Björn Korfmacher: Was kein Ziel ist, kann ja noch eins werden!

Das habe ich ja noch nie erlebt. Eine junge Sportlerin in Begleitung ihrer Eltern ist bei mir zum Erstgespräch. Soweit nichts Ungewöhnliches. Die Sportlerin ist sehr talentiert, tritt bei hochkarätigen Turnieren an. Auch nichts Ungewöhnliches. Ob sie denn das Ziel hat, einmal Profi zu werden, wollte ich wissen? Eine rhetorische Frage, die Antwort, konnte ich mir schon denken. Nein, war die Antwort. Das war ungewöhnlich. Zumindest für mich. Alle Athleten, die bislang an ihrer Stelle saßen und mit der Frage konfrontiert worden sind, und zwar ausnahmslos, wollen Profis werden, wollen an die Spitze. 

Zum Thema: Zielarbeit im Nachwuchs-Hochleistungssport

Wenn ein begeisterter und gleichermaßen talentierter Nachwuchssportler kein Profi werden will, ist das völlig in Ordnung. Schlimm wird’s erst dann, wenn andere das von ihm oder ihr erwarten und Druck ausüben. Druck, der vom Sportler gar nicht gewollt ist. Dann kann es mit der Begeisterung schnell vorbei sein. Das wäre traurig. Zugegeben: Traurig oder zumindest sehr schade ist es aber auch, wenn junge Ausnahmeathleten nichts aus ihrem Talent machen wollen. 

Es heißt, wer kein Ziel hat, kann auch keins erreichen. Da ist was dran. Deswegen sind Menschen mit klaren Zielen in der Regel auch erfolgreicher als Menschen ohne Ziele. Letztere überlassen den Erfolg dem Zufall. Die Erfolgsquote ist dann deutlich geringer, als wenn man auf ein klar fokussiertes Ziel hart hinarbeitet. Was aber ist das richtige Ziel für einen? Um eine hohe Leistungsbereitschaft an den Tag zu legen und motiviert zu bleiben, muss ein Ziel, zumindest in meinen Augen, vor allem zwei Voraussetzungen erfüllen: 

  • Es muss attraktiv sein.
  • Und es muss realistisch sein. 

Vier-Augen-Gespräche

Zurück zur jungen Ausnahmesportlerin ohne Profisport-Ambitionen. In offenen, ehrlichen und reflektierenden Vier-Augen-Gesprächen stellt sich bald heraus, dass eine Profikarriere für sie eigentlich gar nicht mal so schlecht klingt. Vor vielen Menschen spielen, Autogramme schreiben, gutes Geld verdienen, die Leidenschaft zum Beruf machen. Sie hat sich (ganz ohne Druck) gewissermaßen selbst eingestanden, dass eine Profikarriere durchaus reizvoll sein kann. Attraktiv! Und zwar in ihren Augen mehr als jeder andere Berufswunsch.   

Aber: Für sie ist das Ziel nicht realistisch. Es gibt in ihren Augen immer noch zu viele andere, die besser sind. Zu viele andere, die angeblich fleißiger und ehrgeiziger trainieren und den Erfolg mehr verdient haben. Sie hat also eine zu hohe Meinung von ihren Konkurrentinnen und eine zu kleine Meinung von sich selbst. Das ist übrigens auch der Grund, warum sie einen Sport-Mentaltrainer bzw. sportpsychologische Betreuung suchte: um gegen starke und vermeintlich übermächtige Gegnerinnen mehr Mut und Selbstvertrauen zu haben. 

Wenn Sportler ihren eigenen Zielen im Weg stehen

Und so kann es dann gehen, dass sich die Sicht des Sportlers oder der Sportlerin ändert und doch das Ziel in den Vordergrund rückt, Profi werden zu wollen. Denn mit mehr Selbstvertrauen (Affirmationen, Visualisierungen, Erfolgstagebücher oder praktische Übungen zur Selbstwirksamkeit können hier Wunder bewirken) wird das Ziel direkt realistischer. Und wenn es dann noch attraktiv ist, lohnt es sich, dafür hart zu arbeiten.   

Kurz gesagt: Wenn herausragende Nachwuchsathleten und -athletinnen ihren Sport nur als Hobby sehen, ist das vollkommen okay! Wenn aber Aspekte wie das fehlende Selbstvertrauen den eigenen Profisport-Ambitionen im Wege stehen, kann dies eine sportpsychologische Arbeitsgrundlage sein. Denn Talent ist ein wertvolles Geschenk. Aber – aus Sicht des Nachwuchs-Hochleistungssports – wertlos, wenn man sich nichts zutraut. 

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