Thorsten Loch: Kampfzone Pressebereich

Sichtlich angefressen kam der Mannheimer Coach Sean Simpson in die Katakomben nach dem bitteren Viertelfinalaus seiner Adler gegen den Serienmeister aus Berlin. Unwissend der Tatsache, dass die TV-Kamera bereits lief, raunzte Simpson den Reporter an, bevor dieser überhaupt eine Frage stellen konnte. Mit dieser verbalen Entgleisung reiht sich der Coach in eine lange Liste der ¨legendären¨ Ausraster von Cheftrainern ein und ist damit in guter Gesellschaft. Nahezu jeder kennt die Wutrede des ehemaligen Bayern-Trainers Goivanni Trappatoni (¨Spielen wie eine Flasche leer¨) oder die ¨Weißbieraffäre¨ von Rudi Völler. Legendär ist auch Jürgen Klopps Anranzer an den sogenannten “Seuchenvogel” vom SWR.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass Simpson nicht der Erste und auch nicht der Letzte sein wird, mit dem die Pferde durchgehen und somit der Presse hervorragendes ¨Futter¨ liefert.

Zum Thema: Ärgerbewältigung nach emotionalen Spielgeschehen

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Wie eingangs dargestellt, sind emotionale Entgleisungen nach Wettkämpfen eher die Ausnahme. Jedoch steht die Frage im Raum, weshalb diese dennoch hin und wieder vorkommen? Dieser Beitrag verfolgt das Ziel, zunächst einmal das Rollenverständnis von Trainern im Spitzensport darzustellen, um im Anschluss anhand des prozessorientierten Ärgermodells von Schwenkmezger (1999) die Entstehung von Ärger zu verstehen und schlussendlich mit diesem Wissen handlungsunterstützende Strategien abzuleiten und dem interessierten Leser/-in mit an die Hand zugeben.

Zum Rollenverständnis des Trainers

Nach Bette (zitiert nach Mayer/Hermann, 2014) nimmt der Trainer eine Schlüsselposition im Hochleistungssport ein. Neben einer hohen Machtposition gehört die Entwicklung der Sportler ebenfalls zu seinen Aufgaben. Zusätzlich ist der Trainer vielfältigen äußeren Erwartungen  ausgesetzt, was dazu führt, dass sich die Arbeit des Trainers in erster Linie nach kurzfristigen, sportlichen Erfolgen ausrichtet. Aus diesen Überlegungen heraus ergeben sich für Bette (1984) folgende Besonderheiten:

  1. Erfolgs- und Wettbewerbsorientierung im Hochleistungssport

Der Spitzensport genießt großes öffentliches Interesse, was auch Ansprüche und Erwartungen beinhaltet und somit soziale Kontrolle über Trainer und Sportler darstellt. Durch diese Erwartungen zeichnet sich ein Bild eines erfolgreichen Trainers über die Erfolge seiner Sportler   aus. Der Trainer ist also in der unangenehmen Situation, den heiß umkämpften Erfolg nur über andere, die Sportler, erreichen zu können (Bette, 1984).

  1. Öffentlichkeit des Rollenhandelns

Aufgrund der Massenmedien erfreuen sich Athleten wie Trainer einer großen Bekanntheit. Diese Präsenz in den Medien kann als lästig und aufdringlich, aber auch als angenehm und karrierefördernd empfunden werden. Dabei werden Trainer oft als Knotenpunkt zwischen Medien und dem Athleten oder dem Team betrachtet. Sie stellen somit besonders nachgefragte Ansprechpartner dar. Es wird Insiderwissen eingefordert und ihre Handlungen werden analysiert und bewertet. Daraus folgt, dass der Trainer sich eine Überprüfung seiner Arbeit gefallen lassen muss, das heißt, sein Wissen und die hieraus abgeleiteten (oder auch nicht abgeleiteten) Maßnahmen werden permanent, oft auch von Laien, hinterfragt. Dabei wird die Beurteilung des Wettkampfes, des Sieges oder der Niederlage, die Trainerarbeit häufig auf eine Dimension (Erfolg oder Misserfolg) reduziert. Exklusives Wissen oder pädagogisch-psychologische Fähigkeiten zählen relativ wenig oder sie werden einfach mit dem Erfolg gleichgesetzt. Für den Trainer im Hochleistungssport kommt es eigentlich nicht primär darauf an, zum Beispiel pädagogisch-psychologisch gut zu arbeiten. Es gilt vielmehr, bei einigen wenigen Wettkämpfen möglichst viel Erfolg zu erzielen.

  1. Fristigkeit des Rollenhandelns

Die Position des Trainers ist somit von ständigen Erfolgsmeldungen abhängig. Sportler und somit auch ihre Trainer stehen permanent unter Erfolgs- und Zeitdruck. Im Falle von anhaltendem Misserfolg reagiert das System durch Austausch des Rollenträgers. Der Trainer wird entlassen, ein anderer eingestellt, ohne dass darüber hinaus eine Änderung eintreten müsste     (Mayer/Hermann, 2014).

Gemessen an diesen Besonderheiten des Rollenverständnis des Trainers, verwundert es nicht, dass diesen sprichwörtlich der Kragen platzt. Eine entscheidende Frage sollte sein, wie es zu unterschiedlichem Ausmaß von Ärger kommt, was jeder individuell bei der Entstehung von Ärger ¨falsch¨ macht, wie jemand situationsabhängig den richtigen Ärgerausdruck anwenden kann und dieser intra- und interindividuell bewertet wird (Dusi, 2005).

Theoriemodell Ärger

Spielberger et al. (1985) schafft eine gute theoretische Grundlage analog zu seinen Forschungsergebnissen zur Angst in Form der Unterscheidung eines Zustands- und Eigenschaftsträgers (State/Trait). Hinsichtlich des Ärgerausdrucks konnte er drei voneinander unabhängige Faktoren definieren und nachweisen (siehe Tab. 1).

Anger – In Unterdrückung von Ärger bzw. Nichtäußern von ärgerlichen Gefühlen.
Anger – Out Ausdruck von Ärger anderen Personen oder Objekten gegenüber in Form von physischen Angriffen und verbalen Attacken.    
Anger – Control Kontrolle des Ausdrucks von Ärger oder Äußerungen in sozial angemessener Weise.

Tab. 1

Auf diesem theoretischen Fundament entwickelte Schwenkmezger und Mitarbeiter (1999) ein integratives Ärgermodell, dass die Entstehung von Ärgerstress erklärt, die Ärgerrolle bei pathogenen Prozessen darstellt und darüber hinaus geeignete Wege zur Bewältigung dieser Ärgerstressoren aufzeigt. Im Modell wird vor allem die Rolle der Kognitionen bei der Entstehung und Verarbeitung des Ärgers deutlich, die zu einer Bewertung des Ärgerverhaltens und Einschätzung auf Effektivität führt und dadurch die Entwicklung individueller Ärgerverarbeitungsstile fördert. Abbildung 1 zeigt das Modell in der linken Hälfte, wobei auf der rechten Seite der Versuch unternommen wurde, dieses theoretische Gebilde mit Inhalt anhand des Beispiels Simpson zu verdeutlichen.

Abbildung 1

Interventionsmöglichkeiten

Mit dem Ärgerbewältigungstraining liefert Schwenkmezger et al. (1999) auch gleich eine Vorgehensweise, wie mit dem Konstrukt Ärger umgegangen werden kann. Dazu empfiehlt er folgendes praktisches Vorgehen:

Edukation und Aufklärung: Das Ärger auch eine wichtige Funktion hat, sollte bewusst gemacht werden.

Entspannung: Das Erlernen von Grundlagenfertigkeiten (Beckmann/Elbe, 2005), sprich einer Entspannungstechnik ist für den situationsdäquaten Umgang mit Ärger wichtig ist, da Ärgererleben und Entspannung inkompatibel sind.

Selbstbeobachtung und Selbsterfahrung: Über Selbstbeobachtung (z.B. mittels eines Ärgertagebuchs) soll es in ärgerrelevanten Situationen, die Rolle der Gedanken, der Körperreaktionen, der körperlichen Anspannung und der sozialen Umgebung als relevante Bausteine der Entstehung und Aufrechterhaltung von Ärger analysieren.

Kognitionstraining: Typische ärgerrelevante Gedanken sind hohe Erwartungen, vorschnelle externale Ursachenattribuierung, Generalisierungen und Verletzungen eigener Ansprüche. Hier besteht die Möglichkeit eigene ärgerrelevante Gedanken zu hinterfragen und in Form eines problemlösezentrierten Vorgehens zu ersetzen und einzuüben.

Interaktions- und Kommunikationstraining: Geeignete kommunikative Ärgerbewältigungsstile (insbesondere Ich-Botschaften) im Rollenspiel einüben.

Individuelles Anwendungstraining: Es gibt keine Patentrezepte im Umgang mit Ärger, vielmehr ist das Erleben von flexiblen Strategien mit einem breiten Verhaltensrepertoire notwendig.

Fazit

Wir konnten aufzeigen, dass die Trainer im Hochleistungssport von Besonderheiten des Systems bestimmt werden und deren Arbeit auf erfolgreich oder nicht erfolgreiche Wettkämpfe reduziert wird. In diesem Zusammenhang interessiert es niemanden, welche Arbeit außerhalb des Wettkampfes (innerhalb des Trainingsalltages) geleistet wird. Tatsächlich ist partiell das Gegensätzliche sogar der Fall. Es kam sogar vor, dass Spitzentrainer ihre Position verloren, weil sie zu pädagogisch-psychologisch gearbeitet haben. Aus diesen Überlegungen heraus wird deutlich, unter welchem Zeit- und Erfolgsdruck die heutigen Trainer stehen. Somit wird fühlbar, welche Emotionen, je nach Spielausgang in dem Trainer hochkommen und entsprechend adäquat verarbeitet werden (siehe Ärgermodell Schwenkmezger) müssen. Dies gelingt im Gros den Trainern sehr gut.

In der Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen können individuelle Bewältigungsstile entwickelt werden. Teils wird so genanntes Kommunikationstraining in den Trainerausbildungen angeboten (vgl. DFB Fussballlehrer Hannes Weisweiler Akademie). Und somit wird möglicherweise auch schon eine Antwort auf die Frage gegeben bzw. es verwundert nicht mehr, dass viele Trainer in den unmittelbaren Interviews nach dem Spielgeschehen, sich in die altbekannten Floskeln stürzen, um sich selbst zu schützen und zu verhindern, dass es zu keinen bösen Überraschungen kommt, wie im zu Beginn genannten Fall des Eishockeytrainers.

 

Literatur:

Bette, K. H. (1984). Die Trainerrolle im Hochleistungssport. Sankt Augustin: Richarz.

Dusi, D. (1998). Ärgerbewältigung. Evaluation eines Ärgerbewältigungstrainings für klinische Gruppen (ÄBT-KG) im stationären Setting. Frankfurt a.M.: Lang.

Hermann, H.D., Mayer, J. (2014) Make them go. Was wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können. Hamburg: Murmann Verlag.

Schwenkmezger, P., Steffgen, G., Dusi, D,. (1999). Umgang mit Ärger. – Ärger- und Konfliktbewältigungstraining auf kognitiv-verhaltenstherapeutischer Grundlage. Göttingen: Hogrefe.

Spielberger, C.D., Johnson, E.H., Russel, S., Crane, R.J., Jacobs, G., Worden, TJ. (1985). The experience and expression of anger: Construction and validation of an Anger Expression SCale. In M.A. Chesney & R.H. Rosenman (Eds.), Anger and hostility in cardiovascular and behavioral disorders. (pp. 5-30). New York: Hemisphere.

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Thorsten Loch
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