Die Publikation der Magglingen Protokolle haben ein dunkles Licht auf den Schweizer Leistungssport geworfen (Christof Gertsch, 2020). Sie haben gezeigt, wie AthletInnen psychisch misshandelt wurden, um sie zu einer besseren Leistung zu bewegen. Dabei übte das ganze System des Leistungssports, mit dem Verlangen nach immer mehr Erfolg, einen starken Druck auf die TrainerInnen aus. Wir haben uns nun gefragt, welche Methoden toxisch für die TrainerInnen-AthletInnen Beziehung wirken und wie diese umgangen werden könnten?
Gastbeitrag zum Thema: TrainerInnen-AthletInnen Beziehung
Dazu reden wir einerseits mit einer jungen Frau, deren Name der Redaktion bekannt ist aber in diesem Text nicht veröffentlicht wird, die zehn Jahre Leistungssport in der Rhythmischen Sportgymnastik betrieben hat. Zwischen 2013 bis 2015 trainierte sie in Magglingen. Andererseits blicken wir auf unsere eigene vergangene Sportkarriere zurück, um zu sehen, inwiefern sich diese Methodik in den Breitensport eingefunden hat.
Das Erste, was beim Lesen der Magglingen Protokolle auffällt, ist das riesige Machtgefälle zwischen den TrainerInnen und den AthletInnen. Die AthletInnen sind auf die TrainerInnen angewiesen, um ihre Ziele zu erreichen. Diese induzierte Abhängigkeit führt am Beispiel der Magglingen Protokolle zum physischen und psychischen Missbrauch von TurnerInnen. Dass sich in Magglingen nicht nur ein Bild von manipulativer Gewalt zeigt, ergibt sich aus dem Gespräch mit der Sportlerin. Als sie Mitte 2013 im nationalen Leistungszentrum trainierte, musste sie das erste halbe Jahr ähnliche Erfahrungen durchleben, wie in den Magglingen Protokolle beschrieben wurde. «Wir Gymnastinnen haben uns kaum getraut, mit der Trainerin über Uneinigkeiten oder Probleme zu sprechen, weil wir zu viel Respekt hatten. Man hat einfach gespürt, dass die Trainerin und die Gymnastinnen nicht auf derselben Höhe sind.»
TrainerInnen im Zentrum
Die beschriebene Erfahrung von «Gaslighting» endete glücklicherweise, als anfangs 2014 eine neue Trainerin das Team übernahm. «Das Klima im Team wurde besser. Wir konnten mit ihr über unsere Sorgen sprechen und sie half uns, wenn wir einen schlechten Tag hatten. Mit ihr waren wir wirklich ein Team und wir haben uns alle gegenseitig gestützt.» Die Erfahrungen der anonymen Sportlerin belegen auch, dass die Problematik nicht verallgemeinert werden kann, doch sie bewegen dazu, genau hinzuschauen, um mögliche Missstände aufzudecken.
Als Grundlage für die Machtbasis von TrainerInnen steht eine enge Beziehung zu SportlerInnen. Diese enge Beziehung bewirkt, dass die SportlerInnen keine missbräuchlichen Verhaltensweisen der TrainerInnen in Frage stellen, da sie diese*n bewundern und respektieren (Ashley E. Stirling, 2009). Diese Erkenntnisse skizzieren den Balanceakt, welchen TrainerInnen vollführen müssen. Sie sollen einem strengen Trainingsablauf folgen, damit die gesteckten Ziele erreicht werden können und gleichzeitig Empathie aufbringen, um die SportlerInnen wahrzunehmen und dadurch das Training anzupassen.
Umfangreiche Verantwortung von TrainerInnen
In der Pubertät ist diese enge Beziehung noch ausgeprägter. Jugendliche beginnen sich von ihren Eltern zu lösen und oft sind nun auch TrainerInnen Ansprechpartner bezüglich ihrer Gedanken, Probleme und Fragen. Die Verantwortung der TrainerInnen dieses Machtgefälle zum Nutzen der SportlerInnen wahrzunehmen, rückt noch mehr in den Vordergrund, da eine noch engere Beziehung zum*r TrainerIn gesucht werden kann.
Diese Grundlage für eine solche Machtbasis besteht nicht nur im Spitzensport, sondern zeigt seine Ausläufer in weiten Teilen der JuniorenInnen-Förderung. Der Weg zum Erfolg der SportlerInnen hängt oft auch von den TrainernInnen ab, denn diesen ist es beispielsweise überlassen, wie sie die Mannschaft für den Match aufstellen oder wie sie einem*er KunstturnerIn im Wettkampf zur Seite stehen. Dabei müssen die TrainerInnen im Umgang mit den AthletInnen diverse Aspekte berücksichtigen, die wir hier als Leitfragen in den Raum stellen:
- Hat eine aggressive Kommunikation der TrainerIn gegenüber dem Adressaten einen negativen Einfluss auf die Leistung (siehe Jeffery W. Kassing, 1999)?
- Wenn Druck, Stress oder Angst nicht die körperliche Leistungsfähigkeit der AthletInnen beeinflussen, inwiefern hat dieses Erleben Auswirkungen auf deren mentaler Stärke?
- Führt ein beeinflusstes Entscheidungsverhalten zu einem reduzierten Erfolgserlebnis der SportlerInnen (siehe Louise Davis, 2018)?
Leistung und Motivation
Weiten wir die Thematik der TrainerInnen-AthletInnen-Beziehung weiter aus, gelangen wir zur Reflexion unserer eigenen Vergangenheit im Sport. Dabei beleuchten wir deren Einflüsse auf unsere Leistungen und Motivation, in Bezug auf unsere psychische und physische Fitness. Die meisten finden im Verlaufe ihrer Sportkarriere positive und negative Verhaltensweisen ihrer TrainerIn oder SportlehrerInnen vor. Durch deren Verhalten beeinflussen sie die intrinsische und extrinsische Motivation der AthletenInnen. Dabei wird die Motivation der AthletenInnen stark von der Wahrnehmung ihrer Autonomie, Kompetenzen und Verbundenheit gegenüber dem*r TrainerIn beeinflusst (Geneviève A. Magneau, 2003).
Optimalerweise tritt ein*e TrainerIn als BeraterIn, Coach auf und zeigt Wege auf, die Leistung zu verbessern. Kontrolle, negative Bemerkungen und physische Überforderung schwächen hingegen die intrinsische Motivation und lösen Selbstzweifel bis hin zu Depressionen bei den Betroffenen aus (Louise Davis, 2018).
Mögliche Lösungsansätze
Ein negatives Beispiel dazu finden wir in unserer vergangenen Sportkarriere. Ein Volleyballtrainer meinte gegenüber einer zu beginnend pubertierenden Spielerin: «Du sollst drei Kilogramm abnehmen, dann kannst du einen Zentimeter höher springen». Solche Aussagen fördern starke Selbstzweifel, da von Kindern und Pubertierenden die Fürsorglichkeit von Eltern und TrainerInnen ähnlich hoch eingeschätzt wird (Alfred Richarzt, 2013).
Ein fürsorgliches, empathisches, stützendes Verhalten von TrainerInnen/Sportlehrpersonen stellt ein Ideal dar, welches noch ungenügend im Mikrokosmos des Schweizer Sports abgestützt ist. Wir sind bei der Suche nach möglichen Lösungsansätzen auf folgende Gedanken gestossen, welche Rahmenbedingung darstellen können:
- Der Leistungsgedanke im Schweizer Vereinswesen sollte aufgeweicht werden, indem die JuniorenInnen-Förderung nicht schon im Kindesalter beginnen, sondern erst ab jenem Zeitpunkt, wo die Jugendlichen die Entscheidung, in den Leistungssport einzusteigen, selbst treffen können. Eine polysportive Grundlage soll dabei eine Entscheidung begünstigen. Dabei ist klar festzuhalten, dass solch eine Rahmenbedingung es nicht in allen Sportarten ermöglicht, SpitzensportlerInnen auf heutigem Niveau hervor zu bringen.
- Eine offene Kommunikation und Feedbackkultur sollten von den TrainerInnen von Beginn an bilateral gefördert werden.
- Die psychische Fitness der SportlerInnen sollte ebenfalls evaluiert werden, z.B. mittels eines Ampelsystems, welches den mentalen Zustand verifiziert.
- Der*Die TrainerIn sollte eine Beratungsfunktion und keine Richterfunktion innehaben, dementsprechend sollten keine Erwartungen formuliert, sondern nur unverbindliche Tipps und Inputs gegeben werden. Die Autonomie soll bei*m AthletenIn bleiben.
- Eine zweite Ansprechperson für ein Debriefing sollte zur Verfügung stehen, um Missstände zu erkennen.
- Sensibilisierung in Trainerbildung und Probezeit in der Trainerfunktion sind nötig, um die Trainerqualität zu garantieren.
Kurzfristiger Erfolg oder klarer Kurswechsel?
Wir haben auch die frühere Leistungssportlerin gefragt, was passieren müsste, um einen humaneren Umgang im Schweizer Spitzensport zu erreichen. «… ich denke, wenn man eine Trainerin findet, die die sportliche, wie auch die zwischenmenschliche Ebene richtig kombiniert, bringt das sehr gute Voraussetzungen für einen humanen Umgang. Man soll das vertieft in den Trainerausbildungskursen lernen, üben und auch prüfen. Man soll den ausgewählten TrainerInnen Zeit lassen, ein Team aufzubauen und dann den Erfolg anzustreben.»
Die Sportlerin erwähnt hier einen wichtigen Punkt: «Diese Veränderung braucht Zeit». Vielleicht werden die AthletInnen kurzfristig etwas weniger erfolgreich sein, bis sich neue Trainingsbedingungen etabliert haben. Aber ist es uns nicht wert, auf den kurzfristigen Erfolg zu verzichten und dadurch langfristig gesunde, selbst motivierte, erfolgreiche AthletInnen zu gewinnen?
Den Gastbeitrag haben Meret Keiser und Nicola Büttiker im Rahmen ihrer Ausbildung bei Dr. Hanspeter Gubelmann (zum Profil) an der ETH Zürich verfasst.
Der MDR berichtet seit einigen Monaten intensiv über Missbrauchsvorwürfe gegenüber einer Trainerin am Chemnitzer Olympiastützpunkt:
Literaturverzeichnis
- Alfred Richarzt Almut Krapf, Karen Hoffmann Die Qualität der Trainer-Kind-Beziehung aus der Perspektive der Bindungsforschung. Bindungen und bindungstypische Prozesse bei Kindern im Leistungssport [Journal] // Zeitschrift für Pädagogik 59. – 2013. – S. 826-836.
- Ashley E. Stirling Gretchen A. Kerr Abused athletes’ perceptions of the coach-athlete relationship [Journal] // Sport in Society. – 2009. – S. 227-239.
- Christof Gertsch Mikael Krogerus Die Magglingen-Protokolle [Journal]. – [s.l.] : TA, Das Magazin, 31. 10 2020.
- Geneviève A. Magneau Robert J. Vallerand The coach–athlete relationship: a motivational model [Journal] // Jurnal of Sports Sciences. – 2003. – S. 883-904.
- Jeffery W. Kassing Dominic A. Infante Aggressive communication in the coach-athlete relationship [Journal] // Communication Research Reports. – 1999. – S. 110-120.
- Louise Davis Ralph Appleby, Paul Davis, Mark Wetherell, Henrik Gustafsson The role of coach-athlete relationship quality in team sport athletes’ psychophysiological exhaustion: implications for physical and cognitive performance [Journal] // Journal of Sports Science. – 2018. – S. 1985-1992.
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