Jürgen Walter: „Was erlauben Dortmund!?“

Gerade von Pressevertretern werde ich nach besonderen Fußballpartien oft gefragt, wie jetzt ein Sportpsychologe reagieren würde? Reine Hypothese natürlich, denn eine belastbare Antwort lässt sich kaum liefern, da beim Blick von außen zu viele wichtige Details verborgen bleiben. Und das ist gut so. Beim Betrachten des Champions League-Achtelfinalspiels zwischen Borussia Dortmund kam ich aber auf die Idee, dass es ganz spannend sein könnte, einmal zu notieren, welche Fragen ein Sportpsychologe stellen könnte.

Zum Thema: Sportpsychologische Fragestellungen nach Niederlagen

Wenn in der Fußball Champions League eine englische Spitzenmannschaft zu Hause gegen den Tabellenführer der Bundesliga antritt, ist von einem spannenden Spiel mit einem knappen Ergebnis auszugehen. „Auf Augenhöhe“ war im Achtelfinalhinspiel zwischen Tottenham Hotspur und Borussia Dortmund aber nur die erste Hälfte. Nach 90 Minuten stand es 3:0 für das Team aus London. Dieser klare Sieg für Tottenham lässt sich sicher durch spieltechnische oder taktische Aspekte und natürlich die zahlreichen Ausfälle auf Dortmunder Seite erklären. Aus meiner Sicht greift diese Analyse aber etwas zu kurz, denn natürlich spielen auch sportpsychologische Aspekte eine Rolle.

Zum Profil von Jürgen Walter: https://www.die-sportpsychologen.de/juergen-walter/

So hätte Dortmund bereits in der 1. Halbzeit in Führung gehen können, jedoch wurden Spielzüge nicht konsequent zu Ende gespielt, Pässe kamen nicht an und es fehlte auch der Mut zum Torabschluss. Dennoch war Dortmund in der ersten Halbzeit – für mein Empfinden – das bessere Team. In der zweiten Halbzeit geriet Dortmund nach dem 0:1, mehr oder weniger direkt nach Wiederbeginn, aus der Bahn. Es schien so, als hätten die Spieler fortan Angst, dass 0:2 zu kassieren. Die Spieler wirkten wie gelähmt, sie hatten nicht die mentale Stärke, dagegen zu halten. Folgerichtig fiel am Ende der Partie noch das 0:3.

Fragen aus sportpsychologischer Sicht

Jeder Sportpsychologe und gute Mentaltrainer arbeitet unterschiedlich. Daher lässt sich nichts pauschalisieren. Aber die Fragen, die mir gestern in den Sinn gekommen sind, halte ich dennoch für eine Veröffentlichung relevant, da viele Manager und Funktionsträger in professionellen Fußballvereinen ja immer noch nicht wissen, wie ein Sportpsychologe arbeitet der denkt.  

Aus sportpsychologischer Sicht stellen sich u.a. folgende Fragen:

  • Mit welcher Einstellung gehen die Spieler von Dortmund in die Partie?
  • Mit wie viel Selbstvertrauen gehen die einzelnen Spieler in das Spiel?
  • Überwiegt die Freude auf den Erfolg oder die Sorge vor dem Misserfolg?
  • Wie hat die Mannschaft den Rückstand zum 0:1 verarbeitet?
  • Was ging dem einzelnen Spieler nach dem 0:1 durch den Kopf?
  • Wie hat die Mannschaft den Rückstand zum 0:2 und 0:3 verarbeitet?
  • Was ging dem einzelnen Spieler nach dem 0:2 und 0:3 durch den Kopf?
  • Wie verarbeitet der Spieler eigene Fehler, die zu einem Gegentor geführt haben?
  • Wie gehen die Mitspieler damit um?
  • Wann ging der Glaube an einen positiven Verlauf des Spiels verloren?
  • Wann haben die Spieler den Glauben verloren, ein Tor zu erzielen?
  • Wie schätzen die Spieler ihre mentale Stärke ein?
  • Wie schätzen die Spieler ihre Spielfreude ein?
  • Wie gehen die einzelnen Spieler mit Frustrationen um?
  • Wie verarbeiten die Spieler Fehl-Aktionen?
  • Was sind die wesentlichen Erkenntnisse jedes Einzelnen aus dem Spiel, die im Rückspiel verbessert werden können?

Nun von Spielzug zu Spielzug

Vor dem Rückspiel scheint das Aus von Borussia Dortmund ob des klaren 0:3 auf fremden Platz schon besiegelt. Aus sportpsychologischer Sicht ginge es aber nun vielmehr um den Ansatz, wie wahrscheinlich das Weiterkommen noch ist? Und wenn dies nur bei einer Wahrscheinlichkeit von fünf bis zehn Prozent läge, wäre Dortmund gut beraten, mit Optimismus und Spielfreunde in das Rückspiel zu gehen. Es gilt von Spielzug zu Spielzug zu denken. Die nächste Aktion muss gut werden. Dazu benötigen die Spieler u.a. Spielfreunde, Selbstvertrauen und den Mut, Verantwortung zu übernehmen.

Nebenbei sei bemerkt, dass Borussia Dortmund einer der Bundesligavereine ist, die zumindest nicht offen mit einem Sportpsychologen arbeiten. Unterstützung hatten sich die Schwarz-Gelben zuletzt nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus geholt – auch wenn die Zielrichtung der Zusammenarbeit vorrangig auf die Verarbeitung des Ereignisses ausgerichtet war. Es bleibt also spannend abzuwarten, wie Lucien Favre und sein Trainerteam sowie die zuletzt sehr gelobten Personen in der Führungsetage des Vereins mit der herausfordernden Situation umgehen. In den vergangenen Monaten haben sie viel Geschick bewiesen. In Phasen, in denen es nicht mehr von allein läuft, zeigt sich aus meiner Erfahrung aber immer wieder, wie wichtig sportpsychologisches Handwerkszeug ist. Und dies vermitteln meine Kollegen (zu den Profilen) und ich (Profil von Jürgen Walter) am besten im Trainings- und Wettkampfalltag.

Nächste Hürde Nürnberg?

Schon im nächsten Bundesligaspiel gegen den Tabellenletzten Nürnberg, wird Dortmund beweisen müssen, dass es spielstark ist und die mentale Stärke besitzt, das Negativerlebnis Tottenham abzulegen. Das Spiel muss gewonnen werden, denn jedes andere Ergebnis wäre ein weiterer gravierender Rückschlag für das Team. Sportpsychologische Aspekte würden helfen, dass die Mannschaft die Saison erfolgreich zu Ende zu spielt.

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Jürgen Walter
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