Bei einer Eishockey-WM sind die Teams längst nicht mit ihren besten Spielern gespickt. Die gleichzeitig stattfindenden NHL-Playoffs sind Grund dafür, dass die Besten der Besten der Eishockeyweltbühne meist fernbleiben. Doch manchmal, wenn etwa das NHL-Team frühzeitig aus dem Wettbewerb um den prestigeträchtigen Stanley Cup ausgeschieden ist, gibt sich der ein oder andere Superstar die Ehre und schnürt die Schlittschuhe für sein Heimatland. Bei dieser WM ist es für Deutschland unter anderem Tim Stützle, Stürmerstar der Ottawa Senators. Gehalt: 8,35 Millionen Dollar pro Jahr. Und der steht nicht erst vor dem letzten Gruppenspiel der WM gegen Gastgeber Dänemark unter Druck.
Zum Thema: Wenn große Erwartungen Topspieler kleinhalten
Ein Spieler vom Format eines Tim Stützle sorgt nicht nur für allgemeine Begeisterung unter deutschen WM-Fans. Er macht auch Hoffnung auf einen Medaillenplatz. Neben spektakulären, zum Zunge schnalzenden Einzelaktionen erwartet man von ihm vor allem aber eines: Tore. Doch die blieben bis jetzt aus. Nicht ein einziger Treffer ist ihm bis zum Gruppenspiel-Showdown gegen Gastgeber Dänemark gelungen. Seine Enttäuschung ist ihm in jedem Interview deutlich anzusehen. Er scheint zu spüren, dass er die Erwartungen nicht erfüllt. Es sind aber nicht nur die Erwartungen der Fans, Trainer und Mitspieler, die auf einem Superstar lasten – es sind auch die eigenen Erwartungen an sich selbst. Tolle Moves, fehlerfreie Aktionen, schöne und wichtige Tore – das alles gehört in den meisten Fällen zum Selbstverständnis eines Eishockey-Superstars. Erst recht bei einer Weltmeisterschaft, wo die Gegner in der Regel deutlich schwächer sind als zuhause in der NHL. Auf der einen Seite will man die Fans nicht enttäuschen – auf der anderen Seite möchte man auch um seiner selbst willen dem Superstar gerecht werden (Stichwort Ego). Dieses Konstrukt bildet ein Doppelpack an Last, was dem befreiten Aufspielen einen schweren Dämpfer versetzen kann.
Schauen wir nur zu den anderen NHL-Stars, die ihre Nationalmannschaften verstärken, zum Beispiel der Tscheche David Pastrnak, der Kanadier Sidney Crosby oder der US-Amerikaner Tage Thompson. Bei denen läuft’s. Die scoren. Aber: Die stehen auch nicht so unter Druck. Denn auch ohne sie würde man von diesen Teams nichts Geringeres als eine Medaille erwarten.
Wie intervenieren?
Im Idealfall bereitet man als Sportpsychologe oder Sport-Mentaltrainer einen Superstar wie Tim Stützle schon im Vorfeld mental auf so eine WM vor (wenn die Zeit da wäre), indem man mit ihm über seine persönlichen Erwartungen und Ziele spricht und diese gegebenenfalls auf ein gesundes und realistisches Maß runterschraubt, um die Last von den Schultern zu nehmen. Denn in jedem Spiel, in jedem Shift Außergewöhnliches zu vollbringen, in jeder Situation alles richtig zu machen und Tore am Fließband zu schießen, ist unrealistisch. Das erwarten weder Fans noch Trainer und darf nicht der Anspruch sein.
Was ich Tim Stützle jetzt in der aktuellen Situation sagen würde? Die Wahrheit. Dass sein individuelles Können bis jetzt in jedem Spiel mehrmals aufgeblitzt ist und bestaunt und beklatscht wurde. Dass er mehrmals um Haaresbreite einen Treffer erzielt hat, der – wäre der Puck mit etwas mehr Glück reingegangen – Potenzial für das Tor der Woche gehabt hätte. Und dass er zwar (noch) nicht gescored, aber begeistert hat. Auch als Trainer würde ich hier nicht taktisch belehren, sondern emotional bestärken. Und genau das könnt ihr auch als Trainer oder Mitspieler tun, wenn es gerade in einer speziellen Saisonphase bei eurem Superstar im Team gerade nicht läuft. Niemand soll schließlich von der Last des Leaders erdrückt werden.
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