Feature: Mit souveränen Selbstgesprächen zum Erfolg

Weltmeister Deutschland stand bei dieser WM bereits am Abgrund. Im zweiten Gruppenspiel musste das Team von Joachim Löw gewinnen, um realistische Chancen auf einen Einzug ins Achtelfinale haben. In der letzten Minute der Nachspielzeit half ein Geniestreich von Toni Kroos, der mit seinem vielumjubelten Freistosstor gegen Schweden den späten 2:1-Sieg sicherte und uns eine herausragende Vorlage gab: Denn warum ließ sich der dreifache Champions League-Sieger von Real Madrid so auffällig viel Zeit vor der Ausführung des Freistosses?

Zum Thema: Selbstgespräche am Beispiel und in der Anwendung

Unsere Deutung, weshalb Kroos die Ausführung so lang verzögerte: Der Nationalspieler nutzte die über 10 Sekunden, um sich mental auf den so wichtigen Schuss vorzubereiten.

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Was wir beobachten konnten: Kroos diskutierte mit Marco Reus die Situation, wägte dann selber ab und schoss.

Was er aus unserer Sicht gemacht hat: Er lenkte ganz intuitiv und gekonnt sein Selbstgespräch, mit dem Resultat, dass er sich viel Selbstsicherheit für diese unglaublich druckvolle Situation zusprach. Wahrscheinlich hat er das aber so gar nicht gemerkt, sondern aus dem Bauch heraus richtig gehandelt.

Cristina Baldasarre (zum Profil): “Selbstgespräche lösen Probleme”

Das war ein tolles Beispiel für eine gelungene Selbstgesprächsregulation. Denn Selbstgespräche motivieren, geben Sicherheit sowie Fokus und helfen, Probleme zu lösen. Kross richtete seine Aufmerksamkeit erst nach aussen zu Reuss hin, der offensichtlich einen anderen Plan hatte (https://www.welt.de/sport/fussball/wm-2018/article178106044/WM-2018-Deutschland-Schweden-Toni-Kroos-Marco-Reus-vor-dem-Freistoss.html). Das überzeugte ihn aber nicht und er wandte sich automatisch nach innen, um sich zusammen mit seiner inneren Stimme, sprich seinem Gefühl, für die beste Schussmöglichkeit zu entscheiden. Bildlich gesprochen hat er sein inneres «Erfahrungsteam für Fussball» blitzschnell konsultiert. Und glücklicherweise scheint er auf viele gelungene Situationen zurückgreifen zu können, aber auch auf genügend Selbstwirksamkeit und den Glauben an Erfolg. Kompliment, das muss man erstmal zu Stande bringen!

Die Wissenschaft weiss: Es ist von grösster Bedeutung für das eigene Verhalten und somit für die Erbringung von Leistung, dass das eigene Selbstgespräch leistungsfördernd und positiv eingesetzt ist. Am besten wirkt es, wenn man sich mit «du» oder mit dem Vornamen innerlich anspricht. Das schafft die nötige emotionale Distanz und man meistert die Hürden viel souveräner. Es ist fast so, wie wenn man einem nahen Freund einen guten Ratschlag geben würde: «Du kannst das!» oder «Schritt für Schritt, bleibe fokussiert!» oder «Du hast das schon oft gemacht, los!»

Leistungsfördernde Selbstgesprächsregulation ist erlernbar

Leistungsfördernde Selbstgesprächsregulation kann sehr gut trainiert, muss aber von langer Hand eingeübt werden. Wie so oft macht Übung den Meister, dann lassen sich auch hartnäckige Zweifler und Negativdenker in ihren Einstellungen modifizieren. Das Heranziehen dieser Technik macht darum in allen Phasen des Spiels und Turniers viel, viel Sinn. Auch in der Garderobe, bei der individuellen mentalen Spielvorbereitung und -einstimmung, gehört die Gesprächsregulation zwingend dazu. Und als Teaminterventionen gibt es vielerlei leistungsfördernde Selbstgespräche, nämlich alle ritualisierten Mannschaftssprüche und gegenseitigen Anfeuerungen.

Dr. René Paasch (zum Profil): In vier Schritten zur Selbstgesprächsregulation

In der Praxis scheuen sich aber immer wieder Spieler, dieses “innere Sprechen” gezielt auszuüben. Dies ist allein schon deshalb Quatsch, weil jeder Mensch mit sich spricht. Ständig. Im Sport ist der innere Dialog zudem so wichtig, weil er eine Art Probehandeln darstellt und uns auf die nächsten Schritte aufmerksam macht. Positive Selbstgespräche helfen Spielern also, psychische Beanspruchungssituationen erfolgreich zu bewältigen und mentale Stärke zu erlangen. Wie das geht, möchte ich Euch jetzt anhand eines Beispiels näher erläutern:

Die „Selbstgesprächsregulation“ sollte aus folgenden vier Bestandteilen bestehen:

  • Sammeln typischer aktueller innerer Monologe der Fußballer, z.B. „Ich weiß, wie wichtig das innere Gespräch ist, kann mich aber nicht aufraffen dies zu trainieren“.
  • Negative Selbstgespräche umformulieren, z.B. „Ich möchte jetzt meine innere Gespräche vor Drucksituationen positiv führen. Auch wenn es mir schwer fällt, weiß ich, dass es mir gut tut und ich mich auf Dauer leistungsfähiger fühle.“
  • Training der förderlichen Selbstgespräche, z.B. die umformulierten Sätze morgens 4-mal laut vor dem Spiegel oder während der Drucksituation vorsprechen und sich das Handeln täglich immer wieder vorstellen.
  • Gezielter Einsatz von Atementspannung in kritischen Momenten, am Anfang gemeinsam üben, dann müssen die Fußballer selbst üben.

Es ist eine lohnende Technik im Fußball, mentale Maßnahmen wie „innere Monologe“ zu trainieren, da die Bedeutung der emotionalen Befindlichkeit, die innere Haltung zu einer Handlung ganz wesentlich die Funktion der dazu benötigten Wirkmechanismen beeinflusst, damit die Handlung überhaupt möglich wird. Folgende weiterführende Texte empfehle ich Euch zum Thema Selbstgespräche:

Dr. René Paasch: Analyse NIR vs. GER

Prof. Dr. Oliver Stoll: Gute Selbstgespräche

Darüber hinaus stehen Euch Cristina Baldasarre (zum Profil), Dr. René Paasch (zum Profil) und alle weiteren Profilinhaber von Die Sportpsychologen (zu den Profilen) gern für Rückfragen zur Verfügung!

 

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Mathias Liebing
Mathias Liebinghttps://www.torial.com/mathias.liebing
Redaktionsleiter bei Die Sportpsychologen und freier Journalist Leipzig Deutschland +49 (0)170 9615287 E-Mail-Anfrage an m.liebing@die-sportpsychologen.de