Thorsten Loch und Prof. Dr. René Paasch: Gottgesandter oder Niete?

Betrachten wir den menschlichen Körper rein äußerlich von seiner Form, so sind die meisten Eigenschaften weitestgehend vorgegeben – sprich die Form des Schädels bis hin zur Größe der Füße. Sicherlich lässt sich der menschliche Körper verändern, bspw. mit Training usw., jedoch sind insgesamt die Möglichkeiten, den eigenen Körper in seiner Gestalt zu verändern, doch sehr begrenzt. Aber wie steht es um die um die geistigen und körperlichen Fähigkeiten, inwiefern sind diese formbar oder trainierbar? Gibt es für bestimmte Sportarten, ein angeborenes Talent oder kann jede oder jeder nahezu alles lernen?

Zum Thema: Dynamisches und statisches Selbstbild im Sport

Die meisten Wissenschaftler sind sich heutzutage einig: Wer es zum Opernsänger oder zu irgendeiner Form des Expertentums bringen will, braucht nicht nur eine entsprechende Veranlagung, sondern muss dafür auch jahrelang hart trainieren.

„Auf lange Sicht schlägt Fleiß auch das Talent.“

Allerdings hat jeder Mensch auf die zuvor gestellte Frage seine eigene Antwort. Und diese Antwort entscheidet darüber, welches Bild er von sich und anderen hat. Je nach Selbstbild glauben Menschen mehr oder weniger stark an die Möglichkeit, zu lernen und sich zu verändern. Die beiden Extreme bilden in diesem Zusammenhang das statische und das dynamische Selbstbild. Für Menschen mit statischen Selbstbild sind Menschen von Natur aus begabt oder unbegabt, während in den Augen von Menschen mit dynamischen Selbstbild jeder ein „Star“ werden kann, wenn er sich nur genügend anstrengt. Hieraus folgt, dass das jeweilige Selbstbild einer Person einen enormen Einfluss auf ihre Erfolge und Misserfolge hat, letztendlich sogar den kompletten Lebensweg. 

Der folgend Beitrag soll auf die folgenden Fragen Antworten liefen:

  • Wie eignen sich Menschen mit dynamischen Selbstbild immer wieder neue Fähigkeiten an und wandeln sich damit stetig?
  • Welchen Einfluss haben Bezugspersonen wie Eltern, Lehrer und Trainer?
  • Wie kann jeder Mensch sein Selbstbild verändern?

Unterschiede zwischen statischem und dynamischem Selbstbild 

Wie bereits zu Beginn benannt, glauben Menschen mit einem statischen Selbstbild an die Macht der Veranlagung. In ihren Augen sind alle menschlichen Fähigkeiten in Stein gemeißelt. Entweder man ist intelligent und talentiert oder aber dumm und unfähig und wird es auch für immer bleiben. Wer ein statisches Bild von Menschen hat, der glaubt daran, dass die Sportler, die heute nicht perfekt sind, es auch morgen nicht sein werden, und werden ihnen weniger „Spielzeiten“ o.ä. geben. Eine Trennung steht somit unmittelbar bevor. Hinzu kommt die Überzeugung, dass Menschen mit einem statischen Selbstbild es selbst nicht glauben, dass sie durch Übung beheben können, was ihnen vielleicht an angeborener Intelligenz oder Talent fehlt. Und weil sie selbst andere Menschen in Schubladen (“gut” oder “schlecht”) stecken, fühlen auch sie sich ständig beurteilt und bewertet. Deshalb müssen die in jedem Augenblick zeigen, dass sie talentiert und klug sind. 

Ein kleines Gedankenexperiment voran: Was glauben Sie, wie sich ein Kind mit einem dynamischen Selbstbild verhalten wird, wenn man ihm eine schwierige Knobelaufgabe stellt? Höchstwahrscheinlich wird es für ein dynamisches Selbstbild typische Reaktionen zeigen. Es stürzt sich förmlich auf die Herausforderung und will unbedingt noch weitere Aufgaben mit nach Hause nehmen, da es durch die Bearbeitung etwas dazulernen könnte. Doch weshalb unterscheidet sich dieses Verhalten doch schier gegensätzlich zum einem Kind mit einem statischen Selbstbild?

Mit statischem Selbstbild scheitern

Für Menschen mit einem dynamischen Selbstbild ist völlig offen, wie weit es jemand im Leben bringen wird. Sie treffen keine Aussagen über ihre heutigen Fähigkeiten, und schon gar nicht über ihre zukünftigen. Schulnoten sagen aus ihrer Perspektive vielleicht aus, was sie derzeit leisten können, aber sie glauben daran, sich beständig weiterentwickeln zu können – durch harte Arbeit, Hingabe und Ausdauer. Für diesen Schlag Mensch geht es außerdem gar nicht darum, die Spitze zu erreichen und besser als andere zu sein. Vielmehr wollen sie sich selbst verwirklichen und ihr Wachstumspotenzial durch Anstrengungen ausschöpfen. Egal, ob im Sport oder der Musik, sie üben hart und ausdauernd und sehen es als normal an, sich durch Übung zu verbessern und dabei hin und wieder auch zu scheitern. Mit Begeisterung, Hingabe und Spaß schauen sie sich Tricks von den Besten ab, wo sie nur können. Sie überdenken und verwerfen immer wieder ihre bisherigen Strategien und überlegen unentwegt, wie sie ihre Fehler und Schwächen ausmerzen können. Im Sport stellen sie ihre Fähigkeiten in den Dienst der Mannschaft. Und als Führungsperson respektieren sie ihr Gegenüber, sind dankbar für deren Mitarbeit und fordern sie regelrecht dazu auf, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Denn Menschen mit einem dynamischen Selbstbild stellen sich gern Problemen und sehen sie als Herausforderungen, nicht als unüberwindbare Hindernisse. Bereitwillig mobilisieren sie ihre Kräfte und arbeiten an sich und der Welt um sie herum. 

Wenn Menschen mit einem statischen Selbstbild scheitern, kann dies mitunter dramatische Auswirkungen haben. Als etwa der spanische Profigolfer Sergio Garcia kurzzeitig in ein Leistungsloch fiel, entließ er wütend einen Caddy nach dem anderen, schob das Scheitern auf seine Schuhe, und zog sie letztlich sogar aus, um einen unschuldigen Zuschauer frustriert damit zu bewerfen. Wer ein statisches Selbstbild hat, wehrt sich gegen den Glauben, dass man aus seinen Fehlern lernen kann. Deshalb ist ein einziger Misserfolg in seinen Augen der Beweis dafür, auf alle Zeit ein Verlierer zu sein. Eine Niederlage macht somit alle bisherigen Erfolge wertlos. Um sich einen Rest Selbstbewusstsein zu erhalten, reden sich Menschen mit einem statischen Selbstbild heraus, schummeln oder verlieren das Interesse und wenden sich ab. Sie suchen keine Hilfe, analysieren ihre Schwächen nicht und versuchen erst gar nicht, durch Arbeit besser zu werden. Denn sie verstehen sich als fertiges Produkt und sehen sich nicht in einem beständigen Prozess. 

Harte Arbeit

“Ich habe in meiner Karriere mehr als 9000 Würfe verfehlt. Ich habe beinahe 300 Spiele verloren. 26 mal wurde mir der Buzzerbeater anvertraut und ich habe nicht getroffen. Ich bin immer und immer wieder in meinem Leben gescheitert. Und das ist der Grund, warum ich gewinne.”

Michael Jordan

Auch der begnadete Basketballspieler Michael Jordan hatte in seiner Karriere Phasen, in denen er nicht jeden Ball versenkte. Nachdem er etliche mögliche Siegwürfe versiebt hatte, steckte er nicht etwa den Kopf in den Sand, sondern probte die misslungenen Würfe bis zum Exzess. Wie seine Karriere verlief, brauchen wir an dieser Stelle wohl nicht zu erwähnen. Es hat den Anschein, als habe Jordan ein dynamisches Selbstbild. Statt die Fehler bei seinen Mitspielern oder dem Hallenboden zu suchen, forscht er nach Wegen, um an sich selbst zu arbeiten und besser zu werden. Er analysierte seine Fehler, trainierte noch härter und ließ sich von anderen Profis Tipps geben. Er glaubte fest daran, seine Niederlagen in Siege verwandeln zu können, wenn er nur intensiv genug dafür arbeitete. Und dies gelang ihm auch. 

Angst vor Blamagen

Vieles im Leben können wir nur erreichen, wenn wir etwas dafür tun. Trotzdem stehen bei Anstrengungen für Menschen mit einem statischen Selbstbild die Risiken im Mittelpunkt: Je mehr Zeit und Bemühungen sie investieren, desto weniger Ausreden haben sie, wenn sie später scheitern. Außerdem glauben sie an die immense Bedeutung von Begabung. Wer Talent hat, der braucht sich nicht anzustrengen. Wer so denkt, der kann nicht an sich selbst arbeiten, ohne an der eigenen Begabung zu zweifeln. Daher weichen Menschen mit statischem Selbstbild Anstrengungen aus. Sie wollen die Gefahr nicht in Kauf nehmen, sich zu blamieren. Im Gegensatz dazu veranlassen Herausforderungen Menschen mit einem dynamischen Selbstbild ganz selbstverständlich zu entschlossenem Handeln. Je niedergeschlagener sie sind, desto mehr strengen sie sich an, um gegen ihr Schicksal anzukämpfen und es zu ändern – bis sie schlussendlich Unglaubliches schaffen. 

“I have nothing in common with lazy people who blame others for their lack of success. Great things come from hard work and perseverance. No excuses.”

Koby Bryant

Wir haben gesehen, wie unterschiedliche Lebensstile verschiedene Selbstbilder mit sich bringen. Aber wie werden eigentlich die Weichen dafür gestellt, ob jemand ein dynamisches oder ein statisches Selbstbild haben wird?

Welches Selbstbild sollten Trainer oder Führungskräfte idealerweise haben? 

Menschen haben viele Gesichter und werden verschieden wahrgenommen. Wenn Sie als Trainer oder Führungskraft erfolgreich sein wollen, sollten Sie ein realistisches Bild von sich selbst entwickeln, damit Sie die eigene Wirkung auf andere Menschen möglichst zuverlässig einschätzen können. Zudem hilft das Wissen um die Unterschiede von Selbstbild auch, Spieler besser zu verstehen. Wie gut Sie sich selbst kennen, entscheidet darüber, wie gut Sie Ihr Gegenüber lesen können und dessen Bedürfnisse erkennen. Schauen wir uns dazu die Entwicklung des Selbstbildes an: Die Entwicklung des Selbstbildes beginnt mit der Geburt. Alle Babys kommen zunächst mit einem dynamischen Selbstbild auf die Welt. Sie wollen so viel wie möglich dazulernen und sich Tag für Tag weiterentwickeln und die Welt entdecken. Ob sie dieses im Laufe ihrer Kindheit dann beibehalten oder später ein statisches Selbstbild annehmen, hängt vor allem von den direkten Bezugspersonen – in der Regel den Eltern – ab. Diese leben ihren Kindern ein Selbstbild vor. Eltern mit dynamischen Selbstbild fördern ihre Kindern und regen sie dazu an, beständig zu lernen. Eltern mit einem statischen hingegen weinen Kinder häufig in ihre Schranken und geben ihnen vor, was richtig und falsch, was gut und schlecht ist.  

Schon mit einem bis drei Jahren verhalten sich Kleinkinder entsprechend: Die mit dynamischen Selbstbild wollen einem anderen Baby helfen, das schreit. Die mit statischem sind von ihm genervt. In der Schulzeit werden auch die Lehrer zu wichtigen Bezugspersonen und haben Einfluss auf das Selbstbild jedes Kindes. Einige Lehrer glauben, dass die Note eines jeden Schülers unveränderlich ist. In ihren Klassen bleiben die Guten gut, die Schwächeren lernen, dass sie immer eine Vier oder Fünf bekommen werden, und entwickeln ein statisches Selbstbild. Gute Lehrer hingegen verhalten sich anders. Sie zeigen allen ihren Schülern Wege auf, um Rechnen zu lernen. Dabei sind sie fest von der Entwicklungsfähigkeit aller ihrer Zöglinge überzeugt. Die schwächeren Schüler verbessern ihre Noten und machen sich ein dynamisches Selbstbild zu eigen: Auch sie verstehen, dass sie die Chance haben, durch Üben und Lernen zu wachsen. Ähnlich verhält sie sich mit Trainern im Sport. Sehe ich vordergründig nur das „jetzige“ Talent und vernachlässige ich andere, so verhindern diese ab diesem Zeitpunkt die Entwicklung von anderen Talenten (Stichwort: Spätentwickler). 

Selbstbild ist keine Vorgabe

Wir können festhalten, dass das eigene Selbstbild also nicht fest vorgegeben ist. Es kann beeinflusst und verschoben werden, durch Vorbilder oder Bezugspersonen, und schließlich auch durch uns selbst. 

Bisher klang es so, als wären Menschen mit einem statischen Selbstbild dazu verdammt, ihr Potenzial einzubüßen und für immer zu stagnieren. Doch wer sich bewusst über sein Selbstbild ist, ist seinem Umfeld nicht hilflos ausgeliefert. Tatsächlich ist das Gehirn genauso trainierbar wie ein Muskel: Wer ein dynamisches Selbstbild annehmen will, kann sich nach und nach selbst beibringen, auf diese Art zu denken. 

Veränderung – was muss ich tun und wer kann hier möglicherweise helfen?

Ein statisches Selbstbild aber loszuwerden, ist eine harte Nuss. Denn womöglich hat es über lange Zeit die Funktion einer emotionalen Stütze eingenommen. Es hat vor Versagen geschützt, Anerkennung bei den Eltern und den Lehren geschaffen und das eigene Selbstbewusstsein gesteigert. Diese Funktionen drängen sich immer wieder in den Vordergrund und ihr Verlust kann zutiefst beunruhigend sein. Doch es ist gar nicht unbedingt nötig, ein statisches Selbstbild komplett aufzugeben. Oftmals reicht es völlig, in bestimmten Bereichen dynamisch zu denken. Man kann von sich glauben, im Sport für immer eine Niete zu sein, aber bei der Arbeit jedoch jeden Tag Fortschritte zu machen. Die Übernahme eines dynamischen Selbstbildes – egal in welchem Bereich – befähigt dazu, Unmögliches zu erreichen und wie bspw. Michael Jordan immer an sich zu arbeiten. Damit ist es der Schlüssel zur Selbstverwirklichung. 

Die beiden Experten:

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de