Dr. Julia Boie: Konzentration im Voltigiersport

Voltigiersportler*innen erbringen komplexe Fähigkeiten, die viel Feinkoordination erfordern. Für diese Anforderungen ist ein hohes Maß an Konzentration notwendig. Zudem muss die Konzentration beim Voltigieren wegen der relativ kurzen aber teilweise wiederholten Darbietungsdauer von den Sportler*innen auf den Punkt dosiert werden können. Mangelnde Konzentration dagegen kann schnell zu Fehlern führen.

Zum Thema:  Aufmerksamkeitslenkung und Konzentration anwenden lernen

Es gibt vieles, das im Wettkampf ablenken kann: Laute Geräusche, Zuschauer, ein unruhiges Pferd, aber auch eigene Gedanken und natürlich Fehler – eigene oder die von Teamkamerad*innen. Je besser ich es schaffe, im Hier und Jetzt zu bleiben, Störendes auszublenden und mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren, desto eher kann ich meine Trainingsleistung auch im Wettkampf abrufen. Denn wie in anderen Sportarten auch, ist für eine optimale Leistung im Voltigiersport die Fähigkeit zur Aufmerksamkeitslenkung und Konzentration essentiell. 

Diese Fähigkeiten sind gerade in einem Sport von Bedeutung, bei dem sich, wie im Voltigiersport, geringfügige Fehler direkt und deutlich sichtbar auswirken. Eine Standunsicherheit während der Choreographie kann einen Absprung vom Pferd nötig machen, der die Darbietung unterbricht, wodurch wiederum ein Zeitverlust entsteht und nicht alle Kürteile gewertet werden können. Je nachdem kann der Absprung als Sturz gewertet werden, was zusätzlichen Punktabzug zur Folge hat. Aber auch auftretende Unsicherheiten bzw. Fehler, die keine so gravierenden Auswirkungen haben, müssen schnell aus dem Kopf heraus, um sich nicht negativ auf die weitere Präsentation auszuwirken. Wenn wir nämlich in Gedanken an unserem Patzer hängen bleiben, sind wir nicht voll auf das konzentriert, was wir momentan turnen und die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt.

Drei Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit

Für eine optimale Konzentration müssen die Athlet*innen ihre Aufmerksamkeit in jedem Moment auf den relevanten Reiz fokussieren. Sei es, dass der*die Sportler*in in sich hineinspürt (innerer Fokus), um die korrekte Position zu halten. Sei es, dass die Aufmerksamkeit auf die Bewegung des Pferdes gerichtet ist (äußerer Fokus), um das nächste Choreographie-Element daran anzupassen. Oder sei es, dass der Fokus auf den*die Teamkamerad*in gerichtet ist (äußerer Fokus), um ihn*sie zum perfekten Zeitpunkt bei einer schwierigen Figur zu unterstützen.

Zudem müssen die Athlet*innen in der Lage sein, ihre Aufmerksamkeit von einem relevanten Stimulus zum nächsten zu lenken. Sowohl im Technikprogramm wie auch in der Kür sind präzise Wechsel der Aufmerksamkeit nötig. Die Aufmerksamkeit wechselt dabei nicht nur zwischen einem inneren oder einem äußeren Fokus, sondern auch zwischen einem engen oder einem weiten Fokus, bei dem entweder wenige oder viele Reize beachtet werden. Die Lenkung der Aufmerksamkeit kann und sollte trainiert werden. Auch der Wechsel zwischen Darbietungs- und Pausenzeiten gehört dazu. Es ist sinnvoll, dass die Sportler*innen nach der Darbietung herunterfahren und sich entspannen können. Sie sollten aber auch wissen, wie sie sich rechtzeitig vor der nächsten Runde so einstellen, dass sie wieder hoch konzentriert sind.

Schließlich ist es von Bedeutung, dass die Athlet*innen ihre Aufmerksamkeit über den geforderten Zeitraum aufrechterhalten können, so dass sie vom Einlaufen in den Turnierzirkel über das Turnen der Choreographie bis zum Auslaufen auf einem hohen Level konzentriert bleiben können.

Steigerung der Konzentrationsfähigkeit

Um im Wettkampf auf einem gleich hohen Level konzentriert sein zu können, muss ich diese Konzentration zunächst einmal im Training aufbringen können. Der erste Schritt besteht also darin, jedes Training so konzentriert wie möglich zu absolvieren – das übt für den Wettkampf. Anfangs werden die Phasen, in denen die Athlet*innen es schaffen, ihre Konzentration aufrecht zu erhalten, erfahrungsgemäß nicht sehr lang sein. Auch diese Fähigkeit will trainiert werden, wie körperliche Fähigkeiten auch. Positiv ist, wenn die Sportler*innen anfangen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wenn ihre Aufmerksamkeit abfällt. Ein Anzeichen, das auf nachlassende Konzentration hinweist, ist bspw. unruhiges Blickverhalten. Solange die Sportler*innen dies bei sich noch nicht wahrnehmen, kann ich als Trainer*in darauf achten und es rückmelden, so dass ein Gefühl dafür entstehen kann. Sobald unruhiges Blickverhalten wahrgenommen wird, können die Athlet*innen gegensteuern, indem sie sich fragen „Was ist jetzt wichtig? Worauf sollte ich schauen?“ und sich neu darauf fokussieren.

Oft ist es zusätzlich auch hilfreich, dass die Sportler*innen sich ein Signalwort auswählen, das sie in solchen Momenten innerlich zu sich sagen, um sich wieder zu konzentrieren. Je öfter dieser Ablauf trainiert wird (den Abfall der Konzentration bemerken – das Signalwort zu sich sagen – sich neu fokussieren), desto leichter gelingt er später auch im Wettkampf.

Auch die Lenkung der Konzentration sollte im Training geübt werden. Die Athlet*innen sollten sich ganz genau im Klaren sein, wann sie ihre Aufmerksamkeit auf welche Reize richten sollten. Das kann ich als Trainer*in ganz detailliert mit den Sportler*innen durchgehen und bewusst immer wieder durchspielen lassen. Diese Art inneres Drehbuch bündelt die Aufmerksamkeit, so dass nicht viel Platz für ablenkende Gedanken oder Ähnliches bleibt.

Tipps und Tricks sowie Hinweis und Feedback

Sobald die Athlet*innen ihre konzentrativen Fähigkeiten im Training gut beherrschen, ist auch die Simulation von Wettkämpfen sehr hilfreich, um die geübten Strategien zur Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit zu testen und den „Konzentrationsmuskel“ weiter zu trainieren. Die Wettkampfsimulation sollte dabei so real wie möglich sein.

Es gibt sehr viele Möglichkeiten, die Konzentration für spezifische Aufgaben oder Situationen zu verbessern und ein entsprechend individuell gestaltetes Programm strukturiert in den Trainingsalltag einzubauen. Meine Kollegen*innen von Die Sportpsychologen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Dr. Julia Boie) sind gerne für Sie da, falls Sie Beratung wünschen.

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