Dr. Hanspeter Gubelmann: Angst, lass nach!

Als Sportpsychologe werde ich im Rahmen meiner angewandten Tätigkeit als Betreuer immer wieder auf das Thema Angst angesprochen. Häufig wird von mir als Experte dabei erwartet, im Bedarfsfall – dann eben, wenn Angst entsteht und hierdurch die sportlichen Erfolgsaussichten beeinträchtigt erscheinen – möglichst schnell, wirksam und mit einfachen Interventionsformen das ungeliebte Übel zu beseitigen. Angst, lass nach! Muss das immer so sein?

Zum Thema: Wie Sportler, Trainer, Eltern und Funktionäre mit Angst umgehen

Ziel dieses Beitrags ist nicht die theoriegeleitete Vertiefung und Diskussion der Angstthematik im Sport, sondern ein erkundender Anstoss zur Selbstreflexion für interessierte Sportlerinnen, Trainer, Eltern oder Funktionäre. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse im Spitzensport ist, dass sich die Betroffenen selbst oftmals nicht in notwendigem Masse mit diesem Phänomen auseinandersetzen. Die vielschichtige Bedeutung, die Angst haben kann, wird so unterschätzt – oder einfach als „nicht vorhanden“ abgetan. Sinnbildlich bleibt mir der Satz eines Abfahrtstrainers in Erinnerung, der nach dem verheerenden Sturz (mit Querschnittslähmung als Folge) von Silvano Beltrametti 2001 vor den Medien verkündete: «Meine Männer sind stark genug, wir brauchen keine Psychologen». Ihm blieb wahrscheinlich verborgen, dass einige seiner damaligen Athleten selbständig um psychologische Unterstützung – auch bei mir – nachfragten.

Wie gut kenne ich meine Athleten?

Die oben angeführte Trainer-Aussage hat angesichts der tragischen Unfälle von Weltcupfahrer David Poisson (FRA) und dem deutschen Nachwuchsathleten Max Burkhart im alpinen Abfahrtssport an trauriger Aktualität gewonnen. Wie die betroffenen Teams auf diese Schicksalsschläge im Detail reagieren, entzieht sich unserer Kenntnis. Aus sportpsychologischer Sicht scheint eine notfallpsychologische Begleitung der Betroffenen angezeigt. Hilfreich wäre zudem – gerade auch im Hinblick auf so herausfordernde Prüfungen wie den Abfahrtslauf auf der Kitzbühler Streiff – die Ausseinandersetzung der Trainer mit der Fragestellung zu intensivieren: Welche Ängste, Befürchtungen oder negative Gefühle begleiten unsere Athletinnen und Athleten und wie gehen sie damit um?

„Angst ist eine kognitive, emotionale und körperliche Reaktion auf eine Gefahrensituation bzw. auf die Erwartung einer Gefahren- oder Bedrohungssituation. Als kognitive Merkmale sind subjektive Bewertungsprozesse und auf die eigene Person bezogene Gedanken anzuführen […]. Emotionales Merkmal ist die als unangenehm erlebte Erregung, die sich auch in physiologischen Veränderungen manifestieren und mit Verhaltensänderungen einhergehen kann.“ (Hackfort & Schwenkmezger, 1980, S.19.)

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Die vielen Facetten der Angst

Angst ist kein einheitliches Persönlichkeitsmerkmal, sondern ein facettenreiches Phänomen. Personen reagieren auf unterschiedlichste Situationen mit Angst. Ängste sind dabei immer motivabhängig und treten in unterschiedlichen Qualitäten auf. Bedeutsam zur generellen Orientierung für die Trainer sind insbesondere Hinweise zur Art und Stärke der Ausprägung der Angstgefühle. Handelt es sich bei einem Athleten um einen grundsätzlich vorsichtig-ängstlichen Typen (Ängstlichkeit als habituelle Disposition) oder lassen sich in bestimmten Situationen primär Angstzustände erkennen, die als Warnsignale für potentielle Gefahren zu deuten sind? Neben der Frage, ob es sich um angepasste (begründete, sich auf real wahrnehmbare Gefahrenobjekte bezogene) oder unangepasste (unbegründete) Ängste handelt, gilt das Augenmerk im Sport häufig auf folgende vier wiederkehrende spezifische Angstzustände:

  1. Angst vor körperlicher Verletzung und Schmerz
  2. Angst vor Misserfolg und den Folgen des Versagens
  3. Angst vor dem Unbekannten
  4. Angst vor Blamage und sozialer Ächtung (insbesondere durch die Medien)

Als ich vor Jahren einen damals sehr erfolgreichen Schweizer Abfahrer zu seinen düsteren Zeiten im Verlaufe seines Karriere befragte, schilderte er mir ein sehr eindrückliches Beispiel, eines wenig leistungsförderlichen Umgangs mit Angstzuständen. Er hätte sich kurz vor dem Start mit Versagensängsten gequält und sich dabei vorgestellt, wie er unten im Ziel den versammelten Journalisten die Gründe seines erneuten Versagens erklären würde. Auf die Frage, ob seine Trainer von diesen Stresszuständen gewusst oder sich gar um ihn gekümmert hätten, meinte er lakonisch: „Das hätte sie bestimmt nicht interessiert, auch wollte ich ihnen diese intimen Gefühle nicht anvertrauen.“

Vier Ansatzpunkte im Umgang mit dem Thema Angst

Das Thema Angst scheint im Spitzensport allgegenwärtig zu sein. Gleichzeitig handelt es sich um ein Tabu-Thema. Eine offene Diskussion kommt, wenn überhaupt, nur schleppend in Gang. Nachfolgend sind vier Vorgehensweisen kurz angetippt, die einen offenen, respektvollen und letztlich auch positiven Umgang mit dem Thema ermöglichen sollen.

Trainer – Athlet – Beziehung: Untersuchungen zum Thema einer erfolgreichen Trainer-Athlet-Interaktion im Spitzensport (vgl. Jowett, 2007) zeigen, dass eine tragfähige soziale und emotionale Beziehung zwischen den Partnern von hoher Bedeutung ist. Dabei spielt Nähe (Closeness) eine besonders wichtige Rolle. Diese beinhaltet Gefühle wie Vertrauen, Zuneigung und Respekt. Ein achtsamer, vertrauenswürdiger Umgang mit individuellen Ängsten könnte in einer gemeinsamen Diskussion auch durch die Sportpsychologie initiiert und moderiert werden.

Teachable Moments: Gerade in der Begleitung und Betreuung nach einem Unfall oder in Verbindung mit der mentalen Rehabilitation einer Sportverletzung ergeben sich interessante „Berührungspunkte“ zu verschiedenen Angstzuständen (vgl. Hermann & Eberspächer, 1994). Der Athlet sorgt sich meist um seine vollständige Genesung, hat vielleicht existentielle Nöte (Fortsetzung der Karriere, finanzielle Situation etc.), macht sich Gedanken über den weiteren Verlauf der Saison und befasst sich beim Wiedereinstieg in den Wettkampfbetrieb oft mit der Risikoeinschätzung einer möglichen (Wieder-)Verletzung.

Coach-the-coach und interne Trainerfortbildung: Eine vermehrte sportpsychologische Schulung (Psychoedukation) aller Akteure würde nicht nur dem verbreiteten Interesse an der Thematik entgegenkommen, sondern auch eine wichtige Diskussionsgrundlage für eine weitere Vertiefung bilden.

Netzwerk mit Notfallpsychologie und Sportpsychologischer Beratung: Eine aktive Kontaktpflege sowie die Erweiterung des Betreuungsnetzwerkes mit Einbezug der Spezialisten (Notfallpsychologen, Sportpsychotherapeuten etc.) drängt sich insbesondere in Risikosportarten auf.

Die Sportpsychologen sind parat

Meine Kollegen und ich stehen gern parat, wenn Sie als Sportler, Trainer, Familienmitglied oder Funktionär Fragen zum Thema Angst haben. Wir würden uns freuen, wenn wir dem Tabu-Thema ein wenig die Grösse nehmen könnten.

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Quellen

Eberspächer, H. & Hermann, H.-D. (1994). Psychologisches Aufbautraining nach Sportverletzungen. München u.a.: BLV.

Hackfort, D. & Schwenkmezger, P. (1980). Angst und Angstkontrolle im Sport: sportrelevante Ansätze und Ergebnisse theoretischer und empirischer Angstforschung. Bsp-Verlag.

Jovett, S. (2007). Interdependence analysis and the 3+1C’in the coach-athlete relationship. In: S. Jowett D. Lavallee (Eds.) Social psychology in sport (pp.3-14). Champaign, Il: Human Kinetics.

 

https://www.swr.de/sport/skispringen-gespraech-sportpsychologe-gubelmann/-/id=13831144/did=20765610/nid=13831144/10q6j09/index.html

http://www.die-sportpsychologen.de/2016/01/07/dr-hanspeter-gubelmann-wenn-angst-mitfliegt/

http://www.die-sportpsychologen.de/2017/11/02/lena-tessmer-ein-wuetender-blick-auf-die-angstkultur-in-der-schwimmhalle/

http://www.die-sportpsychologen.de/2017/01/30/philippe-mueller-angst-laesst-sich-ueberwinden/

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Dr. Hanspeter Gubelmann
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