Eishockey und Covid 19: In fünf bis sechs Jahren werden alle in ein Loch fallen, wenn die Vereine jetzt nicht kreativ werden

Die Corona-Pandemie bremst seit einigen Monaten allerorts den Kinder- und Jugendeishockeysport aus. Ob in kleinen Vereinen, die meist sowieso nur sechs bis sieben Monate “Eiszeit” haben, als auch an „großen“ leistungsorientierten Standorten wie Berlin, Mannheim oder Köln. Demgegenüber gibt es auf U17/U20-Level für den einen oder anderen Spieler die Chance, jetzt schon Profi-Luft zu schnuppern. Teams wie Mannheim, Nürnberg, Kaufbeuren bieten jungen Nachwuchsspielern die Chance, sich zu beweisen – auch dadurch bedingt, dass die eine oder andere Mannschaft auf teure ausländische Spieler verzichten muss (keine Zuschauer, weniger Einnahmen). Vielleicht ein Hoffnungsschimmer. Weniger optimistisch sieht es aber aus, wenn wir die Kinder und Talente in den Fokus nehmen.

Zum Thema: Eishockey und die Auswirkungen der Corona-Pandemie 

Wie sieht es denn tatsächlich bei den restlichen Altersgruppen aus? Bei Kindern, die den Sport erst vergangenes Jahr kennengelernt haben oder sich gerade in der Entwicklung zu einem Leistungsspieler befinden? Was machen diese Kinder ohne Eiszeit, ohne Vereinstraining? 

„Online“-Training im Eishockey? Wie soll das funktionieren? Oder hören die Spieler vielleicht sogar mit ihrem Lieblingssport auf? Wie motivieren sich Kinder und Jugendliche? Was können die Trainer machen bzw. welche Anreize kann man hier an die Hand geben? 

Zu diesem Thema habe ich mich (zum Profil von Arthur Wachter) mit Trainern aus dem Nachwuchsbereich unterhalten: 

Marius Riedel (31) – Hauptamtlicher A Lizenz Trainer und in der DEL 2 verantwortlich für die Standort- und Talententwicklung

Tomas Brdicko (37) – Hauptamtlicher Trainer Skien IHK U15-U20 (Norwegen)

Wie hat sich euer Tages-/Wochenablauf in dieser Zeit verändert? Aktuell gibt es keine Spiele am Wochenende. Habt ihr da mehr Zeit oder ist die Zeit anderweitig verplant? 

Tomas Brdicko: 

Da ich seit dieser Saison in Norwegen arbeite, musste ich jetzt nach der Weihnachtspause bei der Ankunft in Norwegen erst einmal zehn Tage in Quarantäne. Trainiert  wird mit kleinen Trainingsgruppen, es wird viel an individuellen Fähigkeiten und Details der Spieler per Video gearbeitet. Nachmittags trainieren die Spieler im Freien – wo sie sich im Rahmen ihrer Freizeit selbst verbessern können. Die Eishalle ist geschlossen, deswegen ist es für die Spieler ein Vorteil, dass sie im Freien auf`s Eis können. Ebenfalls sind die Spieler über Zoom in Kontakt zu Spielern, die an amerikanischen Programmen teilnehmen.

Marius, du kannst die Vereine zur Zeit nur bedingt besuchen, wie kannst du jetzt den Kontakt mit den Spielern halten?

Marius Riedel:

Normalerweise bin ich pro Woche ein bis zwei Tage im Homeoffice und drei bis vier Tage auf Achse. Also bei den DEL 2-Vereinen unterwegs. Zurzeit ist alles anders, die meiste Zeit sitze ich im  Homeoffice, telefoniere mit den Trainern, schaue sehr viel Eishockey im Fernsehen oder im  Internet (NHL, DEL, DEL2 und Oberliga). Desweiteren versuche ich mich weiterzuentwickeln, in dem ich Vorträge beiwohne und so viel wie möglich recherchiere. 

Wie motivieren sich die Kinder und Jugendliche zur Zeit selbst? Welche Skills benutzt ihr als Trainer, um die Spieler bei Laune zu halten? Gibt es auch Empfehlungen an die Eltern? 

Marius Riedel:

Da ich momentan eher nur telefonischen Kontakt mit den Trainern habe, versuche ich die Coaches aus der Ferne mit neuen Ideen und Ratschlägen zu unterstützen. Die meisten Vereine haben nun Online-Athletik-Training, hier kann man die Jugendlichen beispielsweise mal überraschen und Spiele einbauen, zum Beispiel ein Eishockey Quiz, Galgenraten oder sonstige Überraschungen. Dann kommen die Jugendlichen nicht in einen monotonen Trott und wissen nie, was auf sie zukommt. Oder man überträgt einem  Spieler die Verantwortung, so dass jeder Spieler vielleicht einmal das eine oder andere  Training planen und durchführen soll. Ebenfalls kann man in dieser Zeit gut Eishockeytheorie einbauen – wann hat man sonst so viel Zeit, die Regeln oder wichtige theoretische  Skills zu erklären? Im Normalfall kommen die Kinder zum Training, die Kabinen sind oft doppelt und dreifach besetzt und die Trainer müssen von dem einen zum anderen Eistraining hetzen. Da bleibt wenig Zeit für Theorie, jetzt können wir die Sachen aber einbauen. Bei den älteren Jugendlichen ist es auch wichtig, Einzelgespräche einzubauen und die Ziele des jeweiligen Spielers zu thematisieren. 

Tomas Brdicko:

Motivationsfragen, egal ob intrinsische oder extrinsische Motivation, sind ein sehr interessantes  Feld, dass mich in den letzten Jahren sehr interessiert hat. Ich denke, dass wir darauf achten müssen, dass Spieler versuchen, sich selbst kennenzulernen. Dass sie herausfinden, wie sie ticken und auf bestimmte Dinge reagieren. Oftmals wird es so hingestellt, dass es die alleinige Aufgabe von Trainern sei, Spieler von außen zu motivieren. Aber dies stimmt so nicht. Vielmehr müssen die Jugendlichen ihre Komfortzone verlassen und die Bereitschaft entwickeln, selbst zum Training kommen zu wollen. Solche Spieler, sogenannte „trainierbare Spieler“, können vom Trainer unterstützt werden. Aber dafür müssen die Spieler, wie ich bereits sagte, sich selbst kennenlernen, ihr inneres Potential freisetzen und die Stärken und Schwächen herausfinden. Darin sehe ich die Hauptaufgabe des Trainers, den Spielern zu helfen. 

Hier in Norwegen arbeiten die Spieler auf einer mentalen Basis. Sie haben mehrmals pro Woche entweder Gruppen-Meetings oder 1:1-Treffen. In den letzten drei bis vier Jahren habe ich auch versucht, mit Spielern auf mentaler Ebene zu arbeiten. Ich finde es sehr wichtig – Meditation, Visualisierung, Selbsterkenntnis – sind Dinge, die Spieler lernen müssen, wenn sie weitere Schritte in ihrer Karriere unternehmen möchten.

Wird sich die Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland durch Covid 19 verändern? Verlieren wir Talente? Verlieren wir gerade bei den Kleinen den richtigen Einstieg und die richtige Entwicklung auf dem Eis, die in diesem Sport das A und O ist?

Marius Riedel:

In den Landesverbänden, in dem Bereich, in dem nicht Leistungsorientiert trainiert und gespielt wird, werden mit Sicherheit im Bereich U17 und U20 viele Spieler aufhören. Da werden die Vereine Schwierigkeiten bekommen. Normalerweise kommt jetzt ab März auch noch die Zeit, in der die Vereine neue Spieler rekrutieren. Dieses Jahr sind die Jahrgänge 2015/2016 dran… Die erste Rekrutierungsphase zur Weihnachtszeit ist auch schon ausgefallen. Da sind die Vereine und deren Gemeinden und Städte gefordert. Dort sollte man über Eiszeit im Sommer nachdenken. Und die Vereine müssen sich noch viel mehr an Ideen einfallen lassen, um Jugendliche an sich zu binden und Interessierte zu aktivieren. Ansonsten werden viele Vereine – auch die leistungsbezogenen Clubs – in fünf bis sechs Jahren in ein Loch fallen. Das wichtigste überhaupt – und das gilt nicht nur im Eishockey – ist den Jugendlichen, dass „Mindset Sport“ wieder bewusst zu machen. 

Tomas Brdicko: 

Ja, Covid ist im Allgemeinen ein großes Problem, nicht nur für den Sport,  sondern für die gesamte Gesellschaft. Die Funktionsweise der Vereine – nicht nur in Deutschland, auch in meinem Geburtsland, der Tschechischen Republik, ist aufgrund der ungünstigen Situation erheblich eingeschränkt und niemand weiß wirklich, wann genau alles wieder normal wird oder zumindest auf dem richtigen Weg zur Normalität sein wird. Alles ändert sich ständig. Diese Zeit ist sehr schwer und kompliziert. Ich habe mit mehreren Kollegen gesprochen, aus der Tschechischen Republik, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA – sie nehmen es überall gleich wahr. Sie sind hauptsächlich besorgt, dass kein Kind erkrankt. Ebenfalls sind sie in Sorge, dass starke Jahrgänge an Spielpraxis und Leistungsvermögen verlieren. Ich denke aber, dass Jugendliche, die Eishockey lieben und es spielen wollen – in jedem Fall einen Weg finden, beim Eishockey zu bleiben. Es müssen alle die richtige Einstellung dazu finden.

Arthur Wachter

Sportarten: Eishockey, Fußball, Wasserball, Schwimmen, sonstige Teamsportarten

Mail: a.wachter@die-sportpsychologen.de

Telefon: +49 (0)175 4438864

Zum Profil: https://www.die-sportpsychologen.de/arthur-wachter/

Wendet ihr mentale Aufgaben/Praktiken im jetzigen Training an? Ich arbeite selbst viel mit  Visualisierungen – ist das ein Aspekt, mit dem es bei den Jugendlichen vielleicht möglich wäre, die verloren Eiszeit zu „füllen“ oder sogar zu „ersetzen“? 

Tomas Brdicko: 

Ja, in jedem Fall. Ich würde sagen, dass man in den jungen Jahrgängen mit Atemtechnik, Meditation und später ab der U15 mit den restlichen Skills arbeiten sollte. Damit die Spieler konzentriert bleiben und lernen, im „hier und jetzt“ zu sein. Ich bin der Meinung, dass die Methode der Visualisierung, das komplette sportliche Training nicht ersetzen, aber ergänzen kann. In den älteren Jahrgängen sollten Meditations- und Visualisierungsmethoden, aber auch andere sportpsychologische Techniken zur täglichen Routine eines jeden Spielers werden.

Marius Riedel:

Zur Zeit weiß ich von keinem Verein, der Mentaltraining einsetzt. Sinnvoll wäre es in jedem Fall, gerade in dieser Zeit den mentalen Bereich zu stärken. Die Vereine versuchen aktuell jedoch den Vor-Corona-Zustand zu halten. Jetzt und auch nach der Corona-Zeit ist es zudem auch eine finanzielle Frage, ob man sich einen Sportpsychologen oder Mentaltrainer leisten kann und will. 

Ihr seid ja alle noch durchaus junge Trainer – aber schon mit viel Erfahrung im Jugendbereich. Wie steht ihr zum Thema Mentaltraining im Eishockey? Nehmen wir das Beispiel Schwenningen: Der Verein beschäftigt einen Mentaltrainer im Jugendbereich. Wie sieht die Zukunft aus, werden  andere Vereine diesem Beispiel folgen? Ist es jetzt vielleicht – in der Corona Zeit –  gerade jetzt der richtige Moment, solche Personen einzubauen? 

Marius Riedel:

Wie schon erwähnt, sicher ist es eine zusätzliche Leistung, die die Vereine einsetzen sollten. Aber es wird teilweise an finanziellen Aspekten scheitern oder aber an dem Umstand, dass die Vereine  dafür keine Kapazitäten haben und sich auf das „Jetzt“ konzentrieren müssen. Aber mir fällt noch ein weiteres positives Beispiel ein: Der Auswahltrainer von Hessen, Alexander Baum, hat seit seiner Amtseinführung bei jeder Einheit eine Sportpsychologin dabei. 

Tomas Brdicko: 

Ich weiß, dass in Schwenningen ein Mentaltrainer (Matthias Fleig, die Redaktion) im Jugendbereich tätig ist. Ich würde sagen, es ist der richtige Weg. Ob Jugendspieler oder Profi, jeder von ihnen sollte nicht nur auf dem Eis trainieren, sondern auch im mentalen Bereich. Es kann beispielsweise verschiedene Gründe für einen Leistungsabfall bei einem Spieler geben. Nehmen wir nur die Trennung von der Freundin. Und dann sind wir bei dem Punkt, dass auch Sportler nur Menschen sind, die alltägliche Probleme lösen müssen. Darüber hinaus würde ich sagen, dass es die Pflicht aller sein sollte, sich für diese Trainingsbereiche zu interessieren, um die Arbeit mit Spielern nicht  nur auf dem Eis, sondern auch außerhalb des Eises zu optimieren. 

Hier in Norwegen, innerhalb der Hockeyakademie, haben wir jede Woche ein mentales Training im Programm. Daher kann ich sagen, dass hier mehr Arbeit auf mentaler Ebene geleistet wird. Wie ich bereits erwähnt habe, interessiere ich mich seit mehreren Jahren selbst für mentales Training. Ich selbst versuche mich hier weiterzubilden, um es bei meinen Spieler dann anzuwenden.

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