Dr. Hanspeter Gubelmann: The best a sport psychologist can be…!?

1991 in Köln – vor genau 28 Jahren – besuchte ich als forschender ETH-Assistent erstmals einen europäischen Kongress der Sportpsychologie (FEPSAC). Schon damals trieb mich die Idee an, die besten und bekanntesten Sportpsycholog*innen hautnah zu erleben, auch um von ihnen zu lernen. Im Juli ludt die FEPSAC zu ihrem 50-Jahr-Jubiläum nach Münster ein. Die 900 Teilnehmer*innen gewinnen dabei einen faszinierenden Einblick in die „state-of-the-art“-Forschung und -Anwendung in unserem Fachbereich. Meine Frage aber, was einen hervorragenden angewandten Sportpsychologen insbesondere charakterisiert, bleibt unbeantwortet – damals wie heute!

Zum Thema: Das professionelle Selbstverständnis von Sportpsychologen

In Münster treffe ich einen alten Bekannten und Freund – Andreas Küttel. Der Skisprungweltmeister von 2009 hat im Bereich „career transition“ geforscht und promoviert. Am Kongress präsentiert der Sportwissenschaftler einen Überblick zum Thema „psychische Gesundheit von Spitzensportlern“. Wenn es um Qualität und Kompetenz geht, äussert sich der heute in Dänemark lebende Assistenz-Professor in seinen Forschungsbemühungen ähnlich pointiert wie zur Zeit seiner Karriere als Weltklasseathlet. In der Planung auf sein sportliches Karriereziel folgte er stets seinem Motto: „Wenn ich Skisprungweltmeister werden will, muss ich leben, denken und handeln wie es einem Weltmeister angemessen ist.“ 

In bester Erinnerung in meiner damaligen Funktion als sportpsychologischer Begleiter der Schweizer Skispringer ist mir ferner der Ausspruch des Disziplinenchefs Gary Furrer geblieben. Gary stellte Andreas’ Leitsatz in einen übergreifenden Zusammenhang: „Wenn wir Betreuer von unserer Athleten in ihrem Streben nach Erfolg «Weltklasse-Format» erwarten, müssen wir denselben «Weltklasse-Massstab» auch an uns und unsere Dienstleistungen in der Athleten- und Teambetreuung stellen“. Wie aber definiert sich „Weltklasse“ für einen angewandten Sportpsychologen? Woran soll sich die junge, ambitionierte Sportpsychologin halten, um einen „Weltklasse-Job“ zu verrichten? Die Antworten zu  diesem Thema fielen in Münster leider spärlich aus.

Ethische Grundhaltung ? Werte ? Rollen (-zuschreibung)

Als bedeutend fruchtbarer in dieser Hinsicht erwies sich die diesjährige asp-Tagung 2019 in Halle/Saale, wo u.a. Hans-Dieter Hermann, Sportpsychologe der dt. Fussballnationalmannschaft, zum Thema „Sportpsychologie in der Praxis – Versuch einer Rollendefinition“ referierte. In seinen Ausführungen lehnte er sich an Gedanken an, die er in seinem kürzlich erschienen Aufsatz (Hermann, 2019) detailliert beschreibt. Dabei leitet Hermann aus der Ethik jene Werte ab, die letztlich die Integrität einer Sportpsychologin bzw. eines Sportpsychologen ausmachen. Ethik bestimmt dabei die Wertehierarchie. „Ethik will verdeutlichen, welcher Wert in der Hierarchie der Güterabwägung vor dem andern steht und warum. (…) Werte markieren die Haltung zum beruflichen Handeln und zum Leben generell. Aus der Praxis der Werte entsteht die Haltung (Tugenden) und letztlich ein wichtiger Teil der Persönlichkeit, die Ich-Stärke. Psychologisch Tätige brauchen eine Art „ethische Sonnenbrille“, um sich nicht von (sportspezifischen) Konventionen oder dem Geschrei aus der Branche blenden zu lassen (S.68f).“ Sehr lesenswert auch die inhaltlichen Fassungen seiner fünf Grundwerte, die Hermann folgendermassen bezeichnet: Persönlichkeit, Respekt und Verantwortung, Vertrauen, Professionalität und Demut.

Was Hans-Dieter Hermann mit „Ich-Stärke“ der Sportpsychologin meint, beschreiben Weidig und Liesenfeld (2019) als „professionelles Selbstverständnis“. Diese grundsätzliche (individuelle) sportpsychologische Haltung basiert auf Fachkompetenz (Wissensfundament), Beratungskompetenz in der sportpsychologischen Zusammenarbeit (Prozess- und Beziehungsgestaltung) und der Rollenkompetenz (Rollenprofilierung). In der Praxis der angewandten Sportpsychologie entpuppt sich diese Rollenzuschreibung und –ausgestaltung vermehrt als „(…) eine Herausforderung im Spannungsfeld von Selbstverständnis und angetragenen Erwartungen (S.54).“ Meine „Ich-Stärke“ als Sportpsychologe dürfte massiv beeinträchtigt werden, sobald ich zu viele (mögliche) Rollen (siehe Abbildung, Kasten) unreflektiert und ohne entsprechende „Qualifikation“ annehme! 

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Abbildung: Identifikationsverlust durch Rollendiffusion (in Anlehnung an H.-D. Hermann): 

Reflexion des professionellen Selbstverständnisses

Weidig und Liesenfeld (2019, S.57) präsentieren folgenden Katalog mit Leitfragen für die Reflexion der eigenen Fach-, Beratungs- und Rollenkompetenz:

  • 1) Welche Kompetenzen habe ich?
  • 2) Wo liegen Grenzen meiner Kompetenzen?
  • 3) Muss oder darf ich Kompetenzen zurückhalten?
  • 4) Handelt es sich um Prozessberatung und/oder Expertiseberatung?
  • 5) Findet eine eingehende Auftragsklärung zu Beginn statt?
  • 6) Wird der Auftrag prozessbegleitet reflektiert?
  • 7) Welche Rolle(n) möchte ich einnehmen?
  • 8) Gibt es Rollengemeinsamkeiten oder Rolleninkompatibilitäten?

Mit dem oben dargestellten Fragenkatalog lässt sich ein viertes Schlüsselelement des professionelles Selbstverständnisses ableiten: die Selbstreflexion als Grundlage des eigenen Leitbildes. Benthien und Heiss (2019) definieren in ihrem lesenwerten Artikel zu „Qualitätsoptimierung sportpsychologischer Praxis“ vier Reflexionsräume in Verbindung mit praxisnahen Handlungsanweisungen zur Optimierung des Selbstmanagements. Neben Berufs- und Qualitätsethos fordern die Autoren ein kritisches Hinterfragen von Arbeitsprozessen, eine Würdigung der eigenen Prozesskompetenz sowie die Beurteilung der strukturellen Bedingungen. Besonderes Gewicht legen sie schliesslich auf die Einschätzung der Produkt- und Ergebnisqualität. In der praktischen Umsetzung hat sich der von Brand et al. (2014) entwickelte Leitfaden zur Qualitätssicherung für die sportpsychologische Betreuung im Leistungssport bewährt.

Mehr Infos zu Dr. Hanspeter Gubelmann: https://www.die-sportpsychologen.de/hanspeter-gubelmann/

Beispielhafte Umsetzung „Ten Years in Team Denmark“

Welcher Weg zwischen ethischer Grundhaltung und Selbstmanagement beschritten werden kann, lässt sich im persönlichen Leitfaden von Kristoffer Hendriksen Ten Years in Team Denmark & Ten Valuable Lessons Learned eindrucksvoll nachlesen (siehe Referenzen). Ich empfehle allen Berufskolleginnen und –kollegen wärmstens, diese Art der Selbstreflexion zu „The best a sport psychologist can be“ und in Anlehnung an die oben dargestellten Schlüsselelemente aktiv anzugehen. Es muss ja nicht erst nach zehn Jahren erfolgen!

Epilog:

Als ich 1999 meine Tätigkeit bei den CH-Skispringern begann, erhielt ich von meiner damaligen amerikanischen Mentorin Prof. Evelyn Hall ein kleines Buch geschenkt: „Consultant’s Guide to Excellence“. Geblieben ist mir von den bekannten Autoren Halliwell, Orlick, Ravizza und Rotella (1999, p.82) vor allem dieses Zitat: „Working with athletes provides a tremendous opportunity to grow and continually learn about the fascinating mental side of sport and performance enhancement. At the same time we make a meaningful contribution to the performance and lives of many people. This is a great source of satisfaction – knowing that we have had a positive influence on people’s lives by helping them pursue their dreams and develop mental and emotional skills that become life skills.“ 

Wenn ich dieses Zitat lese, dabei „satisfaction“ spüre und auch etwas schmunzle, wird „career-transition“-Experte Andreas Küttel den Grund dafür auch kennen!

Mehr zum Thema:

https://www.die-sportpsychologen.de/2017/08/09/prof-dr-oliver-stoll-muessen-wir-boeser-werden/

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/08/10/johannes-stuppi-darf-ich-vorstellen-ich-bin-sportpsychologe/

https://www.die-sportpsychologen.de/2019/01/22/johanna-constantini-sportpsychologie-auf-dem-arbeitsmarkt-der-zukunft-inkl-audio/

Referenzen: 

Benthien, O. & Heiss, C. (2019). Qualitätsoptimierung sportpsychologischer Praxis. In: Staufenbiel, K., Liesenfeld, M. & Lobinger, B. (Hrsg). Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport. Göttingen: Hogrefe, 72-88.

Brand, R., Benthien, O., Decker, S., Grote, M., Heinz, K., Hust, D. & Wippich, S. (2014). Leitfaden zur Qualitätssicherung für die sportpsychologische Betreuung im Leistungssport: Beitrag Qualitätssicherung in der Sportpsychologie. Köln: Sportverlag Strauss.  

Halliwell, W., Orlick, T., Ravizza, K. & Rotella, B. (1999). Consultant’s Guide to Excellence. Chelsea, Quebec: Orlick Excel.

Henriksen, K. (2018). Ten Years in Team Denmark & Ten Valuable Lessons Learned
https://www.issponline.org/images/isspdata/latest_news/10_years_in_Team_Denmark___ten_valuable_lessons.pdf

Hermann, H.-D. (2019). Sportpsychologische Ethik: Pflichten – Werte – Grenzen. In: Staufenbiel, K., Liesenfeld, M. & Lobinger, B. (Hrsg). Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport. Göttingen: Hogrefe, 59-71.

Lobinger, B.H. & Stoll, O. (2019). Leistung beschreiben, erklären, vorhersagen und optimieren: Ein sportpsychologischer Beitrag. Zeitschrift für Sportpsychologie, 26 (2), 58-70.

Weidig, T. & Liesenfeld, M. (2019). Professionelles Selbstverständis. In: Staufenbiel, K., Liesenfeld, M. & Lobinger, B. (Hrsg). Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport. Göttingen: Hogrefe, 46-58.

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Dr. Hanspeter Gubelmann
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