Es gibt diesen Moment, den viele Sportlerinnen und Sportler kennen: Die Saison läuft nicht so wie geplant. Eine Verletzung hat das Training unterbrochen. Die berufliche Belastung ist höher als gedacht. Oder der Körper spielt einfach nicht so mit, wie gehofft. Und plötzlich steht die Frage im Raum: Soll ich mein Ziel für diese Saison anpassen?
Zum Thema: Zielsetzung- und Zielanpassung
Für viele fühlt sich dieser Gedanke unangenehm an. Fast wie ein inneres Versagen. Dabei ist das Anpassen von Zielen kein Zeichen von Schwäche – sondern ein Zeichen von Stärke und psychologischer Reife. Ich möchte dir zeigen, warum es im Laufe einer Saison völlig normal (und oft notwendig!) ist, Ziele neu zu bewerten und wie man das klug und konstruktiv umsetzen kann.
Grundsätzlich gilt: Ziele geben uns Orientierung. Sie helfen uns, Entscheidungen zu treffen, Prioritäten zu setzen und dranzubleiben – auch wenn’s mal hart wird. Gerade im Sport sind Ziele oft der Motor, der uns antreibt: Der Halbmarathon im Herbst, die Verbesserung der persönlichen Bestzeit, die Titelverteidigung, das Comeback nach einer Verletzung.
Doch Ziele funktionieren nur, wenn sie zur Realität passen. Wenn sie zu DEINER Realität passen. Und genau da liegt die Krux: Unsere Realität ist nicht in Stein gemeißelt.
Die Realität ist dynamisch – also sollten es unsere Ziele auch sein
Ein Trainingsplan ist ein Plan. Kein Versprechen. Und auch kein Vertrag mit der Zukunft. Im Leben (und im Sport) passieren Dinge, die wir nicht beeinflussen können: Krankheiten, Verletzungen, beruflicher Stress, familiäre Verpflichtungen oder auch einfach mentale Tiefs.
Manchmal ändern sich sogar unsere Prioritäten: Was im Januar wie das perfekte Ziel gewirkt hat, fühlt sich im Juni plötzlich nicht mehr stimmig an. Dann stoßen wir auf eine wichtige Frage: Halte ich an meinem ursprünglichen Ziel fest – koste es, was es wolle? Oder bin ich bereit, mein Ziel an die neuen Gegebenheiten anzupassen?
Eigene Erfahrungen
Ich weiß übrigens genau, wovon ich spreche. Die ersten drei Monate dieses Jahres war ich selbst viel krank. Geplant war eigentlich ein sportlicher Frühling – mit einem Halbmarathon und dem langfristigen Ziel, mich wieder in Richtung Marathon zu bewegen. Stattdessen saß ich mehr auf der Couch als in den Laufschuhen. Und irgendwann musste ich mir ehrlich eingestehen: Diese Saison wird anders. Nicht besser, nicht schlechter – einfach anders.
Meine Prioritäten haben sich dadurch verschoben. Plötzlich stand nicht mehr das Durchziehen von Trainingsplänen im Vordergrund, sondern meine Gesundheit. Ich habe mir neue, kleinere Ziele gesetzt: Wieder regelmäßig laufen können, Freude an der Bewegung zurückgewinnen, meinem Körper zuhören lernen.
Und auch wenn ich anfangs gehadert habe – im Nachhinein war das eine wertvolle Erfahrung. Denn sie hat mir wieder einmal gezeigt: Ziele sind wichtig, aber sie müssen zu uns passen – nicht wir zu ihnen.
Ziele anpassen ist kein Aufgeben
Viele Sportlerinnen und Sportler tun sich schwer mit dieser Entscheidung. Denn in unserer leistungsorientierten Welt wird das „Durchziehen“ oft glorifiziert. Wer sein Ziel anpasst, gilt schnell als jemand, der „nicht durchhält“. Doch das ist ein gefährlicher Trugschluss.
Tatsächlich ist das starre Festhalten an einem Ziel, das nicht mehr zur aktuellen Situation passt, oft kontraproduktiv. Es führt zu Frust, Übertraining, Verletzungen – und im schlimmsten Fall zur völligen Aufgabe des Sports.
Ein angepasstes Ziel dagegen kann neuen Schwung bringen. Es schafft Raum für realistische Erfolgserlebnisse, schützt die Motivation und sorgt dafür, dass der Sport ein positiver Teil des Lebens bleibt – und nicht zur Belastung wird.
Wann es sinnvoll ist, Ziele neu zu bewerten
Ein guter Zeitpunkt für eine Zielanpassung ist dann, wenn du merkst, dass du dein ursprüngliches Ziel nur noch mit enormem Druck oder hohen Risiken erreichen kannst. Beispiele:
- Du hast mehrere Wochen krankheits- oder verletzungsbedingt pausiert.
- Dein Alltag hat sich so verändert, dass du weniger Trainingszeit zur Verfügung hast.
- Du fühlst dich ständig überfordert, ausgelaugt oder verlierst die Freude am Sport.
- Dein Körper signalisiert dir immer häufiger, dass er eine Pause braucht.
In solchen Fällen ist es nicht nur okay, dein Ziel neu zu denken – es ist sogar klug.
Wie du Ziele sinnvoll anpasst
Das Ziel zu ändern, heißt nicht, alle Träume über Bord zu werfen. Es geht darum, den nächsten realistischen Schritt zu finden. Hier ein paar Fragen, die dir helfen können:
- Was ist mein eigentliches Motiv hinter dem ursprünglichen Ziel? (z. B. Gesundheit, Spaß, persönliche Weiterentwicklung)
- Was ist trotz der veränderten Umstände noch möglich?
- Gibt es durch die Umstände andere, neue Ziele oder ganz andere Möglichkeiten?
- Wie kann ich kleine Etappenziele formulieren, die mich trotzdem motivieren?
- Wie will ich mit Rückschlägen umgehen – und was habe ich schon daraus gelernt?
Vielleicht wird aus dem geplanten Marathon ein 10-km-Lauf. Vielleicht steht am Ende keine neue Bestzeit, sondern das gute Gefühl, drangeblieben zu sein – trotz aller Widrigkeiten.
Zielanpassung als Zeichen von Selbstführung
Im Sport wie im Leben geht es nicht darum, immer nur höher, schneller, weiterzukommen. Es geht darum, dranzubleiben – mit einem wachen Blick für das, was gerade wirklich wichtig und machbar ist. Ziele anzupassen ist kein Zeichen von Scheitern. Es ist ein Ausdruck von Selbstfürsorge, Anpassungsfähigkeit und guter Selbstführung.
Als Sportpsychologin sehe ich immer wieder, wie befreiend es für Athletinnen und Athleten sein kann, wenn sie sich erlauben, ihre Ziele an die Realität anzupassen. Und wie viel mehr Energie, Motivation und Freude dann wieder zurückkommt.
Fazit
Ziele zu haben, ist wichtig. Aber sie stur durchzuziehen – auch wenn die Umstände sich komplett verändert haben – bringt uns selten ans eigentliche Ziel: langfristig gesund, motiviert und mit Freude dabei zu bleiben.
Ein Ziel zu überdenken, neu zu setzen oder sogar ganz loszulassen ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein Zeichen von Stärke. Und manchmal genau das, was es braucht, um am Ende trotzdem stolz sagen zu können: Ich habe mein Bestes gegeben. Und es war genau richtig so.
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