Prof. Dr. Oliver Stoll: Laufen macht Freu(n)de

Das ist eigentlich eine Frage, über die man heute kaum mehr nachdenken muss, und demnach sofort mit einem deutlichen „Ja“ zu beantworten ist. Das war allerdings nicht immer so, denn das ausdauernde Laufen verbreitete sich weltweit über die „Jogging-Bewegung“, die Anfang der 1970er Jahre in den USA ihren Ausgang nahm (siehe hierzu auch den Dokumentarfilm „I want to run“).  Als „Jogger“ erntete man damals nur unverständliches Kopfschütteln und Wissenschaftler, Ärzte und Psychologen machten sich ernsthafte Sorgen um dieses Phänomen. Was treibt Menschen dazu, spärlich bekleidet, stundenlang durch den Central Park in New-York-City zu rennen? Was? Frauen wollen Marathon laufen? Das geht doch gar nicht! Und die ersten wissenschaftlichen Studien beschäftigen sich mit der Frage, warum man ein solches Verhalten überhaupt in Betracht zieht? Sind es körpereigene Opiate, die den Läufer zum „Flash ohne Heroin“ verhelfen? Oder sind das alles „abnormale Persönlichkeitsausprägungen“, die dieses Verhalten induzieren (ganz nach dem Motto: „das sind alles durchgeknallte, total introvertierte Typen, die sich stundenlang in den Wald verziehen müssen, um herum zu rennen“). Nun, seit den 1980er Jahren begann dann zu diesen Fragen eine große Forschungswelle, deren Ergebnisse, sich zusammenfassend leicht nachlesen lassen (etwa bei Crandall, 1986; oder bei Stoll, Ziemainz & Schmidt, 2000).

Zum Thema: Freundschaften im Langstreckenlauf – Gibt es so etwas überhaupt?

Langstreckenlaufen ist in erster Linie eine Individualsportart. Betrachtet man diese leistungssportlich, so geht es darum, eine vorgegebene, „lange“ Strecke in möglichst kurzer Zeit zurück zu legen. Diese Anforderung klingt nach allem anderem, als nach „sozialem Miteinander“.  Aber genau diesem Fehlschluss sind die Sportpsychologen der frühen 1970er Jahre auch aufgesessen. Denn: Langstreckenlaufen ist zeitintensiv. Und genau hier kommen die sozialen Kontakte ins Spiel. Viele Läuferinnen und Läufern laufen höchstens im Wettkampf „allein“. Das Training findet beim „Lauftreff“ statt, bei dem Gespräche und Interaktion ein wichtiger Anreiz sind, um zu diesem Lauftreff zu gehen. In den späten 1980er Jahren wurde das Langstreckenlaufen als ein Werkzeug“ der Psychotherapie erkannt (siehe hierzu auch (Sachs & Buffone, 1984 oder Stoll & Ziemainz, 2012). Zentraler Gedanke ist – neben den ansonsten positiv wirkenden Mechanismen des Laufens  – die Idee, dass man so „leichter mit den Patienten ins Gespräch kommen kann“.

Mittlerweile haben sich eine Reihe verschiedener Wettkampf-Formate etabliert, bei dem der Gedanke des „Stresspuffer-Effektes“ durch soziale Unterstützung ein wesentlicher Bestandteil des Erlebnisses ist (so zum Beispiel der Transalpine-Run, der als Paar durchgeführt werden muss oder aber die Team-Marathonläufe, bei denen man als Dreier-Team starten muss und auch die Ziellinie gemeinsam überqueren muss, um gewertet zu werden). Langstreckenlaufen – und vor allen Dingen die neuen Formate des Laufens, wie z.B. das Trail-Running, fernab der großen City-Marathons ermöglichen unglaublich intensive, emotionale Erfahrungen, die umso glücklicher machen, je mehr man diese mit einem „Gleichgesinnten“ teilen kann.  

Dr. René Paasch: Freundschaften im Leistungssport Fußball

Das Konfliktpotential

Selbstverständlich bergen die o.g. Wettkampf-Formate auch reichlich „Konfliktpotential“ – dann allerdings nur, wenn man sich als Paar oder Team nicht gut genug kennt oder eben nicht in der Lage ist, „die Perspektive des anderen zu übernehmen“.  Blicke ich jedoch auf meine eigene läuferische Karriere zurück, so sind die Freundschaften, die sich hier ergeben haben, immer noch die stabilsten und langfristigsten. Selbst wenn man sich, z.B. aufgrund eines Umzugs, erst nach Jahren wiedertrifft, so sind das Lachen und die Freude über diese Wiedersehen sowie die Erinnerungen an das gemeinsam Erlebte wieder so präsent, so dass man den Eindruck hat,  dass keine Jahre der „Trennung“ dazwischen liegen würden. Mein kurzes wissenschaftliches Fazit also lautet: Es gibt bezogen auf die Frage, ob Laufen einsam macht,  mehr Mythen als Fakten. Ich persönlich behaupte: Laufen macht Freu(n)de!.

 

Zurück zum Schwerpunkt:

Freundschaft im Profi-Sport

 

Literatur

Crandall, R. C. (1986). Running – the consequences. Jefferson, NC. McFarland.

Sachs, M.L. &  Buffone, G.W. (1984). Running as therapy.Lincoln: University of Nebraska Press.

Stoll, O. & Ziemainz, H. (2012). Laufen – psychotherapeutisch nutzen.  Berlin: Springer.

Stoll, O., Ziemainz, H. & Schmidt, U. (2000). Psychologie in Ausdauersportarten. Butzbach: Afra Sportbuch.

Views: 591

Prof. Dr. Oliver Stoll
Prof. Dr. Oliver Stollhttp://www.die-sportpsychologen.de/oliver-stoll/

Sportarten: Eishockey, Handball, Ultralang- und Langstreckenlauf, Triathlon, Biathlon, Wasserspringen, Boxen, Leichtathletik, Schwimmen, Floorball uvm.

Leipzig, Deutschland

+49 (0)173 4649267

E-Mail-Anfrage an o.stoll@die-sportpsychologen.de

3 Kommentare

  1. Hallo Prof. Dr. Oliver Stoll, 🙂

    ich bin durch den Running-Podcast auf dieses Blog aufmerksam geworden. Abgesehen davon, dass ich die RP-Episode und deine Geschichte sehr, sehr spannend finde. Es würde mich sehr freuen mehr von dir im Podcast zu hören. In den letzten Tagen fesselt mich das Thema “Laufen und Gesundheit” zunehmend. Da werde ich wohl hier bestimmt einiges finden. 🙂

    Ach übrigens: Ist vielleicht im einleitenden Text der Film “Free To Run” gemeint?

    viele Grüße aus Geseke
    Sascha

  2. Hallo Sascha, Danke für die Blumen 🙂 und dass Dir der Podcast gefallen hat. Ja, Thomas Müller hat schon angedeudet, dass er mich noch einmal im Podcast haben möchte. Und ja, “Free to run” ist gemeint, nicht “I want ro run”. Sorry – mein Fehler.

Kommentarfunktion ist geschlossen.