Wir von Die Sportpsychologen werden immer häufiger von Unternehmen angesprochen. Deren Wunsch: Wir sollen unser Wissen aus dem Sport in das Wirtschaftsleben übersetzen. Ein Verstärker ist dabei sicher das Jahr 2020, welches uns alle – ganz egal, ob im Sport oder im “normalen” Berufsleben – vor ganz neue Herausforderungen gestellt hat. Die wohl gravierendste berufliche Veränderung, die Corona mit sich gebracht hat, ist das Arbeiten im Homeoffice. Während anfangs noch eine gewisse Faszination davon ausging, von zu Hause zu arbeiten, in Jogginghose beim Meeting zu sitzen oder die gewonnene Flexibilität zu nutzen, herrscht inzwischen eine alltägliche Tristesse. Viele Arbeitnehmer sehnen sich wieder nach ihrem Büro, allerdings ist trotz des nun zugelassen Impfstoffes nicht klar, wann und ob es so etwas wieder geben wird. Gleichzeitig haben Arbeitgeber sicherlich Interesse daran, weniger Büroräume vorhalten zu müssen. Es ist also in jedem Fall wichtig, die Arbeit im Homeoffice so angenehm und produktiv wie möglich zu gestalten. Wie das funktioniert erklärt Dr. Christian Reinhardt von Die Sportpsychologen, natürlich im Rückgriff auf das Wissen, welches im Sport allgegenwärtig sein sollte.
Zum Thema: Wissenstransfer zwischen Sport und Business
Zwei Faktoren beeinflussen, wie gerne und wie effektiv wir im Homeoffice arbeiten: Das Setup, also die Einrichtung des Arbeitsplatzes und die Struktur des Arbeitstages bzw. die Arbeitsweise.
Setup
Es ist wichtig einen Arbeitsplatz einzurichten. Dieser muss auch nicht besonders groß sein, aber eine Fläche bieten, die es erlaubt ergonomisch vor dem Rechner zu sitzen und ggf. Unterlagen abzulegen oder einsehbar zu platzieren. Einen festen und im Optimalfall abgegrenzten Arbeitsbereich zu haben ist von enormer Bedeutung, weil es das Arbeiten erleichtert und gleichzeitig vom sonstigen Privatleben abgrenzt.
Achten Sie auf eine gute Beleuchtung. Wie im Büro auch sollte der Heimarbeitsplatz so sauber und aufgeräumt wie möglich sein. Gleiches gilt auch für den Desktop. Der schöne Desktophintergrund, der Sie an einen großartigen Ort oder eine besondere Person erinnern soll, tut im Zweifel genau das, und zwar während Sie eigentlich arbeiten wollen. Alles, was nicht direkt mit der Arbeit zu tun hat, muss weg. Sonst werden wir Opfer des AIDA-Prinzips (Lewis, 1989). Letzteres hat nichts mit Kreuzfahrten zu tun. Vielmehr handelt es sich um eines der bekanntesten Marketing-Modelle. Das Akronym steht für Attention, Interest, Desire, Action und beschreibt so im Sinne eines Pre-Sales-Prinzips Stufen, die sukzessive durchlaufen werden müssen, damit es zu einer (Kauf-) Handlung kommt. Leider funktioniert dieser Mechanismus auch hervorragend am (Heim-) Arbeitsplatz. Ein Objekt, dass dort rumliegt, erweckt zwangsläufig unsere Aufmerksamkeit (Attention). Beispielsweise ein Handy. Klingelt oder brummt das Handy, ist das Interesse (Interest) endgültig geweckt und der Wunsch (Desire) nach dem Objekt ausgelöst. Sehr wahrscheinlich folgt dann die Handlung (Action) der Handynutzung. In Bezug auf das Setting ist also weniger auf jeden Fall mehr.
Struktur/Arbeitsweise
Im normalen Büroalltag wird die Struktur des Arbeitstages weitgehend vorgegeben. Das Wegfallen dieser Regelung kann eine Herausforderung darstellen. Wer unstrukturiert durch den Homeoffice-Tag schlendert, der erreicht weniger und arbeitet oft länger. Es ist daher zielführend, sich einen festen Tagesablauf zu gestalten. Optimaler Weise beginnt der Tag mit einer Routine bspw. Aufstehen, Badezimmer, ggf. Sport, Frühstück und/oder Kaffee und dann der Check-in im Homeoffice. Wer keinen Sport machen möchte, der kann kurz spazieren, um an die frische Luft zu kommen – ein Reiz, der fehlt – wenn es keinen Arbeitsweg gibt. Der Check in, also das Betreten des eigenen Büros ist zum einen wichtig, weil es mit dem späteren Check-out den Arbeitstag vom privaten klar abgrenzt und gleichzeitig ein Signal setzt ‚Jetzt beginnt der Arbeitstag‘. Zuvor sollte nichts Berufliches gemacht werden, also keine Mails beim Frühstück lesen etc. Ein möglicher Start kann auch ein virtueller Kaffee mit einem oder mehreren Kollegen sein. Ein solches informelles Meeting hat mehrere positive Effekte. So erinnert es uns an das Team, dessen Teil wir sind, und wirkt so dem Isolationsgefühl im Homeoffice entgegen. Gleichzeitig werden Informationen ausgetauscht, die wichtig sein können. Was machen die anderen, welche Entwicklungen gibt es, habe ich den gleichen Workload und Output wie der Rest?…
Nach dem Start empfiehlt es sich, eine To-Do-Liste für den Tag anzufertigen (wenn nicht schon vorhanden). In den meisten Fällen werden diesen Listen zu optimistisch zusammengestellt. Die Aufgaben sind zu umfangreich und am Ende des Tages, sind nur die Hälfte erledigt. So entsteht der Eindruck, dass man nicht produktiv war und die Arbeit nie ein Ende nehmen wird. Also besser realistisch, als zu optimistisch planen. Außerdem ist es sinnvoll, komplexe Punkte auf der To-Do-Liste zu untergliedern, da Sie sonst erst nach mehreren Stunden einen Haken hinter den entsprechenden Punkt machen können. Schließlich sollten die Punkte auf der Liste noch geordnet werden. Was muss zuerst erledigt sein (Deadline) und was ist besonders schwer? Wir neigen dazu, die unangenehmen oder schwierigen Aufgaben ans Ende zu stellen. Also an einen Zeitpunkt zu setzen, den wir entweder gar nicht mehr realisieren können oder zu dem wir eigentlich schon erschöpft sind und in den Feierabend wollen. Im Resultat verschieben wir auf den nächsten Tag, fühlen uns nicht gut, weil die Aufgabe immer noch im Hinterkopf ist, um dann morgen das Thema wieder hinten anzustellen… Insofern empfiehlt es sich, diese Aufgaben ganz nach oben auf die Liste zu setzen. Den Haken dann zu setzen, fühlt sich gut an und die anderen Punkte erledigen sich sehr viel einfacher.
Pausen als ein Muss, Präsenz als heißer Tipp
Wer arbeitet muss auch Pausen machen. Es ist ratsam, diese vorher zu planen und in den Pausen den Arbeitsplatz zu verlassen. Ebenfalls ratsam ist eine gesunde Ernährung. Im Homeoffice fällt das Kantinenessen weg. Inwiefern das tatsächlich fehlt, ist wahrscheinlich stark von der Kantine und den eigenen Ansprüchen abhängig. Zu Hause gibt es auf jeden Fall keine Ausrede, sich nicht gut und ausgewogen zu ernähren. Belohnen sie sich mit dem Essen (und ggf. auch schon dem Kochen) für Ihre Selbstdisziplin im Homeoffice.
Bleiben Sie bei Ihrem Chef und Ihren Kollegen präsent. Nutzen sie dazu die immer häufiger stattfindenden Videokonferenzen. Das Ausschalten von Kamera und Mikrofon ist sicherlich verlockend, hilft aber niemandem. Also Kamera an, Mikrofon an und aktiv beteiligen. Das sorgt für eine bessere Wahrnehmung Ihrer Person und gleichzeitig für mehr Zufriedenheit bei Ihnen. Falls Sie unsicher bei Videokonferenzen sind, ist hier ein hervorragendes Video zu den 10 wichtigsten Tipps für einen professionellen Auftritt in solchen Formaten: https://www.youtube.com/watch?v=VbOf7yCjE7g
Ein Ende finden
Der Homeoffice-Tag endet mit dem Check-out aus dem Heim-Büro. Jetzt müssen Sie der Versuchung widerstehen noch einmal kurz eine Mail zu schreiben oder schnell noch das Memo anzufertigen, was nicht einfach ist, da das neue Büro so einfach zu erreichen ist. Genau da liegt aber das Problem. Fakt ist, dass Sie nämlich nichts nur „kurz“ machen. So hat ein Bericht von Forbes gezeigt, dass die meisten Menschen dieser Versuchung erliegen und deutlich länger im Homeoffice arbeiten als im Büro. Aus dem gleichen Grund nimmt auch das Arbeiten an Feiertagen zu. Auch wenn es sich zunächst anders anfühlt, mit dem zusätzlichen Arbeitspensum insbesondere an Feiertagen tun Sie sich keinen Gefallen. Die Erholung und vor allem die Abgrenzung von Arbeit und Freizeit ist für unsere psychische Gesundheit wichtig. In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, wenn Sie sich für das Homeoffice „arbeitsgerecht“ anziehen. Es muss kein Designer-Anzug sein, aber eben auch keine Jogginghose. Nach dem offiziellen Feierabend darf es dann legerer zugehen. Dieser Unterschied erleichtert auch noch einmal die Trennung von Arbeits- und Privatleben.
Grundsätzlich gilt: Gestalten Sie Ihren Homeoffice-Arbeitsplatz und -Tag so angenehm wie möglich. Investieren sie lieber einige Stunden in die Gestaltung und arbeiten Sie danach jeden Tag in einer schöneren Atmosphäre.
Komponente Kinder
Eine besondere Komponente erhält das Homeoffice in Zeiten des Lockdowns, wenn Kinder im Haus sind. Ein Kind ist – bezogen auf die zu investierende Zeit – ein Job für sich. Insofern ist völlig klar, dass Homeoffice und Kinder eine besondere Strukturierung und vor allem jede Menge Flexibilität erfordern. Bezogen auf die Struktur heißt das, dass präzise geklärt sein muss, wer in einer Beziehung wann auf die Kinder aufpasst und wann im Homeoffice ist. Schichtbetrieb ist hier das Stichwort. Gleichzeitig müssen bei der Tagesplanung mehr Reserven gelassen werden. Es lässt sich fast nicht verhindern, dass die Kinder Vater oder Mutter kurz etwas erzählen möchten und in dem Zusammenhang gleich mal auf Löschen drücken, das Setting für die Videokonferenzen neu anordnen oder wichtiges Equipment für Spielzwecke rekrutieren. Insofern muss priorisiert werden, wann darf gestört werden und wann sollte wirklich Ruhe herrschen. Es bietet sich an, die Kinder in diesen Prozess einzubeziehen. Das oder die Kinder können bspw. ein schöne „Auf Sendung“- oder “On Air”-Schild basteln, das im Fall von Videokonferenzen (oder bei sensiblen Arbeitsaufgaben) außen an die Tür des Homeoffice gehangen wird.
Gern stehen meine Kollegen von Die Sportpsychologen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Dr. Christian Reinhardt) zur Verfügung, wenn Sie mehr Wissen aus dem Sport in ihr normales oder berufliches Leben transferieren wollen. Einzel-Coachings, Weiterbildungen, Workshops oder Vorträge – vor Ort, digital oder beides – kommen Sie auf uns zu, um vom Sport zu lernen. Hier finden Sie eine Übersicht unserer Angebote: https://www.die-sportpsychologen.de/category/angebote/
Literatur
Lewis, E. St. Elmo (1903): Catch-Line and Argument. In: The Book-Keeper, Vol. 15, Februar 1903, S. 124
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