Dr. René Paasch: Mentale Frische im Fußball

Viel Positives konnte Niko Kovac Trainer von Eintracht Frankfurt dem äußerst schmeichelhaften 1:0 über Arminia Bielefeld im DFB-Pokal Viertelfinale nicht abgewinnen. Abgesehen von 15 guten Anfangsminuten präsentierte sich die Eintracht so, wie in den drei Spielen zuvor: ängstlich, mit teils haarsträubenden Fehlern im Defensivverhalten und vorne ohne Power und Durchschlagskraft (Kicker 3.3.2017). In diesem Zusammenhang spricht Kovac von fehlender mentaler Frische. Doch was ist eigentlich mentale Fitness im Leistungssport Fußball? Ich nehme diesen Ball auf und erkläre anhand von praktischen Tipps, wie Sie als Trainer Ihre Schützlinge mental fit machen können. 

Zum Thema: Mit mentalem Training zu mehr mentaler Frische im Fußball!  

Als Fußballer bzw. Fußballerin mental fit zu sein, drückt sich für mich wie folgt aus: Wach und konzentriert sein, positiv denken, kreativ, selbstmotivierend, kommunikationsstark, Entscheidungen treffen, entspannt und selbstbewusst, sich Anforderungen stellen. Mentale Fitness im Leistungssport ist somit eine kontinuierliche Pflege des Arbeitsspeichers. Es gibt also gute Gründe für die Steigerung der „Mentalen Fitness“, denn die geistigen Anforderungen in der Arbeitswelt und im Leistungssport steigen stetig an. Bspw. verdoppelt sich alle fünf bis sieben Jahre das weltweit verfügbare Wissen und 80% der heute angewandten Technologien werden in zehn Jahren durch neue ersetzt sein. Wir müssen daher auf Unvorhergesehenes reagieren (Fraunhofer Institut, 2009). Somit sind Umstrukturierungen an der Tagesordnung. Wie belastend wir bestimmte Situationen empfinden, hängt nicht nur von objektiven Kriterien ab, sondern auch wie wir auf solche Situationen mental vorbereitet sind. Es macht daher Sinn, die mentale Fitness genauso zu trainieren, wie die sportmotorischen Fähigkeiten. Denn wer mental fit ist und in anspruchsvollen Situationen schnell Lösungsstrategien entwickeln kann, ist weniger anfällig für geistige Ermüdung.

Mit dem nun folgenden Programm sollen Sie mentales Training durchführen, sodass in Stresssituationen die eigenen spielerischen Möglichkeiten abgerufen werden können. Dem Spieler bzw. Spielerin soll es möglich sein, das Spiel der gegnerischen Mannschaft und der Einzelakteure analytisch zu „lesen“, die Aufmerksamkeit auf den Ball zu richten, um die Absichten des Gegners möglichst früh zu antizipieren. Dazu muss die genetisch vorprogrammierten angstauslösenden Reaktionen des Körpers außer Kraft gesetzt werden. Das Großhirn muss die Kontrolle über Gefühle wie Angst und Ärger gewinnen. Mentales Training kann dabei behilflich sein, die Selbstregulation zu stärken. Das nun folgende Programm soll Ihnen dabei Unterstützung bieten:

Ø  Gedankenstopp mit individueller Wortwahl

Ø  Achtsamkeitstraining

Ø  Handlungs- und Unterbrechungsstrategie

Ø  Gedankliche Vorstellung von Bewegungsabläufen

Ø  Aufbau von Selbstvertrauen durch Erinnerung an eigene Erfahrungen, stellvertretende Erfahrungen, sprachliche Überzeugung und Imaginative Erfahrungen

Ø  Emotionale und kognitive Vorbereitung auf die nächsten Spiele

Gedankenstopp mit individueller Wortwahl

Ein „Gedankenstopp“ ist ein speziell ausgewähltes Wort, das die Spieler/innen innerlich zu sich sagen, um die Kontrolle über das eigene Handeln wieder herzustellen. Es handelt sich also um eine Form der Handlungssteuerung durch „innere Instruktionen“. Sieh dazu folgende Texte:

Prof. Dr. Oliver Stoll: Gute Selbstgespräche

Dr. René Paasch: Selbstgespräche machen Beine

Jeder Fußballer bzw. Fußballerin ist einzigartig. Deshalb braucht jeder einen Gedankenstopp mit einem ausgewählten Wort, welches ganz speziell auf sie oder ihn abgestimmt ist. Das individuelle Wort muss folglich eine Analyse der persönlichen und emotionalen Individualitäten vorausgehen. Dies geschieht im Gespräch mit dem Trainer bzw. Sportpsychologen. Hier einige praktische Anregungen für den Fußball:

Das bemerke ich an mir (körperlich/emotional) Gedankenstopp (Wortwahl)
Ich bin nervös

 

ruhig
Ich ärgere mich über mich selbst

 

ruhig
Meine Bewegungen sind hektisch

 

ruhig und langsam
Ich habe Bauchschmerzen Ruhig atmen, du schaffst das
Ich spiele viel zu vorsichtig

 

Mutig spielen
Ich will keine Fehler machen

 

Aktiv spielen (Hier und Jetzt)

Tab 1. Gedankenstopp mit ausgewählten Worten (Paasch, 2017)

Achtsamkeitstraining

Damit die Spieler/innen auf sich selbst hören, d.h. dem Gedankenstopp mit Wortwahl gehorchen, müssen die starken Gefühle reduziert werden. Dies kann durch Achtsamkeitstraining geschehen. Achtsamkeit wird definiert als ein nicht bewertender Fokus der eigenen Aufmerksamkeit auf die augenblickliche Erfahrung. Das Ziel dabei ist ein Verweilen im Hier und Jetzt ohne die empfundenen Gefühle, Gedanken oder Wahrnehmungen zu bewerten. Die klassischen sportpsychologischen Techniken (z.B. Selbstgesprächsintervention) basieren auf der Annahme, dass die Fähigkeit zur Kontrolle der eigenen Zustände Voraussetzung für die optimale Leistung ist. Achtsamkeitsbasierte Techniken haben viele Parallelen zu den etablierten sportpsychologischen Methoden. Näheres gerne über den Link:

Dr. René Paasch: Der Trend zur Achtsamkeit

Handlungs- und Unterbrechungsstrategie 

Die dritte Anregung wird als „Handlungs – und Unterbrechungsstrategie“ bezeichnet. Wenn die Nervosität vor und während des Spiels steigt (zittert die Hand, ängstliche Gedanken), dann ist es wichtig, diese ungünstige Entwicklung gezielt zu unterbrechen. Ziel ist es, das schwierige Handeln zu unterbrechen und ganz neu anzusetzen. So, als würde das Spiel gerade erst beginnen. Dabei helfen die ersten beiden Elemente. Man spricht während der gedanklichen Pause innerlich den speziellen Gedankenstopp mit individueller Wortwahl ganz gezielt mit tiefer Ein- und Ausatmung. Sie werden sehen, dass sich die Herztätigkeit beruhigt und eine klare Sicht entstehen kann.

Gedankliche Vorstellung von Bewegungsabläufen

Einige Forderungen im Fußball sind schwierig auszuführen, wie die sehr schnellen Beinbewegungen und Reaktionszeiten. Der Ball muss zu jederzeit schnell verarbeitet und entsprechend  passgenau unter Gegnerdruck weitergeleitet werden können. Entsprechend hoch ist der Trainingsaufwand. Im Wettkampf leidet die Bewegungsausführung umso mehr, je stärker die Emotionen eine Rolle spielen. In vielen Fällen wird die Bewegung nicht mehr vollständig ausgeführt. Es passiert auch, dass in kritischen Situationen plötzlich „falsche“ Bewegungen zum Vorschein kommen. Deshalb ist es wichtig, ein präzises inneres Bild der Ausführung eines bestimmten Passes zu besitzen. Das mentale Training besteht darin, für ein oder zwei besonders erfolgreiche taktische oder technische Ausrichtungen gedankliche Vorstellungen zu erzeugen. „Gelernt“ werden diese gedanklichen Vorstellungen, indem man die Augen schließt, in einer besonders langsamen „Zeitlupe“ den Ball auf sich zukommen lässt und danach Sekundenbruchteil für Sekundenbruchteil die eigene Bewegung wie in einer Superzeitlupe rein gedanklich ausführt.

Untersuchungen mit dieser Form des mentalen Trainings zeigen, dass die gedanklichen Vorstellungen ganz automatisch Verbindung mit den an der Bewegung beteiligten Muskeln aufnehmen. So kann man in der Vorbereitungsphase die eigene Bewegungssteuerung durch gedankliche Vorstellung der Bewegungsabläufe optimieren. Man kann auch während der Pause, die Augen schließen und in Zeitlupe die taktischen Vorgaben oder technischen Fertigkeiten gedanklich ausführen. Dies bewirkt nachweislich, dass die Bewegungen weniger verkürzt werden und dass weniger „falsche“ Bewegungen vorkommen. Ich lege bspw. das Gewicht bei meinen Sportlern bzw. Sportlerinnen auf besonders erfolgreiche Handlungen, weil diese in besonderem Maße mit Selbstvertrauen gekoppelt sind. Natürlich können alle für ein Spiel wichtigen Bewegungen auf diese Weise unterstützt und gefördert werden.

Aufbau von Selbstvertrauen

Nichts verleiht eine so große mentale Stärke wie gewonnene Spiele. Und nichts zehrt so sehr am Vertrauen an sich selbst wie viele verlorene Wettkämpfe. Selbstvertrauen ist der große Gegenspieler der Angst. Wer mit der Überzeugung in eine Begegnung geht, dass er genügend Kompetenzen für einen Sieg und gute Leistung hat, wird völlig anders agieren als jemand, der an seinen Fähigkeiten zweifelt. Deshalb geht es beim hier vorgestellten mentalen Training darum, das Gefühl zu stärken, dass man etwas kann. In der Psychologie nennt man dies „Fähigkeitskonzept“. Damit ist die Überzeugung gemeint, für die Sportart wichtige Fähigkeiten zu besitzen. Die emotionale Entsprechung hierfür ist ein positives Selbstwertgefühl. Da auch absolute Weltklassefußballer immer wieder an sich selbst zweifeln, ist es sicherlich für jedermann gut, das eigene Selbstvertrauen systematisch zu stärken. Wie Ihre Schützlinge die Erinnerung an eigene Erfahrungen, stellvertretende Erfahrungen, sprachliche Überzeugung, Imaginative Erfahrungen u.v.m. trainieren können, erfahren Sie auf den folgenden Seiten:

Dr. René Paasch: Selbstvertrauen im Fußball

Dr. René Paasch: Selbstwirksamkeit im Fußball

Emotionale und kognitive Vorbereitung auf die nächsten Spiele

Je plötzlicher eine Emotion auftaucht, umso schwerer kann man sie kontrollieren. Deshalb besteht dieses Programm darin, sich möglichst rechtzeitig auf die besonderen Gegebenheiten des nächsten Spiels einzustellen. Stellt man sich die Anreise zum nächsten Wettkampfort vor, das Betreten des Spielfeldes, die Zuschauer, die gegnerischen Spieler bzw. Spielerinnen, deren besondere Spielweise usw., dann beginnt es schon, das Gedankenkarussell und das Kribbeln in der Bauchgegend. Die ersten Zweifel tauchen auf, ob man es schaffen kann, die ersten Ängste werden spürbar. Hier ist es förderlich, bei der Vorstellung des nächsten Spiels mit der Atementspannung (8 Sekunden Ein- und Ausatmen) zu arbeiten und innerlich den Gedankenstopp mit individueller Wortwahl zu sprechen. Je häufiger der nächste „Angstgegner“ mit ruhiger Atmung, den abgestimmten Gedankenstopp verknüpft wird, umso mehr verliert er seine Bedeutung.

Fazit: 

Mit diesen wirkungsvollen Anregungen können Sie die Mentale Fitness ihrer Spielerinnen bzw. Spieler stärken. Einige Bereiche sind ganz allgemeiner Art (zum Beispiel die Atementspannung und die Handlungs- und Unterbrechungsstrategie) oder ganz speziell auf die Spielerin bzw. den Spieler zugeschnitten (z.B. Gedankenstopp, Bewegungsabläufe, Selbstvertrauen stärken). So könnten Sie vorgehen: Erst entwickeln Sie mit Ihren Spielerinnen bzw. Spielern eine schriftlich niedergelegte individuelle Bewegungsvorschrift und ein Wort für den Gedankenstopp. Der Bewegungsablauf sollte im Sinne eines “Drehbuches” mit eigenen Begriffen beschrieben werden. Dann folgt die Bewegungsvorschrift im Selbstgespräch. Die richtige Bewegungsvorschrift muss man flüssig auswendig aufsagen und sich vorstellen können. Parallel dazu üben Sie immer wieder die Atementspannung und Achtsamkeit im Hier und Jetzt. Erklären Sie dabei die Zusammenhänge und Wirkungsweisen des Mentales Training. Anschließend arbeiten Sie die Knotenpunkte heraus. Wenn man den Bewegungsablauf auswendig beschreiben kann, muss er in wenige Phasen zerlegt und durch Knotenpunkte markiert werden. Danach folgt die Kinästhetisch-rhythmische Kodierung. Die Knotenpunkte sollten nach Möglichkeit in einem individuellen Kurz-Code übersetzt werden. Die vierte Stufe ist dann die, die man im Training und Wettkampf praktizieren kann. Üben Sie die o.g. Punkte so oft wie möglich, sodass der Nutzung für gezeigte Leistung und Mentaler Fitness greifen können. Viel Spaß und Erfolg bei der Umsetzung.

Wie immer: Meine Kollegen und ich stehen Ihnen immer hilfreich zur Seite, wenn Sie sportpsychologische Aspekte in Training und Wettkampf ausprobieren wollen. Nehmen Sie einfach Kontakt auf: Zu den Profilseiten

http://www.die-sportpsychologen.de/die-sportpsychologen-2/

Literatur

BMWI, 2007 und Fraunhofer Institut, 2009

http://www.die-sportpsychologen.de/2015/05/22/prof-dr-oliver-stoll-macht-der-selbstgespraeche/

http://www.die-sportpsychologen.de/2016/11/09/dr-rene-paasch-beine-machen-mit-selbstgespraechen/

http://www.die-sportpsychologen.de/2017/02/28/dr-rene-paasch-selbstvertrauen-im-fussball/

http://www.die-sportpsychologen.de/2015/08/25/dr-rene-paasch-selbstwirksamkeit-im-fussball/.

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Prof. Dr. René Paasch
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