Seit langem habe ich mal wieder ein Großereignis im Fußball intensiv geschaut, eher aus einem Zufall heraus, als das es eine bewusste Entscheidung war. Vorher mal ein wenig in die Klub WM reingeschaut, doch eher nicht begeistert ob der Spiele. Doch die EM der Frauen hat mich gepackt und das nicht nur wegen der deutschen Mannschaft, sondern wegen der Leidenschaft der Sportlerinnen, die in fast allen Spielen greif- und spürbar war. Das Gruppenspiel Deutschland gegen Schweden sowie die ersten drei Viertelfinals will ich diesbezüglich herausheben. Ich dachte, dass es kaum noch Steigerungsmöglichkeiten gibt. Doch Deutschland und Frankreich zeigten in ihrem Viertelfinale, dass die „Zeit“ als ein „Spiel für die Geschichtsbücher“ beschrieb, dass es doch geht. Es war einer dieser Momente, die du als derjenige, der Teil davon ist, nie mehr vergisst. Auch ich durfte in meiner Zeit im Leistungssport den ein oder anderen dieser Momente erleben, die mit einer kaum zu beschreibenden Mischung aus Emotionen, Gedanken und Handlungen verbunden sind. Es sind sogenannte Moments of Excellence, im Deutschen vielleicht am ehesten mit außergewöhnlichen, hervorragenden Momenten übersetzt. Sie sind besonders und ihre ungeheure mentale Kraft, das Erleben dieser unbeschreiblichen Emotionen, kann ein wahnsinnig starker Motivator sein und werden. Wer weiß jetzt schon, was für das deutsche Team bei der EM noch kommen kann?
Zum Thema: Lernen aus Niederlagen – und wie daraus Resilienz entsteht
An einem Spiel der deutschen Mannschaft wie gegen Schweden, in dem du nach gutem Start durch vermeintliche Schicksalsmomente auf die Verliererstraße gerätst und am Ende eine deutliche Niederlage kassierst, kann eine Mannschaft in dem Turnier zerbrechen oder auch gestärkt daraus hervorgehen. Die deutsche Mannschaft scheint aus diesem Spiel gelernt zu haben und vor allem als Mannschaft in ihrer Geschlossenheit und ihrem sogenannten „Teamspirit“ gewachsen zu sein.
Denn es musste ja fast schon wie ein Déjà-vu anmuten, als Kathrin Hendrich für ihre Aktion die rote Karte erhielt, ob gerechtfertigt oder nicht, das lassen wir mal dahin gestellt. Und als Frankreich mit dem danach glücklich verwandelten Elfmeter in Führung ging, da gab es einen kurzen Moment der Starre, die jedoch sehr schnell vom Team abgeworfen wurde. Dieses Momentum konnte Frankreich anders als die Schwedinnen nicht nutzen. Und das Momentum wechselte sogar in die Entladung von ungeheurer Energie, als kurz darauf Sjoeke Nüsken eine hervorragend einstudierte Ecke zum Ausgleich nutzte. Wie ein Ruck ging es durch die Mannschaft, als ob alle über eine unsichtbare Energie miteinander vernetzt waren. Es war begeisternd anzuschauen, wie für- und miteinander nun gekämpft wurde. Und ja, bei allem Pathos, es gab auch die Momente des Glückes, als das 2:1 der Französinnen wegen Abseits nicht gegeben wurde, als der letzte Ball in der Verlängerung die Latte traf. Und auch den Moment des Rückschlages, als der Elfmeter verschossen wurde.
Ann-Katrin Bergers Demut
Doch die Leistung der deutschen Mannschaft, ihre Stärke, immer wieder aufzustehen und an sich zu glauben, zeigte sich dann auch im abschließenden Elfmeterschießen. Und wer danach das Interview mit Torhüterin Ann-Katrin Berger gesehen hat, der weiß, was Moments of Excellence sind, sie waren in ihrem Gesicht abzulesen. Und sich und seine Leistung in den Dienst der Mannschaft zu stellen, dafür ist sie ein lebendes Beispiel, sich und seine Fähigkeiten voll einzubringen und das Letztmögliche zu geben, mit einer Demut, die nicht gespielt schien.
Daraus entsteht individuelle und mannschaftliche Resilienz. Folgende drei Faktoren scheinen hier ausschlaggebend zu sein:
- Erstens ein Netzwerk, in dem jeder für den anderen einsteht, ohne seine persönlichen Eitelkeiten und Befindlichkeiten auszuleben, sondern diese im Dienst der Mannschaft hinten anzustellen.
- Zweitens die Erfahrung und das Erlebnis von Selbstwirksamkeit, das jede meiner Aktionen wichtig und entscheidend ist und sie die Aktion sein kann, die das Pendel in die erfolgreiche Richtung ausschlagen lässt.
- Und am Ende der Glaube an mich selbst, eine Form des Optimismus, dass es am Ende schon „gut“ werden wird, dass wir als erfolgreiche Mannschaft den Platz verlassen.
Dies alles war in dieser deutschen Mannschaft zu sehen, zu spüren, zu erleben, bis hin zu einem Phänomen, dass Mihály Csíkszentmihályi als „Flow“ skizzierte.
Moments of Excellence aktivieren
In Situationen, die besonders wichtig sind oder in denen die Motivation und Stimmung gerade schwierig ist, kann der Trainer, Sportpsychologe oder einer aus der Mannschaft, natürlich auch ein Einzelsportler, sich und der Mannschaft diese besonderen Momente in Erinnerung rufen und damit versuchen, sich in diesen gleichen Zustand hinein zu versetzen, in dem er damals gewesen ist. Daraus kann extreme Kraft und Energie geschöpft werden und somit auch noch ausweglose Lagen gedreht werden. Dies funktioniert über eine sogenannte assoziative Imagination, also das Hineinversetzen in die damalige Situation mit ihren Bildern, Stimmungen und Emotionen, mit ihrer unbeschreiblichen Kraft des Moments.
Mentale Stärke
Wenn wir „mentale Stärke“ nun wie folgt definieren, als Fähigkeit positiv (optimistisch) und fokussiert zu bleiben, wenn die Widrigkeiten, die Herausforderungen und das Stressniveau steigen, um die notwendige Leistung gezielt abzurufen, dann haben wir diese live und in Farbe im deutschen Team gesehen.
Folgende Elemente sind dabei in der mentalen Stärke enthalten:
- das Erkennen der Chancen in der Herausforderung,
- das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten mit einer klaren Zielorientierung,
- die emotionale Regulationsfähigkeit und daraus resultierende Motivation,
- die Anpassungsfähigkeit an die Veränderung,
- die Erholung von Rückschlägen und
- die Durchhaltefähigkeit.
Und nun sollte auch keiner mehr auf die Idee kommen, dass die „mentale Stärke“ angeboren ist. Grundsätzlich spielen genetische Faktoren eine Rolle, wenn es um das Ausmaß meiner Sensibilität und Verletzlichkeit geht, genauso wie die „körperliche Robustheit“ genetische Grundlagen hat, doch ein Großteil der Fähigkeiten ist zu trainieren und zu entwickeln.
Somit muss auch der sportpsychologischen Begleitung, genauer dem Kollegen Christoph Herr, attestiert werden, hier einen guten „Job“ gemacht zu haben.
Die weitere EM-Reise
Wir dürfen gespannt sein, wohin die Reise der deutschen Mannschaft im Halbfinale gegen Spanien gehen kann. Mental scheinen sie gut gerüstet zu sein, doch auch diese Fähigkeit braucht jetzt Pause, um den Akku wieder aufladen zu können. Doch eine wichtige Quelle zum Auftanken sind die Spiele gegen Schweden und Frankreich gewesen. Diesem Team dürfen wir alles zutrauen.
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