Cristina Baldasarre und Dr. Hanspeter Gubelmann: Elterncoaching 4.0 – alte Entwicklungsaufgaben und neue Herausforderungen im Trend der sozialen Medien

An Himmelfahrt treffen sich Sportwissenschafter und Sportpsychologinnen traditionell und seit mehr als 50 Jahren zu ihrer Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Sportpsychologie (asp). Die diesjährige Austragung hätte im pitoresken Salzburg stattfinden sollen, Corona zwang den Veranstalter aber in ein Online-Format. Cristina Baldsarre und Hanspeter Gubelmann machten aus dieser Not eine Tugend und hielten fernmündlich via Zoom-Meeting einen interaktiven Workshop zum Thema: Elterncoaching 4.0. Die inhaltlichen Glanzlichter setzten dabei ihre Töchter Valeria und Catia, die sehr offen ihre Sichtweisen zum Umgang mit den sozialen Medien präsentierten.

Zum Thema: Einblick in interaktiven Elterncoaching-Workshop zur asp-Jahrestagung 2020

Eltern haben eine entscheidende Funktion für eine gelingende Entwicklung und Sozialisierung ihrer Kinder im Sport. Sie tragen Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Schützlinge, übernehmen viele Verpflichtungen im sportlichen Umfeld und unterstützen auch dort, wo die gestellten Herausforderungen das Mass des Ertragbaren erreichen. Nach dem Modell von Fredricks und Eccles (2004) sind es insbesondere drei Rollen, die für die Initiierung von sportlicher Aktivität und das Dabeibleiben im Sport entscheidend sind. 

Eltern mit einem persönlichen Bezug zum (Spitzen-)Sport sind sportliche Vorbilder und beeinflussen dadurch Einstellung und Verhalten massgeblich. Sie agieren dabei häufig auch als Interpreten, indem sie aufgrund ihrer sportlichen Erfahrung das Handeln ihrer Kinder entsprechend wahrnehmen, beschreiben und beurteilen. Schliesslich treten Eltern auch in der Rolle eines Unterstützers auf, indem sie die Jugendlichen in ihrem Tun bestärken, fördern und mitunter den (entscheidenden) finanziellen und menschlichen Support bieten. Lautenbach & Lobinger (2014) betonen, dass im sportlichen Alltag die beschriebenen Elternrollen ineinander greifen und nicht getrennt voneinander betrachtet werden können.

Catia (Bild: privat)
Valeria (Bild: privat)

Eltern mit vielen Hüten!

Valeria (14) ist Eiskunstläuferin und die Tochter von Cristina Baldasarre, die im Eiskunslaufsport auch als Trainerin arbeitet und seit vielen Jahren als Sportpsychologin tätig ist. Catia (18) ist begeisterte Leichtathletik-Mehrkämpferin, ihr Vater Hanspeter Gubelmann war selbst Mehrkämpfer, später Leichtathletik-Trainer und engagiert sich heute hauptberuflich als Sportpsychologe. Valeria und Catia trainieren beide leistungsorientiert, fünf bis sieben Mal wöchentlich, und nehmen in ihren Alterskategorien an nationalen Meisterschaften teil. Auf die Frage, ob die sportpsychologische Berufstätigkeit der Elternteile Vor- oder Nachteil ist, antworten die Angesprochenen gleichermassen positiv. Valeria: „Ich sehe darin einen klaren Vorteil, weil ich dadurch mental stark geworden bin. Meine Mutter hat mit gezeigt, dass es wichtig ist, z.B. bei einem Fehler im Programm sofort abzuhaken und mich auf das nächste Element zu konzentrieren.“ Catia ergänzt: „Ich weiss ja, dass mein Vater sehr kompetent ist und ich von ihm profitieren kann. Wenn ich etwas brauche, dann frage ich ihn – häufig komme ich aber auch ohne seine Unterstützung klar“.

Cristina Baldasarre

Sportarten: Kunstturnen, Eiskunstlaufen, Synchronschwimmen, Tanz, Unihockey, Fussball, Eishockey, Judo, Tennis, Bogenschiessen, Springreiten, Schiedsrichter und Trainer, Sporteltern

Kontakt:

+41 79 434 09 57

c.baldasarre@die-sportpsychologen.ch

Mehr Infos: Zur Profilseite, zum Kompetenzzentrum mind2win.ch

Herausforderung soziale Medien

Basierend auf diesem ursprünglichen Rollenverständnis begleiten auch Valerias und Catias Eltern ihre Kinder entlang den gestellten Entwicklungsaufgaben (Autonomieerleben, Kompetenzerleben, soziale Anerkennung, vgl. Deci & Ryan 2000) in einem Umfeld, das zunehmend durch die digitale Welt bestimmt wird. Jugendliche interagieren heute über Social-Media-Dienste und wollen Teil der Online-Communities sein: nach JAMES (2018) haben 94% der CH-Jugendlichen bei mindestens einem sozialen Netzwerk ein Profil, über 90% nutzen diese Netzwerke täglich. Es gelingt ihnen dort leicht, Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen und Zugehörigkeit zum digitalen Freundeskreis zu entwickeln. Die Lust nach schnellen „Erfolgserlebnissen“ (likes) und das Gefühl des Dazugehörens dürften dabei ebenso wesentliche Treiber sein wie die Tatsache, dass sich Jugendliche in der Online-Community meist von Erwachsenen ungestört und unbeobachtet bewegen können. 

Aus Sicht der angewandten Sportpsychologie akzentuieren sich hier neue Herausforderungen im Trend von self-enhancement und sozialen Medien. Im interaktiv angelegten asp-Workshop wurde auch der Frage nachgegangen, inwiefern sich die Sozialen Medien – neben Familie, Schule und den Peers – zunehmend auch im Sport als wichtige „Sozialisationsinstanz“ installiert haben? Auf ihren Umgang mit Social Media angesprochen meint Valeria: „Ich bin auf Instagram und sehr vorsichtig. Wenn ich ein Foto oder Video von mir posten möchte, dann frage ich zuerst nach, ob das ok ist. Mit meiner Mutter haben wir abgemacht, dass ich keine Fotos im Bikini ins Netz stelle. Zu den Likes: ich poste eigentlich mehr für mich und meine Familie. Hauptsächlich sind es Aktionen von mir, die ich ihnen zeigen möchte und worauf ich stolz bin. Wenn ich dann mehr Likes bekomme freut es mich, ist aber nicht der zentrale Punkt.“ Auch Catia ist vor allem auf Instagram präsent und kommuniziert häufig via WhatsApp: „Es bedeutet mir viel, eng mit meinen Schul- und Trainingskolleginnen in Kontakt zu sein. Ich folge einigen SportlerInnen, die mich mit ihren Darstellungen und Leistungen begeistern. Wenn es bei mir gerade nicht so gut läuft, dann ist die Euphorie im Netz manchmal schwer zu ertragen. Mit meinen Eltern führte ich früher ab und zu heftige Diskussionen, heute interessieren sie sich für meine Posts, kritisieren mich aber kaum mehr. Ich bin ja auch schon 18 Jahre alt.“

Dr. Hanspeter Gubelmann

Dr. Hanspeter Gubelmann

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Verlässliche Informationen und Quellen sind wichtig!

Aus der JAMES-Studie (2018) und anderen Forschungsberichten zum Themenkreis „Medien und Gesundheit von Jugendlichen“ lassen sich folgende Tipps für einen gesunden Umgang mit Medien ableiten:

  • In Bewegung bleiben: Mediennutzung kann für die körperliche Gesundheit dann problematisch sein, wenn sie mit Bewegungsmangel einhergeht. Es ist deshalb wichtig, sich ausreichend zu bewegen, besonders wenn man regelmässig Zeit vor Bildschirmen (z.B. beim Gamen, Fernsehen oder beim Arbeiten) verbringt. ∙ 
  • Bildschirmpausen einlegen: Das lange Starren auf Bildschirme ist anstrengend und kann zu Augenbeschwerden und Kopfschmerzen führen. Bildschirmpausen sind deshalb ratsam. Ausserdem können kurze Augenübungen die Entspannung der Augen unterstützen. 
  • Mediennutzung vor dem zu Bett gehen überprüfen: Damit Jugendliche genügend schlafen und sich erholt fühlen, sollte die Mediennutzung abends im Auge behalten werden. Aufwühlende Inhalte in Games, Filmen oder sozialen Netzwerken können das Einschlafen erschweren. Mit einer einstündigen Bildschirmpause vor dem zu Bett gehen kann zudem verhindert werden, dass die Ausschüttung des schlafanstossenden Hormons Melatonin durch Blaulicht-Anteile der Bildschirme verzögert wird. 
  • Über problematische Medienerfahrungen sprechen: Bei der Mediennutzung machen Jugendliche hin und wieder auch negative oder problematische Erfahrungen, welche psychisch belastend sein können und zu Schlafproblemen führen können. Ein Gespräch mit vertrauten Personen (z.B. Eltern) kann dabei äusserst hilfreich sein! 

Und aus der elterlichen Erfahrung…

Zum Abschluss unseres asp-Workshops gaben wir den TeilnehmerInnen noch folgende Leitideen aus Eltern-Perspektive mit auf den Nachhauseweg:

  • Wir Eltern sind Vorbilder im Handling von Social-Media-Zeit: also sollten wir mit gutem Vorbild vorangehen und vor allem nicht mehr von den Kindern erwarten, als wir selber tun.
  • Verbieten hilft nichts, verursacht nur Ärger und Konflikte. Lieber im Sinne der Psychoedukation das Gespräch suchen und gemeinsam sich auf Regeln einigen. Es kommt unseres Erachtens mehr auf den Ausgleich an: Wer daneben viel macht, z.B. sich im Sport engagiert oder anderen Hobbies frönt, der kann als Pause und zum Abschalten auch im Netz herumsurfen. 
  • Der Umgang mit sozialen Medien hat erwiesenermassen Vor- und Nachteile. Wie ich diese als Elternteil bewerte, hat auch viel mit meinen Präferenzen zu tun. Ist das Glas halbleer oder halbvoll? Schaue ich immer zuerst auf die Probleme oder erkenne ich mögliche Chancen? Eine klare Haltung in diesem Zusammenhang scheint uns wichtig!
  • In Forschung und Diskussion zum Thema Mediennutzen standen bis anhin vornehmlich Problemstellungen oder gesundheitlichen Risiken im Mittelpunkt. Angesichts der rasanten, auch technologisch innovativen Weiterentwicklungen sollte unser Blick vermehrt auf den gesunden, vorteilhaften Medienumgang gerichtet sein: Wie gelingt es, Medien gewinnbringend, lernwirksam und positiv im Alltag einzusetzen?

Mehr zum Thema:

Vorträge zum Thema:

Quellen:

Deci, E. & Ryan, R. (2000). Self-Determination Theory and the Facilitation of Intrinsic Motivation, Social Development, and Well-Being. In: American Psychologist 55, p.68–78.

Fredricks, J. A., & Eccles, J. S. (2004). Parental Influences on Youth Involvement in Sports. In M. R. Weiss (Ed.), Developmental sport and exercise psychology: A lifespan perspective. Fitness Information Technology, p. 145–164.

Lauterbach, F. & Lobinger, B. (2014). Eltern im Leistungssport. Zwischen ehrgeizigen Antreibern und unverzichtbaren Karrierebegleitern?! Zeitschrift Impulse, S.6-14.
JAMES: Jugend – Aktivitäten – Medien – Erhebung Schweiz (2018). Web: https://www.zhaw.ch/storage/psychologie/upload/forschung/medienpsychologie/james/2018/Ergebnisbericht_JAMES_2018.pdf

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Dr. Hanspeter Gubelmann
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