Sascha Amhof hat in seiner Karriere als Schiedsrichter annähernd 80 Spiele in der Schweizer Super League geleitet und ist seit 2013 internationaler FIFA-Fussball-Schiedsrichter. Im Beitrag spricht er von der Bedeutung des Zusammenhalts unter seinen Kollegen und sein individuelles Rollenverständnis. Amhof erklärt, wie sich bei ihm zu Spielbeginn regelrecht ein Schalter umlegt. In seinem Alltag als Referee, so macht der 36-Jährige deutlich, helfen ihm nicht zuletzt auch sportpsychologische Methoden, um das Wesentliche nicht aus dem Auge zu verlieren: die Objektivität.
Zum Thema: Mit welchen Herausforderungen Schiedsrichter konfrontiert sind und wie die Sportpsychologie sie unterstützen kann
Er weiss aus eigener Erfahrung, dass auf dem Spielfeld ganz spezielle Rollen eingenommen werden müssen, um erfolgreich zu sein: Der Head-Schiedsrichter ist der Team-Chef. Er prägt nicht nur die Zusammenarbeit im Team, sondern trägt schliesslich auch die Verantwortung für alle Entscheide seines Teams. Sein Name und sein Kopf erscheinen nach Fehlern in der Zeitung oder im Fernsehen, unabhängig davon, ob er selber Ursprung des Fehlers war oder ob ein anderes Schiedsrichter-Teammitglied «danebengehauen» hat. Aus dieser Gesamtverantwortung ergibt sich die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit innerhalb des Teams auf eine professionelle Ebene zu stellen. Das beinhaltet gemäss Amhof ein klares Rollenverständnis und gibt Antworten auf Fragen wie beispielsweise: Wer nimmt im Schiedsrichter-Team hierarchisch welche Position ein? Wie unterscheiden sich diese Rollen und Aufgaben und welche Art von Zusammenarbeit ergibt sich daraus? Aber auch ganz konkrete Fragestellungen sind zu beantworten: Was ist das gemeinsame Ziel und wer übernimmt dabei genau welche Aufgaben?
Professionalität bedeutet für Amhof, als Team zusammen zu wachsen, durch dick und dünn zu gehen, und sich dabei als einzelne Person auf dem Fussballplatz zurückzunehmen. Nur so kann er sich voll und ganz auf das gemeinsame Ziel fokussieren. Die Sportpsychologie bezeichnet diese Art von Zusammenhalt als aufgabenbezogene Kohäsion (Carron, 2005). Kohäsion bedeutet „…the total field of forces wich act on members to remain in the group…“ (Festinger, Schachter & Back, 1950). Es ist wie der Klebstoff, der eine Gruppe zusammenhält und macht, dass diese auch zusammenbleibt. Die guten Gründe für das Verbleiben in einem Team können individuell unterschiedlich sein. Bei der Aufgabenkohäsion stehen wie der Begriff schon sagt, die zu erfüllenden Aufgaben im Zentrum. Wie beispielswiese das Erreichen des gemeinsamen Leistungsziels: Das Schiedsrichter-Team strebt an, auf dem Fussballplatz möglichst ideal zu stehen und die Konzentration voll auf die spielrelevanten Punkte zu richten.
Diskrepanz zwischen Training und Ernstfall
Um in der Super League als Schiedsrichter bestehen zu können, sind regelmässige Weiterbildungen Pflicht. Als Ergänzung zu monatlichen Zusammenzügen dient dazu vor allem ein einwöchiges Trainingslager im Winter. Solche Anlässe stärken das Netzwerk und ermöglichen Kontakte zu wichtigen Bezugspersonen wie zum Beispiel zu Ausbildern, Trainern oder Masseuren, aber auch zu anderen aktiven Schiedsrichtern und Schiedsrichterassistenten. Viele dieser Personen hat Amhof im Laufe der Jahre gut kennen und schätzen gelernt. Es sind Leute, die ihm Feedbacks geben oder Anteil nehmen, wenn es einmal nicht optimal läuft. Menschen auch, mit denen er sich fachlich austauschen kann. So bilden sich oft wichtige Kollegschaften oder auch echte Freundschaften, welche auch ausserhalb der Schiedsrichterei gepflegt werden. Dieser Zusammenhalt nennt die Sportpsychologie soziale Kohäsion (Carron, 2005), welche das Mass des „sich gegenseitigen Mögens“ widerspiegelt. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich bei Amhof stark an den gemeinsamen Lehrveranstaltungen entwickelt, ergibt diese soziale Verbundenheit die das Hobby Schiedsrichterei auch mit Freude und Spass erfüllt. Und das ist der Nährboden für das professionelle Auftreten von Amhof am Spieltag selber. Trotz aller Vorbereitungen: Während der 90 Minuten laufen andere Mechanismen als an einem Kurs ab. An erster Stelle steht für die Schiedsrichter, dass anstehende Spiel möglichst fehlerlos zu leiten – im Wissen, dass Fehler bis zu einem gewissen Grad dazugehören. Wie Amhof seine drei Team-Kollegen dann konkret führt und auf das bevorstehende Spiel einstimmt, wie er die Aufgaben verteilt und die Kommunikation auf dem Feld organisiert, hängt einerseits von seinem eigenen Führungsstil ab, andererseits aber auch von der Teamkonstellation der Schiedsrichter.
http://die-sportpsychologen.ch/2017/02/07/sascha-amhof-fehler-machen-einsam/
Rollt der Ball dann erstmal, schlüpft Amhof in seine Rolle. Das ist damit vergleichbar, wenn er den Lichtschalter aktiv kippt und auf „on“ schaltet. Um dies erfolgreich tun zu können, hilft ihm seine mentale Stärke, die ideale innere Haltung und sein Selbstvertrauen zu aktivieren, um Entscheidungen selbstsicher und gut treffen zu können. Diese beschreibt Amhof folgendermassen: Er hat gelernt, unabhängig seiner persönlichen Meinungen, objektiv und neutral, (möglichst) korrekte und regelkonforme Entscheide zu fällen. Auf dem Feld helfen ihm konkret vor allem kurze Rituale, gekoppelt mit Selbstgesprächs-Techniken und bewusstem Atmen. So hakt er Fehler oder Zweifel sofort ab. Die Devise lautet: immer vorwärts, immer weiter! Für ihn ein Garant, die bevorstehenden Entscheidungen mit klarem Kopf, neutral und kompetent angehen zu können.
Sehr interessanter und gut gemachter Imagefilm der Schweizer Spitzenschiedsrichter (Schweizerischer Fußballverband), u.a. mit Sascha Amhof:
Carron, A., H. A. Hausenblas & M. A. Eys (2005). Group Dynamics in Sport. 3rd Ed., Morgantown: Corey Madsen.
Festinger, L. Schachter, S. and Back, K. W. (1950) Social Pressures in Informal Groups: A Study of Human Factors in Housing, New York: Harper
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