Christian Hoverath: Kann die Sportpsychologie in der Dopingprävention mehr?

In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich mich intensiv mit Studien zum Dopingverhalten von Sportlern beschäftigt. Dabei geht mir die Frage nicht aus dem Kopf, wie konkret die Sportpsychologie ansetzen kann, um Sportler davor zu bewahren, zu Dopingmitteln zu greifen? Denn letztlich zeigt uns die Wissenschaft, dass Doping am Ende auch mit Begriffen wie Moral, Ethik, Selbstwirksamkeit und Karriereplanung zu tun hat. Alltagsgeschäft für Sportpsychologen, also…

Zum Thema: Sportpsychologische Ansätze bei der Dopingprävention 

Die Persönlichkeit hat einen großen Einfluss, ob Sportler zu Dopingmitteln greifen. Schaut man sich eine aktuelle Studie von Kavussanu und Kollegen (2019) an, dann tendieren Sportler seltener zur Einnahme verbotener Substanzen, wenn sie auch die moralischen Faktoren berücksichtigen. Ein Faktor war die wahrgenommene Stärke der Schuld durch ein Dopingvergehen. Demgegenüber bemerkenswert: Allein erworbenes Wissen über Nebenwirkungen und gesundheitliche Folgen, wie es bislang intensiv von Verbänden und Interessengruppen vermittelt wird, reicht nicht aus. Die Quintessenz: Wichtig ist es, Sportler*innen zu befähigen, ethische Entscheidungen zu treffen.

Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor ist der Zeitpunkt, zu dem die Verlockung wahrscheinlich auftreten wird. Denn zumeist steht ja nicht an einem beliebigen Tag eine Person mit einer Tasche voller Medikamente vor dem Sportler und bittet ihn, zuzugreifen. Im ersten Schritt ist es nach vielen Berichten von Insidern doch so, dass Sportler zuerst beispielsweise mit Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) in Kontakt kommen. Dabei sollte doch hier schon überlegt werden, ob diese NEMs aufgrund einer diagnostizierten Unterversorgung supplementiert werden? Oder aufgrund einer erhofften Wirkung, wie zum Beispiel der Vorbeugung von Infekten durch die Einnahme von Vitamin C und Zink. Kommt der betroffene Athlet erkältungsfrei durch den Winter, dann wird er gelernt haben, dass diese Stoffkombination ihm dazu verholfen hat, gesund zu bleiben. Viele weitere in Frage kommende Variablen wird er außen vor lassen (Hygiene, Umfeld,…). 

Entwicklung einer Dopingmentalität

Dies ist nur ein Beispiel für die Entwicklung einer Dopingmentalität. So wie ein Schüler, der glaubt aufgrund eines Kleinstspickzettels eine Klausur sehr gut geschrieben zu haben, mag der Gedanke entstehen, „ohne schaffe ich das nicht“. Dies führt in der Folge aber dazu, dass an diesem Verhalten festgehalten wird. Im nächsten Schritt kommt es zu Medikamentenmissbrauch, denn „da ist ja nun wirklich nichts Verbotenes dran. Ich bin zwar nicht krank, aber es ist ja nicht verboten und macht mich außerdem wacher und leistungsfähiger.“ 

Christian Hoverath

Sportarten: Tennis, Triathlon, (Beach-)Volleyball, Radsport (MTB und Straße), Einradsport, Leichtathletik, Schwimmen

Darüber hinaus beschäftigt sich Christian Hoverath mit der Prävention von Dopingverhalten und sexualisierter Gewalt.

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Im Verlauf wird die Sportlerin dann in schwierigen Momenten, wie nach Verletzungen oder Niederlagen, vor der Entscheidung stehen, wie sie den nächsten Schritt in Sachen Leistungssteigerung machen oder an alte Leistungen anknüpfen will. In diesen Momenten ist es entscheidend, gelernt zu haben, Nein! zu sagen. Dies kann nur auf Grundlage einer moralischen Entwicklung geschehen. 

Prävention als sportpsychologischer Auftrag

Aus diesen Aspekten ergeben sich verschiedenste Einsatzbereiche für die Sportpsychologie in der Dopingprävention. Es geht darum zu lernen, seine Entscheidungen kritisch zu hinterfragen, zu reflektieren und die Stärke zu entwickeln, Nein zu sagen. Es geht darum, Selbstwertsteigerungen zu erreichen, damit die Sportlerin merkt: „ich schaff das auch allein.“ 

Ein wichtiger Einsatzbereich liegt im Umgang mit Emotionen und der Stressbewältigung, aber auch im Umgang mit Kritik, Niederlagen und Druck. Sportler müssen lernen, mit Siegen und Niederlagen umzugehen und zu akzeptieren, dass beides dazugehört. Auch die Aufarbeitung solcher Negativerlebnisse fällt in unser Aufgabenspektrum und steht durchaus in Verbindung zur Dopingpräventionsarbeit.

Fazit

Aus meiner Sicht spielt die Sportpsychologie eine noch zu kleine Rolle in der Dopingpräventionsarbeit. Meine Kollegen von Die Sportpsychologen (zu den Profilen) und ich (zum Profil von Christian Hoverath) stehen gern für vertrauliche oder weiterführende Anfragen zur Verfügung.  

Mehr zum Thema:

ARD Doping-Recherchen “Die Gier nach Gold”

Diese Geschichte löst Diskussionen aus. Der österreichische Langläufer Johannes Dürr äußert sich in der ARD-Dokumentation “Gier nach Gold” (zur ARD-Doku) offen wie noch kein zweiter Wintersportler zu seinem Dopingvergehen und seinen Erfahrungen im internationalen Skilanglaufzircus. 

Für die Hintergrundberichterstattung zur Doku “Gier nach Gold” wurde der Sportpsychologe Prof. Dr. Oliver Stoll mit den Aussagen des Langläufers Dürr konfrontiert. In einem Interview trifft er unmissverständliche Aussagen:

Sportschau-Interview mit Prof. Dr. Oliver Stoll

Zum Interview mit Prof. Dr. Oliver Stoll: “Simmen Dürrs Aussagen hat der Leistungssport ein Problem” (Link)

Mathias Liebing, Redaktionsleiter von Die Sportpsychologen, war im Auftrag der ARD-Dopingredaktion darüber hinaus damit betraut, aus sportpsychologischer Sicht die Frage zu beantworten, warum Sportler dopen? Entstanden ist ein knapp vierminütiger Beitrag: 

Warum Sportler dopen 

Zum Beitrag: https://www.sportschau.de/doping/video-warum-sportler-dopen–100.html

Geheimsache Doping: Die Gier nach Gold

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Literatur

Ehrnborg C., Rosén T. The psychology behind doping in sport. Growth Horm. IGF Res. 2009;19:285–87. doi: 10.1016/j.ghir.2009.04.003.

Elbe, A.-M. & Barkoukis, V. (2017). The Psychology of Doping. Current Opinion in Psychology, 16, 67-71. https://doi.org/10.1016/j.copsyc.2017.04.017

Kavussanu, M., Yukhymenko, M., Elbe, A. M., & Hatzigeorgiadis, A. (2019). ‘Integrating Moral and Achievement Variables to Predict Doping Likelihood in Football: A Cross-Cultural Investigation.’ Psychology of Sport and Exercise. 

Lazuras, L. (2015). Social cognitive predictors of doping use: an integrative approach. Psychology of Doping in Sport, edited by Bakoukis, Lazuras & Tsorbatzoudis. Abingdon: Routledge.

https://www.bdp-verband.de/binaries/content/assets/beruf/ber-foederation-2016.pdf

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