Dr. René Paasch: Gedankenschnelligkeit im Fussball trainieren (Gedankenschnelligkeit im Fußball, Teil 1)

Leroy Sané oder Kevin De Bruyne gelingt es scheinbar mühelos, in äußerst komplexen Situationen ungewöhnliche, aber auch technisch-taktische Lösungen auf das Spielfeld zu bringen. Erfolgreiche Trainer sprechen bei solchen Ausnahmespielern von „Gedankenschnelligkeit“ oder „Higher Level Exekutivfunktionen (HEF)“. In diesem Blogbeitrag werden wissenschaftlich fundierte Aussagen zum Kognitionstraining im Fußball getroffen. Dabei werden sowohl inhaltliche als auch methodische, diagnostische und praktische Aspekte in verschiedenen Blogbeiträgen aufgearbeitet. 

Zum Thema: Gedankenschnelligkeit im Fussball (Teil 1) 

Der Fußball hat in der Sportwissenschaft und Psychologie generell einen hohen Stellenwert und nimmt auch hier eine Vorreiterrolle ein. Es gibt zu diesem Thema viele Forschungsergebnisse, vor allem in den Bereichen Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Antizipation, aber auch in Bezug auf Kreativität und Spielintelligenz sowie auf das Arbeitsgedächtnis (Memmert, 2019). Dennoch sind viele wissenschaftliche Ergebnisse noch nicht in die Praxis transferiert worden. Nehmen wir nur den Modebegriff “Kognitionen”. Also, was sind Kognitionen oder kognitive Prozesse aus wissenschaftlicher Perspektive genau? In Abgrenzung zu rein physiologischen, neuronalen und präkognitiven Vorgängen charakterisieren Roth und Menzel (2001, S. 559) geistige Leistungen durch sechs kognitive  Prozesse:  

  1. multisensorische und auf Erfahrung beruhende Wahrnehmungsprozesse  
  2. Erkennen individueller Ereignisse und Klassifizieren von Objekten, Personen und Geschehnissen   
  3. bewusste oder unbewusste Prozesse auf der Grundlage interner Repräsentationen  
  4. erfahrungsgesteuerte Veränderung von Wahrnehmung und die daraus resultierenden Verarbeitungsstrategien
  5. Aufmerksamkeit, Erwartungshaltungen und aktives suchen von Reizen   
  6. mentale Arbeit

Etwas vereinfacht zusammengefasst, werden Kognitionen als höhere geistige Funktionen und Prozesse definiert, die notwendig sind, um in bestimmten Situationen gezielt Lösungen zu generieren. Die Bedeutung von kognitiven Fähigkeiten ist im Fussball noch nicht ganz angekommen. Somit befinden wir uns in einer spannenden Phase, sowohl für die Sportpsychologie als auch für die Sportpraxis. Steigen wir nun ein wenig tiefer ein. 

Zum Profil von Dr. René Paasch: https://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

Exekutive Funktionen 

Ein aktuelles Modell für Kognitionen aus der Psychologie (Alvarez & Emory, 2006), beschreibt die Steuerung und Regulierung spezifischer kognitiver Prozesse in Menschen. Diese sogenannten exekutiven Funktionen (EF) regeln zielgerichtetes Verhalten (Friedman et al., 2006), also Prozesse wie die Entscheidungsfindung (d.h. Auswahl zwischen mehreren Alternativen). EF werden weiter unterschieden in „Core EF“ (CEF) und „Higher-Level EF“ (HEF), wobei Erstere durch das Arbeitsgedächtnis, kognitive Flexibilität und inhibitorische Prozesse charakterisiert sind, während HEF Problemlöse- und Argumentationsstrategien sowie Planungsprozesse involvieren (Diamond, 2013).  Mit dem HEFs werden Antizipation, Spielintelligenz und Spielkreativität thematisiert, die sich auch in späteren Schulungsphasen gewinnbringend trainieren lassen (Memmert, 2019). 

In zwei spannenden sportwissenschaftlichen Metaanalysen (Scharfen & Memmert, 2019a) konnten bei Experten kleine bis mittlere Effekte von grundlegenden kognitiven Leistungen nachgewiesen werden, bei Fußballprofis wurden herausragende kognitive Fähigkeiten (Verburgh et al., 2016) festgestellt. Eine Querschnittsstudie von Scharfen und Memmert (2019b) bei hochtalentierten Nachwuchsleistungsfußballern wies auf ein größeres Aufmerksamkeitsfenster für komplexere motorische Fähigkeiten (Dribbeln) hin. Außerdem deutet eine geringere Reduzierung der individuellen Ablenkbarkeit auf eine höhere Geschwindigkeit beim Sprint hin. Diese Befunde müssen in naher Zukunft repliziert werden, insbesondere auch in größeren Stichproben.

Umsetzung in der Praxis 

Wie auch ein systematischer Überblick über kommerzielle kognitive Trainingsprogramme und deren Auswirkungen auf den Einsatz im Sport zeigt (Harris, Wilson & Vine, 2018), sind noch viele Fragen offen und müssen in Folgestudien geklärt werden. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass wir in der Praxis beginnen müssen, kognitive Fähigkeiten zu trainieren. 

Daher hier eine erste Anregung, wie Ihre Schützlinge kognitive Fähigkeiten trainieren können: MS Kognition – das Internet-Projekt zur Stärkung der kognitiven Fähigkeiten können Sie als App herunterladen – ganz ohne Kosten. Sie finden dort wissenschaftlich fundierte Übungen, um Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen zu trainieren. Für weitere Anregungen und konkrete Übungen im Individual- oder Teamtraining: Nehmen Sie gern zu meinen Kollegen und Kolleginnen aus unserem Netzwerk (zur Übersicht) oder zu mir auf (zum Profil von Dr. René Paasch).

Abb.1.: MS-Kognition im App Store (https://www.dmsg.de/ms-kognition/)

Weitere praktische Anregungen num Thema neuronale Konditionierung im Fussball für Sie: 

Fazit 

Es ist schwer einzuschätzen, inwieweit sich die Trainingsprogramme für Kognitionen im Fussball durchsetzen werden. In jedem Fall kann die Dienstleistung Sportpsychologie bei dieser Entwicklung ein wichtiger Baustein sein. Nicht nur aus diesem Grund empfiehlt es sich, an dieser Stelle mutig zu sein und die bisherigen Ergebnisse aus der Bewegungswissenschaft und Sportpsychologie zu elementaren Kognitionen in Ihrem Verein oder Verband (oder bei unserem Barcamp, siehe unten) zu diskutieren und in der Praxis auszuprobieren. Was haben Sie schon zu verlieren? Gewinnen können Sie einen besonderen Mehrwert für Ihre Schützlinge!  

Sie wollen mehr zu Kognitionen wissen? Dann kommen Sie zu unserem Barcamp – jetzt anmelden:


Mehr zum Thema:

Literatur 

Alvarez, J. A. & Emory, E. (2006): Executive function and the frontal lobes: A meta-analytic review. Neuropsychology Review, 16, 17-42. 

Harris, D., Wilson, M. R. & Vine, S. J. (2018). A systematic review of commercial cognitive  training devices: Implications for use in sport. Frontiers in Psychology, 9, 709. 

Friedman, N. P., Miyake, A., Corley, R. P., Young, S. E., DeFries, J. C. & Hewitt, J. K. (2006): Not all executive functions are related to intelligence. Psychological Science, 17, 172-179. 

Scharfen, E. & Memmert, D. (2019a): Measurement of cognitive functions in experts  and elite-athletes: A meta-analytic review. Applied Cognitive Psychology, 1-18. DOI:10.1002/acp.3526

Verburgh, L., Scherder, E. J., Van Lange, P. A. & Oosterlaan, J. (2016): Do elite and amateur  soccer players outperform non-athletes on neurocognitive functioning? A study among 8-12 years old children. PloS One, 11, e:0165741. doi: 10.1371/journal.pone.0165741

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Prof. Dr. René Paasch
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