„Wir eröffnen eine sportpsychologisches Beratungszentrum!“ Das war der abschließende Satz von Frauke, nachdem wir vor einigen Monaten gut eine Stunde darüber diskutiert hatten, was wir noch in unserem Leben beruflich anstreben wollen. Am Samstag, den 11. Januar 2020, wird in der Leipziger Jahnallee 10 aus Fraukes Ansage Realität. Ein Weg, auf den wir hier ein wenig zurückblicken. Vor allem wollen wir aber voraus schauen: Nämlich darauf, was unsere Eröffnung für Sportler, Trainer oder Funktionäre oder auch andere Sportpsychologen im Feld bringen kann.
Zum Thema: Von einer fixen Idee zu einem sportpsychologischen Beratungszentrum in Leipzig
Ein solches privatwirtschaftliches Vorhaben in Deutschland umzusetzen, haben unseres Wissens noch nicht viele Kolleginnen und Kollegen versucht. Wir alle sind uns darüber im Klaren, dass man damit hauptberuflich – als einzige Möglichkeit des Broterwerbs – nicht wirklich reich werden kann. Das was dazu publiziert wird, spricht eigentlich eher dagegen. Sogar in den USA, dem eigentlichen „Mutterland“ von privatwirtschaftlichen Coaching und Beratungsunternehmen wird es durchaus kritisch gesehen, von der sportpsychologischen Beratung allein leben zu wollen. Aber erstens, ist das ja bei Frauke und mir nicht der Fall, denn hauptberuflich verdienen wir unsere Brötchen eher im nicht-selbständigen Bereich und zweitens steckt hinter unserer Idee ein Geschäftsmodell mit vier Säulen.
Die erste Säule beruht natürlich auf der Grundidee von individueller oder gruppenspezifischer Beratung und Coaching. Darüber hinaus sehen wir „auf der zweiten Säule“ die Speaker- und Vortragstätigkeit von uns beiden – bis hin zu Aus- und Fortbildungsveranstaltungen. Die dritte Säule stellt unsere Autoren- und Verlagstätigkeit dar und abschließend sehen wir in der vierten Säule vor allen Dingen Fraukes Expertise in der sporttherapeutischen Arbeit sowie im Rahmen gesundheitlich präventiver Veranstaltungen.
Wichtige Anforderungen
Angekommen auf dieser Basis, standen wir vor der Grundfrage: Was braucht man dazu, ein solches Projekt erfolgreich umzusetzen? Mal ganz abgesehen von der Grundidee, einer guten beruflichen Qualifikation, das Wissen und Können in diesen Bereichen sowie einer gehörige Portion Mut und Leidenschaft, gepaart mit etwas Geduld.
- Finanzielle Mittel. Natürlich geht so etwas nicht ohne Investitionen. Die Anmietung von Räumlichkeiten und Infrastruktur, Computer- und Präsentations-Technik, Möbel, etc. wollen erst einmal vorfinanziert werden. Je nachdem, in welcher Stadt und in welcher Lage man so etwas umsetzen möchte, ist das mehr oder weniger preisintensiv. Alles rund um Buchhaltung und Buchführung haben wir „nach extern“ vergeben (Steuerberater). Etwas Liquiditätsreserve sei auch noch in der Hinterhand (zwei bis drei Monatsmieten, für den Fall, dass es mal nicht so gut läuft). Mit etwa 15.000 Euro ist man zunächst ganz gut aufgestellt.
- Die Lage und die Bezeichnung der Räumlichkeiten. Dieses Thema hat uns lange und intensiv beschäftigt, denn damit steht und fällt eine solche Unternehmung. In unserem Fall gab es hier einige Herausforderungen zu überwinden. Leipzig ist eine der wenigen „Boom-Städte“ im Osten Deutschlands. Gewerberäume zu bekommen, ist hier keine Unmöglichkeit, aber eine wirklich große Herausforderung, wenn es um die richtige Lage geht. Wir wollten auf alle Fälle in ein Gebiet, in dem „viel Sport“ passiert. Da bot sich das Waldstraßenviertel an. Da gibt es die Red Bull Arena, das NLZ von RB Leipzig, die Geschäftsräume sowie Spiel- und Trainingsorte des Handball-Erstligisten SC DHfK Leipzig. Die Sportwissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig. Und natürlich die sportbezogenen Bildungseinrichtungen: Das Sportgymnasium und die Sportoberschule. Kurzum: Bis wir also unsere Räume in der Jahnallee 10, die fußläufig zu allen genannten Einrichtungen liegen, gefunden und gemietet hatten, gingen gut zwei Monate ins Land.
- Wie nennen wir also unser „Unternehmen“? Für uns war klar, dass „Sportpsychologie“ ein zentrales Thema sein soll. Eine „Praxis“? Nein, das klang für uns zu therapeutisch. Wir sind beide keine Psychotherapeuten – wir arbeiten nicht mit Patienten – und wollten also auch begrifflich gar nicht „in diese Ecke“. Da bot sich also „Coaching- und Beratung“ durchaus eher an. Und genau diesen Ansatz wollten wir auch in die Gestaltung des Raumes einbringen. Ein großer Raum, der durchaus auch bei Bedarf abgeteilt werden kann. Durch das Schaufenster, das teilweise verblendet ist, strömt helles, angenehmes Licht. Wir verstecken uns nicht im Dunkeln oder hinter einer Fassade, sondern man darf, wenn man unbedingt möchte, sehen, was da drinnen passiert. Kein Hokuspokus, keine geheimen Geschichten oder Zaubereien. Das Mobiliar, einerseits funktional und arbeitsbezogen (es gibt einen großen Gruppenarbeits-Tisch und Sitzgelegenheiten), andererseits aber auch angenehm und entspannend (es gibt eine Kaffee-Ecke, und Sessel um kleine Tische sowie Kissen zum angenehmen Sitzen auf der Fensterbank). Unsere Klienten sollen sich wohl fühlen. Außerdem haben wir eine kleine Küche und ein Bad. Wenn es nötig ist, kann man sich natürlich auch im großen Raum, in eher private, nicht einsehbare Ecken, zurückziehen.
- Wie kommt man nun konkret ins Geschäft? Hier braucht es natürlich ein gutes, zuverlässiges Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen sowie Kontakte zu Multiplikatoren in der Sportszene (Trainer, Betreuer, Athletinnen und Athleten, mit denen man schon zusammengearbeitet hat). Zum einen bietet dies unser Netzwerk Die Sportpsychologen, zum anderen hat sich das in meiner jahrelangen praktischen Tätigkeit entwickelt. Eine aufwendige Homepage? Nein, wir verzichten darauf! Ein einfacher Eintrag bei Google Business mit der Beschreibung, was wir konkret machen, reicht aus. Keine „aggressive“ Werbung oder große Marketing-Aktionen. Ein klein wenig Informationsverbreitung über Facebook und LinkedIn reicht uns da aus. Wir bauen hier mehr auf persönliche Empfehlung und auf die einmal im Monat stattfindenden themenspezifischen Abendveranstaltungen in unseren Geschäftsräumen, auf denen wir uns – immer auch mit Gästen – vorstellen. So findet z.B. am 30. Januar 2020 eine Abendveranstaltung zum Thema: „Wie bereite ich mich mental auf einen Marathonlauf vor?“ statt. Zu Gast ist an diesem Abend Falk Cierpinski, der ehemalige, „schnellste Deutsche“ auf dieser Strecke, der aus der Zusammenarbeit mit mir berichtet.
- Der Schlüssel – aus unserer Sicht – ist hier: Sich breit aufzustellen. Leistungssport – ja natürlich. Aber eben nicht nur Sport. Warum nicht auch Führungskräfte von Unternehmen schulen? Sportmannschaften sind eigentlich auch nichts anderes als ein System, das funktionieren soll (zugegeben: in einem besonderen Setting). Das gilt auch für Gruppen im Arbeitsleben. Aber wir können hier auch Transfers in den Gesundheitssport bzw. in die Prävention leisten. Aus- und Fortbildung für Interessierte, auch für Studierende, obwohl hierfür eigentlich die Universitäten und Hochschulen verantwortlich sind. Bei uns kommt noch das Autoren- und Verlagswesen hinzu: Alles aus einer Hand. Das könnte funktionieren. Das sollte funktionieren. Das wird funktionieren!
Ein anderer Blickwinkel
Dass alles wäre nichts und vor allem wäre es auch gar nicht da, gebe es in meinem Leben Frauke nicht. Ohne sie stünden wir jetzt nicht wenige Tage vor der Eröffnung. Entsprechend habe ich Frauke gebeten, Ihre Sicht auf die Dinge zu ergänzen. Und wie immer bin ich verzückt, wie ihre Sichtweise mein Blickfeld erweitert:
Was war eigentlich die Intention? Was hat uns eigentlich dazu bewogen, uns „selbstständig“ zu machen? Dazu müsst Ihr wissen, das Oliver und ich durchaus unterschiedliche Stärken und selbstverständlich auch Schwächen haben. Ist Oliver in seiner angewandten Arbeit vorwiegend wissenschaftlich und theoretisch aufgestellt – so bin ich doch eher die absolute Praktikerin. Oli wendet die wissenschaftlichen Erkenntnisse gerne an, nutzt die Praxis, um wissenschaftliche Studien zu erarbeiten. Bei mir sieht das anders aus: Ich musste in meinem Arbeitsfeld als Sportlehrerin und Sporttherapeutin schon immer flexibel sein. Systembedingt schnelle und unvorhergesehene Abläufe managen, mit Klientel umgehen, immer neue Anforderungen erfüllen… Ebenso habe ich seit meinem 23. Lebensjahr ständig zwei bis drei Jobs gleichzeitig absolviert. Trotz meines hohen Qualitätsanspruchs bekam ich jedoch auf Dauer nie die Wertschätzung, die ich für gerechtfertigt hielt. Öffentlicher Dienst kennt so etwas leider nicht. Gearbeitet habe ich jedoch immer gern. Wie der theoretische Namen meiner Anwendung hieß, das hat mich weniger interessiert.
Perfekte Ergänzung?
Oliver und ich, wir ergänzen uns ziemlich perfekt. Ich habe ihn schon immer für seine „deutsche“ Pünktlichkeit, die Arbeitsamkeit, seine Routinen, den Fleiß, sein Lächeln und den stets in sich ruhenden Charakter bewundert. Ich habe ihn natürlich beobachtet und von ihm gelernt. Jeder profitiert voneinander. Dies gilt umso mehr für unserer Vorhaben, unsere Herausforderung.
Wir hatten schon immer mal bei einem guten Wein geträumt und uns vorgestellt, wie es wohl wäre… was wir noch so tun könnten. Über die Jahre nahm es mehr Gestalt an. Wir wollten der angewandten Sportpsychologie ein Gesicht geben. Nach außen sichtbar werden, anfassbar, eben völlig „normal“. Keine SOS Klinik, sondern ein Ort mit dauerhafter guter Beratung. Irgendwann sagte Oli nebenbei zu mir „Du redest ja nur!“ “Halllllllooooooo!!!!”, – ich war fassungslos. Den nächsten Tag habe ich recherchiert und angerufen, Termine ausgemacht. So etwas lass ich mir ja nicht zweimal sagen. Während ich voller Ungeduld und Eile Räumlichkeiten suchte, da kümmerte sich Oli um die Finanzen. Es war ein geiles Gefühl, Möbel einzukaufen. 12.000 Euro hatte ich zur Verfügung – aber ich war schon immer stolz, wenn ich preiswert und individuell einkaufte. Also habe ich nur ein Drittel gebraucht. Cool!
Anspruch und Wirklichkeit
Ich habe jahrelang mit Sportlern, Kindern, Erwachsenen im Sportbereich gearbeitet und mir ist aufgefallen, dass sie sich total innerlich öffnen, wenn sie sich wohl fühlen. Es geht also immer auch um einen Ort, an dem gut betreut, begleitet, zugehört werden kann und der mit einem tollen Ambiente zum Wohlfühlen besticht. Das konnte die Natur oder auch der Sportplatz oder die Feedbackrunde beim Kaffee sein. Also habe ich die Einrichtung so gestalten wollen. Fachlichkeit verbunden mit Gemütlichkeit.
Mein Standort der Schule ist keine zwei Kilometer entfernt. Nah und gleichzeitig so fern. Denn meine Einstellung zu diesem Job hat sich geändert. Er ist jetzt Mittel zum Zweck geworden. Ich verdiene hiermit eben Geld für unser Vorhaben. Diese Einstellungsänderung hat zur Folge, dass ich innerlich stärker werde. Ich ärgere mich einfach nicht mehr über Defizite des öffentlichen Dienstes. „Systemerfüller“ war ich noch nie und wenn es keine Logik oder Aussicht auf Fortschritt hat, dann schon gleich gar nicht.
Zusätzliche Arbeit
Was heißt eigentlich Arbeit? Oft ist er verbunden in Gedanken mit viel Zeit, Abrechenbarkeit und Forderungen seitens der Arbeitgeber. Oliver und ich „arbeiten“ aber schon immer gern und auch viel. Es ist für uns nicht das klassische Arbeiten. Wir wollen verändern, überzeugen, anpacken für den Fortschritt. Wir wollen dabei sein, nichts verpassen, nicht alt werden. So ungefähr wie mit der Technik. Es macht uns einfach Spaß.
Nun stehen die Räume und es ist wahnsinnig gemütlich. Besonders wenn es draußen schon dunkel ist. Das Nachtleben im Schaufenster und wir können schöpferisch aktiv sein, planen und organisieren. Das fühlt sich wahnsinnig gut an. Zusätzliche Arbeit fühlt sich geil an.
Meine Zukunftsvision
Zurück zur Intention: Es wäre doch schon großartig, wenn es völlige Normalität in der Bevölkerung wird, sich Unterstützung für seine sportlichen Ziele suchen zu können. Googeln…, Termin vereinbaren…, Klasse Beratung und sportlicher Erfolg. Oder „mir geht’s nicht gut…, Ziel nicht erreicht“, Vorbeikommen… reden, beraten, analysieren… Genau wie die ambulanten Zentren der Orthopädie, Kardiologie oder Neurologie. Alles völlig normal. Wenn im Leistungssport, Breitensport oder im Schulwesen das Bewusstsein gewachsen ist, dass der „Kopf“ unser „Bauchgefühl“ und im Ergebnis uns steuert und wir vor allem Fachleute dafür haben, zu denen wir jederzeit kommen können, dann haben wirklich etwas verändert. Ich will das gerne erleben können und meine Erfahrungen gerne weitergeben. Damit will ich tatsächlich nicht reich werden. Mein Reichtum ist mein Mann Oliver sowie meine Kinder, die viele schöne Zeit, welche wir miteinander verbringen können und die Erfahrungen, welche ich mit diesem ganzen Projekt sammeln kann.
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