Dr. Rita Regös: Innerhalb oder außerhalb des Systems?

In vielen olympischen Sportarten wird eine erbitterte Diskussion geführt: Wie viele Stützpunkte braucht es, welche Rolle haben Heimtrainer, Bundestrainer und Dachverband und wie viel Mitspracherecht und Autonomie hat der Athlet? Es geht um die Frage, wieviel System braucht der Leistungssport, um erfolgreiche Sportler hervorzubringen? 

Zum Thema: Sportliche Leistung als Systemfrage

Die Diskussion ist nicht neu, sie wird auf unterschiedlichen Ebenen heiß debattiert, leider immer in einer Schwarz-Weiß-Manier. Je nachdem auf welche Seite man steht, formulieren sich Argumente und Kritik. Dachverbände, übergeordnete Sportorganisationen, etliche Trainer und auch manche Athleten vertreten die Ansicht, dass eine gewisse Anzahl von Sportlern gleich zu trainieren haben, samt unweigerlicher Unterordnung. Dies belebe die Konkurrenz untereinander, fördere den Willen und den Biss, der Beste sein zu wollen. 

Zu den Vertretern dieser Ansicht gehören nicht selten ehemalige Weltmeister und Olympiasieger, die nach dem Wechsel aus ihrer aktiven Zeit in den Trainerberuf auch den Weg an die Spitze neu definieren zu scheinen. Paradoxerweise entwickeln sie Lehrgangssyteme, stellen Regeln auf und verlangen eine unerbittliche Anpassung an ihr System, obwohl sie selber außerhalb des damaligen Systems außerordentlich erfolgreich waren und ihren Erfolg mitunter auf ihren Alleingang zurückführen. Sie liefern zwangsläufig Gegenargumente für die Vertreter der anderen Seite, denn ihre eigene erfolgreiche Karriere ist quasi der lebende Beweis für den Erfolg außerhalb des Systems. Zwangsläufig formulieren sich kritische Fragestellungen: Woran liegt es, dass erfolgreiche Alleingänger, wenn sie später in ein System eingebunden sind, den ausschließlichen Weg zum Erfolg über und durch das System sehen? Ist es die Legitimation der neuen Funktion, die Solidarität mit dem Arbeitgeber oder ist man überzeugt, eine Ausnahme gewesen zu sein? 

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Überflüssige Entweder-Oder-Diskussion

Ja, diese oder ähnliche Fragen stellen sich auch Sportler, die in den Genuss kommen, ihre ehemaligen Teammitglieder mit mäßigem Erfolg als Aktiver, plötzlich als Bundestrainer vor sich zu sehen. Ihre Antwort fällt schroff aus, irgendetwas mit sich aufspielen und fragend, er will es wissen? Nichtsdestotrotz sind keine der Gründe verwerflich, aber den letzteren wollen wir näher betrachten, denn ein oder kein System spielt da keine Rolle.

Für Sportler, die individuell mit einem Trainer in einem eigenen System arbeiten, sind sämtliche Funktionsträger im Dachverband Bürokraten, die weitab des Trainingsalltags die finanzielle Mittel bewilligen oder auch nicht. So gesehen ist die Argumentation, für Bundesstützpunkte, gemeinsames Training usw. keine verzweifelte Bestrebung der Sportorganisation, sich unentbehrlich zu machen, sondern die Erfüllung der tatsächlichen Aufgabe in der heutigen Form der allgemeinen gängigen Leistungssportorganisation. Die Frage, ob Leistungssportler mit oder ohne System erfolgreicher würden, könnte letztendlich nur beantwortet werden, wenn sich von Anfang an ein und dieselbe Person im Alleingang und im System versuchen würde – in zwei Leben eben. Unmöglich, von der Entweder-Oder-Diskussion kann daher Abstand genommen werden. Sie spielt auch keine Rolle, wenn wir den Gedanken von der Ausnahme weiterverfolgen.

Wie beeinflussen Systeme einen Sportler?

Es ist nicht zu leugnen, dass Erfolg Ausnahme inkludiert und die ist zunächst breit definiert. Ob der Athlet ein Ausnahmetalent ist, ob er besonders hart arbeiten kann, sich außerordentlich gut auf die Aufgabe fokussieren kann – all das hat etwas mit Superlative zu tun. Er hat oder kann etwas zu einem gegebenen Zeitpunkt einfach besser, ab und an am besten. Er hat bis zu diesem Zeitpunkt sein Ziel fix im Visier, trainiert hart, überwindet sich und Widrigkeiten jeglicher Art, konzentriert sich auf seine Aufgabe und gibt alles. Nein, sicher nicht tagtäglich aber er weiß ausnahmslos, wann all diese Eigenschaften gebündelt abzurufen sind. All diese Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten haben ihren Ursprung eindeutig in der Person selbst. Daher bleibt es fraglich, ob Systeme diese in die positive oder negative Richtung beeinflussen können? Genauso zu hinterfragen ist, ob ein Alleingang diese verstärken oder gar mindern kann? 

Letztendlich spielt neben all den sportlichen Parametern, Technik, Taktik, Athletik der Mensch, der Sportler die Hauptrolle. Bevor man also das Thema, ob außerhalb oder innerhalb eines Systems die meisten Erfolge zu erzielen sind diskutiert, muss geklärt werden, wie erzielen Menschen Erfolge? Erst danach kann bestimmt werden, welche Faktoren diesen Prozess des Gewinnens begünstigen? Und genau da hapert es, denn so genau wissen wir das nicht. Es gibt Erfahrungswerte, daraus abgeleitete Modelle oder lediglich theoretische, aber es gibt keine definitive Aussage über finale Faktoren des Erfolgs innerhalb oder außerhalb der Person. Ein Glück für den Sport, denn ein Spiel würde wohl keinen interessieren, wenn bereits beim Aufwärmen klar wäre, wer die Siegerqualitäten an dem Tag am besten ausspielen kann. Weniger glücklich für das System, denn einen eindeutigen Beweis für die Richtigkeit der Argumentation in eigener Sache gibt es nicht. Wohl aber für jeden Athleten, denn vor dem Wettkampf stehen die Sieger nicht fest – unbeachtet des Systems,  auf sich konzentrierend, die Aufgabe best möglich zu erfüllen, also im Alleingang, kennen erfolgreiche Sportler auf dem Weg zum Podest ohne Ausnahme.

Fazit: Ausnahme führt zum Erfolg – und jetzt wird’s ungemütlich – sie ist sogar der Grund dafür. 

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Rita Regös
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