Thorsten Loch: Der Trainer werden, der man sein möchte

In der Kabine kritisiert der Trainer einen Spieler. Es passiert also das normalste der Welt, könnten wir denken. Tatsächlich steckt in einer solchen scheinbar alltäglichen Situation unheimlich viel Brisanz. Im folgenden Beitrag entwerfe ich auf Basis dieses Beispiels eine Handreichung, die insbesondere Trainer dafür nutzen können, um effektiv an sich zu arbeiten. Die Sportpsychologie bietet dazu einige interessante Ansätze, die uns in der Praxis voranbringen können. Und warum sollten wir die aktuelle Corona-Pandemie und die für viele damit verbundene sportliche Ruhe nicht dazu nutzen?

Zum Thema: Selbst vs. ICH – Entwicklungspotentiale für Trainer nutzbar machen 

Der Begriff „Selbst“ wird in der Psychologie als eine Art Oberbegriff für die Vorstellungen verstanden, die eine Person von sich hat oder andere von ihr haben. Hieraus folgt, dass jeder Mensch über ein individuell geprägtes Selbstkonzept verfügt. Dies speist sich aus persönlichen Erinnerungen, Annahmen über Eigenschaften, Motive, Werte und Fähigkeiten. Es steht für ein Idealbild, wie er am liebsten sein würde, den persönlichen Selbstwert (positive oder negative Bewertungen, die er an sich selbst vornimmt) sowie die Überzeugung darüber, wie ihn andere sehen. Kuhl (2001) verwendet den Begriff „Selbst“ für die intuitive Wahrnehmung oder Repräsentation der eigenen Person mit ihren Merkmalen. Neben dem intuitiven „Selbst“ unterschied Kuhl noch ein bewusst wahrgenommenes „Ich“ oder „Selbstkonzept“. Das Selbst umfasst alle beiläufigen und intuitiv durch Erfahrung erworbenen Repräsentationen über die eigene Person, die keineswegs alle bewusst sind. Sie bilden sozusagen den gefühlsmäßigen Hintergrund für das bewusst wahrgenommene „Ich“ oder „Selbstkonzept“, dessen Merkmale bewusst sind und sprachlich ausgedrückt werden können. Doch wie setzt sich das Selbstkonzept zusammen?

Die Informationen zur Erstellung unseres Selbstkonzeptes erhalten wir in erster Linie durch den Austausch mit anderen (soziale Interaktion). Diese soziale Interaktion konnten sehr wahrscheinlich viele Sportler mit ihren Mannschaftskameraden, Teampartnern, Trainern usw. aus den verschiedensten Gründen (bedingt durch die Pandemie) nicht in gewohnter Weise nachkommen. Nicht nur der sportliche Vergleich im Wettkampf, als auch das Messen innerhalb der Trainingsgruppen, die Gespräche/Austausch an den Trainingsstätten war und ist bis heute nur bedingt oder gar nicht möglich. Sicherlich bietet die heutige Technik eine Vielzahl an Möglichkeiten sich auszutauschen, jedoch kam diesbezüglich in meiner eigenen Wahrnehmung zunehmend eine Müdigkeit auf. War man noch zu Beginn hoch motiviert und engagiert bei allen Online-Trainings usw. dabei, so kippt die Stimmung mit der Zeit, weil ein Ende nicht in Sicht war bzw. immer weiter verschoben wurde. Nach der Meinung von Strober (2006) ist es im Coaching von besonderer Bedeutung, dass der Coach das Selbstbild seiner Klienten zu verstehen versucht, um sie bei der Entfaltung ihrer vollen Potentiale und Ressourcen unterstützen zu können. Hier findet sich eine Vielzahl von Parallelen zum Sport. Neben den gänzlichen Trainingsinhalten zählt der Austausch von Trainer zu seinen Sportlern mit zu den wichtigsten Aufgabengebieten. 

Selbstbild, Selbstaufmerksamkeit, Selbstreflexion und Selbstexploration

Zur bewussten Reflexion des eigenen Selbstbildes ist es für den Sportler notwendig, sich selbst zu beobachten und dabei den eigenen Empfindungen und Gefühlen in konkreten Situationen nachzuspüren. Dieser Prozess, der im Coaching bewusst gefördert werden kann, bezeichnet man als „Selbstexploration“. Das reale Selbstkonzept bezieht sich auf alle bewussten Vorstellungen zu „wichtigen eigenen Zielen, Bedürfnissen, Merkmalen und Entwicklungspotentialen sowie Regeln und Standards der Personen, wie sich gegenwärtig sehen“ (Greif, 2008b). Im Gegensatz dazu basiert das ideale Selbstkonzept auf „Idealbildern der Person von sich selbst zu den angesprochenen Merkmalen“. Die Selbstreflexion beschreibt in diesem Zusammenhang den Vergleich zwischen dem realen und dem idealen Selbstkonzept. 

Das bewusste Nachdenken einer Person über sich selbst wird als „Selbstreflexion“ bezeichnet. Bewusste Selbstreflexion setzt zunächst einmal Selbstaufmerksamkeit voraus. Die Förderung der Selbstreflexion wird oft idealisiert und zu absolut propagiert (Greif, 2008b). Jedoch ist nicht jedes Nachdenken über eigene Handlungen und Gefühlen in jeder Situation und für jede Person gleichermaßen förderlich. Beispielsweise ist gut und wichtig, dass Menschen auch die Fähigkeit besitzen (insbesondere im Kontext Wettkampfsport), sehr schnell und intuitiv reagieren zu können. Auf der anderen Seite ist das stundenlange ziellose Grübeln, ohne das sich daraus irgendwelche praktische Handlungen ergeben würden, problematisch. Aus diesen Überlegungen unterscheidet Greif dieses „Grübeln“ von der sogenannten „ergebnisorientieren Selbstreflexion“. Eine Reflexion wird dann als ergebnisorientiert eingestuft, wenn der Prozess systematisch abläuft und zu einem praktisch verwertbaren Ergebnis führt, das dann als Orientierung für künftige Handlungen oder Reflexionen dienen kann (ebd.). Im Coaching dienen solche Reflexionen zur Erarbeitung von Zielen oder Problemlösungen. Siehe folgende Beispiele:

  • Das Nachdenken über Ziele, was zur Neuordnung erreichbarer Ziele hinsichtlich ihrer persönlichen Priorität oder zur Verbesserung der Selbstorganisation bei der Zielerreichung führt.
  • Die Reflexion über problematisches Verhalten dient dazu, Veränderungsoptionen zu entwickeln, welche dem angestrebten Ideale nahe kommen.

Selbstreflexion können viele, Selbstexploration deutlich weniger

Um eigene Selbstreflexionsprozesse ergebnisorientiert organisieren zu können, muss eine Person Schablonen zur Beobachtung des eigenen Verhaltens aktivieren und ihre Beobachtung mit dem idealen Selbstkonzept vergleichen. Zudem ist es notwendig, dass sie über Handlungsmuster verfügt, die Ablenkungen bei der Reflexion sowie spontane Abwehrreaktionen bei unangenehmen Vorstellungen über sich selbst abzublocken. Darüber hinaus muss die Person dazu fähig sein, einen längeren strukturierten Dialog mit sich selbst über die eigenen Vorstellungen zum realen und idealen Selbstkonzept zu führen und daraus praktisch umsetzbare Folgerungen für die künftige Handlungen abzuleiten. 

Nach Auffassung von Greif verfügen die meisten Menschen über solche Schemata zur Selbstreflexion, aber nur wenige scheinen dazu in der Lage zu sein, umfassende, ganzheitliche Selbstexploration durchzuführen und sie so zu strukturieren, dass dies zu praktisch umsetzbaren Ergebnissen führt. Dieser Prozess ist jedoch erlernbar und kann/sollte mittels eines Trainers/Sportpsychologen/usw. gesteuert/forciert werden. Wichtig ist dabei, dass der Coach/Sportpsychologe seinen Klienten/Sportler zur selbstständigen Anwendung der entsprechenden Schemata anhält und ihm Feedback gibt.

Praxisbeispiel:

Der Trainer kritisiert in einer Mannschaftsbesprechung seinen Kapitän, da er eine wichtige Aufgabe nicht umgesetzt (taktische Marschroute) und somit den ganzen Matchplan über den Haufen geworfen und im Ergebnis den Sieg gefährdet hat. Der in dem Meeting anwesende Sportpsychologe gibt den Trainer im Anschluss unter vier Augen ein Feedback. Er teilt ihm mit, dass seine Kritik zwar berechtigt, aber in der Art und Weise unangemessen hart war. Somit wird, wie im ersten Kasten des Modells dargestellt (vgl. Abb. 1), durch das Feedback die Selbstaufmerksamkeit des Trainers stimuliert und aktiviert (zweiter Kasten). Durch die erhöhte Selbstaufmerksamkeit aktualisiert und intensiviert er die beachteten Aspekte seines Selbstkonzeptes und gleicht sein „problematisches“ Verhalten in einem Reflexionsprozess mit seinen eigenen Idealvorstellungen (z.B. dass er nie einen Spieler so kritisieren wollte, wie er es selbst als Spieler in der Vergangenheit erlebt hatte) ab (dritter Kasten). Er nimmt nun eine Diskrepanz wahr und ist motiviert, diese zu verringern. Wie die Reaktionen aussehen könnten, zeigt der vierte oder fünfte Kasten. 

Fazit:

Die aktuelle Lage fordert alle heraus und vermittelt dem Individuum (Trainer/Sportler) eine gefühlt erlebte Hilflosigkeit. Jedoch kann man auch aus einer solchen Krise immer ein Entwicklungspotential finden. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan. Der vorliegende Beitrag gibt dem Interessierten eine Möglichkeit an die Hand, wie bspw. ein Trainer seine Sportler handlungsdienlich unterstützen kann, trotz der aktuellen Einschränken. Wir von dem Netzwerk der Sportpsychologen stehen gern für Unterstützung zur Seite. 

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Thorsten Loch
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Sportarten: Fußball, Badminton, Leichtathletik, Sportschießen, Karate, Skateboarding

Hennef, Deutschland

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