Dr. René Paasch: Routinen, Hokuspokus und Irrationalität im Fußball

Der Fußball ist nicht frei von abergläubischen Mythen. Den Rasen mit dem rechten Fuß zuerst zu betreten, sich vor dem Anpfiff zu bekreuzigen, die Trophäe nicht zu berühren, bevor man in einem Finale auf den Platz läuft. All dies sind Dinge, die uns ganz natürlich vorkommen, auch wenn sie nichts anderem als dem Aberglauben entspringen und das Glück erzwingen sollen. Spannend ist aktuell, wie sich die Verhaltensregeln der Task Force der DFL auf weit verbreitete Team- und Einzelroutinen auswirken. Wie wir wissen, ist es aufgrund der Coronakrise sowohl den Spielern, als auch dem Trainer und dem Funktionsteam untersagt, gegen die Hygienevorschriften und Vorsichtsmaßnahmen zu verstoßen. Angefangen bei Begrüßungen bis hin zum Torjubel. Im Einzelfall besteht da aktuell Handlungsbedarf. Denn derlei Kleinigkeiten helfen, in kritischen Situationen die sportlichen Fertigkeiten konstant abrufen und die Leistung stabilisieren zu können. In diesem Blogbeitrag befasse ich mich mit den Routinen und abergläubischen Verhaltensweisen im Fußball. 

Zum Thema: Wie beeinflussen irrationale Denk- und Verhaltensweisen und Routinen die Selbstkontrolle im Fußball? 

Wenn ein Vater zu seinem Sohn sagt: „Wenn du heute ohne Widerrede zu Bett gehst, wirst du morgen ein gutes Spiel absolvieren!”, ist es schon passiert. In diesem Moment stellt er einen Zusammenhang zwischen einem konkreten Sachverhalt und einem Phänomen her, der rational nicht zu begründen ist. Für den Vater bedeutet der Rückgriff auf sein anstehendes Spiel eine irrationale Erziehungshilfe. 

Ähnliche irrationale Hilfen gibt es in vielfältigen Variationen im Fußball. „Ich kann nur mit der Nr. 10 spielen!”, „Ohne meine Eltern, Familienmitglied oder Spielberater brauche ich erst gar nicht antreten!”. Die genannten Beispiele suggerieren, dass man höhere Mächte bräuchte, um erfolgreich zu sein. Stellt sich der Erfolg ein, wird man in seinem Glauben bestärkt, bleibt er aus, muss das irrationale Verhalten für eine andere Vorgehensweise weichen. Abergläubische Fußballer schreiben bestimmten Dingen eine erwünschte Funktion zu, z.B. um Erfolg zu haben, Misserfolg zu vermeiden oder Bedrohungen zu bewältigen. 

Hokuspokus oder magisches Denken

Eine weiteres Verhaltensmuster ist das magische Denken, welches sich mehr auf die aktive Veränderung der Umwelt ausrichtet. Durch spezielle Handlungen soll auf mysteriöse Weise das Ziel erreicht werden. Man nimmt beispielsweise ein bestimmtes Kleidungsstück mit in die Kabine, um ein gutes Spiel zu absolvieren. Trägt eine spezifische Farbe unter dem Trikot, berührt bestimmte Gegenstände, bekreuzigt sich vor dem Spiel u.v.m. Doch was steckt dahinter? 

Damit sollen Ängste verringert, Unsicherheiten ausgeräumt, vor Bedrohungen bewahrt oder für gewünschte Erfolge und Ziele gesorgt werden. Nicht immer kann die Grenze zu unbewussten Inhalten, die auf tatsächlichen Erlebnissen beruhen, klar definiert werden. Dennoch zählen sie als Verstärker für eine verbesserte Selbstkontrolle, was bspw. positive Auswirkungen auf die Konzentration, der Vermittlung innerer Sicherheit und der Erhöhung von Motivation und Selbstvertrauen haben kann. Näheres zum Thema Motivation und Selbstvertrauen:

Dr. René Paasch

Sportarten: Fußball, Segeln, Schwimmen, Handball, Hockey, Eishockey, Tennis

Kontakt

+49 (0)177 465 84 19

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Zum Profil: https://www.die-sportpsychologen.de/rene-paasch/

Hinweis an Trainer

Sie sollten solche Verhaltensmuster von Spielern durchaus ernst nehmen, selbst wenn sie persönlich wenig von solchen Praktiken überzeugt sind. Denn es besteht die Gefahr, dass ein lockerer Spruch zu viel oder ein Verbot einen unnötigen Kollateralschaden, z.B. hinsichtlich des Spieler-Trainer-Verhältnisses, anrichtet. 

Für viele Fußballer bedeuten irrationale Praktiken eine beträchtliche Hilfe zur inneren Stabilisierung und Haltung. Im Laufe der Zeit sollte dem Glücksbringer zugeschriebene positive Kraft aber auf die eigenen Fähigkeiten übergehen. Und daraus sollten dann Routinen entstehen. An diesem Punkt lohnt es als Trainer, gezielt und gern mit sportpsychologischer Unterstützung anzusetzen. Näheres zum Thema Glücksbringer und Rituale:

Routinen

Eine Routine ist eine Handlungskette, die ein Fußballer zum Beispiel bei der Vorbereitung eines Freistoßes vollzieht oder eine Mannschaft, die sich vor dem Spiel im Kreis auf den Wettkampf einstimmen. Der gewohnte Bewegungsablauf hilft jedem Einzelnen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sich in einen Zustand zu bringen, um voll leistungsfähig zu sein. 

Der grundlegende Wert von Routinen besteht darin, dass sie eine vollständige Vorbereitung gewährleisten. Sie ermöglichen es Fußballern, körperlich, technisch, taktisch und mental bereit zu sein, ihr Bestes zu geben. Ich kenne keinen Leistungssportler oder Teams im Fußball, die keine sicheren Handlungsketten in einem Teil ihrer Wettkampfvorbereitungen verwenden. Dazu ein passendes Beispiel aus der Praxis: 

Praxisbeispiel Halbzeitpause

Bevor der Trainer seine Anregungen und Marschroute für den weiteren Spielabschnitt seiner Mannschaft mitteilt, ist es notwendig, sich zuvor von der erlebten Beanspruchung gedanklich und körperlich zu lösen. Schliermann und Hülß (2008) vergleichen bei ihrer Vorstellung des optimierten Pausenverhaltens des Trainers die Halbzeit mit einer Schleuse. Die Gestaltung des Übergangsbereichs spielt also eine maßgebliche Rolle, wie die Mannschaft in die zweite Halbzeit einsteigt. 

Je nach Spieler muss zuerst einmal die entstandenen Emotionen oder Gegebenheiten des Spiels herausgelassen werden – „Distanzierungsphase“. Unmittelbar im Anschluss sollte dann auf Ruhe und Entspannung umgeschaltet werden. Dadurch initiiert man stückweise die systematische Erholung. In dieser Phase nimmt der Trainer eine sehr sensible Funktion ein. In der dritten Phase steht dann die gedankliche und körperliche Aktivierung im Vordergrund. Ziel ist es hier, die Spieler wieder auf die kommenden Anforderungen des Wettkampfes einzustimmen. Der Aktivierungsprozess sollte zum einen verbal durch den Trainer und das Funktionsteam, zum anderen auch durch körperliche Mobilisation durch die Spieler beschleunigt werden. Diese praktische Anregung für feste Routinen in der Kabine geht auf das LEA-Prinzip von Lau & Schliermann (2012) zurück. Weitere Anregungen für effiziente mentale Methoden, wie sich Spieler in einen situationsgerechten Zustand versetzen, finden Sie hier:

Des Weiteren sollten folgende Punkte in Bezug auf die Entwicklung einer Teamroutine in der Halbzeitpause berücksichtigt werden: Die Gedanken und Verhaltensweisen müssen kurz, prägnant, positiv und aufgabenspezifisch sein. 

Fazit

Routinen und irrationale Denk- und Verhaltensweisen im Fußball sollten auch in Zukunft einen wichtigen Schwerpunkt in der sportpsychologischen Praxis darstellen, denn der gezielte und systematische Einsatz von Routinen ist eine wesentliche Leistungsreserve für den sportlichen Erfolg. Das regelmäßige Training von Routinen kann dabei entscheidend dazu beitragen, die Leistung von Fußballern zu fördern. Deshalb ist es nicht nur für Spieler, sondern auch für Trainer wichtig, ein tieferes Verständnis über die verschiedenen Arten von Routinen im Fußball und die unterschiedlichen Möglichkeiten für deren Einsatz in Training und Wettkampf zu erhalten. Meine Kollegen (zur Übersicht) und ich (zum Profil von Dr. René Paasch) helfen gern, individuell auf Ihr Team oder Ihre Einzelspieler zugeschnittene Routinen zu entwickeln.

Mehr zum Thema:

Literatur 

Guillot, A. & Collet C.Duration of Mentally Simulated Movement: A Review (2005) Journal of Motor Behavior, Vol. 37, No. 1, 10-20

Schliermann, R., Hülß, H. (2016): Mentaltraining im Sport. Hamburg Czwalina-Verlag im Feldhaus-Verlag

Lau, A./Schliermann, R. (2012). Mentaltraining im Basketball und Rollstuhlbasketball. Ein Handbuch für Trainer und Spieler. Hamburg: Feldhaus Verlag.

Weigelt, M., & Steggemann, Y. (2014): Training von Routinen im Sport. Kognitives Training im Sport, 8, 91. 

Wann, D. L. (2012): The Head and Shoulders Psychology of Success Project: An examination of perceptions of Olympic athletes. North American Journal of Psychology, 14, 123 – 138.

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