Frage und Antwort: Mit Angst klarkommen

Angst ist ein brutales Tabuthema im Sport, vor allem im Fußball. Dabei ist dieses “Phänomen” allgegenwärtig. Jeder Mensch kennt Angst – vom Profi-Fußballer, der beim Stand von 1:1 in der 89. Minute zum Elfmeter antritt bis zur Nachwuchsspielerin, die gute Gründe sieht, weshalb sie für die kommende Saison keinen Vertrag angeboten bekommen sollte. Schön an der Angst ist aber, dass sich mit ihr gut leben und arbeiten lässt.

Zum Thema: Angst im Sport

Im Rahmen unserer neuen Rubrik: “Du fragst, wir antworten” hat uns nun eine Frage genau zu diesem Thema erreicht. Gefragt hat ein Amateurfußballer, der seit Jugendtagen mit seiner Angst zu kämpfen hat. Zuletzt wird es immer schlimmer. Das Gefühl meldet sich schon Tage vorher, wird immer intensiver und beeinflusst längst seine Leistung auf dem Platz. Schaut euch an, wie unterschiedlich Janosch Daul aus Halle/Saale, (zum Profil), Anke Precht aus Offenburg (zum Profil), Maria Senz von der Insel Rügen (zum Profil) und Stephan Brauner aus Bergisch Gladbach (zum Profil) auf die folgende Anfrage geantwortet haben: 

“Die Situation: Ich war schon seit der frühen Jugend vor Spielen sehr nervös und hatte Angst Fehler zu machen. Das Gefühl kam aber immer erst kurz vor Spielbeginn und war kurz nach dem Anpfiff wieder vorbei. Mit der Zeit kam das Gefühl jedoch immer früher und hörte es spät nach Anpfiff wieder auf und mittlerweile ist es so, dass ich bereits eine Woche vor dem Spiel Angst davor habe. Außerdem beeinflusst es massiv meine Leistungen, weil es nicht mehr einfach nach Anpfiff aufhört.

Die Frage: Das oben beschriebene Angstgefühl wird von Woche zu Woche schlimmer.  Am liebsten würde ich gar nicht mehr spielen wollen, obwohl es ja nur Amateurbereich ist und ich aus Spaß zum Spiel kicke. Was kann ich tun um nicht diese Angst (oder Druck) zu spüren, wieder Spaß an den Spielen zu haben und meine Leistung wieder zu steigern?”

Janosch Daul

Antwort von Janosch Daul aus Halle/Saale, (zum Profil):

Hallo Martin (Name von der Redaktion geändert), danke für deine Anfrage und größten Respekt vor deiner Offenheit.

Zunächst einmal ist es mir wichtig zu betonen, dass es für Anliegen wie jenes, das du mitgebracht hast, kein Patentrezept gibt. Der aus meiner Sicht vielversprechendste Weg, um an einem solchen Thema weiterzukommen, besteht – falls man selbst das Gefühl hat, gerade “festzustecken” – in einer persönlichen Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen. Dennoch versuche ich dir gern auf Basis deiner Beschreibung einige Ideen mit an die Hand zu geben. 

Gegebenenfalls könntest du dir die Frage stellen: „Was wäre das Schlimmste, was bei einem Fehler passieren könnte?“ Oder sogar noch weitergehen und dich fragen: „Was wäre das Schlimmste, was passieren könnte, wenn ich nicht nur einen Fehler mache, sondern ein hundsmiserables Spiel hinlege?“ Wenn du einige Antworten auf diese Fragen gefunden hast, wird dir möglicherweise auffallen, dass die Konsequenzen, die mit einem von dir verursachten Fehler einhergehen, in der Realität gar nicht so gravierend sind. Vor allem, wenn du sie in Relation zu all den Themen in unserer gegenwärtigen Lebenssituation, die beispielsweise Existenzängste hervorrufen, setzt.  Wenn du dir dann zusätzlich bewusst machst, was dir neben dem Fußball noch Spaß macht, was dir Halt gibt, wer oder was dich stärkt, wirst du merken: Fußball ist nicht alles – ich brauche „der schönsten Nebensache der Welt“ und erst Recht nicht Fehlern, die der Fußball nunmal mit sich bringt, keine überhöhte Bedeutung zumessen.

Ggfs. wirst du zudem immer mehr realisieren, dass Fußball ein Fehlerspiel ist und Fehler somit ein normaler und zu akzeptierender Teil des Spiels sind. Selbst absoluten Weltstars passieren immer wieder gravierende Fehler! Die Entwicklung einer Grundhaltung von „Es ist okay, wenn ich mal einen Fehler mache!“ wäre also hilfreich. Zudem bietet es sich an, Fehler als Lern- und Wachstumsmöglichkeit zu begreifen.

In einer Situation wie der, in der du dich befindest, kann es zudem helfen, sich wieder dessen bewusst zu werden, was man am Kicken eigentlich ursprünglich liebt – z.B. das Schießen von Toren, der gemeinsame Jubel, sich am Ball auszuprobieren, Skills zu erlernen etc. Dies hilft dabei, nicht die Leistung, sondern das Fußballspielen an sich in den Mittelpunkt des Denkens zu rücken. Dies kann Druck reduzieren und die Angst vor Fehlern zu reduzieren, indem die Aufmerksamkeit gezielt auf Positives gelenkt wird, das letztlich auch mit dem Erleben positiver Emotionen einhergeht.

Ein in eine komplett andere Richtung gehender Ansatz ist der der Achtsamkeit. In deinem Fall stünde ein achtsamer Umgang mit dem Gefühl der Angst im Vordergrund. Menschen neigen oft dazu, gegen ein Gefühl anzukämpfen, um sich ihrer negativen Stimmung zu entledigen. Leider funktioniert dies oft nur begrenzt. Wir verwenden viel Energie, gegen das Gefühl anzukämpfen, werden immer erschöpfter, fühlen uns immer schlechter und unser gesamtes Wohlbefinden leidet. Mithilfe einer systematischen Achtsamkeitspraxis lernt man u.a., als negativ und unangenehm wahrgenommene Gefühle wie das der Angst als Teil der menschlichen Erfahrung zu akzeptieren. Wenn man es durch Übung schafft, das Gefühl so präsent sein zu lassen, wie es ist, ihm zudem weniger Bedeutung beizumessen, schwingt das Gefühl irgendwann aus und verlässt schlussendlich den Körper. Dadurch geraten wir weniger leicht in die Spirale Angst -> Wahrnehmung der Angst -> Kampf gegen die Angst – Energieverbrauch -> Angst vor der Angst. Auch eine zunehmende Haltung von Selbstmitgefühl kannst du mithilfe von Achtsamkeit entwickeln. Eine Haltung, die u.a. helfen kann, sich mit dem Gefühl vollkommen anzunehmen. Auch ein Bewusstwerden, dass Gefühle – auch Ängste – normal sind, als Hinweisgeber sogar eine (überlebens)wichtige Funktion einnehmen, kann helfen. In einem Satz: Systematisch Achtsamkeit zu kultivieren, beispielsweise mit Apps, kann ich nur wärmstens empfehlen.

Ich hoffe sehr, dass du einige Impulse mitnehmen konntest und wünsche dir, dass du bald wieder völlig unbeschwert und mit ganz viel Spaß und Freude gegen das Leder treten kannst!

Anke Precht

Antwort von Anke Precht aus Offenburg (zum Profil):

Hallo Martin (Name von der Redaktion geändert), ich schließe mich Janosch an, Respekt für deine Offenheit. Das Problem, welches du schilderst, ist häufig. Sogar im Profibereich kommt es immer wieder vor. Ich möchte dir drei Hacks vorstellen, die oft helfen, indem sie direkt auf die zu hohe Stressreaktion einwirken. Am besten probierst du sie aus, wenn du merkst, die Angst kommt auf, dann kannst du für dich entscheiden, womit du am besten klar kommst.

  1. Ausbremsen der Stressreaktion durch Aktivierung des ventralen Vagusnervs. Das ist ein körperlicher Hack, der die Stressreaktion stoppen kann. Dafür brauchst du einen Blei- oder Farbstift, den du dir quer in den Mund zwischen die Backenzähne legst, so dass die Enden links und rechts herausschauen und du aussiehst wie ein Breitmaulfrosch. Dort lässt du den Stift etwa fünf Minuten. In der Regel ist der Körper dann ruhiger
  2. Herunterfahren durch Atemregulation: Start mit dem Ausatmen – leere deine Lunge vollständig, puste sie ganz leer. Dann durch die Nase vollständig einatmen, ruhig zackig, bis die Lunge voll mit Luft ist. Jetzt hältst du die Luft vier Sekunden lang an. Das Ganz wiederholst du dreimal.
  3. Nutzen von Augenbewegungen: Du konzentrierst dich auf deine Angst oder die hohe Anspannung und schaust dabei geradeaus. Nun lässt du, ohne das Gesicht zu bewegen, den Blick immer weiter nach links wandern, bis es weiter nicht geht. Dort verweilst du mit den Augen so lange, bis du spontan tief atmen oder gähnen musst. Nun gehst du mit dem Blick zurück zur Mitte, danach nach rechts, so weit wie möglich. Du bleibst wieder so lange mit dem Blick ganz rechts, bis du tief atmen oder gähnen musst.

In der Regel führen diese Hacks dazu, dass die Spannung reduziert ist. Du wirst sicher einen Favoriten haben, den du nun jedes Mal nutzen kannst, wenn vor einem Spiel zu viel Spannung oder Angst spürbar ist, auch schon zwei Tage vorher und immer wieder, wenn du den Eindruck hast, der Level steigt zu sehr an. Je häufiger du deinen Hack verwendest, umso leichter lässt sich die Spannung regulieren, bis nach ein paar Spielen vielleicht die Angst gar nicht mehr so auftaucht und nur ein positives Lampenfieber zurückbleibt, das dich kurz vor dem Spiel maximal wach und reaktionsfähig macht – ähnlich, wie es früher der Fall war.

Maria Senz

Antwort von Maria Senz von der Insel Rügen (zum Profil):

Lieber Martin (Name von der Redaktion geändert),

herzlichen Dank für dein Vertrauen und das Teilen deiner aktuellen Situation.

Fußball – was ein bewegungsintensiver Sport in einem Team, wo ein gegenseitiges Unterstützen, Aushelfen, Anspornen und Motivieren u.a. für Spaß und Leistung sorgen. Da kann ich gut nachvollziehen, dass Nervosität und Aufregung ebenso parat stehen.

Du schilderst ein Angstgefühl, welches von Woche zu Woche schlimmer wird. Mal angenommen, dieses Gefühl ist ein wichtiger Anteil von dir, der eine positive Absicht in sich trägt. Der sich vielleicht Sorgen um dich macht, dich schützen will oder dich auf etwas aufmerksam machen möchte. Was könnte es in deinem Fall sein?

So wie ich deine Schilderung wahrnehme, wirkst du auch genervt und wütend auf diese Angst und versuchst, sie wegzukicken. Vermutlich genauso, wie den Fußball. Vielleicht projizierst du diese Angst auch in den Fußball und verlierst den eigentlichen Fokus auf den Schuss. Das ist für mich eine verständliche Reaktion. Die dich vermutlich nicht vorwärts bringt.

Zieh aus der Wut eher deinen Mut: Anstelle der Ablehnung gegenüber der Angst, schlage ich dir vor, diesen Anteil wertzuschätzen und zu akzeptieren. Dadurch öffnest du einen Raum, der dich frei atmen lässt, deine Gedanken belüftet und dich in kreative Kooperation mit der Angst versetzt. Akzeptanz und Kooperation im Sinne von: Danke, liebe Angst, dass du mich all die Zeit zuverlässig begleitet hast. Ab heute läuft es anders: […]

Erkläre der Angst, dass du künftig die Führung übernehmen möchtest und du dankbar für jegliche Unterstützung seitens der Angst bist. Teile der Angst deine konkrete Botschaft und dein Vorgehen mit. Falls mit dieser Botschaft eine bestimmte Körperhaltung einhergeht, nimm diese Haltung ein. Wiederhole diese Botschaft laut und verbinde sie direkt mit deiner Körperhaltung (mind. 3x, ggf. vorm Spiegel).

Zum Beispiel: „Hallo liebe Angst, schön, dass es dich gibt und ich mich auf dich verlassen kann. Ich schätze dich sehr. Gleichzeitig möchte ich, dass es heute anders läuft. Schau gerne zu und vielleicht kannst du auch noch was lernen. Heute werde ich die Führung übernehmen und selbstbewusst, stabil und sicher meine Aktionen im Spiel umsetzen. Ich kann das! Außerdem sind da auch noch meine Teamkollegen. Die springen für mich ein, wenn es mal nicht so läuft.“

Und jetzt üben, üben, üben, genau wie Technik und Taktik im Fußballtraining. Du bist nun zum ersten Mal mit deinem Gefühl in persönlichen Kontakt getreten. Erlaube euch Zeit und Ehrenrunden zum Kennenlernen und Ausbauen eurer Kooperation. Es ist, wie so vieles in unserem Leben, ein Prozess, der Wiederholungen, Anpassungen und Akzeptanz braucht. Sei geduldig mit dir (gemäß deiner Beschreibung war es ja auch ein Prozess, das Anbahnen und lauter werden des Angstgefühls).

Üben heißt, nutze alle möglichen Situationen in deinem Leben, wo sich die Angst anbahnt. Am besten von alltäglich zu speziell. So bleibst du im Flow. Und wenn du wieder auf dem Fußballplatz stehst und die Angst meldet sich zu Wort, dann spüre die Sicherheit in deiner Sportkleidung, den vertrauten Geruch in der Kabine, die Los-Gehts-Stimmung des Anpfiffs und deines Teams, um überzeugt in die Kooperation zu gehen, so dass du die Führung beibehältst. Viel Spaß dabei…

Stephan Brauner

Antwort von Stephan Brauner aus Bergisch Gladbach (zum Profil):

Hallo Martin (Name von der Redaktion geändert),

Hut ab vor deinem Mut, hier offen über Nervosität und Angst zu sprechen. Das ist alles andere als selbstverständlich und vielfach mit einem Tabu belegt.

Wichtig finde ich, dass du die Nervosität nicht nur als etwas Negatives betrachtest, selbst wenn sie dich erst mal stört – sonst hättest du ja auch nicht angefragt. Versuche doch mal zu erkunden, auf welche berechtigten Bedürfnisse deine Emotionen hinweisen könnten. Und dann kannst du dich mit diesen Bedürfnissen auseinandersetzen und schauen, was du für diese tun kannst. Das geht oft einfacher als etwas „wegmachen“ zu wollen. Das Erkennen der dahinter liegenden Bedürfnisse und auch was du dazu tun kannst ist natürlich individuell. Daher möchte ich noch eine weitere Idee anbieten:

Aktiviere positive Ressourcen. Überlege dir, wann es einmal ganz gut geklappt hat. Wann dir das Spiel Spaß gemacht hat. Eine Situation, in der du schnell in den Flow des Spiel eintauchen konntest. Und wenn du sagt: niemals, es ist immer schlecht, dann frage dich, wann es einmal etwas weniger schlecht gewesen ist!

Vielleicht kannst du schon erkennen, was anders war in dieser Situation und daraus deine Schlüsse ziehen. Aber eigentlich musst du auch gar nichts „verstehen“. Es reicht, wenn du dich vor dem Spiel in diesen Zustand hinein beamst: So intensiv wie möglich – mit allen Sinnen. Wie fühlt es sich an, locker und mit Vorfreude in ein Spiel zu gehen? Was fühlst du, was denkst du, wie atmest du und wie ist deine Körperhaltung? Gehe ab heute mehrmals am Tag in diesen Zustand. So kann es dir gelingen, dann wenn es darauf ankommt, in einem anderen Zustand zu sein, um deine Leistung besser abrufen zu können.

Ich wünsche dir viel Erfolg und noch mehr Spaß beim nächsten Spiel.

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    Mathias Liebing
    Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
    Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de