langlauf, Biathlon, Snowboard, Bob, Rodeln, Golf, Tennis, Handball, Volleyball, Beachvolleyball, Eishockey, Unihockey (Floorball), Klettern, Bouldern, Motorsport, Radsport, Orientierungslauf, Schiesssport, Ringen, Judo, Boxen, Schwingen

Kontakt:

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Zur Profilseite: https://www.die-sportpsychologen.de/philippe-mueller/

Die Ausgangslage

Zeit heilt alle Wunden! Während dies für die körperlichen Strukturen wohl weitgehend zutreffen mag, ist der Aufbau von Kraft und Ausdauer, sowie die psychologische Verarbeitung der Verletzung, mit viel Eigeninitiative verbunden. Passivität verlängert und erschwert den Rehabilitationsprozess. Doch nicht alle Patientinnen und Patienten bringen immer die nötige Selbstdisziplin mit. Es scheitert dabei weniger am Wissen der Notwendigkeit, sondern viel mehr an den zahlreichen Alternativen oder der Eigenmotivation. Unsere Problemlage hat also zwei Ebenen: Zum einen verlangsamt die nicht vorhandene Zuverlässigkeit den Rehabilitationsprozess. Zum anderen wird die Arbeit mit dem Patienten für den Physiotherapeuten erschwert, da die Betreuungsstunden beschränkt sind, und eine Mitwirkung der Patienten daher unumgänglich ist.  

Wie kann nun die Sportphysiotherapeutin oder Sportphysiotherapeut auf die Patienten einwirken, um die Umsetzung der Übungen zu Hause zu fördern? Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Handlungen der Patienten nicht direkt beeinflusst werden können. Es gibt also keine Intervention, mit der die Umsetzung garantiert wird. Jedoch kann mit bestimmten Mitteln die Wahrscheinlichkeit des eigenverantwortlichen Handelns gesteigert werden. 

Schwächen im Rehabilitationsprozess und das Potential der Eigenverantwortung

Physiotherapeutische Massnahmen richten sich oft nach zeitlichen Vorgaben. Körperliche Strukturen wie Bänder, Sehnen, Knochen und Muskeln haben ihre spezifische Heilungsphase. Diese müssen berücksichtigt werden. Viele Heilungsprozesse verlaufen auch ohne Zutun der Patientinnen und Patienten reibungslos und in der vorgesehenen Zeit. Dies führt jedoch auch dazu, dass eine Einstellung der Passivität entstehen kann: „Nur genügend Zeit lassen, dann wird schon wieder alles gut!“

Jedoch sind diese fixen Zeitangaben sehr allgemein. Interindividuelle Unterschiede werden dabei kaum beachtet. Eine detaillierte Auffassung der Rehabilitationsphasen, mit sowohl zeitlichen als auch physiologischen und psychologischen Faktoren ist angebracht. In der Sportphysiotherapie finden immer mehr Behandlungsschemata mit Meilensteinen Einzug. Erst nach Erreichen bestimmter Vorgaben, wird im Aufbauprozess weitergefahren. Dies ermöglicht, besser auf interindividuelle Schwankungen (schnellerer oder langsamerer Fortschritt) zu reagieren. Zudem wird den Patientinnen und Patienten aufgezeigt, dass ihr eigenes Verhalten über den Erfolg der Rehabilitation entscheidet. Somit wird die Selbstwirksamkeit gefördert.

Hilfreicher Blick in die Theorie

Das Modell des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985) liefert Anhaltspunkte zum Zusammenhang von Einflussfaktoren auf Handlungen. Damit es zur Handlung kommt, muss vorab eine Intention, also eine Absicht, gebildet werden. In dieser Absichtsbildung fliessen zahlreiche Faktoren mit ein. Diese sind zum Beispiel die subjektiven Normen, die Einstellung gegenüber dem Verhalten, die wahrgenommene Verhaltenskontrolle, die Selbstwirksamkeit sowie Erfahrungen aus vorherigem Verhalten (Hagger, Chatzisarantis, Biddle, 2002). Obwohl die Theorie auf den ersten Blick sehr abstrakt erscheint, werden wichtige sozialpsychologische Konstrukte berücksichtigt (Godin & Kok, 1996), welche sich gut auf Rehabilitationsprozesse ableiten lassen. Dabei spielen die wahrgenommene Verhaltenskontrolle und die Selbstwirksamkeit eine wichtige Rolle. Diese beiden Faktoren stehen in enger Verbindung zueinander.

Durch das aktive Miteinbeziehen in Entscheidungsprozesse (z.B. Zielsetzungen) und das Ausrichten der Therapiegeschwindigkeit nach dem individuellen Leistungsfortschritt, wird die wahrgenommene Verhaltenskontrolle gefördert. Werden zudem Leistungsfortschritte stetig rückgemeldet, zum Beispiel Lernkontrollen der Übungen, die zu Hause trainiert wurden, wird die Selbstwirksamkeit gefördert. Dies kann dazu führen, dass ein Umdenken von „es würde mir gut tun!“ zu „ich sehe meine Fortschritte eins zu eins, wenn ich die Übungen mache“ stattfindet.

Praxisrelevanz

Zusammenfassend bedeutet dies für den sportphysiotherapeutischen Alltag: Aktiver Einbezug in Entscheidungsprozesse. Gemeinsames Planen, Definieren und Durchführen von Lernkontrollen (gerade in Bezug auf die Heimübungen), Aufzeigen des Mehrwerts des eigenverantwortlichen Handelns. Positive Bekräftigung der Leistungsfortschritte (vor allem wenn diese auf eigene Bemühungen zurückzuführen sind). 

Wenn Sie Fragen zum Thema haben, kontaktieren Sie gern meine Kollegen (zur Übersicht) und mich (zum Profil von Philippe Müller). Wir von Die Sportpsychologen spielen gern Doppelpass!

Mehr zum Thema: 

Literatur:

Ajzen, I. (1985). From intentions to actions: A theory of planned behavior. In J. Kuhl & J. Beckmann (Eds.), Action control: From cognition to behaviour (pp. 11–39). Heidelberg: Springer. 

Hagger, M.S., Chatzisarantis, M.L.D., Biddle, S.J.H. (2002). A meta-analytic review of the theories of reasoned action and planned behavior in physical activity: Predictive validity and the contribution of additional variables. J. Sport Exerc. Psychol., 24, 3 – 32. 
Godin, G., Kok, G. (1996). The theory of planned behavior: A review of its applications to health-related behaviors. American Journal of Health Promotion, 11 (2), 87-97. 

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