Die Schweigepflicht dient auch in der Sportpsychologie primär dem Schutz der Intimsphäre der Klient*innen. Sie ist grundlegend für eine therapeutische Beziehung und zentraler Bestandteil des ethischen Verhaltenskodex’ aller Psychologieverbände weltweit. Andererseits wird die Sportpsychologie vermehrt angefragt, um psychologische Sachverhalte auch in der Öffentlichkeit zu erörtern. Die aktuelle Diskussion um die mentalen Schwierigkeiten von Turnstar Simone Biles zeigt, dass die Zulässigkeit öffentlicher Stellungnahmen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden muss.
Zum Thema: Schweigepflicht in der Sportpsychologie
Den Anstoss zu diesem Text gab ein kleiner Disput, den ich kürzlich mit dem Redaktionsteam der Fachzeitschrift SEMS-journal geführt hatte. Zusammen mit Cristina Baldasarre und Philippe Müller durften wir einen Beitrag zum Thema „Elterncoaching“ verfassen. Dieser fusste auf einem einleitenden theoretisch-wissenschaftlichen Diskurs, dessen Bedeutsamkeit anhand einer Eltern-Befragung von ausserordentlich erfolgreichen Sportler*innen verifiziert werden sollte. Für eine möglichst praxisnahe Darlegung wurden Eltern um die explizite Druckerlaubnis einzelner Zitate angefragt, die in allen Fällen auch gewährt wurde. Das Redaktionsteam widersprach diesem Vorhaben mit folgender Begründung:
«Wir bitten euch, auf Namensnennungen zu verzichten. Es könnte (trotz schriftlicher Absicherung) der Eindruck entstehen, dass wir ein Interesse daran haben, Namen von Athlet*innen und derer Eltern zu nennen. Wir möchten jedoch in diesem Heft aufzeigen, dass wir (Sportpsycholog*innen) es sehr gut verstehen, im Hintergrund zu wirken und absolut diskret sind – insbesondere in der Zusammenarbeit mit prominenten Athlet*innen. Hinzu kommt, dass keine Einwilligung der betreffenden Athlet*innen vorliegt, dass ihre Eltern über sie als Sohn oder Tochter Auskunft geben. Wir möchten mit allen Artikeln aufzeigen, dass der Persönlichkeitsschutz bei uns höchstes Gut ist.»
Robbie Federer: Ihr dürft das Zitat verwenden!
Um den Publikationserfolg nicht zu gefährden, verzichteten wir schliesslich auf die Namensnennung. Da ich die Eltern von Roger Federer um eine entsprechende Erlaubnis angefragt und damit implizit auch die Realisierung in Aussicht gestellt hatte, musste ich sie nun hinsichtlich der nicht namentlichen Nennung in Kenntnis setzen. Dies tat ich, gleichzeitig bat ich um eine Publikationseinwilligung für Veröffentlichung mit Namensnennung auf unserer Plattform die-sportpsychologen. Dabei verwies ich auf das, wofür wir insbesondere stehen: Wissenstransfer, Transparenz und Vernetzung. Darauf angesprochen antworteten Lynette und Robbie: „Wir sind mit deinem Vorschlag einverstanden“!
Was lehrt uns dieses Beispiel? In der oben zitierten Begründung des Redaktionsteams ist der Duktus offensichtlich: Im wissenschaftlichen Kontext dominieren Professionalität, Persönlichkeitsschutz und Diskretion. Als Argumentarium dient der ethisch-moralische Verhaltenskodex für Psychologinnen und Psychologen (FSP, Berufsethik). Dieser definiert im Detail, wie die Rechte und die Integrität aller Personen, die in eine psychologische Tätigkeit einbezogen oder direkt davon betroffen sind, geschützt werden müssen. Die European Federation of Psychologists’ Associations (EFPA, 2011) hat im Umgang mit Medien zusätzlich folgende acht Richtlinien vorgestellt:
- Allen beteiligten Personen Respekt entgegenbringen;
- Vermeiden Sie es, in der Öffentlichkeit berufliche Meinungen über eine Person abzugeben;
- Sehr darauf achten, dass keine persönlichen Daten über Personen, mit denen der Psychologe eine berufliche Beziehung hat oder hatte, an die Öffentlichkeit gelangen;
- Darauf achten, seine Kompetenzen nicht zu überschreiten;
- Darauf abzielen, sein Publikum zu befähigen;
- Sich bewusst sein, dass er/sie auch eine Gemeinschaft von Psychologen vertritt;
- Sensibel sein für die möglichen Auswirkungen auf Dritte, wie Verwandte und andere Bekannte;
- Sensibel sein für die negativen Auswirkungen der Selbstdarstellung.
Vom Hardliner zum Öffentlichkeitsarbeiter?
Als ehemaliger Präsident der Swiss Association of Sport Psychology (SASP) und heutiges Vorstandsmitglied der Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) propagiere ich diese Grundhaltung seit vielen Jahren. Andererseits sind wir Sportpsycholog*innen als Expert*innen auch dafür verantwortlich, unser Fachwissen, unsere Haltungen und unsere Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit zu teilen. Die traditionellen Medien (Fernsehen, Radio, Printmedien) sind zu bedeutenden Quellen von Wissen, Meinungen und Macht geworden. Seit zehn Jahren stellen wir zudem fest, dass die Informationsverbreitung bei jungen Menschen verstärkt über die Nutzung sozialer Medien erfolgt. Indem wir diese Medien mit Bedacht auch zum Wissenstransfer sportpsychologischen Know Hows nutzen, können wir letztlich zum Wohl aller im Sport beteiligten Akteure beitragen. Wie notwendig diese aktive mediale Bewirtschaftung unserer Themen ist, lässt sich aktuell an den Themen „psychische Gesundheit im Spitzensport“, „Kinderhochleistungssport“ oder „Übergang in die nachsportliche Karriere“ sehr gut darlegen!
Will die Sportpsychologie in Zukunft vermehrt positiv in Erscheinung treten, muss sie gerade im Bereich der Psychoedukation an Qualität und Reichweite zulegen. Abschliessend drei inspirierende Beispiele dazu:
1) Arte-Dokumentation: Think Gold – Mentaltraining im Spitzensport
(Quelle: youtube – https://www.youtube.com/watch?v=KNMcxse_NJI
2) Echo der Zeit-Beitrag mit Cristina Baldasarre: Enormer Leistungsdruck beim Frauen-Spitzensport
https://m.srf.ch/audio/echo-der-zeit/enormer-leistungsdruck-beim-frauen-spitzensport?partId=12028512
3) SEMS-Journal: Themennummer „Sportpsychologie“ / Beitrag Elterncoaching
Stein des Anstosses
Zum Abschluss will ich ganz bewusst noch das Zitat von Lynette und Robbie Federer veröffentlichen. Ganz zum Wohl aller im Sport beteiligten Akteure:
«Wir versuchten im täglichen Leben als gutes Vorbild für unseren Sohn voranzugehen. Uns war wichtig, ihm Werte wie Anstand, Respekt, Fairness und Ehrlichkeit – auch auf dem Tennisplatz – mitzugeben. In kritischen Situationen verhielten wir uns immer positiv unterstützend, halfen beim Verarbeiten von Enttäuschungen und Niederlagen – einfach indem wir unsere Elternliebe spielen liessen. Andererseits mussten wir nicht immer dabei sein, wichtige Entscheide hat unser Sohn schon in frühen Jahren auch selbst getroffen. Wir freuen uns heute natürlich über seine Erfolge, seine Beliebtheit – vor allem aber schätzen wir seine Charakterstärke, etwa seine Fairness auf dem Spielfeld und seine Kameradschaft mit seinen sportlichen Rivalen.»
Lynette und Robbie Federer, 2021
Dem Netzwerk Die Sportpsychologen beitreten:
Quellen:
https://www.psychologie.ch/recht-qualitaet-im-beruf/ethik-qualitaet/berufsethik
http://ethics.efpa.eu/guidelines/
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