Stellen Sie sich vor, Sie sagen einem Fussballspieler vor dem entscheidenden Elfmeter: „Konzentrier dich!“ Was passiert? Meistens das Gegenteil. Warum? Weil wir Aufmerksamkeit wie einen Lichtschalter behandeln – entweder an oder aus. Doch das Gehirn funktioniert eher wie ein Mischpult mit verschiedenen Reglern.
Zum Thema: Sportpsychologie – mehr als eine grosse Werkzeugkiste
Wie bedienen Sie nun aber dieses Mischpult? Die Wissenschaft hilft uns dabei auf die Sprünge: Die moderne Aufmerksamkeitsforschung zeigt uns vier verschiedene „Aufmerksamkeitsmodi“:
- Breit-extern: Der Spielmacher überblickt das ganze Spielfeld
- Eng-extern: Der Torschütze fixiert die Torecke
- Breit-intern: Der Marathonläufer spürt Atmung und Herzschlag
- Eng-intern: Der Golfer konzentriert sich nur auf den Schwungrhythmus
Das Geheimnis liegt nicht in der Perfektion eines Modus, sondern in der flexiblen Navigation zwischen ihnen. Wie ein erfahrener DJ, der intuitiv weiss, welcher Regler wann gedreht werden muss.
Warum klassisches Mentaltraining zu kurz greift
Hier kommt die systemische Perspektive ins Spiel: Anstatt Aufmerksamkeitsprobleme zu „lösen“, geht es darum, Aufmerksamkeitsmuster zu verstehen und zu nutzen. Jeder scheinbar „störende“ Zustand – Tunnelblick, Übererregung oder Ablenkbarkeit – enthält eine verschüttete Ressource.
Aus systemischer Sicht: Stabilität ist erklärungswürdig. Wenn ein Athlet immer wieder in denselben Aufmerksamkeitsfallen landet, dann hat das eine Funktion. Die Frage ist nicht „Wie eliminiere ich das?“, sondern „Wozu ist das nützlich?“
Praktische Handlungsempfehlungen für Trainer
1. Aufmerksamkeits-Landkarte erstellen (5 Minuten)
Fragen Sie Ihre Athleten: „Wann ist deine Aufmerksamkeit optimal? Wann wird sie hinderlich?“ Lassen Sie sie ihre ideale Aufmerksamkeitssequenz für ihre Sportart skizzieren.
2. Modi-Wechsel trainieren (in bestehende Übungen integriert)
- Vor Technikübungen: „Welcher Aufmerksamkeitsmodus jetzt?“
- Bei Spielformen: Timeouts für „Aufmerksamkeits-Reset“
- Nach Fehlern: „Welcher Aufmerksamkeitsmodus hätte gepasst?“
3. Störungen als Trainingspartner (nicht als Feind)
Schaffen Sie bewusst komplexe, wettkampfnahe Situationen. Lassen Sie Ihre Athleten lernen, mit Ablenkungen zu arbeiten, nicht gegen sie.
Der Paradigmenwechsel
Statt „Du musst dich konzentrieren“ → „Du bist der Regisseur deiner Aufmerksamkeit“ Statt „Eliminiere Störungen“ → „Nutze alle mentalen Zustände als Information“
Die systemische Kernfrage für Ihr Team:
„Was macht dieser Kontext mit unserer Aufmerksamkeit – und wie können wir das nutzen?“ Wenn wir Aufmerksamkeit als dynamisches System verstehen statt als Werkzeug, öffnen sich neue Möglichkeiten. Ihre Athleten werden zu Dirigenten ihres eigenen mentalen Orchesters.
Literatur:
- Babiloni, C. et al. (2008). Golf putt outcomes are predicted by sensorimotor cerebral EEG rhythms. Journal of Physiology, 586, 131-139.
- Munzert, J. (2005). Aufmerksamkeit und Konzentration. In H. Beckmann & M. Kellmann (Hrsg.), Anwendungen der Sportpsychologie (S. 95-139). Hogrefe.
- Nideffer, R. M. (1976). Test of attentional and interpersonal style. Journal of Personality and Social Psychology, 34, 394-404.
- Wulf, G. (2013). Attentional focus and motor learning: A review of 15 years. International Review of Sport and Exercise Psychology, 6, 77-104.
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