Jürgen Walter: Die Bedeutung einer „Brandrede“ – das „Wir“ gewinnt

Im Sport soll eine Brandrede, also ein flammender Appell dazu führen, dass die Athleten sich noch einmal der besonderen Bedeutung des bevorstehenden Sportereignisses bewusst werden. Sie sollen emotional stark bewegt, in ihrem Ehrgefühl angesprochen und gepackt werden, so dass sie im Wettkampf idealerweise ihre bestmögliche Leistung abrufen können.

Zum Thema: Brandreden im Sport richtig einsetzen

Ein anschauliches Beispiel dafür, wie emotional eine Brandrede ist und welche Potenziale diese entfachen kann, wurde am 14. Mai 2017 in der 2. Fußball-Bundesliga deutlich. Für Arminia Bielefeld ging es am vorletzten Spieltag der Saison 2016/2017 um nichts weniger als um den Klassenerhalt.

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Siehe hier (Quelle Welt): https://www.facebook.com/watch/?v=1335980906455072

Der damalige Co-Trainer Carsten Rump nimmt für sich dieses Ereignis als „Herausforderung“ an und hält eine Brandrede in der Kabine. Am Ende gewinnt die Arminia mit einem sensationellen 6:0 gegen den Aufstiegskandidaten Eintracht Bielefeld. Wie viel Anteil die Brandrede an der Leistung tatsächlich hatte, lässt sich natürlich nicht sagen. Unstrittig ist, dass solche emotionalen Spielvorbereitungen im richtigen Moment ausgesprochen wirksam sein können.

Was passiert aus (sport-)psychologischer Sicht? 

Zum einen komme ich hier wieder auf das R-E-T-Modell von Albert Ellis zurück, der erkannt hat, dass nicht das Ereignis das Problem ist, sondern wie man ein (bevorstehendes) Ereignis mental bewertet. Co-Trainer Rump hat für sich nicht den Abstieg als Bedrohung bewertet, sondern den Sieg als erstrebenswertes und erreichbares Ziel. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang auch von „Misserfolgsvermeidern“ und „Erfolgssuchern“.

Ein zweiter wichtiger Faktor, der sich aus dem Mindsetting von Rump folgerichtig ableitet, ist seine authentische Brandrede in der Kabine. Nach dem Motto: „leiser geht’s nicht“ entfacht Rump ein „Feuerwerk“. Mit schreiender Stimme brennt er nahezu, im Mittelpunkt der Mannschaft stehend, jedem Spieler den Sieg in den Kopf ein. Er schlägt mit den Fäusten auf einen Trikotkoffer ein, benutzt Schlagwörter wie „explodieren“, „Feuerwerk abfackeln“ usw. Abschließend „verlangt“ er von seiner Mannschaft das „Versprechen“, dass sie siegen werden. 

Gruppenkohäsion

Mit dieser Rhetorik und Körpersprache ist es Carsten Rump gelungen, das Gemeinschaftsgefühl der Mannschaft, die sogenannte Gruppenkohäsion, wie sich dieses psychologische Phänomen im Fachjargon nennt, zu erzeugen.

Gruppenkohäsion wird dabei definiert als „ein dynamischer Prozess, der sich in der Tendenz widerspiegelt, dass eine Gruppe zusammenhält und zur Verfolgung ihrer aufgabenorientierten Ziele die einzelnen Mitglieder (emotional-affektiv) eint.“ (Carron, Widmeyer & Brawley; 1998). Der wahrgenommene Grad an Geschlossenheit der Mannschaft läuft also positiv einher mit der persönlichen Identifikation und Bindung („Attraction to Group; ATG“). Diese wiederum wurde durch die emotionale Ansprache des Co-Trainers intensiviert.

Primacy-Recency-Effect

Eine weitere, nicht zu vernachlässigende Komponente, welche durch den Co-Trainer integriert worden ist, war das abschließend ihm abzugebende „Versprechen der Spieler“ (im Sinne einer Verpflichtung), dass „wir gewinnen werden“. Man weiß aus der psychologischen Forschung – entgegen der irrtümlich landläufigen Meinung – dass nur der erste Eindruck zähle. Gerade dem letzten Eindruck wird eine hohe Aufmerksamkeit bzw. Erinnerungsleistung zugeschrieben („Primacy-Recency-Effect“).

Eben deswegen fühlen sich die Spieler durch das „Versprechen zu gewinnen“ emotional in der Pflicht, den Trainer nicht zu enttäuschen.  

Jürgen Walter

Dipl.-Psych., Sportpsychologe asp/BDP

Sportarten: Badminton, Basketball, Billard, Boxen, Dressurreiten, Eishockey, Eiskunstlauf, Fechten, Fußball, Golf, Handball, Klettern, Kunstturnen, Leichtathletik, Moderner Fünfkampf, Radfahren, Rollhockey, Schwimmen, Segeln, Springreiten, Tennis, Tischtennis, Volleyball, Zehnkampf

Kontakt:

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Fazit 

Es wird erkennbar, dass der Co-Trainer Carsten Rump alles richtig gemacht hat, um seine Mannschaft trotz oder gerade wegen des essentiellen Abstiegskampfes auf Sieg zu „drillen“. Seine eigene kognitive Umbewertung der Situation ermöglichte es ihm, seine Brandrede mit in dieser Situation angepassten rhetorischen Mitteln authentisch herüberzubringen und eine intensive Gruppenbildung zu erzeugen. Durch den gemeinsamen Einsatz dieser Instrumente ist ihm dieses Teambuilding gelungen, was letztendlich zu diesem, in seiner Höhe unerwarteten Sieg und damit zum Klassenerhalt beigetragen hat. 

Meine Kollegen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Jürgen Walter) helfen ihnen gern bei der Entwicklung einer Brandrede. Auch bei den Überlegungen, wer diese Brandrede dann aktiv vorträgt. Wie im Fall von Arminia Bielefeld dargelegt, muss dies nicht zwingend der Cheftrainer sein. Assistenten, Kapitän, im Einzelfall auch Präsident oder Manager können theoretisch auch in die Rolle schlüpfen, wenn die Rahmenbedingungen passen und die jeweilige Person inhaltlich vorbereitet ist.

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