Dr. René Paasch: Teamzusammenhalt reparieren. Wie kann da ein Sportpsychologe helfen?

Mannschaften scheitern selten am Mangel an fußballerischen Fähigkeiten. Viel häufiger sind die Ursachen im psychologischen und pädagogischen Bereich zu suchen. Unerklärlicher Leistungsabfall, plötzlich auftretende Trainings- und Wettkampfpause, soziale Distanz, nicht mehr zu kontrollierende Konflikte im Team, Formkrisen oder Motivationsverluste. Im Ergebnis bedeutet dies häufig eine Niederlagenserie, es entsteht eine zunehmend schlechte Stimmung im Team und im Vereinsumfeld, in der Medienöffentlichkeit wächst der Druck. Wie können Sportpsychologen helfen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen?

Zum Thema: Potential der Sportpsychologie im Fußball 

Anders als bei Taktik- oder Technikfragen gibt es hinsichtlich der psychologischen Einflüsse kaum Patentrezepte, die immer und überall funktionieren. Aber es gibt zentrale Ansatzpunkte, auf die ein Sportpsychologe schaut, wenn er als neuer Bestandteil in einem Trainerteam oder im Verein installiert wird, um den Teamzusammenhalt zu verbessern. Je mehr Zeit zur Verfügung steht, desto besser. Übrigens “besser” für alle im System: Trainer, Spieler, Staff, Funktionäre und Fans. Zur Not – und oft ermöglichen erst “sportliche Notlagen” wie die akute Abstiegsgefahr überhaupt die Bereitschaft, auf einen Sportpsychologen zu setzen – muss die Arbeit auch in wenigen Wochen Früchte tragen. 

Die Schlüsselqualifikation von Sportpsychologen ist es, zwischen den Parteien (Trainer und Mannschaft, zum Teil einzelne Grüppchen, hinzu kommen Personen aus dem engeren Umfeld des Teams) zu agieren. Denn die dauerhafte und prozessbegleitete Interaktion zwischen Psychologen, Trainer und Sportler kann zu jeder Zeit zur Optimierung von Trainings- und Wettkampfleistungen beitragen und die Gesunderhaltung nachhaltig fördern. So weit, so unstrittig. Aber wo setzt ein Sportpsychologe nun an, um positiv auf den Teamzusammenhalt einwirken zu können? Auch unter Zeitdruck? Folgende Ansatzpunkte halte ich für besonders wichtig:

Synergie und Kommunikation 

Positive Gefühle in herausfordernden Zeiten stellen für die Leistung jedes Sportlers eine Kraftquelle dar. Synergie bewirkt, dass auch schwächere Spieler sich in der Mannschaft steigern, dass sie zusätzliche Kräfte mobilisieren können und Kreativität entwickeln. Sie entsteht durch die Lust und Freude, Mitglied einer Mannschaft zu sein, durch das gemeinsame Erlebnis des Miteinanders und der gemeinsamen Aufgabe als Herausforderung. Ohne die Aktivierung positiver Gefühle wird sich der Synergieeffekt nicht einstellen und zur Minderung der Einzelleistung führen. Mannschaften sollten deshalb viel miteinander sprechen, um das nötige Vertrauen und Verstehen zwischen den Spielern aufzubauen. Das Erleben der harmonischen Zusammenarbeit und die Begeisterung für die gemeinsamen Aufgaben stellt eine zusätzliche Energiequelle für den Einzelnen dar. Insbesondere in herausfordernden Zeiten, kann die schöpferische Kraft, die Energie und die Stärke der Einzelspieler vereint werden und in der Summe als gemeinsame Mannschaftsleistung hervorstechen. In diesem Zusammenhang sollte auf und neben dem Platz jetzt besonders die Kommunikation zwischen den Spielern gefördert werden (stimmlich, sprachlich, nonverbal durch Gesten, Blickkontakt und Körpersprache). Dabei kommt es nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern auch, wie es gesagt wird. Denn lobt der Trainer und Spieler, lässt Zweifel abschwächen und kann euphorisieren und bestärken.  

Siehe auch dazu:

Rollenverständnis und Mannschaftsziele 

Mit dem Begriff der „Rolle” ist die Erwartung verknüpft, die ein Spieler auf einer Position erfüllen soll. Mit der Rollenerwartung sind zweierlei Aspekte verknüpft (Baumann, 2008): 

  • Forderungen und Pflichten, die an die Rolle gebunden sind, d.h. der normative Aspekt
  • der persönliche Beitrag zur Mannschaftsleistung, d.h. der antizipatorische Aspekt 

Das Rollenverständnis beinhaltet also für den Sportler die Fragen: 

  • Was muss ich tun? (Norm, Pflicht)
  • Was darf ich tun? (Individualitätsgrad)
  • Was soll ich tun? (persönliche Erwartung)
  • Was kann ich tun? (Selbsteinschätzung)

Gerade in schwierigen Phasen ist es besonders wichtig, dass jeder Spieler seine Fähigkeiten und Fertigkeiten dem Team zur Verfügung stellt und die Forderungen und Pflichten so gut es geht erfüllt. Des Weiteren streben Spieler von Mannschaften ein gemeinsames Ziel an, das sie allein nicht erreichen können. Deshalb stellt das gemeinsame Ziel (z.B. Klassenerhalt) einen wesentlichsten gemeinschaftsbildenden Faktor dar. Wenn alle Mannschaftsmitglieder ihre persönlichen Ziele dem gemeinsamen Ziel unterordnen (Meisterschaft, Auf- und Abstieg), dann verwenden alle Mitglieder den Ausdruck „Wir” in derselben Bedeutung und verfolgen dieses mit großer Leidenschaft und Einsatzwille. Hinweis: Berücksichtigen Sie dabei, dass das Mannschaftsziel stets in engem Zusammenhang mit den Wünschen und Bedürfnissen der Teammitglieder stehen! Näheres zum Thema Ziele:

Dr. René Paasch

Sportarten: Fußball, Segeln, Schwimmen, Handball, Hockey, Eishockey, Tennis

Kontakt

+49 (0)177 465 84 19

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Zum Profil: https://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

Gemeinsame Herausforderung

Gemeinsame Herausforderung, deren Überwindung nur durch eine gemeinsame Anstrengung, durch gegenseitiges Unterstützen und Helfen gelingen kann, mobilisiert Kräfte, d.h. die äußere Belastung verursacht gruppendynamische Veränderungen, die sowohl den Aufgaben- als auch den sozialen Zusammenhalt verbessern. Dieses Phänomen begegnet mir oft in meiner Praxis z.B. bei Teams, die gegen den Abstieg kämpfen oder unbedingt aufsteigen wollen. Unter „Not” kann jede Situation verstanden werden, die den Wünschen und Zielen der Mitglieder entgegensteht und nur durch gemeinsame Anstrengung bewältigt werden kann. Ob sich die gemeinsame Herausforderung tatsächlich im positiven Sinne auf eine Mannschaft auswirkt, hängt allerdings auch noch von anderen Faktoren ab, z.B. dem Selbstvertrauen oder auch vom Vorhandensein einer Führungspersönlichkeit, die es versteht, die Notwendigkeit der gemeinsamen Anstrengung bewusst zu machen und gemeinsame Energie freizusetzen. Näheres dazu:

Teamzusammenhalt 

Spieler und Trainer schreiben den Erfolg oder Misserfolg häufig der Art und Weise zu, wie gut das Team zusammenarbeitet. Wenn man den Zusammenhang zwischen Leistung und Teamzusammenhalt kurzzeitig fördern will, sollten Sie auf den zwischenmenschlichen Bereich verstärkt achten. Daraus erwachsen persönliche Beziehungen wie Sympathie und soziale Verbundenheit. Ganz besonders ist dabei die Bedeutung des sozialen Zusammenhalts in herausfordernden Zeiten zu erwähnen. Die Praxis zeigt, dass Mannschaften, die sich gegenseitig unterstützen, anfeuern und ermuntern, erheblichen Einfluss auf die Anstrengungsbereitschaft der Spieler ausüben können. Siehe dazu auch:

Fazit 

Der wesentliche Einfluss bei einer “Neuerfindung” des Teamgeists in einer sportlich krisenhaften Situation kommt dem Trainerverhalten und den führenden Mannschaftsmitgliedern zu. Gerade dann brauchen jüngere oder ängstliche Spieler die Unterstützung starker, erfahrener Persönlichkeiten. Klare Aufgabenstellungen sind erforderlich und realistische Zielsetzungen sollen Richtlinien des Handelns sein. Sich aus der gewohnheitsmäßigen Routine zu lösen und neuartige Ziele zu formulieren, die im Training und im Wettkampf erreicht reicht werden können, bewirken teilweise Wunder. Ein vertrauensvolles Verhältnis und eine offene Kommunikation zwischen Spielern und Trainer sind die Voraussetzungen dafür, dass sie ihre Gedanken mitteilen und unbeschwert Leistungen erbringen können. Ein Sportpsychologe kann in diesem Bereich dem Trainer oder dem Trainerteam effektiv helfen. 

Mehr zum Thema:

Vortrag zum Thema:

Literatur 

Baumann, S.: Psychologie im Sport. Aachen 2006.

Sigurd Baumann. Mannschaftspsychologie (Kindle-Position1870). Kindle-Version. Lau, A. (2005a): Die kollektive Leistung in den Sportspielen – eine interdisziplinäre Analyse. Habilitationsschrift. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Lau, A. (2005b): Das Teamentwicklungstraining – ein systemisches Konzept für die Mannschaftssportspiele. Leipziger Sportwissenschaftliche Beiträge, 46(1), 64-82

Lau, A. & Stoll, O. (2007). Gruppenkohäsion im Sport. Psychologie in Österreich, 27 (2), 155-163.

Seelig, H., Göhner, W., Mahler, C. & Fuchs, R. (2006). Selbstkonkordanz und Sportteilnahme: Längsschnittliche Überprüfung zweier konkurrierender Kausalstruktur-Modelle. In B. Halberschmidt & B. Strauss (Hg.), Elf Freunde sollt ihr sein? (S. 126). Hamburg: Czwalina.

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Prof. Dr. René Paasch
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